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Ausgabe:

1959 Nr. 4

Spalte:

255-264

Autor/Hrsg.:

Beyreuther, Erich

Titel/Untertitel:

Die Gestalt Mohammeds in Gottfried Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie 1959

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 4

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seiner Schönheit, wobei er anmutiger (%ägig) ist als (nagd) I alle
Schöpfungen des Chaos. Als die Götter / und ihre Engel {äyyrkog)
den Eros sahen, (10) da («fr«) verliebten sie sich alle in ihn. Als
er sich aber in ihnen / allen offenbarte, verbrannte er sie. Wie
/ an einer einzigen Lampe sich viele Lampen / entzünden und dasselbe
Licht dort ist, die Lampe / aber nicht kleiner wird, so zerstreute
sich auch (15) dieser Eros unter alle Schöpfungen des
Chaos / und wurde (doch) nicht kleiner. Wie {xax&-) aus der /
Mitte (/jsaöirjs) zwischen dem Licht und der Finsternis / der Eros
sich offenbarte, so / vollendete sich inmitten (fieooiyg) der Engel
(Syyslog) und Menschen (20) der Beischlaf (awovata) des Eros
/ auf der Erde. Es erblühte die erste / Lust {f)&. vrj). Die Frau
folgte der Erde"3. / Und die Hochzeit (yä/*og) folgte der Frau. Die
/ Erzeugung folgte der Hochzeit (ydfiog). Die Auflösung (25)
folgte der Erzeugung64. Nach jenem Eros / sprossen zehntausend
Weinstöcke aus / jenem Blute, das auf die Erde ausgegossen
/ worden war, hervor. Deswegen erzeugen die, die ihn (den Wein)
/ trinken, bei sich die Begierde (exitivfiia) nach dem Beischlaf
(pvvovoia).

(30) Nach den zehntausend Weinstöcken sprossen zehntausend
/ Feigenbäume und zehntausend Granatäpfelbäume auf
/ der Eide, und die übrigen Bäume / nach ihrer Art (xa-cä yf.voc),
die ihren Samen {anig/ia) I in sich tragen05, aus dem (158, l)
Samen (oneg/ua) der Mächte (e£ovota) und ihrer Engel (äyyeXog)*6. I

63) Vermutlich ist mit dem Satz gemeint: die Frau für Adam
(= Eva) entstand aus Erde, was Gen. 2, 7 nur von Adam selbst erzählt
wird; vgl. dagegen AJ BG 59,12—19; Lab 1 70,34 — 71,4, wo das
Weib nicht aus einer Rippe geformt, sondern ebenso wie der Mann gebildet
wird.

M) Damit ist der tödliche Kreislauf geschlossen, denn Auflösung
bedeutet Rückverwandlung in Erde.
85) Vgl. Gen. 1, 11 f.

°6) Es wird vorausgesetzt, daß, wie die Pronoia ihr Blut auf die
Erde hatte fallen lassen, so auch alle anderen Archonten ihren Samen
auf die Erde herabströmen ließen, ohne daß uns der Text den Anlaß
dazu andeutete. Man darf vielleicht annehmen, daß die Schönheit der
Eva die Archonten so begehrlich machte, daß sie die Pollution nidit
verhindern konnten; oder aber der Samenerguß war erfolgt, als die
Archonten in Liebe zu dem Eros entbrannten (157, 8—11).

Dann (rcfo) schuf die Gerechtigkeit (<Sixaioavvt))" das schöne
/ Paradies (jiagddeiaog), das sich außerhalb des / Mondkreises
(xU"?) und des Sonnenkreises {xvxlog) befindet, in (5) dem
üppigen (rov<p7 Lande, das im Osten inmitten / der Steine liegt.
Und die Begierde hn#vftta) ist inmitten / der 6chönen und
hohen Bäume. Und / der Baum des unvergänglichen Lebens, so
wie er / sich geoffenbart hat durch den Willen Gottes"", (10)
steht im Norden des Paradieses (xagddeioog), um die / Seelen
(y)vxv) der Heiligen, die aus den / Gebilden (nlda/ta) der Armut
kommen, am / Ende (ovvtM.fiu) des Aonsi aiwv) unsterblich
(öiWv/iro?) zu machen. Da6 Licht / des Lebensbaumes ist aber
wie das der Sonne. Und (15) seine Zweige (xlddog) sind 6chön.
Seine Blätter gleichen / denen der Zypresse (xvnägwoog). Seine
Frucht (xnQnö;) gleicht / den Weintrauben und sieht weiß aus.
Seine Höhe / erreicht den Himmel. Und neben ihm steht der
Baum / der Erkenntnis (yvcöcnc), der die Kraft (dvvafug) Gottes
(20) besitzt. Sein Glanz ist wie der des Mondes, wenn er / sehr
leuchtet. Und seine Zweige sind 6chön. / Seine Blätter gleichen
den Feigenblättern. / Seine Frucht (xagjiög) gleicht den guten,
großen / Datteln. Dieser aber steht (ebenfalls) im Norden des
Paradieses (xagdScinng), (25) um die Seelen (ywxrj) aus der Ver-
gessenheit / der Dämonen (<W^a>») zu erwecken, damit sie zu /
dem Baum des Lebens kommen, seine / Frucht (xagndg) essen
und die Mächte (i^ovai^ mitsamt / ihren Engeln (äyytlot) verurteilen
(xataxQlvmv). Die Wirkung ((bioteXeofia) (30) dieses
Baumes 6teht in dem Heiligen Buch (legä ßt'ßkng) geschrieben: /
,,Du bist der Baum der Erkenntnis (yvßots), I der im Paradiese
(nanäSnoos) steht, von dem der erste / Mensch gegessen hat,
worauf sein Verstand (vovg) klar wurde, / so daß er sein Ebenbild
liebte und verurteilte (xazaxgivEiv)"*9 (Ende der Seite 158).

87) D.h. wohl der Gott der Gerechtigkeit, nämlich Sabaoth; vgl.
154, 12—19.

Mit Gott ist hier wohl das oberste Gottwesen der Achtheit,
der unsterbliche Mensch, gemeint. Das Paradies stammt von Sabaoth,
der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von dem unsterblichen
Menschen.

e9) Das Objekt des Verurteilens folgte auf der nächsten, verlorengegangenen
Seite; es muß sich um irgendeinen Namen oder eine Bezeichnung
des Demiurgen gehandelt haben.

Die Gestalt Mohammeds in Gottfried Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie

Von Erich Bevreuther, Leipzig

Es kann uns bei Gottfried Arnold nicht überraschen, wenn
er in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie auf die Türkenfrage
eingeht und eine Deutung der Persönlichkeit Mohammeds versucht
. Es ist ihm sofort anzumerken, daß er in einer Zeit schreibt,
in der die Türkenfrage nicht mehr eine die Gemüter erregende
politische Not bedeutet1. Ungarn und Siebenbürgen, die
im Stimmungsbarometer zahlloser Türkenbüchlein eine ausschlaggebende
Rolle spielen, sind vom Erbfeind wieder frei geworden2
. Die Gewitter sind abgezogen. Mögen noch einige verspätete
Schläge nachhallen, die Luft ist rein und klar geworden.
Gegen die Türkengefahr braucht Arnold nicht mehr zu predigen.
So schlägt er einen kühlen Ton an, der vor wenigen Jahrzehnten

*) 1683 und in den folgenden Jahren lebt unter päpstlicher Führung
zum letzten Male eine Kreuzzugsbegeisterung im Abendland auf,
die mit der Eroberung Belgrads 1688 ihren Höhepunkt und Abschluß
erreicht.

') Vgl. Philipp Nicolai, De regno Christi — in der mir zugänglichen
Übersetzung durch Mag. Gothardus Artus, Danzig, Lüneburg 1627,
Seite 120, 130, 105.

D. Tobias Wagner, „Türckenbüdilein", Ulm 1664, Seite 186/87
und 283 — Wagners „Türckenbüdilein" gilt als Standardwerk im
17. Jahrh. Joh. Heinrich Ursinus verzichtet in seinem Büchlein „Historisch
und theologischer Bericht vom Unterschied der Religionen", Nürnberg
1666, unter Verweisung auf Wagner auf eine selbständige Behandlung
des Türkenproblems.

Vgl. auch Johannes Olearius, Türckenfall, Leipzig 1664, Seite 133
und Johann Lystenius, Beht-Buß-Sturm und Türken-Glokke, Erffurdt,
1661, Seite 25 f.

D. Carl Ihmels zum 70. Geburtstag

noch unerträglich gewesen und leidenschaftlich abgewiesen
worden wäre.

Bei Gottfried Arnold taucht plötzlich etwas völlig Neue«
auf: eine ganz andere Zeichnung des Lebens Mohammeds, die
aus der stereotypen Bilderserie von dem „Betrüger und Teufelsdiener
" völlig herausfällt. Arnold nähert 6ich Luthers Einstellung
, die in der Leidenschaft des Gefechtslärmes bald 200 Jahre
vergessen worden ist. Luther vermag sehr deutlich gegen die
landläufige Polemik zu wettern, die von vornherein 6ich nicht die
Mühe gibt, die Persönlichkeit Mohammeds und mohammedanische
Frömmigkeit einer sachlichen Würdigung zu unterziehen.
Man poltert sofort los, ohne den Gegner wirklich zu kennen'.

Gottfried Arnold will ja „unparteiisch" sein. Er sondiert.
Die Türken haben Mohammeds Bild auf Goldgrund gemalt. Bei
den Griechen sind Mohammeds Züge völlig verzerrt worden.
Hier hat die Liebe und Voreingenommenheit ein kitschiges
Heiligenbild gemalt, dort habe die Bitterkeit über den Verlust
der politischen Freiheit und die harte Demütigung der christlichen
Kirche durch den türkischen Sieger den Pinsel geführt.
Beide Bilder sind für Arnold unbrauchbar. Und nun entwirft er
ein völlig neues Bild, das Bild des „armen M u h a m m e d".
Das ist eine unerhört neue Sprache, wenigstens im deutschen
Raum, von einer Tragik im Leben des „armen Mohammed" zu
reden. Da zieht nach Arnolds Schilderung ein Gottsucher aus.

9) Vgl. Karl Holl, Luther und die Mission (in Ges. Aufss. HL
1928, S. 234 ff.).