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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

457-459

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Schnitzler, Theodor

Titel/Untertitel:

Die Messe in der Betrachtung 1959

Rezensent:

Stählin, Wilhelm

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457 Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

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Stilprägung sehr wichtigen aquitanischen Sarkophagen werden
einer erfolgversprechenden Untersuchung unterzogen.

Der Stoff wird von Jahr zu Jahr reicher. Doch erscheint auf
manchen Gebieten eine systematische Bearbeitung bereits möglich
zu 6ein, wozu hier für die Baptisterien und Sarkophage neue
wesentliche Beiträge geliefert wurden.

Nicht nur die Baptisterien und Doppelbasiliken zeitigten im
Orient und Okzident verwandte Gebilde mit Einschluß ihrer
dekorativen Ausstattung, sondern es gab hier und dort Märtyrer-
gräber, über denen Kultstätten errichtet wurden. Auch diesseits
der Alpen gab es solche. Nach den Märtyrergräbern der heiligen
Cassius und Florentius unter dem Münster zu Bonn bietet das
Grab des heiligen Victor in Xanten (wie jene ein Angehöriger
der von Ägypten an den Rhein verlegten Thebäi'schen Legion)
und die Kirchen, die über ihnen errichtet wurden, eine Fülle von
Problemen. Man möchte wünschen, daß nach den Grabungen
unter dem Hochaltar von St. Peter in Rom die Märyrergräber auf
einer der nächsten Tagungen zum Gegenstand eines Austausches
der Forschungsergebnisse werden. Walter Baders Veröffentlichung
über die Grabung im Xantener Dom, durch die das Märtyrergrab
gefunden wurde, steht unmittelbar bevor.

Düsseldorf Heinrich J. Sch m i H t

LITURGIEWISSENSCHAFT

Schnitzler, Theodor: Die Messe in der Betrachtung. I. Bd.: Kanon
und Konsekration. 2., unveränd. Aufl. II. Bd.: Eröffnung, Wortgottesdienst
, Gabenbereitung, vom Hochgebet, Kommunion, Abschluß und
Nachhall. Freiburg/Br.: Herder 1957. XVII, 296 S. u. XII, 367 S.
kl. 8°. DM 8.80 U. 9.80.

Der Verfasser, Professor für Liturgik in Köln, bezeichnet
selbst sein Buch als einen „frommen Kommentar zu Jo6ef Andreas
Jungmanns Mißsarum Solemnia". Er fußt bis in minutiöse Einzelheiten
hinein auf den Ergebnissen liturgiewissenschaftlcher Forschungsarbeit
, aber seine Abzweckung ist nicht eigentlich eine
wissenschaftliche, vielmehr möchten diese Betrachtungen die
-tägliche Feier des heiligen Opfers" wieder beseelen, indem sie
dem Priester die Erkenntnis vermitteln, daß (wie J. A. Jungmann
>n seinem Geleitwort I, XVI schreibt) „hinter den schlichten Worten
de6 Meßkanon6 die ganze Glaubenswelt der christlichen Frühzeit
lebendig wird: Der große Gottesbegriff, das erhebende
Christusbild, die Schau von der Kirche in ihrer Einheit der himmlischen
Kirche mit der auf Erden pilgernden, das monumentale
Beten und Gottsuchen eines heroischen Zeitalters". Der Titel
besagt, daß die Ordnung der Messe hier Gegenstand der „Befrachtung
" sein solle. Dieses Wort, für uns, wenn überhaupt,
dann zumeist nur in einem sehr allgemeinen und unbestimmten
SJnn gebraucht, umfaßt geschichtliche Erläuterungen über die
Herkunft und die Entwicklung einzelner Stücke der Messe, die
Aufdeckung biblischer Ursprünge und Beziehungen, die Untersuchung
der liturgischen Struktur und des Stils der liturgischen
Sprache und zuletzt die Tragweite der einzelnen Teile, ja einzelner
Worte, für das Verständnis der Kirche und die Pflege des
geistlichen Lebens selbst. „Wenn wir (um noch einmal das Ge-
eitwort von Jungmann zu zitieren) auf die klare und freundliche
stimme des Verfassers einige Augenblicke gehört haben, werden
Wlr wieder an einem Punkt von der tödlichen Selbstverständlichkeit
des allzu Gewohnten . . . befreit sein, werden ... mit neuer

"""furcht und befeuerter Andacht dem Geheimnis nahen, in dem

°ttcs Liebe uns täglich berühren will."

Der Aufbau ist charakteristisch: Der I. Band bietet nach in*
8emcinen Betrachtungen über „Text und Ritus des Hochgebetes"
£ dem 2. Hauptteil Betrachtungen über „Text und Ritus der

°nsckration" (worunter die verba testamenti verstanden wer-
Eft der II. Band behandelt dann in gleicher Weise die übrigen

tuckc. die „Eröffnung", den Wortgottesdienst, die Oblation,
°le Kommunion und den Beschluß. Der dem I. Band beigegebene

e*t aller Gebete des Kanons gibt die Möglichkeit, die Betrach-
D.nRcn mit den zugrundeliegenden Texten selbst zu vergleichen.
L le .^trachtung wendet sich vor allem der Messe als einer ein-
tlichcn Gestalt, einer kultischen „Dichtung mit vielen Strophen
" zu, als dem „Gefäß einer überaus erhabenen Gott-Einigung
" (I, 19) und rühmt die Fülle der Glaubenswelt, der sich der
Mensch hier in „liebendem Gedenken" verbinden darf, die römische
Nüchternheit des Stils gegenüber dem Überschwang ostkirchlicher
und der von dort her beeinflußten gallikanischen und
mozarabischen Liturgie, die rhythmische Schönheit der Sprache
(I, 31 ff.). Besondere wertvoll erscheinen mir die immer wieder
dargebotenen biblischen Durchblicke mit zum Teil sehr aufschlußreichen
Untersuchungen übeT die Bedeutung der einzelnen Vokabeln
in der Heiligen Schrift und in der Liturgie. („Die Kirche
macht die Heilige Schrift zum Gebet", I, 100; „In Form des Gebetes
wird ausgesprochen, wa6 hier geschieht", I, 176). Andern
Beispiel der Konsekrationsworte, die in ihrem Wortlaut eine
Schöpfung der Kirche seien, wird das Verhältnis von Schrift und
kirchlicher Überlieferung aufgewiesen (I, 240). Einige Einzelheiten
, die den Charakter des ganzen Buches kennzeichnen, seien
hervorgehoben: Die Betrachtungen über die Hände des Herrn
(die in der Einfügung in die verba testamenti erwähnt werden,
I. 252 f.), über die beim Beten gefalteten Hände (II, 64), über
das Kyrie als Christ-Königs-Lied und das Gloria als österliches
Siegeslied (II, 16 ff.), über die „Wandlungsworte", die nicht als
Machtwort, sondern an ein an Gott gerichtetes Gebet und zugleich
als Verkündigung zu verstehen seien (I, 228), über das
Amen, das „wichtigste Wort des Volkes bei der Messe" (I, 114),
über die signatio crucis (als Zeigev-Gestus, nicht als Segenshandlung
), über die Handauflegung als Besitzergreifung u. ä. m.
Besondere Beachtung verdienen nach meiner Meinung die Betrachtungen
über den Zusammenhang der Messe mit der Apokalypse
(I. 95 ff.), über den Sinn des meritum, worunter mehr die Schuld
als das Verdienst zu verstehen sei (I, 106); auch die Nüchternheit
, mit der zum Beispiel der ursprüngliche Sinn der Mischung
von Wein und Wasser gegenüber allen späteren tiefsinnigen Deutungen
herausgestellt wird (II, 175 ff.). Natürlich werden nicht
nur evangelische Leser, die gegenüber der Gesamtwertung der
Messe ihre Vorbehalte machen, sondern auch katholische Priester
zu manchen Stellen ihre Fragezeichen machen: Kann das Sanctus
wirklich nur als eine „Unterbrechung" in dem Fluß dieser kultischen
Dichtung angesehen werden (I, 67)? In welchem Sinn
Kann man das Brot als ein Kunstwerk bezeichnen (I, 248)? Werden
nicht bisweilen, so in der Deutung der einzelnen Stücke des
Kommunionteils (II, 237 ff.) systematische Zusammenhänge konstruiert
, wo die einzelnen Stücke ohne eine tiefsinnige Ordnung
aneinandergereiht sind? Kann man mit Recht behaupten, daß die
römische Form der Epiklese (oder des Rudiments einer Epiklese)
älter sei als die Epikle6e der griechischen Liturgie?

Doch hängt der Wert des Buches nicht davon ab, ob dem
Verfasser in allen solchen Einzelheiten zuzustimmen ißt, sondern
erscheint mir in zweierlei zu liegen: einmal in der Kühnheit, mit
der hier aus einem tiefen Verständnis der Texte heraus an manchen
Einzelheiten der römischen Meßpraxis Kritik geübt und Vorschläge
für eine sinngemäße Weiterbildung und Umbildung gemacht
werden: Der Verfasser beklagt die Verkümmerung des
Introitus-Psalms und macht den ausgezeichneten Vorschlag (der
inzwischen in den Psalm-Kompositionen von Gelineau verwirklicht
ist), daß das Volk durch einfache Antiphonen am Gesang
des Introitus beteiligt werden soll; er beklagt die Anordnung, daß
die Konsekrationsworte im Gegensatz zur früheren Praxis leise
gebetet werden, und versucht, diese Fehlentscheidung zu entschuldigen
; ähnliche Beispiele ließen sich in größerer Zahl anführen
. Wichtiger aber scheint mir der Grundansarz des ganzen
Buches, die Überzeugung, daß liturgische Texte nicht in erster
Linie Gegenstand historischer Forschung oder dogmatischer Analyse
sind, sondern sich der frommen „Betrachtung" erschließen.
Vielleicht wäre es an manchen Stellen möglich gewesen, die Grenzlinie
zwischen Betrachtung und eigentlicher Meditation zu überschreiten
, und an Beispielen zu zeigen, wie eine eigentliche Meditation
der Meßtexte geschehen und welche Bedeutung sie gewinnen
könnte. Man kann als evangelischer Leser das Buch nicht
aus der Hand legen, ohne sich etwas beschämt und etwas neidvoll
zu fragen, ob wir in unserer Kirche überhaupt angeleitet
werden, die Texte unserer gottesdienstlichen Ordnung in solcher
Weise zu betrachten, statt sie nur theologisch zu analysieren und