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Ausgabe:

1959 Nr. 5

Spalte:

374-377

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Brandenburg, Albert

Titel/Untertitel:

Hauptprobleme der evangelischen Theologie 1959

Rezensent:

Backhaus, Gunther

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 5

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ständigen. Auf der anderen Seite ist Luther rundweg der De-
vastator des Glaubens (40) und wird dessen Botschaft in einer
Weise jegliche göttliche Autorität abgesprochen, daß man sich
schwer vorstellen kann, wie der Verfasser so einfach Zustimmung
von Evangelischen zu seiner Lutherbeurteilung zu erhoffen sich
getraut.

Aber vielleicht muß man an den Verfasser einfach einige
konkrete Bitten richten, auf die er eingehen möchte, wenn er
mit Ernst erwarten will, daß er einmal auf evangelischer Seite
Gehör findet. 1. Wenn man als Katholik sich mit Evangelischen,
die Luther kennen, unterhalten will, darf man nicht ganz daran
vorbeigehen, daß in letzter Zeit katholischerseits nicht nur Herte,
Lortz, Hessen, Balling u. a. sich zu Worte gemeldet haben, sondern
daß allmählich auch die „Lutherforschungen" von Pater
Weijenborg aus Rom bekannt geworden sind. So eindeutig, wie
es der Verfasser meint, ist die Situation in der katholischen
Lutherforschung wirklich nicht, und die vom Verfasser angezogenen
Autoren sind ausschließlich deutsche Katholiken. Ferner
kann man nur dringend darum bitten, nicht voreilig die letzten
Veröffentlichungen von Karl August Meissinger zu kanonisieren
und als Zeugnisse des gültigen evangelischen Lutherverständnisses
auszugeben. Mit der Art und Weise, in der dem Verfasser
diese Bücher zur Offenbarung geworden sind, dürfte er wenig
Widerhall bei evangelischen Lutherinterpreten finden. Wahrscheinlich
kann man auf keine andere Weise sich die Gesprächsmöglichkeit
sicherer verbauen, als wenn man von Meissinger als
quasi Gesprächsbasis ausgeht. 2. Es ist sehr schön, daß der Verfasser
davon überzeugt ist, daß sein Buch einen „gewaltigen
Reichtum an Materialien aus protestantischen Autoren zum
Zwecke der Klarheit und richtigen Beweisführung" biete (5). Er
dürfte nur nicht so arg vergröberte Urteile fällen, wie er es
immer wieder tut, und sich nicht zu viel Ungenauigkeiten und
Unrichtigkeiten leisten. Wenn Bezug genommen wird auf einen
Kanzler Brink, der an Luther geschrieben habe (52), wenn Casti-
lio zitiert wird (52), wenn A. M. (sie!) Francke, nachdem gerade
6chon vom Pietismus gesprochen war, in zeitlichen Zusammenhang
mit Wichern gestellt wird (69), wenn ein Rostocker Professor
Rupfeid erscheint (31; Hupfeld ist längst nach Heidelberg
gegangen), wenn von einem Oberkirchenrat in Magdeburg gesprochen
wird und einem Landesbischof von Berlin (94) U6W..
so macht das recht stutzig und verdrießt. Und ein Urteil wie das:
„Calvin hat das Dogma entdeckt, daß der Calvinist. der Puritaner
das Zeichen für 6eine irdische und ewige Erwähltheit darin erblicken
müsse, daß ihn Gott mit Gütern dieser
Erde segnet, d. h. wenn sein Geschäft vorwärts geht" (29),
bedeutet eine solche Vergröberung, daß es einfach zurückgewiesen
werden muß. Wer sich so äußert (und das Urteil steht
wahrlich nicht allein), schreibt ein Pamphlet und nicht ein Buch,
das er irenisch nennen darf. Zu empfehlen ist auch, bei den in
rechter Fülle vorgeführten Männern des „Protestantismus", die
zu Fahnenträgern des Rationalismus, Liberalismus, Individualismus
, Existentialismus erklärt werden, wenigstens durch Stichproben
einmal nachzuprüfen, ob sie wirklich Protestanten waren
. Es mutet lustig an, da Heidegger mit vorgeführt zu bekommen
, der doch wohl einmal katholische Theologie studiert hat.
3. Wer sich daran macht, einen geistesgeschichtlichen Entwurf vorzulegen
vom Reformationszeitalter bis zur Gegenwart und dabei
mit reichem Material aufwartet, sollte sich Mühe geben, an
allerwichtigsten Vorgängen nicht vorbeizugehen. Es wirkt außerordentlich
peinlich, daß das ganze 19. Jahrhundert mit einer
ziemlichen Direktheit aus der Reformation abgeleitet, der Französischen
Revolution jedoch mit keiner Silbe Erwähnung getan
wird. Paßt die Tatsache, daß die Aufklärung ihre zugespitzteste
Form innerhalb der katholischen Welt bekommen hat, dem Verfasser
nicht in den Streifen? Glaubt er im Ernst, daß andere als
sehr einfältige Leute ihm seine Darstellung des 19. Jahrhunderts
abnehmen? Um der Ehrlichkeit willen muß klar ausgesprochen
werden, daß eine derartig einseitige Parteiischkeit in der geschichtlichen
Darstellung (bei der es von vornherein viel leichter
ist, versöhnlich zu reden, als bei der dogmatischen Kontroverse)
nur Gräben und Zäune aufrichten kann, aber zu keiner Verständigung
zu helfen vermag.

Es ist schon ein Kuriosum, daß man heute zu einer Veröffentlichung
Stellung nehmen muß, die in ihrer Grundhaltung
sehr an die Enzykliken „Miramini vos" von 18 32 und „Quanta
cura" von 1864 (mit Syllabus) erinnert, aber in die gefällige Hülle
einer Una-Sancta-Publikation eingekleidet ist. Auch ein Zeichen
der Zeit! Vielleicht ist es insofern gut, daß das Buch erschienen
ist, als dadurch recht klar wird, wie wenig weit wir Evangelischen
und Katholiken trotz aller brüderlichen Begegnungen und freundlichen
Gespräche in der Sache zueinander gekommen sind. Das
feststellen zu müssen ist nicht schön; aber die Feststellung ehrlich
zu treffen ist richtiger, als sich Illusionen übeT die wirkliche
Lage hinzugeben.

Markkleeberg/Leipzig Franz Lau

Brandenburg, Albert: Hauptprobleme der evangelischen Theologie
. Katholisch-konfessionskundliche Einführung. Paderborn: Verlag
Bonifacius-Druckerei [1957]. 63 S. gr. 8° = Konfessionskundl.
Schriften des Johann-Adam-Möhler-Instituts Nr. 2. Kart. DM 4.20.

Als einen „Beitrag zur Konfessionskunde — und im weiteren
Sinne zur Kontroverstheologie" (S. 9) legt Albert Brandenburg
sein Bändchen „Hauptprobleme der evangelischen Theologie
" vor. Eine Rezension wird vermeiden müssen, mit Brandenburg
in ein Streitgespräch einzutreten, bei dem nicht nur Bekanntes
wiederholt, sondern auch der Zweck seiner al6 unterrichtend
gedachten Publikation mißachtet würde. Entscheidend
ist vielmehr die Frage: Ist in Brandenburgs erstmals als Referat
vor dem Johann-Adam-Möhler-Institut gehaltener nunmehr erweiterter
Arbeit die Variationsbreite evangelischer Theologie
(soweit das auf 60 Seiten überhaupt möglich sein kann) für den
katholischen Leser sichtbar und begreiflich gemacht? Verrät die
Schilderung weiterhin eine auch vom evangelischen Standpunkt
aus vertretbare Schwerpunktbildung der behandelten Probleme?
Bei der Befragung der Arbeit Brandenburgs sollte dabei die
Dankbarkeit dafür mitschwingen, daß er bewußt darauf verzichtet
, 6ich die deutliche Polemik evangelischer Theologen
untereinander zunutze zu machen („Evangelische Theologen
sind oft unbekümmert scharf in der Kritik ihrer Zustände ...
Diese Selbstaussagen sind nicht ohne weiteres durch einen
katholischen Theologen wörtlich wiederholbar", S. 11). Vielmehr
betätigt er in der Erhebung der Einzelheiten mit Erfolg den
Willen zur Objektivität.

Der Verfasser geht aus vom Ende des 19. Jahrhunderts
(Neuprotestantismus, insbes. Ernst Troeltsch), um dann an den
..Dialektikern" und der Barmer Theologischen Erklärung den
..Durchbruch zu Neuem" zu schildern. Er behandelt sodann als
Zentralfrage die Christologie, einerseits bei Barth, andererseits
bei Luther. Es folgen „von der Theologie des Worts abgeleitete
Probleme der Gegenwart", insbesondere die Fragen nach Dogma,
Amt, Kirche. Den Abschluß bildet das Kapitel „Der historische
und biblisch-geschichtliche Christus", in dem auf Kählers bekannte
Schrift und die existentiale Interpretation sowie auf die
Probleme Zeit, Eschatologie, Heilsge6chichte und Tradition eingegangen
wird. Die Lektüre erfordert intensive Mitarbeit, denn
der Stoff wird konzentriert, oft nur thesenartig zusammengefaßt
vorgetragen. Es geht also um mehr als „eine ausgezeichnete
Orientierung für den, der sich überhaupt erst einmal mit all diesen
Problemen vertraut machen will" (Verlagswerbung).

Muß man dem Verfasser wegen der souveränen Kenntnis
einer großen Fülle an evangelischer Literatur und der Behandlung
fast ungezählter Fragen auf engstem Raum hohe Bewunderung
zollen, so dürfte es auf der anderen Seite natürlich nicht schwer
sein, ihm diese oder jene Unterlassung zum Vorwurf zu machen
(von der alttestamentlichen Theologie ist z. B. überhaupt nicht
die Rede). Ertragreicher ist es aber, mit ihm über die Gewichtsverteilung
des Stoffes zu sprechen, den er darstellt. So mag
die Sicht auf die Barmer Theologische Erklärung kontroverstheologisch
verständlich oder sogar berechtigt sein — konfessions-
kundlich ist sie einseitig. Der Verfasser ist stark an der Frage
des Ranges von Barmen als eines Bekenntnisses interessiert, um
darzutun, daß das Jahr 1934 die lutherisch-reformierten Gegensätze
(vor allem Abendmahlslehre und Christologie) durchaus
nicht ausgeräumt hat. Aber auf wesentliche Seiten des Inhalts