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Ausgabe:

1959

Spalte:

354-355

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eltester, Friedrich-Wilhelm

Titel/Untertitel:

Eikon im Neuen Testament 1959

Rezensent:

Lohse, Eduard

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353

Theologisch« Literaturzeitung 1959 Nr. 5

354

Wenn auch die Rabbinen bei solcher Bewertung des Leidens der
Märtyrer Zurückhaltung üben, so begegnet doch zweifellos auch
bei ihnen gelegentlich die Vorstellung, daß das Martyrium durch
den dabei entstehenden Verdienst des Märtyrers stellvertretende
Sühnewirkung ausübt. Daneben wird der Gedanke der stellvertretenden
Sühne auch auf den Tod des Gerechten (Test. Benj.
3, 8 als vorchristlich bezeugt) und auf den Tod der Väter angewandt
, während die Opferung Isaaks, die ja nicht zum Tode
führte, in diesen Zusammenhang nicht einbezogen werden
konnte. Es ist dann freilich auch nicht ausreichend begründet,
wenn L. die Darstellung der Opferung Isaaks in der Synagoge
von Dura-Europos als „antichristliche Typologie" verstehen will,
da durch nichts bewiesen ist, daß diese Motivwahl innerhalb
des jüdischen Kultgebäudes zu Beginn des 3. Jahrhunderts polemische
Ausrichtung gehabt habe. Abschließend kann dann festgestellt
werden, daß die Vorstellung vom stellvertretenden
Sühnetod im Spätjudentum sich verstehen läßt auf dem Hintergrund
der Aussagen über das Verdienst der stellvertretenden
Sühne. Dagegen ist diese Vorstellung, wie Lohse mit Recht
feststellt, nicht aus Jes. 53 abgeleitet worden, zumal das vorchristliche
Judentum weder die Vorstellung von einem leidenden
Messias noch gar von einem stellvertretenden Sühnetod des
Messias im Anschluß an Jes. 53 kannte. Es wäre freilich zu wünschen
, daß diese m. E. richtige Behauptung in Auseinandersetzung
mit den materialreichen gegenteiligen Ausführungen von
J. Jeremias und anderen besser begründet worden wäre.

Auf diesem Hintergrund kann nun der 2. Teil den „Sühnetod
im Neuen Testament" behandeln. L. setzt bei der Untersuchung
des urgemeindlichen Kerygmas vom Sühnetod Christi
ein, das sich 1. Kor. 15, 1 ff. findet, und betont mit Recht, daß
die hier zweifellos anzunehmende Bezugnahme auf Jes. 5 3 „erst
von Kreuz und Auferstehung Je6u Christi her" möglich geworden
ist. Sucht man von da aus weiter zurückzugehen, so findet
sich innerhalb der synoptischen Jesusworte eine Interpretation
des Todes Jesu als Sühnetod nur im Lösegeldwort (Mk. 10,45)
und im Kelchwort des Abendmahls (Mk. 14,24). Eigentümlicherweise
umgeht nun freilich L. eine klare Entscheidung, inwiefern
diese Worte in die Verkündigung Jesu selbst hineingehören,
mit dem Hinweis darauf, daß von ihnen aus „ein sicherer Rückschluß
auf das „messianische Selbstbewußtsein" Jesu ... nicht möglich
" sei, und möchte die Worte grundsätzlich nur „im Blick auf
das Ereignis von Kreuz und Auferstehung" interpretieren, wobei
jedoch die Frage nicht gestellt wird, ob diese Worte im Zusammenhang
der Verkündigung Jesu etwa einen anderen Sinn
hatten als in dem der Verkündigung der ältesten Gemeinde.
Aber wenn man von dieser bedauerlichen Lücke absieht, kann
die Interpretation der beiden Texte nur als weitgehend überzeugend
bezeichnet werden. Mk. 10,45 ist durch die Bezugnahme
auf Jes. 5 3 und den universalen Charakter des Sühnegedankens
deutlich von dem spätjüdischen Sühnetodgedanken
unterschieden; das Kelchwort hat nach L. ursprünglich gelautet
„Das ist mein Blut, das für die Vielen vergossen wird", und auch
hier steht der Sühnetod des Gottesknechtes und nicht Opferdenken
im Hintergrund. Wenn L. freilich dann annimmt, daß
erst die hellenistische Gemeinde den Gedanken des „neuen Bundes
" in das Kelchwort eingefügt habe, so erscheint mir das will kürlich
und führt auf die Frage, ob nicht doch der ursprünglichste
Wortlaut des Kelchwortes bei Paulus („dieser Kelch ist der neue
Bund durch mein Blut") erhalten ist. Doch erweist sich unabhängig
von dieser schwerlich endgültig zu beantwortenden Frage
die Annahme sicherlich als richtig, daß in den beiden synoptischen
Sühnetodworten nicht ein jüdisches Messiasbild über
nommen wurde, sondern die Gemeinde aufgrund des Leidens und
Sterbens Jesu „Menschensohn und Gottesknecht zu einer Gestalt
verbunden" hat.

Lohse geht nun zur Untersuchung der weiteren Entwicklung
des Sühnetodgedankens im Urchristentum über und bespricht die
formelhaften „für uns"-Wendungen und die Hinweise auf das
Blut Christi und zeigt, wie hier allmählich Opfervorstellungen
hinzuwachsen. Bei der ausführlichen Darstellung der paulinischen

^i?et(r*ltheC>logic b*™""* sicn L mi* ErfoIg' spätere dogmatische
Fragestellungen von der Interpretation der paulinischen
lexte lernzuhalten, und weist nach, daß Paulus mit dem Sühnetod
Christi das Ende des Gesetzes als des Heilsweges und das
versöhnende Handeln Gottes verbunden 6ieht. Auch für die
Sühnegedanken des Hebräerbriefs wird gezeigt, daß sich der
Verfasser des Hebräerhriefs stark an überkommene formelhafte
Wendungen anschließt, das Bild des Selbstopfers des Hohe-
priesters aber selbständig weiterdenkt, ohne von neuem auf die
spätjüdische Vorstellung von der Sühnekraft des Todes zurückzugreifen
. Der 1. Petrusbrief zeigt dann auch in der hellenistischen
Gemeinde die Deutung des Sühnetodes Christi im Anschluß an
Jes. 53, während in den Lukasschriften und bei Johannes dieser
Gedanke auffällig zurücktritt; L. möchte das auf die früh-
katholische Deutung Jesu als des Offenbarers bei Lukas oder auf
die Beziehung der Sühne auf die gesamte Sendung Jesu bei Johannes
zurückführen, was freilich nicht überzeugend wirkt und
zeigt, daß diese Fragen nicht ausreichend geklärt sind.

Abschließend kann dann, weitgehend in Übernahme bekannter
Tatbestände, nachgewiesen werden, daß das Urchristentum
angesichts der umfassenden Bedeutung des Sühnetodes
Christi keinem menschlichen Tod sühnende Wirkung zuschreiben
kann (auch nicht Kol. 1, 24), und betont mit Recht; „Es ist gewiß
kein Zufall, daß wir keinen einzigen Bericht vom Martyrium
eines der Apostel haben." Mit dem Zurücktreten der eschatolo-
gischen Erwartung erhält dann aber das Leiden der Christen eine
eigene Bedeutung, und so begegnet seit dem Beginn des 2. Jahrhunderts
die Vorstellung von der sühnenden Kraft des Märtyrertodes
.

Die Untersuchung Lohses ist eine vorzügliche Leistung, die
nicht nur die Tatbestände einwandfrei wiedergibt, sondern auch
in der Interpretation der Texte sich von jeder unbegründeten
Konstruktion frei hält und die Entwicklung der Vorstellungen
überzeugend nachzeichnet. Obwohl, wie bemerkt, gelegentlich
Lücken oder Schwächen in der Beweisführung begegnen, dürfte
der so wichtige Gedanke des Sühnetodes Christi nach seiner Herkunft
und Bedeutung für das urchristliche Denken in weitem
Umfang richtig erklärt worden sein.

Marburg/Lahn Werner Georg KUm inel

Eltester, Friedrich-Wilhelm: Eikon im Neuen Testament. Berlin:
Töpelmann 1958. XVI, 166 S. gr. 8° = Beihefte zur Zeitschrift für
die Neutcstamentliche Wissenschaft 23. DM 28.—.

Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, den Gebrauch
des Wortes Eikon im Neuen Testament zu untersuchen, und setzt
zunächst mit gründlichen Vorarbeiten ein:

In einem ersten Teil werden die verschiedenen Bedeutungen in der
klassischen und hellenistischen Gräcität sowie im hellenistischen luden-
tum und im Neuen Testament besprochen (S. 1—25)- „Etymologisch
gesehen, bedeutet Eikon das, was einem anderen gleichkommt" (S. 1).
Damit ist ein Beziehungsverhältnis angezeigt, das freilich in der
mannigfachen Verwendung des Begriffes inhaltlich sehr verschiedenartige
Bestimmungen erfahren kann. In dem weit ausholenden zweiten
Teil wird dann die kosmologische und anthropologische Bedeutung des
Begriffes außerhalb des Neuen Testamentes dargestellt (S. 26-129).
Zunächst werden in sorgfältigen Einzelanalysen alle Stellen erörtert,
an denen das Wort bei Plato, Philo, Plutarch, Numenius von Apamea.
in den Hermetica und bei Plotin sich findet, um dann zusammenfassend
die Entwicklung der kosmologischen und anthropologischen Bedeutung
von Eikon vorzuführen. Während in Piatos Kosmologie die Welt die
Eikon ist, die der Demiurg nach dem Vorbild der intelligiblen Welt
herstellt, wird zwar im Hellenismus das platonische Motiv durchgehalten
, aber nun anders gefaßt. Denn das Abbild ist substantiell mit dem
Vorbild verbunden und wird vom Urbild durch Emanation hervorgebracht
. Daher gilt die Eikon nicht mehr als bloßer Hinweis auf das
Vorbild, sondern hat am Ursprung teil und kann als dessen Repräsentation
aufgefaßt werden. In anthropologischer Verwendung taucht das
Wort erst im Hellenismus auf — einerseits in der vom Alten Testament
bestimmten jüdischen Literatur, andererseits aber auch in der mehrschichtigen
Traktatsammlung der hermetischen Schriften und bei Plotin
. Das Göttlidie im Menschen wird als Abbild Gottes begriffen, da«
Abbild aber strebt zur Rückkehr und Vereinigung mit dem Urbild.
Die mannigfachen Beziehungen, die zur gnostischen Mythologie hinüberführen
, werden dabei vom Verfasser nach behutsam abwägender
Prüfung in das Gesamtbild eingeordnet.

Nachdem der Hintergrund des neutestamentlichen Sprachgebrauchs
herausgearbeitet worden ist, kann nun im dritten Teil