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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

431-434

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Historia Mundi ; 7.Übergang zur Moderne 1959

Rezensent:

Lau, Franz

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

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6ierung der Angaben über den Verlauf von Ereignissen nach dem
Bericht des Johannesevangeliums mit denen nach den synoptischen
Evangelien scheitert vor allem an der Verschiedenheit des theologischen
Schemas der Evangelienverfasser. Nach Markus hält
Jesus seine messianische Würde bis zum hohepriesterlichen Verhör
geheim; nach Johannes ist er schon im ersten Kapitel als
Messias deklariert und tritt überall mit dem Anspruch auf, als
solcher anerkannt zu werden. Gewiß gibt es in allen vier Evangelien
Perikopen, die einander gegenseitig „entsprechen", doch
es gibt keinen allen Evangelien gemeinsamen Aufriß. Chronologisch
ist aus einer Parallelanordnung nichts zu lernen. Die Salbung
Jesu findet z. B. nach Johannes vor Jesu Einzug in Jerusalem
statt; nach Markus bildet sie den Abschluß seiner Tätigkeit in
Jerusalem. Übereinstimmungen lassen sich traditionsgeschichtlich
erklären. Die Verschiedenheiten sind oft redaktionsgeschichtlich
begründet. Ein Beispiel: Joh 14:31 (Leal S. 296) erinnert an die
Situation in Mk 14:42 (Leal S. 302) — aber während nach Markus
Jesus sich tatsächlich mitsamt seinen Jüngern auf den Weg
begibt, hält er 6ich nach Joh 15 bis 17 noch lange auf, bevor er
sich in Joh 18:1 über den Bach Kedron aufmacht.

Angaben über rd nao%a (Joh 2:13, 6:4, 11:55) oder f loQzrj
(Joh 5:1, 7:14) verleiten Leal, wie andere vor und nach ihm, im
Johannesevangelium eine chronologische Reihenfolge der geschilderten
Ereignisse zu erblicken. Dies ist auch dann verfehlt, wenn
man nicht annimmt (wie ich annehme), daß der Johannesevangelist
Quellen benutzt und mit diesen Quellen sehr frei geschaltet
hat. Selbst, wenn dem Evangelisten keine eigentlichen „Quellen"
vorgelegen haben sollten, hat er jedenfalls aus „Traditionen"
geschöpft. In der vorjohanneischen Tradition konnte mit dem
Passa in Kapitel 11 dasselbe Fest gemeint gewesen sein, dessen
nun in den Kapiteln 6 oder 2 Erwähnung geschieht. Dadurch,
daß der Johannesevangelist den Traditionsstücken innerhalb seines
eigenen redaktionellen Aufrisses verschiedene Orte zuwies,
entsteht der trügerische Eindruck, daß zwischen Passagen, in
denen das Wort „Passa" vorkommt, jeweils der Ablauf eines
vollen Jahres liegt. Der redaktionelle Aufbau des Johannesevangeliums
ist nur für die literarische Konstruktion des Evange-
listen von Belang und kann nicht für biographische Darlegungen
herangezogen werden1.

Aus dem Vorangesagten ergibt sich, daß „eine Historie Jesu"
(denn das ist es, was Leal bietet, keineswegs eine Synopse der
Evangelien) nicht auf die Weise gewonnen werden kann, daß
man den synoptischen Erzählungsstoff zerreißt und dem illusorischen
„Zeitablauf" im Vierten Evangelium anpaßt.

London Paul Winter

*) Dies gilt auch dann, wenn man — wie neuerdings Wilhelm Wil-
kens — annimmt, daß der Johannesevangelist keine „fremden" außer-
synoptisdien Quellen benutzt hat, sondern Partien eines Werkes seiner
eigenen Feder „umgestellt" hat. Von dem Bemühen geleitet, die gelegentliche
logische Unfolgerichtigkeit der Darstellung (die er zugibt)
mit der literarischen Einheitlichkeit des Stiles (die er behauptet) auszusöhnen
, versucht Wilkens glaubhaft zu machen, daß der Vierte Evangelist
ein eigenes früheres Werk zerstückelt und Fragmente daraus an
verschiedenen Stellen des später erweiterten Evangeliums untergebracht
hat (siehe Wilhelm Wilkens: Die Ent6tehungsgschichte des vierten Evangeliums
, Zollikon, Evangelischer Verlag, 1958).

KIRCHEN GESCHICHTE: ALLGEMEINES

Historia Mundi. Ein Handbuch der Weltgeschichte in zehn Banden
. Begründet von Fritz Kern. In Verb, mit ... hrsg. von Fritz
Valjavec unter Mitwirkung des Instituts für Europäische Geschichte
in Mainz. 7. Band: Übergang zur Moderne. Von A. Bombaci, K. Eder,
W. Hubatsch, L. v. Muralt, Sir Ch. Petrie, G. A. Rein. H. Rössler,
E. Staehelin. G. Stökl, W. Treue, F. Valjavec, H. Wühr. Bern:
Frandce 1957. 527 S. m. Kt.skizzen, 1 Zeittaf. Lw. sfr. 29.80.

Eine Darstellung der Weltgeschichte ist nicht in allen ihren
Teilen für den Theologen oder auch nur für den Kirchenhistoriker
von unmittelbarem Belang. Aber der vorliegende Band VII von
Historia Mundi enthält tatsächlich — wie könnte es anders sein,
wenn die Jahre von etwa 1450 bis ungefähr 1650/1700 dargestellt
werden ßollen? — einige Stücke, die gahz unmittelbar

kirchengeschichtlicher Natur sind und den Kirchenhistoriker direkt
angehen. Es handelt sich dabei speziell um die Beiträge über „Die
Reformation" (Leonhard Muralt; 39—113), über „Die katholische
Erneuerung" (Karl Eder; 114—160) und „Von der protestantischen
Orthodoxie bis zu den Erweckungsbewegungen" (Ernst
Staehelin; 227—248). Natürlich stecken auch in den anderen Artikeln
, etwa in dem von Fritz Valjavec und Hans Wühr über
„Kultur und Kunst des Barocks" (378—390), der gediegen und
aufschlußreich ist und den man sich weniger knapp gehalten
wünschte, genug Bezüge auf die religiösen Kräfte der behandelten
Zeit. Der Kirchenhistoriker wird freilich in den Partien, die ihn
unmittelbar angehen, nicht allzuviel für ihn Neues finden, möglicherweise
sogar hier und dort etwas vermissen, was er selbst
nicht leicht übergangen hätte; und vielleicht liegt es ihm überhaupt
mehr, sich insbesondere den Artikeln allgemein-historischer
Natur zuzuwenden, die den Rahmen für das Geschehen, mit dem
er 6ich beschäftigt, zeichnen, also den Artikeln über die „Geschichte
des europäischen Staatensystems von Maximilian I. bis
zum Ende des Dreißigjährigen Krieges" (Hellmuth Rössler; 161
bis 226; wichtig), über „Westeuropa im Zeitalter des Absolutismus
" (derselbe; 316—339) oder „Mittel- und Nordcuropa im
Zeitalter des Absolutismus" (Walther Hubatsch; 340—377).
Natürlich bedarf das Prinzip des Absolutismus einer besonderen
Darstellung (Sir Charles Petrie: „Die absolute Monarchie und ihr
System"; 249—276) und ebenso das Wirtschaftssystem der Zeit
(Wilhelm Treue: „Der Merkantilismus und das Wirtschaftsgefüge
des absolutistischen Zeitalters bis ins frühe 18. Jahrhundert";
277—315). Dankenswert ist, daß den Mächten des Ostens besondere
Aufmerksamkeit zugewandt wird, mit den Beiträgen von
Günther Stökl („Rußland von der Mongolenzeit bis zu Peter
dem Großen"; 392—438) und von Alessio Bombaci („Das os-
manisch'e Reich"; 439—505). Bei der Bedeutung, die das Türkenproblem
für die Entfaltung der Reformation gehabt hat, wird der
Kirchenhi6toriker dem letztgenannten Artikel besonderes Augenmerk
zuwenden. Nun fehlt in der Reihe der Beiträge (abgesehen
von dem Vorwort, das der jetzige Herausgeber des Gesamtwerkes
geschrieben hat) nur noch der Eingangsartikel von Gustav Adolf
Rein: „Voraussetzungen und Beginn der großen Entdeckungen"
(9—38). Ein Schrifttumsverzeichnis mit einer Fülle von Stoff
hilft dazu, die empfangenen Anregungen weiter auszuwerten,
und Spezial-Register, eines der Personen und eines der Sachen
und Orte, tun nützliche Dienste, sich das Buch weiter zu erschließen
und zum dauernden Gebrauchsbuch werden zu lassen. Außer
der Faltkarte am Schluß findet man im Text noch einige Kartenzeichnungen
mehr.

Eine Weltgeschichte kann heute wohl nicht anders geschrieben
werden als durch Zusammenarbeit eines ganzen Stabe6 von
Fachleuten, und das auch nur so, daß ein relativ übersichtlicher
Zeitabschnitt in zeitliche Komplexe oder Sachgebiete zerlegt und
unter verschiedene Bearbeiter aufgeteilt wird. Die Frage, die man
der Darstellung, die natürlich trotzdem ein Ganzes sein will, sofort
stellt, ist die nach der inneren Einheitlichkeit. Wenn, was
wohl da6 Natürliche ist, ein betont evangelischer Historiker wie
Leonhard v. Muralt die Reformation darzustellen hat und ein
katholischer Kirchenhistoriker die „katholische Erneuerung" —
gemeint ist das, was andere als die innere Linie der Gegenreformation
bezeichnen im Gegensatz zu all den Kräften, die mit
äußeren Mitteln gegen den kirchlichen Abfall angehen und das
kirchliche Schisma durch brutale Gewalt wieder überwinden wollen
-, so wird man die Darsteller nicht überfordern dürfen. Es ist
schon etwas, wenn Verständnis für die Kräfte der anderen Seite
da ist und wenn nicht erneut die Leidenschaften aufbrechen. Wie
schwer es ist, hier auch nur zu einigermaßen gleichmäßiger Sicht
zu kommen, macht der Satz in der Ederschen Arbeit deutlich (153):
„So sicher schwere Mißgriffe unterliefen [sc. bei der Inquisition],
so unbestreitbar bleibt die Tatsache, daß es [das Institut der Inquisition
] den Protestantismus auf der Apenninen-Halbinsel, mit
Ausnahme der Waldenser in Piemont, vernichtete." Jeder Versuch
einer genaueren Interpretation des Satzes zeigt die Schwie'
rigkeiten der Verständigung, auch das Fragliche des Versuche«,
katholische Erneuerung und Gegenreformation so voneinander
zu scheiden, wie es heute auf katholischer Seite gern geschieht. —