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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

428-430

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Giet, Stanislas

Titel/Untertitel:

L 'Apocalypse et l'histoire 1959

Rezensent:

Schmid, Josef

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

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Sätze, das Geschichtsbild des Deuteronomisten als in allen seinen
Teilen historisch verbindliche Aussage anzusprechen, also auch die
Kultzentralisation als verpflichtende Norm schon in den tatsächlichen
Verlauf der Königszeit zu verlegen. Aber das wäre in
dieser rechtlichen Form ein Anachronismus! Auch das „mosaische
Amt" leidet an einer letztlich anachronistischen Überinterpretation
deuteronomischer und nachdeuteronomischer Stellen.

Die Verkündigung des Rechts ist in Israel im Laufe seiner
Entwicklung Aufgabe verschiedener Instanzen gewesen, die alle
ein Mitspracherecht für sich in Anspruch nehmen durften; neben
den an den Zentralheiligtümern wirkenden Leviten und dem
nicht nur an einen einzigen Ort gebundenen Amt des „Richters
Israels" ist an die Rechtsgemeinde der einzelnen Ortschaften zu
denken. Den ersteren beiden Instanzen haben Alt und Noth im
wesentlichen die Pflege des apodiktischen Rechts zugewiesen,
während der Gerichtsbarkeit der Ortsgemeinden das kasuistische
Recht für die Einzelfälle des Alltags zur Verfügung stand. So
zeigt sich bis in die Königszeit hinein ein durchaus lebendiges,
aber noch lockeres Verhältnis verschiedener Rechtsinstanzen, die
je auf ihre Weise Einfluß auf die Rechtsentwicklung Israels genommen
haben. Doch läßt ßich darüber hinaus kein übergreifendes
Amt besonderer Autorität von „erhabener Einsamkeit" nachweisen
, wie es Kraus im „mosaischen Amt" zu erkennen meint.
Was er ein „Amt" nennt, ist bestenfalls eine Summe von Funktionen
, die zunächst auf mehrere Personenkreise und Instanzen
innerhalb der israelitischen Stämme verteilt waren, ehe sie in
späterer Zeit mit der einen Person des Mose in Verbindung gebracht
wurden. Weil Kraus aber das Sukzessionsideal von Dt. 18
nicht im strengen Sinn „einer menschlichen Kontinuitätskette",
sondern als „Kontinuität de6 Charismas in der göttlichen Verheißung
" (S. 25) verwirklicht findet, kann er am „mosaischen
Amt" zuletzt in 6ehr freier Form die großen Propheten Anteil
nehmen lassen, ja sogar den „Lehrer der Gerechtigkeit" der Texte
aus Qumrän in einem Traditionsstrom zu 6ehen versuchen, in
dem möglicherweise das Rechts- und Bundesmittleramt der Frühzeit
eine späte Nachgestaltung erfahren hat. Damit ist aber über
das Ziel hinausgegangen! Denn das „mosaische Amt" sollte es
doch nur mit der Verkündung des apodiktischen Rechts zu tun
haben! Schon die Schriftpropheten dienen nicht mehr ausschließlich
diesem Amt, und es ist darum methodisch nicht mehr
korrekt, sie auch nur teilweise an jener selben Kontinuität des
Amtscharismas zu beteiligen, da6 in Dt. 18 allein für die Verkündung
des apodiktischen Rechts in Anspruch genommen war.

Kraus hat mit seiner kleinen Studie eine beachtenswerte Ergänzung
zu seinem Buch „Gottesdienst in Israel" geliefert, in der
es ihm von seinen methodischen Voraussetzungen aus gelungen
ist, auf kleinerem Raum ein Detail 6einer früheren Arbeit gedanklich
straffer zu entfalten. Zwar wird die Weiterarbeit zu
diesem Thema nicht unmittelbar von den hier vorgebrachten Ergebnissen
ausgehen dürfen; doch ist zu fragen, ob mit der Formel
„mosaisches Amt" tatsächlich die legitime Umschreibung wenigstens
einer Phase jenes langen Traditionsvorganges gefunden ist,
in dessen Verlauf Mose allmählich zur maßgebenden Rechtsautorität
der israelitischen Frühzeit aufgestiegen ist.

, Leipzig Siegf rled H e r r m a n n

Baumbach, Günther: Qumrän und das Johannes-Evangelium. Eine
vergleichende Untersuchung der dualistischen Aussagen der Ordensregeln
von Qumrän und des Johannes-Evangeliums mit Berücksichtigung
der spätjüdischen Apokalypsen. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
[1958]. 60 S. 8° = Aufsätze und Vorträge zu Theologie und
Religionswiss., hrsg. von E. Schott und H. Urner, H. 6. DM 2.70.

Das außerbiblische Qumrän - Schrifttum, die spätjüdischc
Apokalyptik und das Johannes - Evangelium werden unter dem
Gesichtspunkt eines gemäßigten, mit dem jüdischen Monotheismus
vereinbaren Dualismus untersucht. An Qumränschriften sind
lQS III 15—IV 1 und IV 15—25 herangezogen worden. Außerdem
hat sich Verf. gründlich in den anderen Qumränschriften
umgesehen, insbesondere lQM, lQH, lQpHab. DJ I (lQ) und
der Bericht RB LXIII 1956, 49-67 sind nicht mehr herangezogen
worden. Das von Milik erwähnte Geheimschrift-Dokument über
die pneumatische Topographie des menschlichen Körpers ist ebenfalls
nicht verwertet worden.

Zwei große Abschnitte erörtern den Dualismus in der Transzendenz
und in der Immanenz. Im ersten Abschnitt werden
Gottes-, Engel- und Satanlehre verglichen. Die stärkste Übereinstimmung
besteht hinsichtlich der Satanlehre, nur mit dem
Unterschied, daß im Joh. Ev. die Athetierung des Satans begonnen
hat, während sie in den Qumränschriften und den spätjüdischen
Apokalypsen erst von der Zukunft erwartet wird. In der
Gotteslehre setzt sich die christologische Konzentration des
Joh.-Ev. gegenüber der Lehre von den beiden verschiedenen
Willensrichtungen Gottes durch. Verf. sieht 6ehr deutlich, daß
lQS ursprünglich ein metaphysischer Dualismus zugrunde lag, der
durch den jüdischen Monotheismus verdeckt wurde.

Im zweiten Abschnitt hebt Verf. zutreffend heraus, daß keine
Spur einer Missionstätigkeit oder eines Missionswillens sich in
den Qumränschriften findet. Daß die Qumrängruppe später in
zelotische Bahnen geriet und stärker in die Öffentlichkeit drängte,
beruht nach meinem Dafürhalten auf einem jüdischen Nationalismus
, nicht auf einem Missionswillen. Besonders bedeutungsvoll
und gelungen ist der Abschnitt über das Geschichtsverständnis
(S. 39—45), in dem die Unterschiede im Zeitbegriff herausgearbeitet
werden und die Ursache der Verschiedenheit abermals
in der Christologie des Joh.-Ev. gefunden wird. lQS verwendet
die Begriffe Licht-Finsternis in transzendentaler Wei6e, die spätjüdischen
Apokalypsen und Joh.-Ev. tun es nicht.

Selbstverständlich bleiben auch Fragen offen. Wenn Verf.
Anm. 109 (S. 54) betont, daß im Joh.-Ev. die geschichtliche Begegnung
mit dem Offenbarer das Sein des Menschen prägt, dann
muß demgegenüber gefragt werden, ob Qumrän das nicht auch
vom Lehrer der Gerechtigkeit aussagen könnte. Hier würden die
Loblieder einiges Material liefern können. Jedenfalls würde der
Verf. großen Gewinn haben, wenn er in einer späteren Arbeit
den Vergleich auf Jesus und den Lehrer der Gerechtigkeit ausdehnen
könnte, wie es Dupont-Sommer in richtiger Ahnung für
die Wichtigkeit dieser Gestalt getan hat. In einem Anhang erörtert
der Verf. das Aufkommen des Dualismus aus einer psychologischen
und einer soziologischen Wurzel, wobei er leider erst
im esranischen Zeitalter ansetzt, obwohl 6ich auch aus der vor-
exili6chen Periode einiges Material gewinnen ließe. Hier hätte
der Rahmen etwas weiter gespannt werden können und wird es
wohl auch gewesen sein, da die vorliegende Schrift nur ein Auszug
aus einer wesentlich umfänglicheren Dissertation ist. Man
bedauert es bei der Lektüre, daß dem Verfasser nicht eine Drucklegung
in größerem Umfang möglich gewesen ist. Trotz der
Umfangsbeschränkung stellt die Schrift eine höchst erfreuliche
wissenschaftliche Leistung dar, nicht nur in ihrer zielklaren Anlage
und ihrer methodischen Durchführung, die durch eine sehr
erfreuliche Formulierungsgabe unterstützt wird, sondern auch in
der reichhaltigen Materialsammlung aus den spätjüdischen Apokalypsen
, die freilich nur in den Stellenzitaten der Anmerkungen
zur Geltung kommt, aber weiterer Forschung gute Dienste
leisten wird.

Leipzig Hans Ba rd tk e

NEUES TESTAMENT

Giet, Stanislas, Prof.: L'Apocalypse et l'histoire. fitude historique
sur l'Apocalypse Johannique. Paris: Presses Universitäres de France
1957. VII, 260 S. gr. 8°. ffr. 1200.—.

Der Verfasser unternimmt mit viel Gelehrsamkeit, Scharf'
sinn und Kombinationsgabe einen neuen Versuch, eine Reihe
von Zügen der Apk, die 6ich bisher einer befriedigenden Deutung
widersetzt haben, aus der Zeitgeschichte zu deuten, und glaubt
damit zugleich feste Anhaltspunkte für die Datierung des Haupt'
teik der Apk (4—19, 8) gewinnen zu können. Er nimmt seinen
Ausgangspunkt bei den drei Phasen, in die nach Fl. Josephus der
jüdische Krieg gegen Rom zerfiel: 1) den Unruhen in Palästina
unter dem Statthalter Gessius Florus, 2) dem Feldzug des Ce6tius.
unter dem das Land fwchtbar verwüstet wurde, 3) dem „flavia'
nischen" Krieg. Auf jede dieser drei Phasen meint nun Giet An'
6pielungen in der Apk zu finden. Der bisher unerklärte, weil der
Apokalyptik sonst fremde Zug, daß die dämonischen Heü'
schrecken der 5. Posaunenvision (Apk 9, 1—12) die Menschen ge'