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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

434-436

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Dokumente zur Geschichte der Kirche 1959

Rezensent:

Kupisch, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

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Die Hauptschwierigkeit für den ganzen vorliegenden Band
scheint dem Rezensenten darin zu bestehen, daß der Verfasser
des Beitrages über die absolute Monarchie und ihr System, Sir
Charles Petrie, einen ganz eigenwilligen Begriff von „aufgeklärtem
Absolutismus" hat: Er sieht das gesamte Zeitalter als
das des aufgeklärten Absolutismus an. Der Schlußsatz der
Arbeit von Rössler über die westeuropäischen Länder in der
absolutistischen Zeit (339) läßt erkennen, daß die Verfasser
des Bandes selber nicht durchgehend dem einen Mitverfasser
«eine eigenwillige und wohl auch nicht haltbare These abgenommen
haben. — Stoffliche Überschneidungen haben sich
natürlich nicht vermeiden lassen. Die Fälle, wo sie sichtbar
werden, werden als Gelegenheiten benutzt, durch Verweisungen
die Beiträge miteinander zu verzahnen.

In eine Einzelauseinandersetzung mit den Abhandlungen
einzutreten, würde sehr langwierig 6ein; und bei etwaiger Beschränkung
auf die unmittelbar kirchengeschichtlichen Artikel
müßte der Rezensent sehr deutlich im Auge behalten, daß sie
gerade nicht für Kirchenhi6toriker geschrieben sind, und eigentlich
nur fragen, ob es ihren Verfassern gelungen ist, solchen, die
nicht unmittelbare Fachkollegen sind, ihre Materien nahe zu
bringen. Unter dem Gesichtspunkt wird doch wohl mit Dankbarkeit
von den in Rede stehenden Beiträgen gesprochen werden
müssen, wenn es schon etwas wunderlich stimmt, daß bei der
Literaturübersicht zur Darstellung der Reformation, speziell zum
Thema Luther, wohl Fritz Blankes sicher treffliche Abhandlung
über Luthers Humor erwähnt ist, Karl Holls Gesammelte Aufsätze
zur Kirchengeschichte, insbesondere der Lutherband, aber
überhaupt nicht notiert werden. Karl August Meissingers Buch
„Der katholische Luther" wird dann aufgeführt. Hier ist doch
wohl etwas nicht ganz in Ordnung! — Der Rezensent will nicht
verschweigen, daß er die meisten Fragen gegenüber dem Artikel
von Treu« über den Merkantilismus hat: In ihm ist von sehr
viel Merkantilismen die Rede, ebenso vielen, wie Nationalismen
(281); der Leser würde gern mehr lesen über die Grundkräfte
des Merkantilismus überhaupt und darüber, worin für die einzelnen
Merkantilismen nun ihre sachliche Differenzierung liegt.
Aber der Rezensent gesteht gern ein, daß die Materie seinem
eigenen Arbeiten auch am fernsten liegt.

Einige Gedanken macht man sich über die Überschrift des
Ganzen: „Übergang zur Moderne". Daß es sich um ein Über-
gangszeittalter handelt, ist gelegentlich ausdrücklich gesagt
(378). Ist es wirklich nur das? Kann man sich damit zufrieden
geben, einen Zeitraum, der die ganze Reformation und das
Barock umschließt, das dann doch als die letzte wirklich umfassende
Kultur des Abendlandes bezeichnet werden muß (383),
eben nur Übergang sein zu lassen? Es hat nichts Selbständiges
an sich, sondern ist nur Übergang von einem zum andern! Es
ist wohl bekannt, was es für Verlegenheiten heute gerade um
die Erfassung des Wesens de6 16. Jahrhunderts gibt (vgl. Ernst
Walter Zeeden: „Zur Pcriodisierung und Terminologie des
Zeitalters der Reformation und Gegenreformation", Geschichte
in Wissenschaft und Unterricht 7 [1956], 433—437). Aber ist
das die Lösung, den für die eine oder andere konfessionelle
Seite ungenehmen Formulierungen so aus dem Wege zu gehen,
daß das Übergangshafte als das Wesentliche der Zeit angesehen
wird? Es müßte doch versucht werden, jedes Zeitalter und eben
gerade das, das in Rede steht, zu seinem eigenen Recht kommen
zu lassen.

Ein gründicher Leser eines Buches notiert sich natürlich
Stellen, die ihm zweifelhaft erscheinen bzw. die er für fehlerhaft
hält. Daß nachstehende Hinweise nur eine Zufallsauswahl
sind, bei der keinerlei Wert auf Vollständigkeit gelegt ist, braucht
nach allem Dargetanen nur eben gerade noch bemerkt zu werden
. Der Hinweis ist freilich nicht so gemeint, als ob der Rezen
*ent Grund hätte, mißtrauisch gegen die Exaktheit der Verfasser
in einzelnen Dingen zu sein; er möchte nur auf die Grenzen
seiner Legitimation, Emendanda zu buchen, hingewiesen haben

14: Eroberung Englands 1060? — 44: Ist die katholische Wand
lungslehre richtig wiedergegeben mit der Charakterisierung des Vorganges
als tägliche Erinnerung an das Opfer auf Golgatha? (Dann zu
der memoria schon die repraesentatio.) - 46: Was soll es heißen, daß

Luther 1516 die Psalmenvorlesung wiederholte? — 49: War Kardinal
Albrecht höchster geistlicher Würdenträger als Erzbischof von Mainz
oder nicht vielmehr als Erzbischof von Magdeburg Primas von Deutschland
? — 55: War Luthers Angriff in „De captivitate ecclesiae Baby-
lonica" ein Angriff gegen die „Institution" der römischen Kirche? Lag
das Revolutionäre der Schrift nicht darin, daß sie ein erklärter Angriff
auf dogma formale war? — 62: Kann man von einer Freiheit Luthers
von jeder Askese sprechen? — 116: Stammt der Antichristverdacht
gegen das Papsttum wirklich erat au« dem 15. Jahrhundert? — 217: Ist
das Luthertum 1595 in Schweden offizielle Glaubensnorm geworden oder
nicht schon 1593 mit der Kirchenversammlung von Uppsala? — 228:
Heißt truneus in der Konkordienformel Strunk? — 229: Ist Seinecker
wirklich die Hauptgestalt bei der FC, die allein zu nennen angezeigt
wäre? — 23 5: Ist die Hoffnung auf ein seliges Jenseits unmittelbar nach
dem Tode wirklich Charakteristikum für die protestantische Orthodoxie
? Kennt nicht diese genau so wie die Christenheit seit altkirchlicher
Zeit beide Vorstellungen, die der Seelenunsterblichkeit und die
des schlafenden Leibes, der auf Auferstehung warten muß und dann mit
der Seele wieder vereinigt wird (Schlußverse des Liedes: „O Gott du
frommer Gott" von Johann Heermann)? — 273: Darf man wirklich,
auch wenn es richtig ist, daß Absolutismus nicht gleich Tyrannis ist,
sagen, daß die absolute Monarchie zugleich eine konstitutionelle gewesen
ist? Der Begriff der konstitutionellen Monarchie hat nun doch eine
ganz präzise Bedeutung. — 319: Wird man den so sehr im „dritten
Zweig der Reformation" stehenden Cromwell einen tiefgläubigen Calviner
nennen dürfen? — 327: Inwiefern war der Absolutismus innen-
politisch weitgehend konfessionell tolerant? — 3 58: Wieso ruhte die
preußische Königskrone anders als die sächsische oder hannoversche auf
rein deutschen Ländern? Ruhte sie nicht auf dem nicht zum Deutschen
Reich gehörenden Ordensland7 — 365: Salzburg gehörte doch keineswegs
zu den österreichischen Erblanden I Die Salzburger sind nicht aus
habsburgischem Gebiet vertrieben worden! — 382: Im Zeitalter des Barocks
ist, so heißt es, die Vorherrschaft der Scholastik endgültig gebrochen
worden. Sie hat zunächst in ihm einen ganz starken Neuauftrieb
erfahren! Vgl. den Einfluß der Philosophie des Suarez auf das deutsche
Geistesleben bis in die Frühaufklärung. — Daß man „der" Barock sagt
statt „das" Barock, scheint sich doch nun weitgehend einzubürgern
(vgl. Literaturverzeichnis 501).

Leipzig Franz Lnu

P f 1 i e g 1 « r Michael, Prof. Dr.: Dokumente zur Geschichte der Kirche
ausgewählt. 2., neu bearb. u. vermehrte Aufl. Innsbruck-Wien-Mün-
Aen: Tyrolia-Verlag [1957]. 738 S. 8°. Lw. DM 25.-.
Schuster, Hermann, Prof. Dr., Ringshausen, Karl, Dr., und
Walter Trete: Quellenbuch zur Kirchengeschichte. Christentum in
Geschichte und Gegenwart. Neuausgabe. I/H: Von der Urgcmcinde
bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. XII, 190 S., 8 Taf.; III: Vom Beginn
des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. XII, 200 S., 5 Taf.
2. Aufl. gr. 8°. Frankfurt/M.: Diesterweg 1955. Je DM 6.80.

Die Dokumentensammlung von Pfliegler ist erstmalig 1938
erschienen, unmittelbar bevor Österreich, das Heimatland des in
Wien lebenden und dort im Dienste seiner Kirche wirkenden Verfassers
, an das nationalsozialistische Deutschland angeschlossen
wurde. Vornehmlich für die reifere Schuljugend gedacht, wurde
es angesichts des Vorgehens der NS-Regierung gegen die kath.
Jugendverbände und den Religionsunterricht in besonderer Weise
ein literarisches Denkmal für den, „der in der lebendigen Begegnung
von Kirche und Welt das unmittelbare Zeugnis der Geschichte
aufzurufen genötigt ist" (S. 7). Die neue, um 130 Dokumente
vermehrte Auflage (insgesamt 326 Nummern) führt von
den Anfängen (angezeigt durch einen Textabschnitt aus Acta XV)
his in die Gegenwart. Auch der Zweck dieser Ausgabe ist ein
pädagogischer; das Dargebotene soll „vor allem die Unerschütterlichkeit
des Felsengrundes" der katholischen Kirche bezeugen und
zeigen, daß „in der schier unwahrscheinlichen, weil vom Ärgernis
beladenen Treue zur einen Kirche allein die Rettung liegt"
(S. 10). Entsprechend diesen Zielsetzungen ist Anlage und Auswahl
des Werkes. Naturgemäß kann ein solches Buch, das sein
Recht in sich selbst hat, nicht mit den Maßstäben gemessen werden
, die man an eine wissenschaftlichen Aufgaben dienende
Quellensammlung legen müßte. Ich gehe deshalb auch nicht auf
das Au6wahlprinzip ein, obwohl hier manches anzumerken wäre,
ich unterdrücke auch als Protestant mir sehr naheliegende und von
der Sache her fast gebotene Einwände gegen die das Reformationszeitalter
, besonders Luther, betreffenden Stücke. Der Herausgeber
betont, daß sein Buch nicht Quellen, sondern Dokumente