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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

443

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Frederick, P. W. H.

Titel/Untertitel:

John Wyclif and the First English Bible 1959

Rezensent:

Delius, Walter

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443

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

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Stellung zu finden wäre. Da es ßich nicht um die großen Bilder
dieser Handschrift handeln kann, kommt man — mit allem Vorbehalt
gesagt — zur Auffassung, es könnte vielleicht die Dekoration
der Kanontafel gemeint sein, die bei Boeckler (Abendländische
Miniaturen) Abb. 23 und bei Schrade (a. a. O., Abb. 61)
abgebildet ist. Über der oberen Leiste des Rahmens sieht man
eine Reihe von winzigen Figuren: Einen Hirt mit Böcken, einen
Hahn und einen Fuchs (?), ein Becken mit Küchlein. Ganz links
auch eine Frauengestalt. Ob sie den Hühnern Futter streut, vermag
ich nach den Abbildungen nicht zu erkennen. Daß es sich um
eine Ekklesia handelt, scheint mir nirgends bewiesen. Jedoch kann
ich mich täuschen.

Besonders hätte H. durch die Motive der Maler, die in den
L. C. selbst erwähnt werden, nachdenklich werden sollen. Die
karolingischen Theologen sprechen dort nicht nur von den verschiedensten
Heiligen- und Martyrerbildern, sondern erwähnen
auch die mythologischen Motive der Malerei. Was hätte das mit
der Schrift zu tun, so schreiben sie, wenn man Sonne und Mond
als Figuren mit Köpfen von Strahlen darstellt. Die Erde, Mars
und Venus, Bellerophon u. a. werden als Motive der Malerei
beschrieben (L. C. Lib. III. Cap. XXIIII).

Was bleibt nun von den Untersuchungen H.s? Beachtenswert
ist die Herausarbeitung der religiösen Motive vor den politischen
wenigstens für den byzantinischen Bilderstreit; ebenso die Hinweise
auf die religiösen Beweggründe für die L. C. Eine Entwicklung
der karolingischen Theologie von Christus, einer
Christozentrik auf die Ekklesiologie hin, und eine Unterordnung
der Schrift unter die Autorität der Kirchenväter halte ich nicht
für wahrscheinlich.

München Herbert S c h a d e

Frederick, P. W. H., Prof., M. A., D.D.: John Wyclif and the
First English Bible. Fremont/Nebraska: Central Lutheran Theological
Seminary 1957. 46 S., 1 Abb. 8°. 75 cents.

Die Schrift enthält einen Vortrag, der vor Studenten des
Central Lutheran Theological Seminary in Fremont/Nebraska,
gehalten worden ist. Der Titel entspricht nur zu einem Teil dem
Inhalt der Schrift, da ihr größter Teil biographische Mitteilungen
über Wyclif enthält. Nur die letzten neun Seiten befassen sich
mit dem Thema. Der Verfasser bezieht sich dabei weithin auf
Ausführungen, welche in The Wycliffe Bible, Part. I, the Principal
Problems Connected with Forshall and Maddens Edition. Stockholm
1953 sich finden. Er kann darauf hinweisen, daß die Wyclif -
übersetzung weder William Tyndal noch Wesley bekannt war, der
die Tyndalübersetzung als erste englische Übersetzung der ganzen
Bibel bezeichnet.

Berlin Walter Delius

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATI0NSZE1T

Calvin, John: On the Christian Faith. Selection« from the Institutes,

Commentaries and Tracts. Ed. with an introduction by Prof. John T.

McNeill. New York: The Liberal Arts Press [1957]. XXXIV, 219 S.

8* = The Library of Liberal Arts, ed. O. Piest, Nr. 93. 95 cents.
C a 1 v i n, Johannes: Mußte Reformation sein? Calvins Antwort an

Kardinal Sadolet. Übersetzt und eingeleitet von G. G 1 o e d e. Berlin:

Evang. Verlagsanstalt [1957]. 52 S. 8°. DM 1.80.

Das englischsprachige Calvin-Lesebuch, das eine Auswahl aus
der Institutio, den Kommentaren und theologischen Traktaten
C.s bietet, möchte nach der Absicht seines Herausgebers jungen
Lesern zu einer ersten Bekanntschaft mit der Theologie des Reformators
verhelfen. Da der Herausgeber also vor allem Leser
im Blick hat, für die C.s Theologie Neuland ist, ist von der zum
Verständnis der Texte hinleitenden Einführung von vornherein
nicht zu erwarten, daß sie dem Kenner Neues bieten wird. Eines
erkennt er freilich sofort: daß hier ein Kenner und Könner am
Werke gewesen ist: nach einigen biographischen Angaben, einer
kurzen Skizze der Werdegeschichte der Institutio und einigen
Hinweisen auf die Eigenart der Kommentare und Traktate C s
wird auf zwölf Seiten ein „kurzer Überblick über die Hauptelemente
von C.s Theologie" gegeben, der in seiner Art schon

ein Meisterstück ist. Das Zentrale im Gefüge der Theologie C.s
ist nach der Auffassung des Verfs. nicht die Lehre von der Souveränität
des prädestinierenden Gottes, vielmehr kreise C.s theologisches
Denken um das Thema des Heils (salvation) in allen
seinen Bezügen. — Die Auswahl aus der Inst., der eine 1945 besorgte
amerikanische Ausgabe einer älteren engl. Übersetzung
zugrunde liegt, übernimmt die Titel der vier Bücher der Inst.,
während die Kapitelüberschriften weggelassen und durch kurze,
treffende, für den Leser überaus hilfreiche, Überschriften über die
einzelnen Sektionen ersetzt sind (ähnlich den Sektionsüberschriften
in der deutschen Übersetzung von O. Weber); der Inhalt der
übergangenen Stücke wird jeweils knapp zusammengefaßt, so daß
der Zusammenhang auch bei größeren Auslassungen (etwa von
Inst. I 16-18; 117-10; 12-17; III 15-19; IV 3-9) nie verloren
geht. Die Auswahl ist, wiewohl sie umfangmäßig höchstens
ein Zwölftel des gesamten Materials bietet, sehr sachkundig getroffen
, 60 daß der Leser schon einen kräftigen Eindruck von dem
dogmatischen Hauptwerk des Reformators empfängt. — Die Auswahl
aus den Kommentaren ist unter dem Gesichtspunkt erfolgt,
daß an relativ bekannten Bibelstellen die für C. typische Weise
auszulegen exemplifiziert werden sollte (Gn 1, 26 ff.; 22, 2 ff.;
37, 5 ff.; 45, 1 ff.; Js 40, 1; Ps 23, 1-3; 84,1-7; 109; J 2,
1-3; 15,17-21; R 2, 14-16; 8, 1 ff.). Daß diese Beispiele gut
ausgewählt sind, ist nicht zu bestreiten; vielleicht wäre manche
Stelle noch ergiebiger gewesen (etwa Jr 31, 31 ff.; Dn 6, 10). —
Von den Traktaten ist lediglich die Antwort C.s an Sadolet in
einer modernen Übersetzung in das Lesebuch aufgenommen worden
. — Dem Text ist ein biograph. Index angefügt, dem man gern
noch ein Sachregister beigegeben sähe. Summa: diese 219 Seiten
Text vermögen mitsamt der Einführung nicht nur eine erste,
flüchtige, sondern 6chon eine eindrückliche, lebendige Begegnung
mit der Geistigkeit C.s und seiner Theologie zu vermitteln.

Es ist nicht zufällig, daß McNeill aus C.s Traktaten gerade
die Antwort an Sadolet ausgewählt und daß G. Gloede es für
angezeigt gehalten hat, den Inhalt ebendieses Traktates durch
seine Übersetzung einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen
. Im Zeitalter der ökumenischen Bewegung, in dem die Kirchen
in einer unabweisbaren Dringlichkeit auf die Fragen der
Ekklesiologie gestoßen worden sind und damit auch auf die
Frage ihres Verhältnisses zur römischen Kirche, kommt dieser
mit dem Einsatz von Kopf und Herz geführten Auseinandersetzung
C.s mit den Hauptargumenten Roms gegenüber den Reformationskirchen
in der Tat eine hohe Aktualität zu. Es ist verdienstvoll
, daß G. Gloede diese Schrift aufs neue übersetzt hat,
nachdem die von M. Simon besorgte Übersetzung (in: „Um Gottes
Ehre!" Vier kleinere Schriften C.s. Chr. Kaiser Verlag 1924) nur
noch schwer erhältlich ist. Vergleicht man die beiden Übersetzungen
, 60 wird man freilich der älteren bei weitem den Vorzug
geben müssen (G. scheint sie nicht eingesehen zu haben). Gloedes
Übersetzung versteht es zwar, die glänzenden lateinischen Perioden
in übersichtliche Sätze aufzulösen — auch die eingestreuten
Zwischenüberschriften sind für den Leser eine wirkliche Hilfe —;
aber 6ie verfährt 6ehr großzügig, enthält viele Ungenauigkeiten
(etwa die Übersetzung von OS I 460, 3 auf S. 10; 462, 43 auf
S. 14; 465, 16 auf S. 17; 466, 8 auf S. 19; 468,41 auf S. 23;
470, 1. 5 auf S. 24; 470, 28 auf S. 25; 478, 33 und 479, 1 auf
S. 36; 489, 23 auf S. 52) und manchen Fehler (etwa die Übersetzung
von OS I 464, 35 auf S. 16; 468, 32 37 auf S. 22;
475,21 auf S. 32; 476,31 auf S. 33; 483, 20 auf S. 43), auch
Sinnloses (so die Übersetzung von OS I 475, 25 auf S. 32). Daß
telum (465, 33 auf S. 18) mit „Ziel" übersetzt, comminisci mit
comminuere (468, 23 auf S. 22) und pilus (das Haar) mit pilurfl
(der Wurfspieß, aus dem unter der Hand auch noch ein Gewehrschuß
wird: 469, 41 auf S. 24) verwechselt wird, sind harmlose,
aber wohl doch vermeidbare Irrtümer. Man mag diese Beanstandungen
für kleinlich oder schulmeisterlich ansehen, — aber
welchen Sinn sollte die Rezension einer Übersetzung haben,
wenn sie nicht sagt, wie übersetzt worden ist? Jedenfalls sollte
die Übersetzung eines theologischen Schriftstückes von solchem
Rang ein Höchstmaß an Exaktheit aufweisen, auch — und gerade'
— wenn sie für einen breiteren Leserkreis bestimmt ist.

Lückendorf Werner K ru s ch e