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Ausgabe:

1959 Nr. 5

Spalte:

336-339

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schoeps, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Die letzten dreissig Jahre 1959

Rezensent:

Haufe, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 5

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zen, die Herrschaftsstellung Christi — „Christus ist dein Gott"
(746) —, die Auffassung der Kirche vorwiegend als corpus mysti-
cum Christi seien besonders betont, aber auch die kritische Einstellung
zu wilden Marienerscheinungen und zu Wunderdeutungen
„an der Grenze des Lächerlichen" (750). Die Sündenlehre
hält die augustinische Linie. Der Christ wirkt an 6einem Heil
mit durch sein gläubiges Ja (786). Den Gottesbeweisen wird nur
eine relative Überzeugungskraft zugesprochen. „Es kann einer
alle diese Beweise sehr einleuchtend finden und dennoch sich
weigern an Christus zu glauben. Zum Glauben kommt es eret
dann, wenn Christus selbst einem Menschen innerlich begegnet
. Da6 ist die Stunde der Gnade" (760).

Von da zu dem, was über das evangelische Christentum in
ökumenischer Sicht gesagt wirdl Allgemein sei vorweggeschickt,
daß die 30 Druckseiten als Grundlage für ein modernes Religionsgespräch
auf Volkshochschulebene und darüber dienen könnten,
— wohl die höchste Auszeichnung, die ihnen zuteil werden
könnte. Die wahren Differenzpunkte werden nicht verdeckt, sondern
„einsichtig gemacht", wie es zu Beginn des dem Glauben
gewidmeten Kapitels heißt (736). Wie in weiten Partien der modernen
katholischen Literatur tritt auch hier der tiefe Eindruck
hervor, den die oekumenische Bewegung hinterläßt. Wenn wir
uns nicht täuschen, hat sie der katholischen Theologie in Deutschland
den hauptsächlichen Anstoß zur neuen Beschäftigung mit
Luther und der Reformation gegeben. Der katholische Leser kann
aus unserm Buch einen wirklichen Eindruck von den Grundanliegen
evangelischen Christentums empfangen. Daß die katholische
Beleuchtung nicht unterbleibt, wird kaum der Erwähnung
bedürfen.

Wir begrüßen das Werk einerseits als modernes apologetischkirchliches
Vorbild, das zur Nachfolge reizt, andererseits als
Muster guter, vornehmer konfessionsverschiedener Glaubensbegegnung
. Erwähnt sei noch die vorzügliche Bildausstattung.

Rostock Gottfried Holtz

F a b u 1 a. Zeitschrift für Erzählforschung / Journal of Folktale Studies /
Revue des etudes sur le conte populaire. Hrsg. v. Kurt Ranke
unter besond. Mitwirkung von W. Anderson, L. Bodker, R. Th.
Christiansen, G. Ortutay, A.Taylor u. St. Thompson. Bd. I, H. 1—3.
Berlin: de Gruyter 1957/58. 310 S. m. Abb. u. Taf. gr. 8°. DM 36.—.

Die mächtig aufstrebende Volkskunde hat in allen Ländern
okzidentaler Wissenschaftlichkeit eine solche Fülle von Material
zusammengetragen und ist dabei, noch weiter auf die fruchtbarste
Wei6e zu sammeln, zu ordnen und zu deuten, daß es hohe
Zeit wird, eine internationale Stelle zu haben, wo all diese Forschungen
miteinander ins Gespräch kommen können. Dazu dient
diese neue Zeitschrift, deren Untertitel in drei Sprachen zeigt,
wie hier internationale wissenschaftliche Arbeit getrieben wird.

Angefangen von den Mythen der Urzeit über Märchen und
Sagen bis hin zu Schwänken der neueren Zeit oder gar Novellen
und anderen Gestalten der Prosa-Kunst werden die Motive und
ihre Gestaltung verfolgt, gesammelt, verglichen. Im Blick auf die
Deutung will man sich keiner „Schule" verschreiben, und das ist
gut so. Die Sache, d. h. die Texte selber sollen zunächst als Gegenstand
der Arbeit dienen. „Myths and tales are neither religion
nor philosophy nor psychology, they are traditional fiction or
oral literature and must be studiedas such" (S. 195). Wenn diese
sachlich hingegebene Arbeit aber geschehen ist, dann dürfen die
anderen an diesen Gegenständen höchst interessierten Wissenschaften
sich ihrer bedienen: Tiefenpsychologie, Religiöse Volkskunde
, Parapsychologie, vielleicht noch die eine oder andere
Einzelwissenschaft — sie werden sauber zubereitetes Material vorfinden
und deshalb diese Zeitschrift aufmerksam im Blick behalten
.

Was bieten die drei Hefte des ersten Jahrgangs nicht alles
an Reichtum! Da wird das Motiv der drei Affen untersucht: der
eine hält sich die Ohren zu, der andere die Augen, der dritte den
Mund — und es wird gefragt, welche anderen Motive oder Texte
damit zusammenhängen mögen (Archer Taylor: „Audi, Vide,
Tace" and the three monkeys, S. 26—31). Oder Goethe und das
Motiv des Pudels ist Gegenstand einer Untersuchung (Barbara
Allen Woods, S. 59-75). Oder es werden die Motive von C. F.

Meyers Novelle „Der Schuß von der Kanzel" sowie ihre Quellen
und früheren Gestaltungen dargelegt (Wolfgang Merckens, S. 103
bis 113). Aus der Fülle der weiteren Abhandlungen sei hingewiesen
auf: „Parzival und die Ritter / Von einfacher Form zum
Ritterepos" (Wolfgang Mohr), „Strukturen des alltäglichen Erzählens
" (Hermann Bausinger). Außer solchen größeren „Aufsätzen
" bringt jedes Heft ferner: Nachrichten — Works in Pro-
gress — Anfragen — Besprechungen.

S. 164 teilt der Herausgeber, Prof. Dr. Kurt Ranke, mit, er
plane eine „Encyklopädie des Märchens" in acht Stoffgruppen.
Aus unserer theologischen Sicht sei zu den dort vorgeschlagenen
Themen noch weiterhin anregend vorgeschlagen: (1) Wie afrikanische
Märchen ob ihres religiösen und ethischen Gehaltes in der
missionarischen Predigt und christlichen Unterweisung überhaupt
verwendet werden (Beispiele in den Büchern von Meinhoff und
Gutmann). (2) Die mittelalterlichen „Predigtmärlein" (Predigt-
Exempel), als deren einer Kenner Prof. Dr. Jos. Klapper, einst
Breslau, jetzt Erfurt, genannt sei. (3) Die tiefenpsychologische
Deutung der Märchenmotive in der Schule von C. G. Jung, Zürich.
Dazu die Beobachtung, wie in der Meditation auf der (von mir
so genannten) vierten Stufe der Selbstbegegnung diese Motive
aus der Tiefe der Seele aufsteigen (vgl. des Rezensenten Darstellung
in 6einem Buch „Anleitung zur Meditation", 1958, S. 105
bis 108, dazu die Auslegung S. 108—112).

Heidelberg FrisoMelzer

Schoeps, Hans Joachim: Die letzten dreißig Jahre. Rückblidce.
Stuttgart: Klett 1956. 231 S. 8°. Lw. DM 13.20.

Hans Joachim Schoeps will mit diesen Lebenserinnerungen
nicht in die Reihe derer gerechnet werden, die um ihrer
Selb6trechtfertigung willen Memoiren herausgeben, in denen 6ie
ihre Mitverantwortung an den Ereignissen dieser Zeit in ein sie
rechtfertigendes Licht rücken möchten. Er möchte seine Erlebnisse
als eine allerdings höchst aufschlußreiche und bezeichnende Quelle
dem kommenden Historiker zur Verfügung stellen. Er hat vieles
erlebt, was für das äußere und innere Geschehen dieser Zeit
charakteristisch war, freilich nun als persönliches Erlebnis seine
besondere Zuspitzung fand und höchst individuelles und schweres
Schicksal wurde. Es i6t gut, daß er dieses Leben beschreibt, weil
es den deutschen Leser tief beschämen muß, daß solches unter uns
geschehen ist.

Der 1909 geborene Verfasser (seit 1947 Professor für
Religions- und Geistesgeschichte in Erlangen) legt diesen „Quellenbericht
seines Lebens" jetzt 6chon vor, ehe er selber die
„Buntheit der Farben, die Patina der Geschehnisse" und die
eigentliche Atmosphäre dieser oft so tumultarisch erregten
Zeiten vergißt. Das Ergreifende an diesen Memoiren eines
knapp Fünfzigjährigen liegt darin, daß diese Selbstmitteilung
eigentlich ein Opfer darstellt. Der Verfasser gehört wegen seiner
Zugehörigkeit zum Judentum an sich schon in einem besonders
schrecklichen Sinne zu den Opfern dieser Zeit; und es darf auch
nicht die frei bekannte Neigung dieses Vertreters der ehemaligen
freideutschen Jugend, rückhaltlos und freimütig alles auszusprechen
, uns der Dankbarkeitspflicht entheben für diese Preisgabe
und Hingabe persönlichsten Erlebens. Wo es in diesem Buche
allenfalls um „Selbstrechtfertigung" gehen könnte, läßt der Verfasser
die Leser in tiefe Selbstanklage hineinsehen. Sch. ist leidenschaftlich
dafür eingetreten, daß das Heimatrecht der deutschen
Juden nicht bestritten werde; ihm standen die Familien vor
Augen, die seit Generationen dem Staate in aufrichtiger, „konservativer
" Treue gedient hatten. „Es liegt mir noch heute als
Alpdruck auf der Seele, daß ich den Hunderttausenden, die dann
ermordet wurden, nicht rechtzeitig zur Flucht um jeden Preis
geraten habe: es ist schwer, damit fertig zu werden." (S. 101).

Bekenntnis zum Judentum, leidenschaftliche Anteilnahme an
der deutschen Jugendbewegung, von Dilthey herkommender verstehender
Historismus und tiefe Verbundenheit der preußischen
Heimattradition gegenüber, so etwa glaubt der Verfasser selbst
die Grundstruktur seines Bildungserlebnisses umschreiben zu
können; eine zunächst wohl überraschende, ungewöhnliche Kombination
, die aber den Verfasser in eine Schlüsselposition des
Verstehens versetzt hat. Er hat die deutsche Jugendbewegung