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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

436

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Klugkist Hesse, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der christlichen Kirche am Rhein 1959

Rezensent:

Josten, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

436

bringen will. Aber selbst wenn man die Frage des nicht eindeutig
auszumachenden Unterschiedes von Quelle und Dokument auf
sich beruhen läßt, so können doch Einwände hinsichtlich der angegebenen
Fundorte der abgedruckten Texte nicht unausgesprochen
bleiben. Audi eine für breitere Kreise gedachte Dokumentensammlung
sollte zumindest deutlich machen, daß alle Texte
an den neuesten, wissenschaftlich allgemeingültigen Editionen
überprüft worden sind. Nach den den einzelnen Zeitabschnitten
vorangestellten Literaturangaben bleibt es zweifelhaft, ob der
Herausgeber das getan hat, auch wenn er für einzelne Stücke den
Fundort, etwa der Monumenta Germaniae historica oder ähnlicher
wissenschaftlicher Quellensammlungen angibt, stärker und an
vielen Stellen auch nachweisbar ist der Eindruck, daß er seine
Texte aus den angegebenen und dort auch nur in Auswahl und
gekürzt verzeichneten Büchern übernommen und sich der dort
angegebenen Fundorte bedient hat. Die Auswahl der Stücke ist
also schon durch die benutzte Sekundärliteratur in einem großen
Maße vorentschieden, was manche, oben nur angedeutete Unzulänglichkeiten
erklärt. Für die Zeit des Nationalsozialismus ist
wesentlich aus dem an sich trefflichen Werk von Joh. Neuhäußler
(„Kreuz und Hakenkreuz"), z. T. auch aus dem Buch von Hans
Urs von Balthasar („Schleifung der Bastionen") geschöpft. Hier
handelt es sich auch um die Wiedergabe erzählend darstellender
Abschnitte. Das Buch schließt mit einem merkwürdigen Auswahl-
stück, das aus dem Jahre 1840 stammt und als „Nachwort eines
anglikanischen Protestanten" bezeichnet wird. Als „Beleg" ist
wörtlich angegeben: „Genommen aus Thomas Babington Ma-
cauly, Critical and Historical Essays, 3 volumes, 3.edition 1844,
Vol. III, pp. 208 f. (Essay is called Von Ranke and was
contributed to the Edinburgh Review in October 1840)." Diesem
englischen Text (bis auf da6 deutsche Wort von Ranke)
folgt in deutscher Sprache der Zusatz: „Übersetzung von Prof.
Johannes Messner". — Der etwas über eine Seite umfassende und
eine Anerkennung der geschichtlichen Erscheinung
der römisch-katholischen Kirche aussprechende Text stammt aus
der 50 Seiten ausmachenden Rezension Macaulys von Rankes
„Römischen Päpsten", die bald auf den Index kamen, von
Macauly aber mit einer warmen Empfehlung gewürdigt wurden.
Den aus einer schottischen Familie stammenden und zu den Whigs
gehörenden Politiker und Historiker, der sich entschlossen gegen
die anglo-katholischen Tendenzen wandte (eben in jener zitierten
Edinburgh Review) als einen „Anglikaner" zu bezeichnen,
wird mir ebenso wenig einsichtig wie die dokumentarische Bedeutung
jenes kleinen, vom Herausgeber (?) auch noch gekürzt
wiedergegebenen Abschnitts aus einer ganz andere Zielsetzungen
verfolgenden Ranke-Rezension. —

Festeren wissenschaftlichen Boden betritt man mit den
kirchengeschichtlichen Quellenbüchern von Schuster, Ringshausen
, Tebbe. Hier ist, was die formalen Fragen der Textwiedergabe
angeht, nichts zu bemerken. Überall ist auf letzte, wissenschaftlich
ausgewiesene Quellensammlungen zurückgegriffen; was die
Auswahl (in I/II) angeht, auch mit einer erstaunlichen konfessionellen
Liberalität. Da auch diese Quellenbücher für die Jugend
gedacht 6ind, insbesondere für den Religionsunterricht, 60 frage
ich mich allerdings im Blick auf die tatsächliche Lage des heutigen
Religionsunterrichts in den höheren Schulen der oberen Klassen
: wo wird die Zeit hergenommen, derartige Texte im Unterricht
wirklich fruchtbar zu behandeln? Wo sind die Lehrer, die
sie hinreichend interpretieren können? Wer ein nüchternes Urteil
darüber besitzt, welche * kirchengeschichtlichen (Quellen-) Kenntnisse
heute ein Kandidat im 1. theologischen Examen besitzt,
wird über den sinnvollen Gebrauch von Quellenbüchern im Schulunterricht
— leider — sehr zurückhaltend denken müssen, wozu
allein Gespräche mit sich zum theologischen Studium meldenden
Abiturienten Anlaß geben. Dennoch ist es richtig, daß derartige
Literatur bereit gestellt und von solchen, die es vermögen, auch
ergiebig im Unterricht benutzt wird. Fast möchte man diese
Quellenbücher auch in der Hand manches jungen Theologen
wissen. - Bei der Auswahl der Texte zum Kirchenkampf (Bd III
95 ff.) könnte man sich manche andere Anordnung wünschen, es
gibt auch noch charakteristischere Texte als die gewählten. Als
Zeugnis der Deutschen Christen hätte anstelle des nicht ganz
glücklichen Abschnitts von Franz Tügel auch ein treffenderer Text

zur Verfügung gestanden. Vielleicht hätte man auch auf ein
Zeugnis des Luthertums aus jenen Jahren nicht verzichten sollen.

Berlin Karl Kupisch

Hesse, Klugkist H.: Die Geschiehte der christlichen Kirche am Rhein.

Neukirchen Kr. Moers: Verlag der Buchhandl. d. Erziehungsvereins
[1955]. 88 S. 8°. Kart. DM 2.-.

In Werner Braselmanns Buchreihe „Zeugen und Zeugnisse"
ist als dritter Band dieser kurze Abriß rheinischer Kirchengeschichte
neu erschienen, erweitert durch eine Dokumentensammlung
, die etwas von der kirchenbildenden Bedeutung des
rheinischen Protestantismus spüren läßt. Wer Hesses „Frühlicht
am Rhein" (Lebensbild Adolf Klarenbachs) kennt, weiß, daß er
von der umfassenden Sachkenntnis Hesse6 keine trockene Studierstubenweisheit
zu befürchten hat, sondern durch die fesselnde
Anschaulichkeit seines durchaus eigengeprägten Stils mitten in
den Strom lebendigen Gemeindegeschehens mit hineingezogen
wird. Erstaunlich, wie der umfangreiche Stoff in 86 Seiten gerafft
ist! Mit wenigen Strichen zeigen die Anfangskapitel, wie
nach der Erstarrung der Germanenmission und der großen
Bischofssitze Köln, Aachen, Trier lange vor Luther die eigenständige
„Neue Frömmigkeit" etwa der „Brüder vom gemeinsamen
Leben" unmittelbar von der Schrift her, die in
mehreren niederdeutschen Ausgaben vorlag, und dann durch die
Märtyrer (Klarenbach, Flisteden, Klopreis u. a.) sozusagen von
unten her zahllose Gemeinden, sonderlich um die Ädelssitze
her, entstanden, während die Reformationsversuche von oben
her (Herzog von Kleve, K. von Heresbach, Erzbischof Hermann
von Wied mit Bucer und Melanchthon) halbe Sache blieben oder
unterdrückt wurden. Feste Gestalt erhielten die durch Flüchtlinge
aus Frankreich und Holland verstärkten „Gemeinden unter dem
Kreuz" durch Calvins Lehre und Ordnung (Heidelberger Katechismus
, presbyterial-synodale Kirchenordnung), die mit ihrer
straffen Gemeindezucht und der festen, f a m i 1 i e nhaften Gemeinschaft
durch das ganze Land hin sich in der Verfolgung bewährte
und schließlich für die gesamte deutsche Kirche vorbildlich
wurde. In die spätere Erstarrung brachte der milde Pietismus eines
Undereyck, Neander, Lampe, Tersteegen eine gesegnete Ncu-
belebung. Starken Widerstand fand die Agendenreform Friedrich
Wilhelms III. und das erzwungene „landesherrliche Kirchenregiment
", während die Union bereiten Boden fand und die Gefahr
rationalistischer Verflachung durch eine neue Erweckungs-
bewegung (Wuppertal, Heidenmission, zahlreiche Anstalten der
Inneren Mission)ein gutes Gegengewicht fand. Der nazistische
Kirchensturm wurde abgewehrt durch die äußerst lebendige
„Bekennende Kirche" (Barmer Bek. Synode! Präses Humburg),
die bis heute ihre Wirkung tut.

Verwunderlich ist, daß Hesse nicht auch der rheinischen
Industrie- und Großhandelsentwicklung ein Kapitel widmet. Das
Erstaunliche ist nämlich, — was auch alle „weltlichen" Geschichtsschreiber
anerkennen und bewundern — daß die weltweite Bedeutung
des rheinischen Wirtschaftspotentials dem Unternehmergeist
von ein paar Dutzend evangelischer Familien zu verdanken
ist, so daß man unwidersprochen den Satz wagen kann: Die
Wirtschaftsgeschichte des sogenannten katholischen
Rheinlands schreiben heißt die Familiengeschichte der winzigen
evangelischen „Gemeinden unter dem Kreuz"
schreiben. Aber darüber wäre ein ganzes Buch angebracht.

Hesses Büchlein möchte man recht vielen Pfarrern und
Vereinsleitern, aber auch Lehrern und älteren Schülern in die
Hand legen, damit sie etwas spüren von der Weltbedeutung
einer vom Evangelium wirklich ergriffenen Gemeindekirche.

Honnef Hans Josten

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Werner, Ernst: Pauperes Christi. Studien zu sozial-religiösen Bewegungen
im Zeitalter des Reformpapsttums. Leipzig: Koehler & Arne-
lang 1956. 226 S. 8°. Lw. DM 13.50.

Wie der Untertitel des Buches sagt, handelt es sich nicht
um eine geschlossene Darstellung des Gegenstandes, sondern um
einzelne „Studien" zu verschiedenen Erscheinungen des 11. und