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Ausgabe:

1959 Nr. 3

Spalte:

193-195

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Theoprast von Hohenheim [genannt Paracelsus], Kommentar zu den Psalmen 103 (104) bis 117 (118) 1959

Rezensent:

Peuckert, Will-Erich

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 3

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KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

[Paracelsus:] Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus.

Sämtliche Werke. 2. Abt.: Theologische und religionsphilosophische
Schriften. Bd. V: Auslegung des Psalters Davids. Teil II: Kommentar
zu den Psalmen 103 (104) bis 117(118). Bearb. v. Kurt G o 1 d a m -
mer. Wiesbaden: Steiner 1957. XX, 260 S. gr. 8°. DM28.-; Lw.
DM 34.-.

Der erste Teil des paracekischen Psalmenkommentars wurde
1955 in der ThLZ besprochen; er behandelte die Psalmen 75 (76)
bis 102 (103); der heut vorliegende Band schließt sich jenem organisch
an. Ich möchte wie damals das Philologische und „Pan-
sophische" in meiner „Ztschr. f. dtsch. Philologie" erörtern und
hier das eigentlich Religionsgeschichtliche zur Sprache bringen.
Für Paracelsus ist der Psalter Davids kein literarisches Werk,
sondern eine Glossierung und Aussage über die Heilstatsachen
des Neuen Bundes, „denn David ist der ausleger der worter
Christi, ohn welchen Christum nicht magst im geist begreifen"
(S. 124), ja mehr, er ist eine Voraussage und Kritik der späteren
Zeit: „Secht an, wie vilhundert orden der Christen, die all bilder
seindt der heiden und heidnisch wesen fueren, ... ob David nit
hie (seil Ps. 117), die bilder hab bedracht nach rechter anzeigung,
wie sie ietzt seindt?" (S. 238). Man darf natürlich, und das weist
auf spätere Zusammenhänge, den Text nicht philologisch verstehen
und interpretieren, sondern aus dem „verstant des her-
zens" (S. 126); wer auf den Buchstaben pocht, ist Heide, nur „die
imgeist leben, seindt Christen" (S. 147 f.).

Man wird die paracelsische Stellung nur verstehen, wenn man
ihn an der Wende der Zeiten stehen sieht. Er ist, wie eine Dissertation
meiner Schülerin Josephi am Hexenglauben eben zu zeigen
versucht, nicht alt und noch nicht neu, er steht hüben und
drüben. Sehr deutlich macht das z. B. seine Auffassung der Ehe.
Da lehnt er die „Liebesehe" der bürgerlichen Kultur ab und
sieht im Kinde das wahre Ziel der Ehe: „der in die ehe get, nimpt
er sein weip vonwegen seines leibs — ietz ist nit von herzen, sunder
vonwegen seines Ieips; nimpt er 6ie vonwegen der fnicht
und geheiß gottes, — ietz gets von herzen" (S. 138); dagegen
mißt er der Ehefrau im Kommentar zum 115. Psalm die eben
werdenwollende „Gleichberechtigung" der bürgerlichen Hausfrau
zu (S. 218 f.). Ebenso verwirft er die aus „vernünftigen" Überlegungen
kommende Naturgesetzlichkeit, wie die bürgerlichen
sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte sie behaupteten (Ps.
142 f.) und fordert im Kommentar zum nächsten Psalm den individuellen
Heilsweg: „wil tu selig werden und zu got, so trag
dein kreuz auf dir, nit sein kreuz, durch dein kreuz must gen
himel, nit durch des kreuz... dann also seindt erstanden die
secten der orden, do vil tausent tragen eins andern kreuz und
ein ieglicher last 6&n kreuz ston" (S. 155).

Dem Manne an der Wende der Zeiten ist die alte Theologie
und ihre Folgerungen angreifbar und „falsch" geworden. Er wendet
sich gegen die noch herrschende Theologie und scholastische
Methode, vor deren „buchern das wort gottes niemants zu herzen
will gohn. Niemants springt über dieselbigen bucher zu der
lehr Christi" (S. 200; vgl. auch 201). Daß er das Mönchtum verwirft
wird sichtbar (vgl. auch S. 212: so ist kein munch im
himel); ähnlich schroff stellt er sich gegen das Papsttum, das ist
nicht us dem somen Petri, sonder gleich einem pasthart" (S. 155),
gegen die Herrschbegierde des Papstes, wider die schon David
^s. 109, 5 sprach: die Priester sind jetzt Könige, haben land und
leut das kunigen zustet; „uf das redt nun der prophet: der herr
im himel wird sich erzürnen und erwürgen dise kunig" (S. 134 f.).
Audi die Heiligen sind nichts, ihre Fürbitte ist nichts, denn sie
sind tot und haben ihr Lebensziel vollendet; „nempt euch ein
exempel vom David . .. bit ihn, daß er dir noch ein psalmen mach,
und sag zu ihm, du habst ir zu wenig; und schau, was gesang er
a'r psallicr auf seiner harpfen: nix! nix ist auch die hoffnung"
240 ge" (S' 223)- So Sind audl a]le Zeremonien (S. 237.

zu hl R°teS' leerCS Und unnützes Tun- - Aber daraus ist nicht
schließen daß die Zwingli und Luther ihm nun gültig seien.
~°ldammer folgert (S 192) mit Re(Jit> daß dje BeibehaItung dcs

H7« Amt« auf ihrer Seite „nur als eine Verkleidung des
Karnoiischen Priestertums empfunden wird". Es hebt die Prophezei
Davids an, „daß nemblich die zeit hie wird sein und do ist,
auf die David geredt hat, dann ein ieglich reich, das mit ihm
selbs zerteilt wird, das zerget. nun zerteilt sich das reich der
pfaffen, einer ist also, der ander also, machen vil heupter under
ihnen und ieglicher ein besunders. das alles allein nix änderst ist,
als ein anzeigung euer Zerstörung aller in einer sum" (S. 118).
Wo aber ist denn dann Christus? „So wir ihn suchen wollen, so
müssen wir hinaus; dann in der romischen kirchen finden wir ihn
nit, in iren Stenden und prelaturen finden wir ihn nit. wollen sie
nit mit und ihn helfen suchen, do er ist — bei den ungläubigen —
60 steuben den schuch von iren gusel (Staub); ziedit hin von
ihnen zu den verlorn schafen und verkünden das euangelion"
(S. 24 f.).

In der Kirche ist er nicht. Die Prediger sind wie der Levia-
than, die Schlange (Gen. 3, 1), die „am bäum stund; dann alle
kanzel stont an seulen, die disen bäum bedeuten" (S. 202); sie
„predigen umb die kragen volle und umb das sanft futterlin"
(S. 228). Sie reden vor denen, die schon im Christentum unterrichtet
sind, statt zu den Tatern, Saracenen und Heiden hinauszugehen
und die zu bekehren; „seindt sie der sprach unbekannt
und reden sich damit aus, was vertrauen sie dann dem heiligen
geist? darzu: können sie den hueren reien lernen und den Ovidium
de arte amandi und kriechisch, hebreisch etc., so mochten sie wol
türkisch auch lernen" (S. 228 f.).

Diese Ablehnung der Geistlichkeit, die nur ihren Bauch
füllen und sich wohl 6ein lassen will, die Forderung des Missionierens
, das alles deutet hinüber in den Bezirk der „freien Christen
" von der Art eines Seb. Franck, Schwenckfeld oder Denck.
Und seine Deutungen erscheinen kombiniert mit sozialen Forderungen
, wie ja jene Zeit das Evangelium mit sozialen Programmen
verquickte. „Wer ist dein nechster? der ists, dem du
helfen kannst und der dir helfen kann" (S. 15 8). „Betracht, wie
ein groß übel das vor got ist, daß du deinen arbeitern, die dir
das dein aufhalten, den°spreuer gibst, mit Wassersuppen abgefertigt
, mit schimlichem brot" (S. 159). Wir sollen vielmehr „in
die armut Christi" gehen, „das ist die christenliche bildung"
(S. 239). Und im Kommentar zu Ps. 108 polemisiert Paracelsus
gegen den „ketzerischen ausleger des Psalmen", der in der Armut
eine Strafe und Gerechtigkeit Gottes sieht, „der selbs nit weis,
was der arm ist" (S. 109). Das lenkt nun auch hinüber zu jenem
„christlichen Kommunismus", den die Zeit des Frühkapitalismus
so gern in die Urgemeinde hinein interpretierte, zu der „Gemeinschaft
" der mährischen Brüder und der Hutterer. „Keiner
mag sprechen, daß (sein Gut) sein sei, keiner mag auch verkaufen
sein teil, dann also hats got ausgeben, daß wir alle gleich haben,
«nd keiner soll den andern umb das sein bringen noch ihm das-
selbig absetzen (abätzen?), sunder in gleicher nahrung bei einander
leben, wo nit, so ist es ein diepstal" (S. 230).

Hier schließen dann die andern Forderungen jener „freien
Gemeinden" an, — die eines demokratischen Königtums: „Das
alles (Ps. no) seindt underweisung, daß ein ieglicher regierender
nit soll hofleut halten, nicht rät, nicht amptleut, die gemein zu
beschwern; 6under das regement dermaßen füren, daß er got
danken mug uf sein gluck, das er hat im häufen der gemein"
(S. 139), und David weist „auf den rat der gemein, und nicht
der falschen gemein, sunder der gemein der gerechten, darbei bekennt
David, daß er nit gesessen ist in rat, do gehandlet ist worden
von beschatzung, von steuren, von schinden, von andern
dergleichen, sunder er ist im rat gesessen, do die gemein mit ihm
gesessen ist. das ist ein zeichen, daß er also ein fridlicher kunig
gewesen ist, daß er nit rät bedorft hat, nit canzlai, nit hofmeister,
nit rentmeisterei; sunder mit der gemein und mit den gerechten
dermaßen gehandlet, so aufrichtig, daß 6ein rat aus der gemein
herzen gangen ist" (S. 138). Daneben 6teht die Forderung des
Apostolats, das heißt, daß der Papst, ja, daß jeder ein apostolisch
Herz haben müsse (S. 95), daß wir jemand« bei uns haber., der
den heiligen geist hab. Denn zwei Wege sind da: „einer ist apostolisch
, die verkundung bis in den tod, in den tod des kreuz,
der ander ist bei denen, die do seindt im weg irs pflugs, daß dieselbigen
in ir arbeit singen und von ir arbeit" (S. 23); das wahre
Christentum, das apostolische Leben und die ehrliche Arbeit an
dem Ort, den uns Gott gewiesen hat, sind einander gleich und
gleich wert.