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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

462-465

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Autor/Hrsg.:

Mattmüller, Markus

Titel/Untertitel:

Leonhard Ragaz und der religiöse Sozialismus 1959

Rezensent:

Fuchs, Emil

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

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es von den Heilstatsachen des Lebens Christi heißt: Haec Domini
nostri opera non solum sacramento nobis utilia sunt, sed
etiam imitationis exemplo, si in disciplinam ipsa remedia trans-
ferantur. Vgl. auch s. 70, 4 (S. 93 f.).

„Die ungewisse, nebelhafte Weise", mit der neuere Autoren
nach den Worten von Mediator Dei die Gegenwart der Heilstatsachen
in den liturgischen Feiern behandeln, ist in der Arbeit von
de Soos nicht mehr zu finden. Aber auch er will, so scheint mir,
dennoch mehr aus den Texten herausholen, als darinsteht. Nachdem
er in Appendices noch den Anschauungen Leos über die erlösende
Inkarnation und das Verhältnis von Inkarnation und
Erlösung (I), über die Geburt Christi und die des Christen (II)
und einigen liturgiegeschichtlichen Hinweisen nachgegangen ist,
läßt er uns in einem Index Verborum an der fleißigen Verzettelung
seiner Leo-Lektüre teilnehmen (besonders die für das Thema
wichtigen Ausdrücke celebrare, continere, hodie, honor, myste-
rium und sacramentum im Singular und Plural). M. E. hätte er
von einer Klassifikation dieser Stellen ausgehen sollen, die sich
aber an den in der christlichen Latinität vorhandenen Sprachgebrauch
hätte anschließen müssen. Die sacramentum und myste-
rium vorgesetzte Systematik hätte dann einheitlicher und durchsichtiger
werden können. Ob man es nicht einmal von dieser
Seite her versuchen sollte, etwa wie es Rez. mit dem Vorkommen
von sacramentum bei Tertullian getan hat? Doch verdient da6
eifrige Bemühen des Verfs. Anerkennung, der unseren Blick wieder
auf die Art gelenkt hat, wie die Römische Kirche in der Zeit,
wo unsere Sakramentar-Texte entstanden 6ind, zuchtvoll, nüchtern
und doch theologisch tief die Liturgie feierte. Leider ist der
Druck nicht frei von Fehlern.

Münster/W. Adolf Kolping

RELIGIONSSOZIOLOGIE

Hättich, Manfred: Wirtschaftsordnung und katholische Soziallehre.

Die subsidiäre und berufsständische Gliederung der Gesellschaft in
ihrem Verhältnis zu den wirtschaftlichen Lenkungssystemen. Stuttgart
: G. Fischer 1957. X, 195 S. gr. 8° = Schriften zum Vergleich
wirtschaftlidier Lenkungssysteme, H. 2. Kart. DM 15.50.

Die vorliegende Arbeit bewegt 6ich ganz im Bereich der
heutigen katholischen Sozialwissenschaft. Das bedeutet eine dreifache
Einschränkung. Die Arbeit ist zunächst wesentlich auf die
Sozialtheorie bezogen und bewegt rieh in dem Felde der Theorie,
wodurch sie einen etwas abstrakt-spekulativen Zug bekommt.
Sie ist ferner ausschließlich der Deutung der katholischen Soziallehre
in ihren Konsequenzen für die Wirtschaftsordnung zugewendet
, und es ist ihr dabei um die katholische Soziallehre in ihrer
heutigen Gestalt zu tun. So bezieht sich das Buch vor allem auf
die einschlägigen päpstlichen Enzykliken, sowie auf die Arbeiten
von B. Gruber, K. P. Hensel, J. Messner, O. v. Nell-Breuning,
H. Sacher und E. Welty.

Das Buch ist in drei Teilen aufgebaut. Der erste Teil behandelt
,,das Gliederungsprinzip der katholischen Soziallehre". Er beginnt
mit einer sorgfältigen Untersuchung über die Möglichkeiten
, die Tragweite und die Grenzen kirchenamtlicher Lehrentscheidungen
hinsichtlich der menschlichen Sozialgestaltung.
Neben den unbedingt bindenden Lehrentscheidungen über alles,
was das Heil des Menschen betrifft, stehen andere Äußerungen,
welche durch das Naturrecht oder durch die Natur der „Sachen"
bestimmt werden, und wieder andere, in denen das kirchliche Lehramt
nur Ratschläge gibt, welche aber keinen unbedingt bindenden
Charakter haben können. Als das Charakteristische an der
katholischen Soziallehre treten dann das Prinzip der Subsidiarität
und das der berufsständischen Gliederung hervor, wobei es sich
im einen wie im anderen Falle um die komplementäre Beziehung
von Individuum und Gemeinschaft bzw. um die Funktionen der
„Stände" für die Gesamtgemeinschaft handelt. Beide Prinzipien
werden im Zuge der Darlegung des Verf.s gegen Mißdeutungen
sicher gestellt.

Im zweiten Teil geht das Buch dann der Bedeutung nach,
welche diese Prinzipien der Sozialgestaltung für die Wirtschaftsordnung
haben. Dieser Teil ist überschrieben: „Die Gliederung

der Gesellschaft durch die Wirtschaftsordnung." Unter Zuhilfenahme
der Euckenschen Theorie von den idealtypischen Wirtschaftsordnungen
wird hier eine Beziehung gesucht, welche das
Prinzip der Subsidiarität zu der Polarität von Planwirtschaft
(„Zentralverwaltungswirtschaft") und Marktwirtschaft haben
könnte. Hier bleibt die Arbeit immer in einer gewissen Schwebe
zwischen dem nationalökonomischen und dem moraltheologischen
Anliegen. „Das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Sozial-
lehre verlangt von jeder Gesellschaftsordnung die Wahrung und
Sicherung der Eigennatur der personalen Individualität und der
Gemeinschaften" (S. 66). Die Polaritäten der Sozialordnung und
der Wirtschaftsordnung werden in der Betrachtung H.s mit den
ethischen Polaritäten von Individuum und Gemeinschaft, von
Freiheit und Verantwortung durchsetzt und gleichsam sozialethisch
verrechnet.

Der dritte Teil behandelt „die gesellschaftliche Gliederung
der Wettbewerbswirtschaft als ordnungspolitische Aufgabe".
Hier neigt sich die Wage des Urteils doch sehr sichtbar zugunsten
der „Marktwirtschaft". Man fühlt sich an ältere Theoretiker
ständischer Ordnung erinnert, die freilich hier nirgends zitiert
werden, wenn wir lesen: „Die katholische Sozialwissenschaft hat
durch die Herausarbeitung des Prinzips der Subsidiarität einen
grundlegenden und kaum zu überschätzenden Beitrag für die
Lösung der ordnungspolitischen Probleme unserer Zeit geleistet.
Wir haben dieses Prinzip auf die Wirtschaftsordnung angewandt
und die Übereinstimmung des marktwirtschaftlichen Modells
mit ihm festgestellt. In dieser Übereinstimmung liegt für die
praktische Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik eine große
Möglichkeit. Nachdem eine am Liberalismus (der ja auch vom
katholischen Standpunkt aus nicht nur falsche Erkenntnisse zu
Tage brachte) orientierte Wissenschaft die Position des Laissez-
faire überwunden hat und zu einem „Denken in Ordnungen"
gelangt ist, ist ein sachliches Gespräch möglich, wenn man es auf
beiden Seiten fertig bringt, sich von historischen Belastungen frei
zu machen" (S. 186 f.). Ich verzichte darauf, noch weitere Belege
für den hier vertretenen und fast bis zur Apotheose gesteigerten
Ordnungsgedanken anzuführen. Auch ich bin keineswegs der
Meinung, daß die Auflösung der Wissenschaft in isolierte Fachdisziplinen
heilvoll ist oder doch wäre. Ich bin aber nicht ganz
so zuversichtlich wie der Verf., wenn er der katholischen Sozialwissenschaft
, wie er sie hier vertreten und doch recht romantisch
interpretiert hat, die besondere Sendung zutraut: „zu einer neuen
Entfaltung der Einheit der Wissenschaft in die Zukunft hinein".
Ist sie doch „durch ihre ununterbrochene Tradition noch am ehesten
mit der alten Universita6 verbunden" (S. 187).

Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister beschließen
das Buch.

Gotting«« Wolfgang Trill haas

Mattmüller, Markus: Leonhard Ragaz und der religiöse Sozialismus
. Eine Biographie. Bd. I: Die Entwicklung der Persönlichkeit und
des Werkes bis ins Jahr 1913. Zollikon-Zürich: Evangelischer Verlag
[1957]. 248 S., 2Taf. gr. 8° = Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft
Bd. 67. Lw. DM 18.40.

Lindt, Andreas: Leonhard Ragaz. Eine Studie zur Geschichte und
Theologie des religiösen Sozialismus. Zollikon-Zürich: Evangelischer
Verlag [19571. 283 S. 8°. Lw. DM 16.—.

Gleichzeitig und im selben Verlag erschienen diese beiden
ausgezeichneten Schriften über Leonhard Ragaz. Das ist um so
bemerkenswerter, als erst vor wenigen Jahren seine Autobiographie
erschienen ist.

Für mich bedeutet es eine ganz große Freude. Hat doch kaum
ein Mann außer Naumann einen solchen Einfluß auf mich gehabt
als Leonhard Ragaz. Es ist ein Zeichen, daß die gewaltigen Fragestellungen
, die von ihm so leidenschaftlich gestellt wurden,
wieder Aufmerksamkeit finden und daß seine prophetische,
starke, schwer mit sich und der Welt ringende Gestalt dem heutigen
Geschlecht bedeutungsvoll wird.

Gerade dies Letztere lassen beide Werke in erschütternder
Weise hervortreten, so daß Leonhard Ragaz neu lebendig vor
dem steht, der ihn kannte und verehrte. Damit ist schon gesagt,
daß man beide Werke nur ganz stark dem empfehlen kann, der