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Ausgabe:

1959 Nr. 5

Spalte:

372-374

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Rost, Hans

Titel/Untertitel:

Das konfessionelle Schicksal Deutschlands 1959

Rezensent:

Lau, Franz

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 5

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ethische Denken Melanchthons habe seine Theologie anthropozentrisch
bestimmt und rationalisiert, in Besprechung der einzelnen
Lehrstücke der Loci von 1521 konsequent durch. Das
kann hier nur an wenigen Beispielen gezeigt werden.

Die Christuserkenntnis werde in ein logisches System verwandelt,
rationalisiert und allein ethisch verstanden. Christus wird aus den loci
Sünde, Gesetz, Gnade erkannt. Aus der Tatsache, daß diese paulinischen
Begriffe Sünde, Gesetz, Gnade als loci erscheinen, folgert Neuser,
Melanchthon behaupte, die Christuserkenntnis mit den Mitteln der
Dialektik und Rhetorik lehrmäßig entwickeln zu können. Noch problematischer
ist dem Rezensenten die Interpretation des berühmten Wortes
: hoc est Christum cognoscere beneficia eius cognoscere. Melanchthon
wechsele das Erkennen der Person Christi mit der Erkenntnis
seiner Wohltaten aus und öffne dadurch einer logisch-dialektischen
Christuserkenntnis den Weg.

Die Kritik des Verfassers an Melanchthons Lehre von Gesetz und
Evangelium enthält manches Richtige, aber auch hier werden die Akzente
zu stark gesetzt. Daß Melanchthon die Begriffe Gesetz und Evangelium
gern gebrauche, weil sie anthropozentrisch und faßlich seien
(S. 86), wird dem Leser keineswegs einleuchten. Und die Zusammengehörigkeit
von Evangelium und sittlicher Erneuerung bedeutet grundsätzlich
keine Abweichung von Luther, wie Ragnar Bring ja zur Genüge
eingeschärft haben dürfte.

Die Unterscheidung von Gnade und Gnadengabe bei Melanchthon
wird vom Verfasser dazu benutzt, Melanchthon eine zeitliche Aufspaltung
des Gnadenhandelns Gottes zuzuschreiben. Nach der Vergebung
durch die Gnadenverkündigung erfolge die Erneuerung zu guten
Werken durch die Gnadengabe. Aus den guten Werken muß sich erst
erweisen, ob der Mensch die Gnade empfangen hat und besitzt. Der
Beleg für diese Deutung des Gnadenhandelns als zeitlicher Abfolge:
Gratiam vocat favorem dei, quo ille Christum complexus est et in
Christo et propter Christum omnes sanetos. Deinde quia favet, non
potest deus non effundere dona sua in eos, quorum misertus est (Loci
S. 87, 1 Engelland), genügt jedoch nicht. Deinde braucht nicht zeitlich
gefaßt zu werden, es kommt Melanchthon auf die Aufzählung der
Begriffselemente an.

Schließlich führe die ethische Ausrichtung des theologischen Denkens
Melanchthons dazu, daß der Sünde als unsittlicher Tat der Glaube
als gottgefälliges Handeln gegenübergestellt werde. „Das sündige Werk
macht den Menschen schuldig, das Glaubenshandeln rechtfertigt ihn"
(S. 90).

Das letzte Kapitel der Arbeit will den Anfang der verhängnisvollen
Entwicklung der Theologie Melanchthons schon in
den Loci von 1522 feststellen. In den hier erfolgten Abänderungen
ist die 1521 behauptete Unterordnung des Verstandes unter den
Willen aufgegeben, was die Gleichordnung des Verstandes zur
Folge hat. Melanchthon spricht von einem Licht des Verstandes.
Neuser entnimmt daraus, daß Melanchthon das natürliche Denken
und Handeln des Menschen positiv werte. Auch der ungläubige
, fleischliche Mensch kann bürgerliche Tugenden, eine
iustitia civilis, hervorbringen. Damit ziehe die Philosophie als
Lehrerin bürgerlicher Tugenden wieder ein.

Wenn man jedoch de Neufassung des Abschnitts De hominis
viribus adeoque de libero arbitrio von 1522 liest, bemerkt man,
wie Neuser selbst zugibt, daß das Endergebnis genau das gleiche
ist, wie in den Loci von 1521. Während jedoch Melanchthon 1521
für die Leugnung des liberum arbitrium der psychologischen Begründung
ziemlichen Raum gewährt — die cognitio ist der volun-
tas und den Affekten unterworfen, also unfrei — subsumiert er
jetzt cognitio und voluntas unter den Begriff caro. Auch das
Licht des Verstandes ist Fleisch und damit Finsternis. Es erkennt
weder Gott, noch seine Barmherzigkeit, noch seinen Zorn. Der
Rezensent ist im Gegensatz zu Neuser der Ansicht, daß die Neufassung
biblischer, lutherischer ist als die Fassung von 1521.
Und die Anerkennung einer iustitia civilis besagt nichts darüber,
was diese vor Gott gilt. Sie ist jedenfalls für Melanchthon Gerechtigkeit
des Fleisches und damit in das göttliche Urteil über
alles, was Fleisch ist, einbezogen.

Das Ergebnis der Abhandlung iet im Grunde eine Vorverlegung
von Beobachtungen, die z. T. auch Troeltsch gemacht
hatte, in die Anfänge Melanchthons. Sie zeichnet sich durch klare
Darstellung und scharfe Erfassung der Probleme aus. Aus richtigen
Beobachtungen werden jedoch oft viel zu weitgehende
Folgerungen gezogen. Der Verfasser löst die Äußerungen
Melanchthons von den Intentionen des Aussagenden los und
macht sie dadurch frei beweglich, er verwandelt den historischen

Gegenstand in intellektuelle Elemente und alteriert ihn dadurch.
Die Resultate Neusers können darum nicht ohne weiteres als
gesichert gelten. Die Erfassung von Melanchthons theologischem
Ansatz wird auf anderem Wege erfolgen müssen: durch einen
bis ins einzelne gehenden Vergleich der Lehraussagen Melanchthons
mit den entsprechenden Positionen Luthers — dabei
werden manche gegen Melanchthon erhobenen Anklagen dahin-
fallen. Dieses Problem erneut gestellt zu haben, ist ein Verdienst
der Arbeit Neusers.

Naumburg/Saale Rudolf Lorenz

Jensen, Wilhelm: Johannes Bugenhagen und die lutherischen Kirchenordnungen
von Braunschweig bis Norwegen.
Luther. Mitteilungen der Luthergesellschaft 29, 1958 S. 60—72.

L o h s e, Bernhard: Luthers Antwort in Worms.

Luther. Mitteilungen der Luthergesellschaft 29, 1958 S. 124—134.

M ü 1 h a u p t, Erwin: Luthers Kampf mit der Krankheit.

Luther. Mitteilungen der Luthergesellschaft 29, 1958 S. 114—123.

Stasiewski, Bernhard: Katholisches Leben und Kämpfen im Zeitalter
der Glaubensspaltung.
Theologische Revue 54, 1958 Sp. 193—200.

Stupperich, Robert: Dr. Pomer — Zum 400. Todestag des Reformators
Johannes Bugenhagen.

Luther. Mitteilungen der Luthergesellschaft 29, 1958 S. 49—60.
Wolf, Ernst: Asterisci und Obelisci zum Thema: Athanasius und
Luther.

Evangelische Theologie 18, 1958 S. 481—490.

KONFESSIONSKVNDE ^ j

Rost, Hans, Dr.: Das konfessionelle Schicksal Deutschlands. 400 Jahre
Glaubensspaltung und Una saneta. Friedberg bei Augsburg: Pallott
Verlag o. J. 116 S. 8°. Kart. DM 5.50.

So ganz leicht ist es nicht, dahinter zu kommen, was der
Verfasser mit diesem seinem Buch eigentlich will. Er sagt selber,
daß es Versöhnlichkeit atme (ohne Wesentliches auf beiden Seiten
in Nebel hüllen zu wollen; 5), oder, daß er sich bemühe, in
völliger Irenik vom katholischen Standpunkt aus an die Fülle der
Probleme und Streitpunkte heranzutreten (26). Daß er klar ausspricht
, daß nach menschlichem Ermessen die Glaubensspaltung
unüberwindbar ist, und billigen Hoffnungen auf eine Verschmelzung
der christlichen Konfessionen entgegentritt, wirkt wohltuend
. Er meint, die Kirche, die überall hier auf dem Erdenrund
von den Alaskaindianern bis zu den Fidschiinsulanern in gleicher
Weise vor dem Tabernakel bete, solle in Dankbarkeit über dieses
Gnadengeschenk der Einheit zu Christus bitten, daß alle
Protestanten auf der ganzen Erde sich auf ein einheitliches
Abendmahl einigen möchten; und diese Einheit müßte dann doch
wohl die katholische Abendmahlslehre sein. „Das wäre der wichtigste
Baustein zur Una saneta" (65). Una-sancta-Arbeit treiben
heißt freilich nach gemeinem Verständnis, daß katholische und
evangelische Christen gemeinsam über die Una saneta nachdenken
und gemeinsam für sie bitten. Voraussetzung solcher
Gespräche miteinander und solchen gemeinsamen Denkens ist
wieder Verständigung über gewisse Dinge, die strittig 6ind und
vielleicht nach menschlichem Ermessen lange strittig bleiben
werden, aber bei denen es doch möglich sein möchte, Mißverständnisse
auf beiden Seiten zu beheben und so einander
wirklich kennen und in der wahren Intention verstehen zu lernen
. Solche Verständigung muß tatsächlich in einer „irenischen"
Haltung gesucht werden. Das vorliegende Buch könnte einen
nützlichen Dienst leisten, wenn es wirklich in dem Sinn und mit ■
dem Ziele irenisch geschrieben wäre. Seine „Irenik" aber besteht
lediglich darin, daß sein Verfasser gelegentlich nette Worte z. B.
über Luther sagt, die in der Regel darauf hinauslaufen, daß er
die Kirche nicht habe zerstören wollen und nicht habe an den
Staat ausliefern wollen usw. Auch darüberhinaus enthält das
Buch natürlich einige Freundlichkeiten nach der evangelischen
Seite hin. Diese Äußerungen stehen aber völlig unvermittelt und
unverbunden neben anderen Sätzen, in denen nachgerade das
Gegenteil steht. Auf der einen Seite liest man immer wieder,
daß es aufgrund der katholischen Lutherforschung unserer Tage
ohne weiteres möglich sei, sich miteinander über Luther zu ver-