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Ausgabe:

1959 Nr. 4

Spalte:

273-275

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Friedrich Wilhelm Foerster, das Gewissen einer Generation 1959

Rezensent:

Müller, Alfred Dedo

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 4

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Rosemarie Franz - Berdau macht im gleichen Band mit zwei
Oblatendosen aus Berliner Kirchenbesitz bekannt. Es handelt sich
um eine schlichte silberne, 1672 der Marienkirche gestiftete
Oblatendose, die der Berliner Goldschmied Daniel Männlich d. Ä.
fertigte, sowie um eine 1693 von Männlich der Nicolaikirche
gestiftete silberne Oblatendose. Das Ungewöhnliche an letzterer
ist, daß Männlich als Kernstück des liturgischen Geräts keine
Arbeit seiner Hand, sondern das Werk eines wohl in Nürnberg
tätigen oder geschulten Renaissance-Goldschmieds verwendete
und sich darauf beschränkte, einen Deckelknauf mit freistehendem
plastischen Kruzifixus sowie 2 Medaillen im Inneren der Dose
hinzuzufügen. Der folgende Aufsatz von Joachim Weschke „Ein
Berliner Goldgulden aus dem Jahre 1538" lenkt die Aufmerksamkeit
auf eine unter der Regierung Joachims IL von Brandenburg
geprägte Goldmünze, jetzt wohl ein Unicum. Die Vorderseite
des Guldens zeigt Johannes Baptista in ganzer Figur. Der
letzte hier zu nennende Beitrag von Günther Ristow behandelt
eine neuerworbene russische Ikone „Maria und der brennende
Busch". Die Ikone, die ein Gegenstück in der Tretjakow-Galerie
in Moskau hat, wird der Blütezeit der Ikonenschule der Familie
Stroganow (Mitte 17. Jahrhundert) zugeschrieben.

Dem wertvollen und vielseitigen Inhalt beider Bände entsprechen
der sorgfältige Druck auf bestem Papier, die Ausstattung
mit zahlreichen vorzüglichen Abbildungen und die von interessant
gestalteten Schutzumschlägen umfangenen soliden Leineneinbände
.

Der nächste Band der „Forschungen und Berichte" folgt
hoffentlich bald. Möchte auch er dartun, daß an der Vermehrung,
Erforschung, Restaurierung und Wiederaufstellung der Berliner
Museum66chätze erfolgreich weitergearbeitet wird.

Leipzig Hellmuth Bethet

[Foerster:] Friedrich Wilhelm Foerster, das Gewissen einer Generation
. Hrsg. v. d. Friedrich Wilhelm Foerster-Gesellschaft e. V. Sitz
Bonn. Recklinghausen: Paulus Verlag 1953. 48 S. 8°. DM 2—.

Das Heft will dem deutschen Leser aus Anlaß seines 84. Geburtstages
den Pädagogen Friedrich Wilhelm Foerster wieder ins
Bewußtsein bringen, der wegen der „Ausmerzung" seiner Schriften
durch den Nationalsozialismus heute entweder völlig unbekannt
oder nur im Zerrbild seiner politischen Gegner bekannt
sein dürfte. Wie notwendig dieser Versuch der Wiederherstellung
eines unverfälschten Bildes von Person und WeTk Foersters ist,
zeigen gleich die ersten beiden Artikel des Heftes. Sie bringen
einen „Angriff der Wochenzeitung ,Die Zeit' gegen Professor
Fr. W. Foerster" und Foersters „Entgegnung". Vom „Angriff",
der den Titel „Da6 böse, böse Deutschland" trägt, kann man
leider nur sagen: Er mutet wie aus der Mottenkiste der nationalistischen
Journalistik der zwanziger, dreißiger Jahre an. Dem
Verfasser ist einfach nichts Neues eingefallen. Er stellt Foer6ter
dem Publikum unter dem Klischee „einst radikaler Pazifist, jetzt
blinder Has6er" vor. Es lohnt 6ich nicht, auf die Einzelheiten einzugehen
. Dem Artikel ist leider nichts weiter zu entnehmen, als
daß der Verfasser weder vom Werk noch von der Person F.s eine
Vorstellung hat. Jedenfalls kann solche gedankenlose Weitergabe
leider anscheinend immer noch gängiger Klischees in bezug auf
einen deutschen Gelehrten von Weltruf und die von ihm vertretenen
nationalen Anliegen nur den schlechtesten Eindruck vom
augenblicklichen Stand der geistigen Kultur in Deutschland machen
— und das sollte 6ich doch jemand überlegen, der den außerdeutschen
Leser anreden und die Weltmeinung vom „bösen,
bösen Deutschland" korrigieren will.

Foerster charakterisiert seine nationalen Anliegen in seiner
..Entgegnung" so, daß alle6, was er vor und nach 1945 zum deutschen
Schicksal gesagt hat, au6 der „Hoffnung auf eine bessere
deutsche Zukunft" komme, daß er sich allerdings gerade aus
nationaler Verantwortung verpflichtet wisse, vor sehr realen
Gefahren zu warnen, von denen er sie noch immer bedroht sieht.
Er nennt die Sorge vor neuer nationalistischer Propaganda, die
allzu problemlose Berufung auf Recht und Moral, etwa im Hinblick
auf die „geraubten Ostgebiete", ohne die gleichzeitige unmißverständliche
konkrete Absage an alles, was „der toll gewordene
Nazismus" an „restloser Verneinung der Idee des Rechtes

vollbracht hat und was auch vorher, etwa Polen gegenüber, aus
der „preußisch-militaristischen und nationalistischen Tradition"
heraus schon geschehen ist. Es geht ihm jedenfalls um die
psychologischen und „moralischen Bedingungen der Rettung"
Deutschlands. Wer hier gegen ihn opponieren will, muß erkennen
lassen, daß er das von Foerster aufgezeigte Problem wirklich
6ieht und muß bessere Vorschläge zu seiner Lösung machen.
„Nichts ist mehr zu wünschen, als daß die kommende Entwicklung
nicht unter dem Zeichen einer barbarischen Vergeltung für
einen barbarischen Eroberungskrieg bliebe, und daß eine brutale
Sicherstellung gegen eventuelle brutale Absichten nicht das oberste
Ziel der Völkerpolitik bleibe" (S. 14). Kann man die wahre weltpolitische
Aufgabe Deutschlands etwa nicht darin sehen, der
übrigen Welt „die Wege und den Zugang zu den wahren Gütern
der abendländischen Zivilisation zu vermitteln", die „unvergleichlich
mehr ist als der bloße Kapitalismus" (S. 14)? Oder was hat
man eigentlich dagegen einzuwenden, daß nach Foersters Überzeugung
„die Demokratie in ihrem tiefsten Sinne nicht ein englisches
oder amerikanisches, sondern ein universales Gut ist,
nämlich der politische Ausdruck von 2000 Jahren christlicher
Zivilisation"? (S. 14). Es ist nur natürlich, daß er von da au6 nicht
mit allem einverstanden ist, was man so gemeinhin demokratisch
nennt und daß er „eine neue deutsche Ideologie" für notwendig
hält, „durch die Deutschlands weltpolitische Aufgabe inmitten
einer veränderten Welt zu deutlichem Bewußtsein gebracht"
würde.

Der Beitrag von Ministerialrat Prof. Dr. Joseph Antz, der
unverkennbar auf intimer Kenntnis der Lebensarbeit Foersters
beruht, geht von der Feststellung au6, daß seit dem Erscheinen
von Rousseau's Emile „kein zweiter pädagogischer Schriftsteller
in Europa durch die Macht seines geschriebenen Wortes eine dermaßen
weltweite Wirkung hervorgebracht hat, wie Friedrich
Wilhelm Foerster". Die zehn bekanntesten 6einer Bücher haben
eine Gesamtauflage von mehr als einer halben Million erreicht
und haben über 30 Jahre, trotz alles dagegen angewendeten Boy •
kottes, ihre Aktualität behalten. Das „Geheimnis seiner Wirkung
" wird darin gesehen, daß er, selbst „im Bannkreis freidenkerischen
Menschentums aufgewachsen", die „Brüchigkeit einer
rein weltlich orientierten ethischen Kultur" durchschaute, von da
au6 zu einer ganz persönlichen Wiederentdeckung des Christentums
gelangte und so für eine Auseinandersetzung mit den
-geistigen, religiösen, sozialen und politischen Problemen der
Zeit" ganz neue Horizonte gewann. Die geistige Grundhaltung,
die sich in dieser Auseinandersetzung bewährt, ist eine „universale
Geistigkeit" und eine realistische Vertrautheit mit allen
fragen der modernen Wirklichkeit. Inhaltlich geht es immer um
das „in der realistischen Sicht des Christen gesehene wahre Bild
des Menschen", das auch für die Wendung zum Politischen entscheidend
ist.

Im folgenden Beitrag behandelt auch Frau Prof. Dr. Renate
Riemeck in einer Antrittsvorlesung das Menschenbild Foersters.
Sie findet in ihm die Tradition einer „realistischen Menschenkunde
" wieder aufgenommen, wie 6ie die großen französischen
Moralisten Montaigne, La Rochefoucauld, Chevalier de Mere und
alle überragend Blaise Pascal begründet haben. Dabei ist „nicht
von einem Begriff, sondern von der durch ein bestimmtes
Wertgefühl gelenkten Beobachtung des wirklichen Menschen"
ausgegangen. Foerster geht im Unterschied von den modernen
Erziehungstheoretikern in seiner Bemühung um „eine neue Grundlegung
des pädagogischen Denkens und Handelns" weder vom
Idealbild der 6ittlich-autonomen Persönlichkeit, noch von einer
„naturwissenschaftlich-experimentellen Ergründung der konkreten
menschlichen Wesenszusammenhänge", sondern vom „wirklichen
Menschen" aus. Dabei berühre er sich vor allem mit Pascal
in der Forderung einer „harten, schonungslosen Selbsterkenntnis
", die allein die „gefährliche Doppelheit des Menschen" erkennbar
mache. Nur so könne der Mensch als das erkannt werden
, was er ist: „ein gefährdetes und gefährliches Wesen", so
wie das „uralte Bild der Sphinx" e6 darstellt: „oben ein majestätisches
Menschenantlitz, unten ein Krallentier, das ist das ewige
Rätsel des Menschen . . .". Erziehung wird von da aus erst möglich
, wo „unbestechliche Menschenkenntnis und aufrichtige Menschenliebe
" miteinander vereinigt sind. Der Erzieher muß „das