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Ausgabe:

1959 Nr. 4

Spalte:

290

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohmeyer, Ernst

Titel/Untertitel:

Urchristliche Mystik 1959

Rezensent:

Delling, Gerhard

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289

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 4

290

Man erkennt an diesen Stichproben, daß ein geschlossenes
Bild von der Botschaft des Römerbriefes entsteht. Der besondere
Vorzug des Kommentars liegt in seiner logischen und historischen
Argumentation. Auch das reiche Material in Appendice II und III
ist für jede Weiterarbeit am Römerbrief außerordentlich fruchtbar.

IL

Ganz anders sieht der englische Kommentar von C. K.
Barrett aus, der in Blacks Kommentarreihe 1957 erschien. Auch
er nennt Vorgänger und Arbeiten, denen der Verfasser in seinem
Vorwort dankt. Daneben bekennt er, von M. Luther, J. Calvin
und K. Barth Wesentliches gelernt zu haben. Daß ein historisch-
kritischer und religionsgeschichtlich arbeitender Neutestamentier
in 6einem Kommentar sich zu diesem Bekenntnis entschließt, ist
von Bedeutung. Ein protestantischer Kommentar sollte niemals
an diesen Namen achtlos vorübergehen, obwohl sie nicht nur
Verheißung und Gabe, sondern auch Not und Sorge in sich
schließen. Eine relativ kurze Einleitung faßt die wichtigsten
Ergebnisse zusammen: der Römerbrief wurde zwischen Januar
und Marz 5 5 n. Chr. vor dem Aufbruch nach Jerusalem geschrieben
(vgl. Apg. 20, 3). Eine starke jüdische Kolonie war zur Zeit
des Pompejus in Rom entstanden (63 n. Chr.), und es ist anzunehmen
, daß die christliche Gemeinde sich ebenfalls a 1 s
Sondersynagoge gebildet hat. Zur Zeit der Abfassung
des Briefes war 6ie weithin, wenn auch nicht ausschließlich
heidenchristlich. Ähnlich wie hier legt Paulus „6ein Evangelium"
heidenchristlichen Gemeinden dar, die ihn nicht von Angesicht
zu Angesicht kennen. Die paulinische Theologie
bestand seit dem Damaskuserlebnis in einer doppelten Umwälzung
: war der Gekreuzigte der auferstandene Herr, dann mußte
einerseits der eschatologische Prozeß durch ihn in Gang gesetzt
sein, anderseits das Gesetz eine andere Bedeutung erhalten
haben als bisher. Der Römerbrief kann noch von dieser Umwälzung
im Denken des Apostels Zeugnis ablegen. Grundsätzlich
blieb Paulus Rabbi, aber die Umformung seines Denkens führt
doch zu entscheidenden Veränderungen. In der Frage nach der
ursprünglichen Form des Römerbriefes könnte man
die Konstruktion von K. E. Kirk zu Hilfe nehmen (vgl. das
Diagramm S. 1 3), bleibt aber doch besser bei der von H. Lietz-
mann S. 1 30 ff. 6tehen. Der Aufbau des Briefes vollzieht sich in
kleinen Abschnitten, die durch eine vorangestellte erläuternde
Übersetzung miteinander verbunden sind. Der anschließende Teil
der Erklärung des Textes geht sowohl auf philologische Einzelheiten
wie auf grundsätzliche Fragen der Theologie ein, verzichtet
aber auf eine wissenschaftlich durchgeführte Diskussion.
Einzelheiten, die besonders auffallen, dürfen hier erwähnt werden
: l. In Rom. 1, 3—4 haben wir eine alte Bekenntnisformel
vor uns, die au6 zwei antithetisch aufgebauten Gliedern besteht1
..auf dem Gebiet des Fleisches 6tammt er aus der Familie Davids
, auf dem Gebiet des heiligen Geistes wurde er als Sohn
Gottes eingesetzt". Die Formel, die heute mit bezeichnenden
paullnlichen Zusätzen versehen ist, klingt adoptianisch, ist aber
nicht seinsmäßig, sondern functionell zu verstehen. Wann diese
Einsetzung erfolgte, ist nicht gesagt; man könnte an die Taufe,
oder an die Auferstehung Jesu denken. 2. Rom. 1, 16-17 ist
gesondert zu untersuchen und bildet ein Zwischenglied zwischen
*j 8-15 und V. 18—32. Die Verse sind nicht nur das Thema des
Briefes, sondern auch eine Zusammenfassung der ganzen
faulini6chen Theologie. Das Evangelium besteht
HB Hcilshandcln der Kraft Gottes, die 6ich sdion in der Gegenwart
durchsetzt. Leben und Tod sind Wirkungen dieser Kraft,
* h- sie hat eschatologische Qualität. Der glaubende Gehorsam
unterwirft sich dieser Kraft und sieht in Kreuz und Auferweckung
Jesu Gott selbst am Werke. Der Glaube ist ausschließlich die
vom Menschen geforderte Basis. 3. Der Ursprung der Taufe liegt
ebenfalls in der Eschatologie. Sie will das Volk Gottes sammeln
und zu einem Wandel in einem neuen Leben ermutigen. Die
ne'lenistische Sakramcnt6lehre ist nicht der Ursprung von
Rom 6, l ff. 4. Die in Rom. 14, 1 ff. beschriebene Gruppe der
••Schwachen" erinnert an die Gncwtikcr in Kolossä, und man hat
vielleicht an eine Verbindung zwischen Judenrum und Gnosis zu

So knapp auch der Kommentar sein mag, so ist er doch gut
lesbar und in den Grundfragen zuverlässig und klar. Der
deutsche Ausleger wird nach dem Einfluß M. Luthers, J. Calvins
und K. Barths auf das Gesamtbild fragen. Er ist tatsächlich sowohl
in der kritischen Durchprüfung der theologischen Begriffe
wie in der glaubensmäßigen Substanz der Aussagen spürbar. Vergleicht
man die beiden Kommentare von J. Huby und C. K. Barrett
miteinander, wird man beiden sorgfältige Arbeit an der Schrift
zugestehen müssen. Die Akzente sind allerdings oft anders gesetzt
, und die systematische Verarbeitung bei J. Huby straffer
durchgeführt. Aber vielleicht hat auch die Zurückhaltung von
C. K. Barrett ihren besonderen Sinn.

Tübingen Otto Michel

Lohmeyer, Ernst: Urchristliche Mystik. Neutestamentliche Studien.
Darmstadt: Gentner 1956. 181 S. 8°. Lw. DM 12.80.

Der Titel kennzeichnet kaum den Inhalt der unter ihm zusammengestellten
Aufsätze. Er ist von deren erstem (1924) übernommen, der
gewiß thematisch besonders weitgespannt und grundsätzlicher Art ist,
dessen Überschrift aber weder L.s Auffassung vom Urchristentum
charakterisiert (,,der Gedanke an Mystik" ist „trotz mancher Berührung
in Einzelheiten dem gesamten Urchristentum ferngeblieben" [28])
noch seine eigene Stellung zur Mystik, die ein den Artikel abschließendes
Fichte-Zitat erkennen läßt (29). Der ungenannte Herausgeber kann
mit dem Gcsamttitel auch nicht die hintergründige Interpretationsweise
andeuten wollen, die gelegentlich bei L. begegnet, in dieser Sammlung
hauptsächlich in einem zuerst in Nieuw theologisch Tijdschrift I9341
erschienenen Aufsatz „Und Jesus ging vorüber"; daß sich In dieser Wendung
Fremdheit und Geheimnis der göttlichen Gestalt, auf die sie bezogen
ist, kundtut, läßt sich m.E. nicht einmal für Joh. 9,1 im Kontext
begründen. Die übrigen vier Aufsätze behandeln wie im ganzen der
letztgenannte synoptische Stoffe; man hätte unter Aufnahme von ein
oder zwei weiteren2 einen geschlossenen Band gewonnen, für den sieb
ein zutreffenderer Titel finden ließ.

In einem Vortrag „Vom Sinn der Gleichnisse Jesu" (1938) unterscheidet
L. eschatologische Gleichnisse, die der „Verkündigung vom
Himmelreich" (besonders bei Matth.) dienen, und paradigmatische, die
ein „Mittel religiöser Lehre und Belehrung" darstellen (besonders bei
Luk. [133]); L. untersucht die spezifische Bedeutung der Verwendung
des Gleichnisses innerhalb der Verkündigung Jesu. In „Das Gleichnis
von den bösen Weingärtnern" (1941) deutet L. den Weinberg auf den
jüdischen Tempel, der den Priestern genommen und den galiläischen
Anawim gegeben werde, wenig überzeugend, auch wenn sich inzwischen
dazu noch einzelnes Material au« der Qumrän-Literatur anziehen ließe;
nicht nur L.s Kommentar zu Mark., sondern auch der zu Matth, deutet
denn auch den Weinberg auf die baslleia; doch versteht der letzte das
„andere Volk", das ihm empfängt, als die Christen im jüdischen
Volk. — Jede ernsthafte Bemühung, die synoptischen Berichte über „Die
Versuchung Jesu" (1937) dem Verständnis zu erschließen, wird man um
der Schwierigkeit der Texte willen besonders aufmerksam studieren:
L. interpretiert von literarischen und inhaltlichen Gesichtspunkten her
vor allem ihre einzelnen Elemente. Die Ausführungen hier und in L.»
Matth.-Kommentar erläutern und ergänzen sich gegenseitig. — In „Von
Baum und Frucht" (1931) schließlich erarbeitet L. (zu Matth. 3,10) weitgreifende
Aussagen der Theologie des Täufers.

Die formale und sprachliche Gestaltung der von Anmerkungen
fast völlig freien Aufsätze, besonders auch der oft künstlerische, jedenfalls
immer sorgfältige Stil, wird dem Buch einen Leserkreis weit über
den der Fachleute hinaus verschaffen können; es ist denkbar, daß sie
unter diesem Gesichtspunkt ausgewählt wurden.

Halle (Saale) Gerhard Delling

') Alle anderen Aufsätze in Zeitschr. f. syst. Theologie.
2) Vgl. die Bibliographie der Aufsätze: In memoriam Ernst Lohmeyer
(1951) 369-371.

Barth, Markus: Baptism and Evangelism.

Scottish Journal of Theology 12, 1959 S. 32—40.
Bartsch, Hans-Werner: Zum Problem der Parusieverzögerung bei

den Synoptikern.

Evangelische Theologie 19, 1959 S. 116—131.
Bassarak, Gerhard: Glauben wir an die Wunder Jesu?

Die Zeichen der Zeit 13, 1959 S. 82—90.
B u r k i 11, T. A.: St. Mark s Philosophy of the Passion.

Novum Testamentum II, 1958 S. 245—271.
C 1 a v i e r, H.: Les sens multiples dans le Nouveau Testament.

Novum Testamentum II, 1959 S. 185—19».