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Ausgabe:

1959 Nr. 5

Spalte:

329-334

Autor/Hrsg.:

Tiililä, Osmo

Titel/Untertitel:

Die ältesten Übersetzungen der deutschen pietistischen Literatur in Finnland 1959

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 5

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Abstraktionen umgangen, sondern die heißen Eisen werden vom
Wort her angefaßt. Damit bedeuten diese Predigten gerade an
ihrem Platz eine starke und tröstliche Wegweisung. V. weiß,
was er als Dolmetscher des Evangeliums seiner Kirche und darum
auch seiner Zeit und Welt schuldig ist. „Soll es zum vornherein
auegemacht sein, daß in der Politik der Teufel siegt? Und wollen
wir Gottes Sieg von vornherein beschränken auf den Kirchenraum
und das Kämmerlein? . .. Auf die Manier könnte es geschehen
, daß der Teufel im Kirchenraum und Kämmerlein siegt,
während die Welt in ihrer unseligen Verblendung nach Versöhnung
hungert und dürstet" (72). Wie wichtig, daß das gesehen
ist und daraus die Konsequenzen für die Verkündigung gezogen
werdenl

Was uns Wischmann in seinem Bändchen „Gott ruft
un6"° bietet, sind in der Mehrzahl nicht eigentlich Gemeindepredigten
, sondern aus seiner Evangelischen-Akademie-Arbeit
entstandene Reden in Predigtform, die sich zumeist unter bestimmten
Anlässen an bestimmte Kreise wenden: an die Teil-

*) Wischmann, Adolf: Gott ruft uns. Predigten aus Hermanns-
burg und Loccum. Stuttgart: Klotz 1954. 176 S. kl. 8°. DM 5.—.

nehmer der 350-Jahrfeier des Rategymnasiums in Osnabrück,
an „Junge Industrielle", an „Journalisten", Studenten, Pädagogen
, Angehörige der jungen Generation, Wehrfragen-Interessierte
, Turner u. s. w. Ihr Zweck ist, diesen Gruppen den Ruf
Gottes in ihrer Sprache hörbar zu machen. Das geschieht unmittelbar
entgegenkommend, weltoffen und lebendig und doch
im ganzen Ernst der theologischen Verantwortung. Dabei spielt
die Heranziehung persönlicher Erlebnisse, Begegnungen, Gespräche
, Beobachtungen, Tagesereignisse eine große, dem Text
gegenüber mitunter allzugroße Rolle. Gleiche Erlebnisse werden
sogar wiederholt vorgebracht („Belsen" S. 108 u. S. 132). Obwohl
sich sehr eindrucksvolle Predigten in der Sammlung finden,
z. B. die über „das Scherflein der Witwe" (28 ff.), und von der
aus der Akademie-Arbeit erwachsenen Verkündigungsart homiletisch
mancherlei zu lernen ist, fragt man sich bei mancher
dieser ausgesprochen kasuell bestimmten Reden doch, ob sie
ihren Zweck und ihre Aufgabe nicht bei der Gelegenheit erschöpft
hat, bei der sie damals gehalten worden ist. Wenn der
z. Zt. immer noch gute Kredit von Predigtpublikationen aufrecht
erhalten werden 6oIl, wird unsere Auswahl der zum Druck geeignet
erscheinenden Predigten sehr sorgfältig sein müssen.

Die ältesten Übersetzungen der deutschen pietistischen Literatur in Finnland

Von Osmo T i i 1 i 1 ä, Helsinki

In den pietistisch gefärbten religiösen Erweckungsbewegun-
gen Finnlands sind zwei zeitlich und materiell etwas verschiedene
Erscheinungen zu unterscheiden, der sogenannte ältere
Pietismus mit augenscheinlichen Eindrücken von anderen
Ländern, besonders Deutschland und England, und der sog.
spätere Pietismus mit einflußreichen einheimischen Führern.
Schon am Ende des 17. Jahrhunderts sind die ersten pietistischen
Lebenszeichen spürbar; im Laufe de6 18. Jahrhunderts kann man
an vielen Orten eine Spannung zwischen der neuen Bewegung
und dem kirchlichen Stillstande und der Neologie der Aufklärungszeit
beobachten. Es sind vor anderen drei oder vier
Linien in dem ausländischen Einfluß, die hier Aufmerksamkeit
verdienen: August Hermann Francke hat schriftlich während
der Zeit des großen nordischen Krieges seelsorgerische Tätigkeit
unter den finnischen Kriegsgefangenen "in Sibirien geübt.
Als diese zurückkehrten, entstanden da und dort im Lande
kleine ekklesiolae der Pietisten. Gleichzeitig ist im ganzen
Norden der Einfluß der deutschen Separatisten fühlbar. Dasselbe
gilt etwas später der Brüdergemeine. Am wichtigsten scheint
doch die geistliche Belebung gewesen zu sein, die durch Übersetzungen
von pietistischen Andachtsbüchern entstanden war.
Die Leser haben keine scharfe Grenze zwischen der Botschaft
der englischen Bücher von reformiertem Ursprung wie z. B.
Arthur Dents Wahrer Bekehrungsweg und Thomas Wilckoxs
Honungstropfen und anderseits Gerhards, Arndts, Franckes
odcT Fritschs Schriften bemerkt. Luther war natürlich der größte
und autoritativste Lehrer der Gläubigen, aber es ist interessant
zu sehen, daß außer seinem Katechismus, der Vorrede zum
Römerbrief, die in der Bibel zu lesen war, und seinen geliebten
Psalmen sein Schrifttum dem finnisch sprechenden und lesenden
Volk lange fremd geblieben war. Es sind keine neuen Luther-
Ubersetzungen in Finnland im Laufe des 18. Jahrhunderts erschienen
. In dieser Situation ist der Einsatz von anderen Andachtsbüchern
, speziell den pietistischen, verständlich. Es scheint
auch als ob die schweren Zeiten eine zwiefache Wirkung gehabt
hätten: man sucht in den „alten Tröstern" Erquickung, aber
man i6t auch des Ernstes des Lebens tief bewußt. Gotte6 Gericht
steht vor der Tür. Nur Eines ist vonnöten, das Heil der Seele. -
Das Interesse für Luther erwacht eigentlich erst in den vierziger
Jahren des 19. Jahrhunderts, da die verschiedenen Richtungen
des späteren finnischen Pietismus während ihrer gegenseitigen
Kampfe ihre Anschauungen mit Luthers Autorität zu rechtfertigen
versuchten. Doch: es war nicht leicht, den Geist des
Pietismus in strengem konfessionellen Rahmen zu halten. Gleichzeitig
mit Luther-Übersetzungen wurden Übersetzungen von Thomas
a Kempis Bunyan, Jean Bernieres de Louvigny und selbst
Johann Tauler besorgt. Sachlich kehren ja die Wurzeln des Pietismus
zurück zu der mittelalterlichen Mystik, aber selbstverständlich
war es doch kaum, daß man in einem echt lutherischen Lande
und unter einem Volk mit feinem Gefühl für das Evangelische
im Glaubensleben noch so spät wie 1868 Taulers Predigten als
populäre Lektüre herausgeben konnte. (Die Sammlung, die 68
Predigten enthält, scheint auf die Edition von Sudermann vom
Jahre 1621 zurückzuführen zu sein. Sie ist in bearbeiteter Form
1842 in schwedischer Sprache erschienen. Wahrscheinlich stammt
die finnische Übersetzung von der letztgenannten.)

Johann Gerhards Meditationes sacrae gehören nicht zu
der eigentlichen pietistischen Literatur. Auf Grund seiner augenscheinlichen
Bedeutung für die pieti6tische Frömmigkeit ist es
doch sachgemäß, dieses berühmte Werk hier zu berücksichtigen.
Außerdem kommt ihm in Finnland eine zeitlich bahnbrechende
Stellung zu, denn schon 1680 hat es Gabriel L. Tammelinus, ein
pietistisch gesinnter Pfarrer, ins Finnische übertragen und zusammen
mit dem Exercitium pietatis von demselben Autor veröffentlicht
. Man kann kaum irgendeine frühere Übersetzung derartiger
Literatur in Finnland finden. Über die Rechtgläubigkeit
des Werkes bestand kein Zweifel, und die Stellungnahme der
kirchlichen Behörde war beistimmend. Allein: habent sua fata
libelli. Kaum war das Buch aus dem Drucke in Turku (Abo)
herausgekommen, als ein verheerendes Feuer einen großen Teil
der Stadt ruinierte und alle Exemplare des Buches vernichtete
außer einem, das dem König Karl XL zugesandt wurde. Eigentümlicherweise
hat ein anderes berühmtes pietistisches Werk in
Finnland ein ähnliches Los gehabt. Arndts „Wahres Christentum
" wurde ebenso unmittelbar nach der Drucklegung und ebenfalls
außer einem Exemplar des ersten Buches in dem schicksalsvollen
Feuerbrand von Turku 1827 vernichtet - ein kleiner Zusatz
zu den viel erzählten Geschichten von der wunderbaren Bewahrung
von Arndts Büchern, besonders dem „Paradiesgärtlein".
in diesem Falle doch nicht bloß in positiver Richtung!

Eine neue Auflage von den obengenannten Büchern Gerhards
wurde im Jahre 1688 mit ökonomischer Unterstützung des
Königs veröffentlicht. Der Übersetzer hatte gleichzeitig das kleine
Buch von Johann Jakob Schütz: „Christliches Gedenkbüchlein
zur Befördeiung eines anfangenden neuen Lebens" (auf deutsch
1675) übersetzt, und es wurde mit Gerhards Arbeiten zusammengebunden
. Es folgte mit diesen in drei Auflagen bis 1732; danach
wwde es dem Erweckungsbuch von Arthur Dent beigefügt. Der
in 6einen jüngeren Jahren pieti6tisch gesinnte Bischof Johan
Gezelius Junior, der mit Schütz bekannt war, hatte dessen Buch
schon früher ins Schwedische übersetzt; ob Tammelinus diese
Übersetzung gebraucht hat, bleibt ungeklärt. - Die späteren Auflagen
von Gerhard sind zahlreich, man zählt wenigstens elf. Die