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Ausgabe:

1959 Nr. 6

Spalte:

415-418

Autor/Hrsg.:

Liermann, Hans

Titel/Untertitel:

Die neuen lutherischen Lebensordnungen 1959

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 6

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weder ein unbestimmtes noch ein bloß literarisches Bild von der
ägyptischen Umwelt bietet. Dabei geht das, was zutreffend und
in Echtheit dargestellt ist, über formale Tatbestände um Titulaturen
und Protokoll, wie etwa den Titel „Gottesvater" für den
Vezir oder die Wechselbezeichnung „Mein Herr — deine Diener",
hinaus. Die Technik der Traumdeutung entspricht in ihrer
Differenzierung ägyptischer Übung u. a. m. Wie sollte vollends
ein Landfremder über die durch Wortgeschichte verdunkelte
Etymologie von wdpw unterrichtet sein, so daß er zu der wörtlichen
Wiedergabe rat? „Koch" gelangte? Freilich: „Das

Alles war einem Autor nicht unbekannt, der,
wie Mose, ,in aller Weisheit der Ägypter
unterrichtet wurde' (Apg. 7, 22)"". Verf. denkt dann
mit Rücksicht auf Feinheiten korrekter Übersetzung ägyptischer
Ausdrücke ins Hebräische lieber an eine schriftliche als eine bloß
mündliche Überlieferung und gruppiert demnach die Positionen
der Traditionsgeschichte radikal um. Auch der Frage, in welcher
der späteren Quellenschriften der alte Kern sich berge, weicht er
nicht aus. Es zeigt sich, daß der Befund uneinheitlich ist. Im Bericht
von den Reisen der Brüder findet er die elohisti6che, in dem
von der Niederlassung in Ägypten die jahwistische Version der
Ursprünglichkeit alter Quelle am nächsten. Dort, wo die Versionen
am weitesten auseinandergehen, also bei der Begegnung des
jungen Joseph mit den beiden arrestierten Höflingen, räumt er
der in den Detailangaben konzisen und auf das literarische Thema
der ungetreuen Frau verzichtenden Fassung des Elohisten den
Vorrang größerer Überlieferungsnähe ein. Die Datierung Josephs
selbst endlich kann man nicht von Gegebenheiten aus vornehmen,
die, wie die Ansiedelung semitischer Nomaden im Ostdelta, die
Hungerjahre oder die Betrauung eines Semiten mit hohen ägyptischen
Ämtern, innerhalb eines verhältnismäßig breiten Zeitraumes
möglich sind. Daß aber Joseph offenbar „Verwalter de6
Krongutes" war, in seiner Befugnis vielleicht noch gesteigert
durch den Titel eines „obersten Mundes", führt am ehesten in
die 18. Dyn. als der Blütezeit dieses Amtes"", d.h. in eine Periode
, die nicht weitab lag von der frühramessidischen Niederschrift
des ersten Berichtes über die fraglichen Ereignisse.

Daß der Rezensent dem vorliegenden Werke ungewöhnliche
Bedeutung beimißt, war einleitend betont worden und mag im
übrigen aus dem Umfang seiner Inhaltswiedergabe deutlich wer-

war und konzentriert mit guten Gründen Bedrückung und Auezug auf
die lange Regierung Ramses' II.

") Ich will den eindrucksvollen und kühnen Satz des Verf.s im
Text meiner Rezension zunächst wirken lassen, füge aber hinzu, daß
von der ägyptischen Erziehung Moses nicht einmal Ex 2 ausdrücklich
berichtet wird; es ist nur von einer Adoption durch die ägyptische
Prinzessin und von einer Benennung mit dem ägyptischen Namen Mose
die Rede (2, 10). Darüber hinaus ist die Historizität dieser motivgeschichtlich
gebundenen Erzählung äußerst fraglich. Ich räume aber
die Möglichkeit ein, den Spieß umzukehren und aus dem von Vergote
freigelegten Befund um die Josephserzählung auf einen „in aller Weisheit
der Ägypter unterrichteten" und in Ägypten lebenden Verfasser
aus der Zeit Ramses' II. zu schließen, heiße er nun Mose oder
wie auch immer.

"") Diese Angabe scheint mir nicht so sicher wie dem Verf., vgl.
auch A. 20a Ende.

den. Die rein ägyptologische Leistung steht, bei Korrekturen im
Kleinen und gelegentlichem Pessimismus in der Beurteilung von
Sicherheitsgraden, auch bei wertmäßiger Differenzierung der einzelnen
Exkurse, außer Frage. Sie bietet vor allem dem Kommentator
der Genesis und dem Wortforscher des Hebräischen ein
reiches, gründlich bearbeitetes Material. Indem aber Verf. 6eine
Exkurse nicht als disiecta membra vorlegte, sondern deren Ergebnisse
auf ihren historischen Aussagegehalt hin auswog, traf er
mit den Konsequenzen seines Buches in die Mitte der Wissenschaft
vom Alten Testament. Seine 6tets erhobene Frage nach der
mutmaßlichen Zeitlage ägyptischer Fakten, die er zugunsten der
frühen Ramessidenzeit beantwortete, mag ihn mitunter im Urteil
gebunden haben; anderseits hat gerade die Existenz einer
solchen These seinen Erörterungen die nötige Zielstrebigkeit gegeben
, und es ist erstaunlich, wieviel er beibrachte, um seine
Fragestellung zum Ziele zu führen. Man muß ihm dabei uneingeschränkt
zugeben, daß er im Gebiete der ägyptischen Sachverhalte
eine Fülle von Steinen aus dem Wege geräumt hat, die bisher
einer Frühdatierung der Josephserzählung im Wege zu stehen
schienen. Auf diese Steine wird man sich in Zukunft also nicht
mehr berufen dürfen. Wenn sich ihm die Folgerung aufdrängt,
die Josephserzählung gehe auf einen Bericht des 13. Jhdts. zurück,
so ist das freilich nur eine Möglichkeit, keine Notwendigkeit.
Aber bereits damit wird der Bibelwissenschaft ein Brocken vorgeworfen
, mit dem sie fertigwerden muß. Ich möchte nur soviel
sagen: Gesetzt den Fall, daß V. recht hat, so bleibt sicher eine
Fülle von Tatbeständen so gut wie von Problemen bestehen, die
außerhalb seines Gesichtskreises lagen. Es wird z. B. dabei bleiben
, daß die Geschichte von Joseph und 6einen Brüdern im Zusammenhang
des Pentateuch in der Hauptsache eine Themenverbindung
zwischen der Erzväter-Verheißung und der Herausführung
aus Ägypten darstellt'14. Es kann auch dabei bleiben, daß
sie in ihrer schließlich vorliegenden Gestalt vom Bildungsideal
der älteren israelitischen, ihrerseits wieder mit ägyptischen Farben
ausgestatteten Weisheit geprägt wurde'10, und es ist endlich gewiß
, daß 6ie aus dem Gesichtskreis und geleitet vom Interesse des
Hauses Joseph an ihren Platz kam. Aber es erhebt 6ich jetzt die
Frage, ob diese von der alttestamentlichen Wissenschaft erarbeiteten
Perspektiven nun in neuer Sicht Wachstumsvorgänge abspiegeln
, deren Keim nicht in der bloßen Freude am Erzählen,
sondern in recht alter Überlieferung geborgen liegt. Daß dabei
auch die Frage der Geschichtlichkeit des Berichteten über den
Horizont kommt, läßt sich nicht vermeiden und ist auch gar
nicht zu beklagen; freilich würde es sich auch bei einer Quelle
des 13. Jhdts. (wie Verf. selbst betont) bereits um einen Bericht
handeln, der Ereignisse der Vergangenheit mit zeitgenössischen
Farben darstellt. Sollten sich all diese Perspektiven, alte und
neue, nicht zu einem glaubhaften Bild vereinen lassen? Möge
diese Frage als Anruf an diejenigen wirken, die sie zu beantworten
berufen 6ind.

") Noth, Übcrlicfcrungsgeschichte des Pentateuch S. 226 ff.; nur
dürfte man nicht mehr von einer bloß „erzählerischen Entfaltung"
sprechen, wie Noth S. 227.

") G. v. Rad, Josephsgeschichte und ältere Chokma — Suppl-
to Vetus Testamentum I, 1953, S. 120 ff.

Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands
hat durch Kirchengesetz vom 27. April 195 5 eine „Ordnung des
kirchlichen Lebens" verkündet. Sie stellt es in § 3 des Gesetzes
ihren Gliedkirchen frei, die Lebensordnung entweder in ihrem
genauen Wortlaut zu übernehmen oder ihre eigenen gliedkirchlichen
„Regelungen und Anweisungen der Ordnung des kirchlichen
Lebens der Vereinigten Kirche anzugleichen".

Von d iesen Möglichkeiten hat eine Reihe von Gliedkirchen
bereits Gebrauch gemacht. Auf diese Weise ist, da die Abweichungen
der Tochterrechte der Gliedkirchen von der Lebensordnung
der Vereinigten Kirche nicht sehr erheblich sind, neues
gemeines lutherisches Kirchenrecht auf einem wichtigen Teilgebiet
entstanden. Alle neuen Lebensordnungen haben eine ge-

Die neuen lutherischen Lebensordnungen

Von Hans L i e r m a n n, Erlangen

meinsame Grundhaltung und entfernen sich nur dort von der
Lebensordnung der Vereinigten Kirche, wo altcingcwurzelte
kirchliche Sitte oder besondere von der Umwelt her bestimmte
Umstände eine partikulare Fassung notwendig erscheinen ließen.

Die Neuordnung des kirchlichen Lebens ist dringend notwendig
gewesen. Denn die alten Ordnungen — das Wort „Lcbcns-
ordnung" ist relativ neu, es ist erst nach 1918 im kirchlichen
Sprachgebrauch üblich geworden — waren weithin noch von dem
alten „Kirchenzuchtrccht" bestimmt. Dieses war in einer modef
nen Umwelt überhaupt nicht mehr anwendbar und deswegen
regelmäßig bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts obsolet geworden
. Luther hatte einst das fein ausgebaute System des mittel'
alterlichen kirchlichen Strafrechts in ein in erster Linie der Seel'