Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 3

Spalte:

175-180

Autor/Hrsg.:

Mehl, Oskar Johannes

Titel/Untertitel:

Der revidierte Text des Neuen Testaments von 1956 1959

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

175

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 3

176

Der revidierte Text des Neuen Testaments von 1956

Von Oskar Joh. Mehl, Mörtitz bei Eilenburg

Das ist nun, seit 1890, die vierte Revision, die wir erleben.
Revisionen an fremden Werken sind immer etwas Mißliches. Der
Germanist Georg Baesecke hat sogar — im Hinblick auf die
Bibelrevisionen — das scharfe Wort gesprochen: „Revision ist
Mord." Denn wo anfangen, und wo aufhören? Und wenn nun
gar eine vielköpfige Kommission die Sache in die Hand nimmt,
so gilt der Spruch: „Viel Köpfe, viel Sinne." Martin Luther hat
mehrmals, zusammen mit sprachkundigen Freunden, solche Revisionen
seiner Übersetzung vorgenommen — ich erinnere vor
allem an die sehr umfassende von 15 30 — das konnte und mußte
er als Autor tun. Wer aber sind wir, daß wir solch Heiligtum antasten
sollten? Denn die Wartburgübersetzung des Neuen Testaments
, die Septemberbibel, ist doch ein großartiges Werk aus
einem Guß. Vielleicht hätte man diesen Text ,stan lassen' und
nur hier und da in Fußnoten Erklärungen geben sollen. Stattdessen
sind nun tausende von Stellen .revidiert', .verbessert'
(bzw. verschlechtert) worden. Und das Ende der Revisionen ist
noch gar nicht abzusehen. Jedenfalls darf 1956 nicht die letzte
sein. Aber es schlägt der göttliche Funke, trotz alledem, immer
wieder aus der Asche heraus: es ist geradezu eine göttliche Fügung
, daß die wichtigsten Stellen dem unvergleichlichen Dolmetscher
.auf Anhieb', besser gesagt: divino afflatu so gelungen
sind, daß alle Kritik verstummen muß, und jede Revision überflüssig
wird. Jedenfalls, wenn man die .Freidigkeit' aufbringt,
Luther am Zeuge zu flicken, so muß man schon so in seine Sprechweise
eingedrungen sein, daß die neue Lesart sich organisch dem
Ganzen einfügt. Das war beim .Probetestament' von 1938 vielfach
nicht der Fall, und das ist auch bei der neuesten Revision zu
monieren. Im allgemeinen ist aber zu sagen, daß man sich dieses
Mal große Mühe gegeben hat, und daß viele Stellen wirklich
verständlicher geworden 6ind und einen Fortschritt bedeuten.
Vor allem hat man mit gewissen Wendungen aufgeräumt, die
sich — wie eine ,ewge Krankheit' — durch mehr als vier Jahrhunderte
fortgeerbt hatten. Ich denke da vor allem an Lukas
18, 14. Es heißt auch noch im Probetestament (Pr): „Dieser ging
hinab gerechtfertigt in sein Haus vor jenem." Hat man denn
nichts von jener Randbemerkung Luthers gewußt, die auch in der
Nestleschen Ausgabe zu jenem Verse zu finden ist: „Das ist:
Jener ist nicht gerecht, sondern verdammt heimgegangen. Ebrais-
mus est, et negative dicitur. Sicut Psal. 118,(8). Also auch
Matth. 21 (31)." Dementsprechend le6en wir nunmehr: „Dieser
ging hinab gerechtfertigt in sein Haus, nicht jener." (Besser wäre
noch: Jener aber nicht!). — Ferner ist endlich die .Mördergrube'
verschwunden und in .Räuberhöhle' umgewandelt worden, was
dem griechischen Ausdruck entspricht. Wie kommt denn aber
Luther dazu, Aj;aTj;c mit .Mörder' zu übersetzen? Nun, diese Vokabel
bezeichnete jeden verbrecherischen Menschen, wie auch
das mittelhochdeutsche mordaere, neben dem eigentlichen Sinn,
jeden Missetäter bedeuten kann. Es wäre gut, wenn Bibelrevisoren
(auch Gesangbuch- und Katechismusherausgeber) sich auch
mit der alten deutschen Sprache beschäftigten, so daß sie Wörter
wie .Nahrung', .beliegen', .Leumund' etc. richtig deuten können
. — Die häßlichen, schwerwiegenden Wörter .Racha' und ,Narr'
(Matth. 5,22) sind ersetzt durch: Du Nichtsnutz (!) und: Du
gottloser Narr. Aber das trifft die Sache doch noch nicht.

Aber eine ganze Reihe von teilweise sogar anstößigen Stellen
ist stehengeblieben, oder doch nicht befriedigend wiedergegeben
worden. So besonders Jesu Wort zu seiner Mutter auf
der Hochzeit zu Kana. Statt des harten „Weib, was habe ich m;t
dir zu schaffen?" hat man das noch taktlosere Wort gewählt:
„Weib, was gehts dich an, was ich tue?" Nun macht ja der „Ton
die Musik", und man muß bedenken, wie viel harmloser sich die
Frage im griechischen Text und in der hebräischen Sprache ausnimmt
; dennoch: ,Weib' ist und bleibt eine üble Anrede an eine
Mutter, auch eine Mutter des .Gottessohnes'; und das beinahe
Lächerliche ist, daß die vorliegende Revision sonst immer das
lutherische ,Weib' durch .Frau' ersetzt hat, sogar Johannes 8, 3,
wo man „eine Frau zu ihm brachte, im Ehebruch ergriffen". Also
Johannes 2, 4 muß unbedingt geändert werden (auch Joh. 19, 26).
Ich schlage vor: „Liebe (Frau) Mutter, laß mich nur machen." -

Auch das Wort ,Hure' ist, bis auf einige Stellen, ersetzt worden.
Der .verlorene Sohn' hat nun sein Gut mit .Dirnen' verpraßt.
Dagegen werden die ,Huren' noch mit den Zöllnern zusammen
genannt (Matth. 21, 31). — Sehr zu begrüßen ist die neue Lesart
Markus 7, 19: So erklärte er alle Speisen für rein; während es
bis jetzt etwas peinlich hieß: der alle Speise ausfegt (xaxaQtCcav).
Das Partizip wird also nun auf Jesus bezogen und .reinigen' wörtlich
gedeutet. Allerdings bleiben andere Übersetzungen bei Na-
turalibus, die ja nicht turpia sind, wie auch die Vulgata sagt:
purgans omnes escas.

Andere .starke' Ausdrücke hätte man ebenfalls mildern sollen
. So z.B. Joh. 11,39, wo es immer noch heißt: „Herr, er
stinkt schon". Dann sollte man wenigstens .riecht' sagen, oder
das 6Cei umschreiben; etwa: Er fängt doch schon an, zu verwesen
. — Markus 10, 13: „Die Jünger aber fuhren die an, [die sie
trugen]. (Nb. Diese eckigen Klammern, die auf textkritischc
Dinge verweisen, könnte man in unserer Bibelausgabe beanstanden
.) Das huujuav sollte man weniger grob wiedergeben, etwa:
wiesen sie ab, oder: verwehrten ihnen den Zutritt. — Nicht bloß
Temperenzler werden Anstoß nehmen an dem .trunken' (Joh.
2, 10). Sagen wir doch: wenn sie (erst) mehr getrunken haben. —
Philipper 2, 6 steht: „nahm (bisher hieß es hielt —fyy}nmo)
ers nicht als einen Raub". Das ist noch unverständlicher. Gemeint
ist doch wohl: hielt er das nicht wie etwas Geraubtes fesr; aber
das müßte nun in die lutherische Sprache und in Luthers Sprachrhythmus
umgegossen werden. — Titus 2, 9: nicht widerbellen.
Dabei steht doch ävnleyovrec da, das heißt: widersprechen!
Hier spielt aber wieder das Mittelhochdeutsche in des Reformators
Sprachschatz hinein: bellen (das übrigens auch vom Kalbe
und Hirsche gebraucht wird) bedeutet auch: keifen, zanken! —
Matthäus 22, 34 etc. heißt es noch immer: das Maul gestopft
hatte. .Mund' würde es wohl auch tun; aber diese Wendung ist
wohl ein sehr volkstümliches Wort geworden. Vergessen wir aber
auch hier nicht, daß zu Luthers Zeit das Wort mül neben munt
gebraucht wurde; wie er ja selber betont, daß man bei der Bibelübersetzung
dem Volke ,aufs Maul' 6ehen müsse. Wir Jetzigen
reden nur bei Tieren vom .Maul', während der homo sapiens
einen .Mund' hat; wie man ja auch .essen' und .fressen' unterscheidet
. Die Frage ist nun, ob man weiterhin sagen soll, wir
unsere neue Ausgabe (Joh. 2, 17): „Der Eifer um dein Haus hat
mich gefressen." —

Ein ebenso heikles wie schwieriges Kapitel 6ind die sexuellen
Ausdrücke. Da taucht die Frage auf, ob man immer nur Vollbibeln
drucken und verbreiten soll, oder ob man nicht daneben
auch eine gekürzte Bibel für die Familie und für die Jugend
herausgeben soll, wie das die protestantischen Franzosen vor
etlichen Jahrzehnten getan haben, mit Einleitungen und Erklärungen
. Da könnten, vielmehr: müßten dann solche zeitlich oder
individuell bedingten .Steine des Anstoßes' beseitigt werden.
Ich denke vor allem an Kapitel, die von der .Beschneidung' und
dergleichen Dingen handeln. Der Ausdruck .Vorhaut' ist glücklicherweise
schon längst verschwunden, dafür sagte und 6agt
man: Unbeschnittener. Hier könnte man protestieren: ti f/ioi
xm oot;auch gegen Vokabeln, die auf die Zeugung und den Geburtsakt
gehen. Matth. 1, 20: „Das in ihr geboren ist" — ist zwar
eine wörtliche Übersetzung, aber unklar. Man sage doch: das
Kind in ihrem Leib, oder, wie Pr nur: ihr Kind. — 1. Tim. 2, 15:
Daß sie Kinder zur Welt bringt. Früher (1530) hieß es: Kinderzeugen
, und noch früher: Kinder gebären (1522). — Der Ausdruck
.Lenden Abrahams', den das Pr. noch hat, ist in der neuesten
Revision, mit Recht, verschwunden bzw. umschrieben Hebräer
7, 5. 10. Einmal heißt es: von Abraham abstammen, (statt- aus
den Lenden); sodann: er sollte seinem Vater ja erst noch geboren
werden (statt: er war ja noch in den Lenden des Vaters).
Solche Umänderungen — die man allerdings 1. Petri 1, 13 vergessen
hat, wo der für uns jetzt unbrauchbare Satz: „begürtet
die Lenden eures Gemüts" 6tehen geblieben ist — sind nur zu
begrüßen, obgleich hier die Frage nach der Wiedergabe der gleichen
Wörter und der Synonyma auftaucht. Dieses Thema ist