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Ausgabe:

1959 Nr. 3

Spalte:

210-212

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Dürig, Walter

Titel/Untertitel:

Pietas Liturgica 1959

Rezensent:

Nagel, William

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 3

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minanten bewährt, ohne der gewachsenen geschichtlichen Gestalt
des Gottesdienstes Gewalt anzutun. Und schließlich jene Haltung
echter Seel-Sorge, die weiß, was auf dem Spiele 6teht, und die es
um der Liebe willen nicht verschmäht, in jedem Augenblick praktisch
, konkret, faßlich und anschaulich zu werden. So stellt dieses
Buch eine erstaunlich lebende, warmherzige und liebevoll werbende
gottesdienstliche Paränese dar (eine Paränese nicht i m,
sondern zum Gottesdienst), bei der die liturgische Belehrung
leicht und ohne magistrale Allüre mit einfließt. Das wirkt sich
bis in die Sprache aus, die sich jedes erbaulichen Tones enthält,
kurze Sätze bevorzugt und durch kühne Bilder, originelle Drastik
und ungewöhnliche Formulierungen zum Aufhorchen zwingt,
allerdings hier und da auch zu kapriziösen Überspitzungen neigt.

Was der Verfasser zu sagen hat, geht von dem Oster-
geschehen als der eindeutigen, geheimen Mitte des christlichen
Gottesdienstes aus und ist geschichtlich gut fundiert. Seine Ausführungen
sind ein leidenschaftliches Plaidoyer für den Gottesdienst
deT lutherischen Tradition, der Predigtgottesdienst und
Abendmahlsfeier zur Einheit zusammenfaßt. Die gebotene Kürze
und der paränetische Akzent der Darstellung bringen es allerdings
mit sich, daß die Einzelheiten nicht immer klar genug
heraustreten oder mißverständlich formuliert werden. So könnten
z. B. die Ausführungen über Luthers Ablehnung des Kreuzeszeichens
über den Abendmahlselementen den (irrtümlichen)
Schluß nahelegen, als habe Luther die Konsekration überhaupt
abgelehnt (S. 48). Und wenn Luther auch den priesterlichen Vorbereitungsakt
in seiner neuen, gedruckten Gottesdienstordnung
nicht aufnahm (S. 55), so beweist doch der Reisebericht des Wolfgang
Musculus aus dem Jahre 1536, daß dieser in der Wittenberger
Stadtkirche in Übung blieb. Die Entstehung der Peri-
kopenordnung wird mit dem Stichwort „Schriftwort in Fortsetzungen
" (S. 79 f.) allzusehr vereinfacht, als daß sich bei einem
aufmerksamen Le6er nicht Zweifel und Widerspruch melden müßten
. Daß der Altar von Hause aus ein einfacher Tisch war (S. 32),
wird man mit gewichtigen Gründen bestreiten können; wie neuerdings
eine zur Veröffentlichung vorliegende Studie von Alfred
Weckwerth über „Tisch und Altar" zu beweisen sucht, finden
«ich Tisch und Altar im frühchristlichen Gottesdienst nebeneinander
, der Altar (oder die Altäre) für die Darbringung
der Opfergaben der Gemeinde, der Tisch für die Feier der Kommunion
. Am Rande: Sollte man wirklich für die Sakristei einen
Altar fordern (S. 53), der doch gar nicht zur Feier des Heiligen
Abendmahles benutzt wird? Genügt nicht ein Betschemel und
ein Kruzifix? Auch darüber wird man diskutieren können, ob
Gewächse und Blumen wirklich auf, und nicht neben den
Altar gehören (S. 66). In späterem Zusammenhang betont der
Verfasser zwar nachdrücklich, daß der Introituspsalm stets musikalisch
ausgeführt werden sollte; gleichwohl kann nicht nachdrücklich
genug vor dem Mißverständnis gewarnt werden, als
werde durch die Ausführungen auf S. 60 f. die Lesung des
ganzen Introituspsalms durch den Pfarrer legitimiert oder
gar empfohlen. Ein Psalm, den die Gemeinde nicht vor Augen
hat oder der ihr nicht von Kindheitstagen her bekannt ist, wird
v°n ihr nicht als Gebet, sondern als Lesung empfunden werden,
und an Lesestücken im Gottesdienst haben wir genug! Warum
kann ein „Bibelspruch" nur nach der Epistel gesungen werden
und nicht auch — als Evangelienspruch, der sich entweder mit
der Lesung des Liturgen verzahnt oder die Summa des Evangeliums
musikalisch unterstreicht — nach dem Evangelium (S. 138)?
Unerwartet knapp sind die Ausführungen über das Abendmahl
147—149); dabei gäbe es gerade hier soviel Neue6 zu sagen, das
Uns uber dem wiedergewonnenen Verständnis der Eucharistie aufgegangen
ist. Einer Überarbeitung bedürften auch die aphoristi-
w' li UnC* ^arum mißverständlichen Bemerkungen über die Ent-
de v "g des 'hrist'ichen Kirchenbaus auf S. 31 f. Schwerlich wird
w Ii e^asser «ein Ideal im romanischen oder gotischen Dom sehen
__° en-w'e er auch kaum damit einverstanden sein dürfte, daß man
genV* "3* ^em ^eXt zwangsläufig ist — aus seinen Ausführun-
ausi-ein Jerdikt über den gesamten Kirchenbau seit derGotikher-

sollte"' ■ WaS er über Kreuz und Kruzifix auf S- 34 ff- schreibt'
mit den Beiträgen über dieses Thema in der Zeitschrift

Werd u Kirdle" 1958' Heft 2- verglichen und koordiniert
a<m- Hier und da vermißt man den Sinn für die objektive

Zeichenhaftigkeit von Formen, Einrichtungen und Ordnungen,
etwa der Ostung oder der Glocken, die nicht nur zum Gottesdienst
rufen, sondern auch die Zeit im Stundengeläut als Gottes
Zeit gliedern.

Aber das sind geringfügige Schönheitsfehler, die hier erwähnt
werden, damit sie in der nächsten Auflage abgestellt werden
. Es bleibt der Dank für ein hinreißend geschriebenes, im
tiefsten Sinne frommes, weil in die Tiefen der Geheimnisse und
Wunder des Gottesdienstes führendes Buch. Möge es viele
Nachfolger finden!

Berliu Oskar Söhngen

Dfirig, Walter: Pietas Liturgie«. Studien zum Frömmigkeitsbegriff
und zur Gottesvorstellung der abendländischen Liturgie. Regensburg
: Pustet 1958. 244 S. 8°. Kart. DM 18.—; Lw. DM 21.—.

Wenn Reitzenstein einst gemeint hat, daß Ideengeschichte
ohne Wortgeschichte unmöglich sei, so erweist das vorliegende
Buch, daß liturgieterminologische Untersuchungen nicht nur für
die Geistesgeschichte, sondern auch speziell für die Liturgiegeschichte
kaum zu entbehren sind. Walter Dürig hat bereits im
Jahre 1952 einen bedeutenden Beitrag zur Terminologie und
Theologie der römischen Liturgie durch sein Buch „Imago" geliefert
(vgl. ThLZ 1952, Sp. 560f.). Mit dem vorliegenden Werk
leistet er die gleiche Arbeit für einen noch zentraleren Begriff der
lat. Liturgiesprache, den der pietas. Er hat dessen mannigfache
Verwendung in dreifacher Hinsicht aufgegliedert: pietas erga
Deum, pietas erga hominem, pietas Dei. Er geht in jedem dieser
Abschnitte so vor, daß zunächst der nichtchristliche Sprachgebrauch
auf Grund der Ergebnisse klassisch-philologischer Forschung
dargestellt wird, dann wird die Verwendung des Begriffs
aus der lat. Bibel und der patristischen Literatur, der der pietas
erga hominem auch aus dem nachkonstantinischen Recht erhoben.
Die Ergebnisse werden dann zur Deutung des Begriffes pietas
bzw. pius in der röm. Liturgie ausgewertet.

Die pietas erga Deos ist im klassischen Sprachgebrauch durch ihre
eindeutige Beziehung zum Sakral-Kultischen gekennzeichnet. Erst Cicero
läßt die Tendenz zu einer Verinnerlichung des Begriffes erkennen. So
ergibt sich für die römische pietas erga Deos, daß sie sich zwar in erster
Linie auf die kultische Verehrung der Gottheit bezieht, jedoch bald
mehr, bald weniger eine innerliche Bejahung der kultischen Formen im
Sinne persönlicher Frömmigkeit dabei zu spüren ist. Es ist auch nicht
zu übersehen, daß solche pietas für den Römer als Begründung einer
gewissen auetoritas verstanden wird. Auch im Sprachgebrauch der Vetus
Latina verbindet sich beides miteinander: der Dienst, den der Fromme
als äußeren Kultus Gott schuldig ist, wie die innere Verbundenheit des
Menschen mit Gott, die sich im Leben und Handeln des Menschen bekundet
. Die früheren Väter gebrauchen pietas und pius seltener als die
späteren, stets wird aber dieser Begriff sowohl im Sinn persönlicher
Frömmigkeit wie zur Kennzeichnung kultischer Vorstellungsinhalte
verwendet. Auch Dinge, die mit kultisdi-religiösen Akten in Beziehung
stehen, können als pius, d. h. zum Kult geeignet, Gott geweiht, heilig
genannt werden. In der Verwendung von pius im Zusammenhang mit
der Märtyrerverehrung entdeckt der Verf. geradezu die Ausdrucksform
einer gewissen Märtyrertheologie, welche die Hingabe im Martyrium
als priesterlichen Akt im Rahmen einer Teilhabe am ewigen Hohen-
priestertum Christi versteht. Für die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse
auf die Deutung liturgischer Texte kann deren zeitliche oder
räumliche Fixierung manchmal entscheidend sein. Darum wird die Exegese
solcher Texte nicht in allen Fällen den Anspruch auf unbedingte
Gültigkeit erheben dürfen. Jedenfalls kann der Verf. in der sorgfältigen
Exegese liturgischer Texte hinsichtlich der Verwendung pietas bzw.
pius erga Deum einsichtig machen, daß der liturgische Sprachgebrauch
eine Scheidung zwischen Handlung und Gesinnung, zwischen Äußerem
und Innerem nicht kennt. Der Fromme trägt seine Frömmigkeit nicht
nur im Herzen, er verwirklicht sie gleichzeitig in äußeren Akten. Natürlich
gibt es auch Texte, in welchen der Begriff vorwiegend zum Ausdruck
der inneren Gesinnung wird. E6 ist deutlich zu beobachten, wie
unter dem Einfluß des franziskanischen Frömmigkeitsideals die pietas
jene Ausgewogenheit zwischen Innerlichkeit und kultischem Handeln,
die den älteren Sprachgebrauch kennzeichnet, verliert. Die pietas wird
in zunehmendem Maß zur individuellen Frömmigkeit und zum individuellen
Gebet. Dies bringt die Gefahr mit sich, daß solches Beten erstirbt
, wenn die stimmungsmäßigen Voraussetzungen zu schwinden beginnen
. Demgegenüber bezeichnet es der Verf. als einen erfreulichen
Erfolg der modernen liturgischen Erneuerung, daß man sich, wie das in
der Enzyclica „Mediator Dei" offenbar wird, im Sinne der älteren
Liturgiesprache wieder auf die notwendige Verbundenheit der persön-