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1959 Nr. 4

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 4

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sozialen Haß vorbildhaft gelost hat" (S. 61). So erscheint Zinzen-
dorf soziologisch als Angehöriger wie als Überwinder des
Barockzeitalters; theologisch und literarisch ist er ihm durch die
autoritative Bewertung der Erfahrung zugeordnet. Hier scheint
mir der Objektivismus 6einer Christusanschauung, d. h. das Datum
der Inkarnation, unterschätzt. Heinz Renkewitz, der gründliche
Kenner des mystischen Spiritualismus in der Ge6talt Hochmanns
von Hochenau und verdienstvolle Zinzendorfbiograph
skizziert auf dem Hintergrunde der bisherigen Forschung von
Bernhard Becker bis zu Gösta Hök die Theologie de6 Grafen und
würdigt 6ie als Offenbarungstheologie, Kreuzestheologie, Gemeinschaftstheologie
mit ökumenischem Sinn und missionarischem
Willen. Wilhelm Jannasch zeigt in feinsinniger Weise den Grafen
als Liturgen, wobei er die Spannung zwischen seiner persönlichen
liturgischen Haltung und seinem Verständnis für die liturgischen
Schöpfungen der Kirche aller Zeiten, ßeiner Verwurzelung im
Luthertum und seiner freigestaltenden Phantasie hervorhebt. Als
die maßgebenden Daten treten die Singstunden und die Gemeintage
heraus. Ernst Benz stellt die ökumenische Aktivität des
Grafen in Europa und dem jungen Nordamerika dar und arbeitet
dabei treffsicher sowohl die Unterschiede zur bisherigen stärker
konfessionsgebundenen Mission als auch die Rückwirkungen auf
sein Kirchenverständnis heraus — Züge, die Fritz Blanke (Zinzen-
dorf und die Einheit der Kinder Gottes 1950) noch etwas schärfer
profiliert, vor allem den fein beobachteten Unterschied zwischen
dem historisch belasteten Boden Europas und dem jungfräulichen
der Neuen Welt. Der Reichtum gerade dieses Kapitels
fordert sorgfältige eigene Lektüre. Heinz Renkewitz geht sorgsam
dem wirksamsten Erzeugnis herrnhutischen Lebens, den
biblischen Losungen, in ihreT Gestaltung durch Zinzendorf selbst
nach und erreicht so den Nachweis ihres letztlich liturgischen
Charakters: sie wurzeln im Gebet der Kirche.

Alles in allem eine vorzügliche Charakteristik des Grafen
nach wesentlichen Seiten seines Wirkens durch erste Fachkenner.
Vollständigkeit war nicht beabsichtigt und konnte nicht geleistet
werdea So fehlen seine pädagogischen, wirtschaftlichen und
kirchendiplomatischen Grundsätze und Ergebnisse. Auch hätte
eine genauere kirchengeschichtliche Einordnung das Bild noch
plastischer gestaltet.

Berlin Martin Schmidt

T h i e 1 i c k e, Helmut: Theologische Verkündigung in der modernen
Welt — Rede zur Verleihung des Goethe-Preises an Paul Tillich.
Universitas 14, 1959 S. 149—158.

ALTER ORIENT

Gray, John, Rev. M. A„ B. D„ Ph. D.: The Legacy of Canaan. The

Ras Shamra Texts and their Relevance to the Old Testament. Leiden:
Brill 1957. X, 243 S. gr. 8° = Supplements to Vetus Testamentum
Vol. V. Lw. hfl. 34.-.

Eine beachtliche Reihe von Einzeluntersuchungen zum Verständnis
der 6cit 1929 bekannt gewordenen kanaanäischen Texte
von Ras Schamra, durch die John Gray im letzten Jahrzehnt hervorgetreten
ist1, hat dem vorliegenden Werk, als dem gelungenen
Versuch einer umfassenden Darstellung des ,kanaanäischen Erbes
krads, zu einer recht soliden Basis verholfen. Es erhöht noch
den Wert von G.s Darstellung, wenn er sich dennoch keineswegs
nur einseitig auf die Aussagen der Texte von Ras Schamra 6tützt,
sondern darüber hinaus auch altoricntalisches Material anderer
Herkunft heranzieht, 6ofern es nur zu einem möglichst sachgemäßen
Bild vom alten Kanaan etwas beitragen kann.

In einem ersten Kapitel, „Ugarit and its records", gibt G.
referierend einen Einblick in die Forschungsgeschichte, womit er
freilich zumeist gleich eine erste eigene Stellungnahme verbindet.
Auch wird bereits hier die geschichtliche und geographische
') Außer der in Anm. 2 genannten selbständig erschienenen Veröffentlichung
sei hier nur auf einige umfangreichere Zeitschriftenaufsätzc
C s verwiesen: The Descrt God Attr in the Literature and Religion of
Canaan. JNES VIII, 1949, S. 72 ff.; Cultic Affinities between Israel and
RasShamia, ZAW LXII, 1949, S. 207 (f.; The Hunting of Baal, JNES X,
195'. S. 146 (f.; Canaanite Kingship in Theory and Practice, VT 11.
1952. S. 193 ff.; Canaanite Mythology and Hebrcw Tradition, Trans-
a«ions of the Glasgow University Oriental Society XIV, 1953, S. 47».

Situation, der die Ras Schamra-Texte entstammen, als sehr
wesentliches Moment für da6 Verständnis ihres Inhaltes erarbeitet
. Praktische Anwendung erfährt dieser Grundsatz dann zunächst
im zweiten Kapitel, das den Kreis der Baal-Mythen behandelt
. Die wichtigsten Partien der Texte werden jeweils in
Umschrift und Übersetzung mit den notwendigen philologischen
Anmerkungen und unter weitgehender Berücksichtigung der
Fachdiskussion dargeboten. Die mythischen Texte des Baal-
Zyklus werden, wie es heute allgemein geschieht, in enger Verbindung
mit dem Jahresablauf des kanaanäischen Ackerbauern
gesehen und von diesem Gesichtspunkt aus interpretiert. Als
-Sitz im Leben' gelten die entsprechenden Situationen im Jahres-
festkreis. Diese kultische Grundlage spielt nach G. auch in den
beiden großen Überlieferungen epischen Charakters, dem Dn'il-
und dem Krt-Text,. die im dritten Kapitel behandelt werden,
eine wichtige Rolle. Beim Dn'il-Text legt G. in diesem Zusammenhang
besonderes Gewicht auf die enge Verbindung von König
und Fruchtbarkeit. G. erkennt in Dn'il den königlichen „dispenser
of fertility" (S. 85) und stimmt in der Deutung der Gestalt
seines Sohnes Aqht mit jenen Interpreten überein, die es
nicht für zufällig halten, daß Aqht's Tod mit dem Abschluß der
Ernte zusammenfällt, und deshalb an eine Verwandtschaft mit
dem sterbenden und auferstehenden Vegetationsgott denken.
Allerdings liegt G. eine mythische Interpretation des Textes aus
guten Gründen fern. Er vermutet vielmehr in dem Sterben Aqht's
lediglich einen Nachklang des urtümlichen Brauches, den König
selbst der Gottheit als Fruchtbarkeitsopfer darzubringen (S. 91).
Den ,Sitz im Leben' des Textes sieht G. — zumindest „originally"
(S. 93) - in einem Ritual für den König, das nach Abschluß der
Ernte im Hinblick auf die erneut beginnende Ackerbautätigkeit
oder im besonderen Falle einer Hungersnot seine Anwendung
gefunden haben kann. Während G. dem Dn'il-Text vorwiegend
Aufschlüsse über die Stellung des Königs zur Natur entnimmt,
ist ihm der Krt-Text, der anschließend im Auszug wiedergegeben
wird, zugleich auch eine ergiebige Quelle für Aussagen über das
Verhältnis von König und Gesellschaft und über das spezielle
Priesteramt des ugaritischen Herrschers. Ebenso wie beim Dn'il-
Text wird zwar ein mythisches Verständnis des Textes abgelehnt
(S. 14, 94) und die Herkunft des Textes aus dem Bereich des geschichtlichen
Lebens klar erkannt; aber dennoch versucht G. —
freilich wenig überzeugend — eine Beziehung zum Neujahrsfest
nachzuweisen (S. 15).

Von besonderer Wichtigkeit für den Theologen ist Ka-
P'tel IV: „The Religion of Canaan." Zuerst erfahren die Göttergestalten
von Ras Schamra eine ausführliche Untersuchung, nicht
zuletzt hinsichtlich ihrer Berührung mit alttestamentlidhen Traditionen
. Nicht weniger wichtig ist der folgende Abschnitt, der
sich mit den in den Ras Schamra-Texten zu belegenden kultischen
Spezialbegriffen beschäftigt. Im Bezug auf ihr Verhältnis zu entsprechenden
alttestamentlichen Bezeichnungen kultischer Gegenstände
und Handlungen kommt G. zu dem Ergebnis, daß nur in
jenen Begriffen eine klare Übereinstimmung besteht, die überhaupt
im Altertum des Vorderen Orients als Allgemeingut gelten
können (z. B. dbh, mtn, ndr u. ä.), während die speziellen Kulttermini
Israels im Ugaritischen gerade nicht eindeutig zu belegen
sind (S. 140 ff.). Dagegen zeichnet sich der Einfluß alt-
kanaanäischer Kulttraditionen sehr viel deutlicher in der Übernahme
von Vorstellungen der Ackerbaureligion ab. Auch dem
Kultpersonal ist ein besonderer Abschnitt gewidmet. Hauptauskunft
über die priesterliche Tätigkeit des Königs gewinnt G.
aus den beiden großen epischen Texten, während für die Kenntnis
des Berufspriestertums nur administratives Material zur Verfügung
steht. Als auffallender Unterschied zum Alten Testament
wird bemerkt, daß sich ein besonderer Propheten6tand innerhalb
des Kultpersonals bislang nicht nachweisen läßt. Die soziale Ordnung
ist Gegenstand des umfangreichen fünften Kapitels. Ausführlich
wird die Bedeutung des Herrschers als Haupt der Gesellschaft
und Mittler zwischen der Welt der Götter und der Menschen
behandelt2. Besondere Beachtung verdienen G.s Ausfüh-

s) G. beruft sich hierin vor allem auf die Angaben des Krt-Tcxtcs.
den er in dieser Hinsicht bereits in einer früheren Veröffentlichung ausgewertet
hat: The Krt Text in the Literature of Ras Shamra. A Social
Myth of Ancient Canaan, Leiden 1955.