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Ausgabe:

1958 Nr. 2

Spalte:

137-138

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Niebuhr, Reinhold

Titel/Untertitel:

Christlicher Realismus und politische Probleme 1958

Rezensent:

Benckert, Heinrich

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137

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 2

138

Es ist schade, daß der Verf., wie sein Literaturverzeichnis
zeigt, ein Werk nicht berücksichtigt hat, das ihn sicher weiter
geführt hätte: Bruno Bauch, Wahrheit, Wert und Wirklichkeit
(1923). Immerhin — dae Buch zeigt, daß der katholische Neo-
Thomismus der Existentialphilosophie formal und inhaltlich
mindestens gewachsen ist. Um so bedenklicher scheint es uns,
wenn die evangelische Theologie sich zu sehr vom Existentialismus
beeinflussen läßt. Als eine Warnung in dieser Hinsicht
kann das Buch uns gute Dienste tun.

Dcrben/EIbe Erik Schmidt

Bollnow, Otto Friedrich: Dilthey. Eine Einführung in seine Philosophie
. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer [1955]. 224 S. 8°. Lw.
DM 14.60.

Im Vorwort zu dieser zweiten Auflage seines zuerst 1936
erschienenen Buches sagt der Verf.: „Die Schrift geht von der
Überzeugung aus, daß nach einer Zeit der Zersplitterung der Philosophie
in'die verschiedenen einander nicht mehr verstehenden
Schulen heute die Entwicklung für einen über die bisherigen Gegensätze
hinausgreifenden Neuaufbau reif geworden ist und daß
im philosophischen Werk Diltheys wesentliche Grundlagen für
einen solchen einheitlichen Neuaufbau gelegt sind" (S. 5). Verf.
verkennt nicht die Schwierigkeit, die durch den fragmentarischen
Charakter der Lehren Diltheys gegeben sind.

Seinem Plan entsprechend gliedert er seine Darstellung in
folgende Teile: „Die Philosophie des Lebens, Das Leben und die
Welt, Die Kategorien des Lebens, Der Ausdruck und das Verstehen
."

Ich beschränke mich auf die Lehre von den Kategorien des
Lebens, von denen wir durch den 7. Band der gesammelten
Schriften Diltheys (1927) eine allerdings wieder nur aphoristische
Darstellung erhalten haben. B. gibt eine Aufzählung derselben: Bedeutung
, Bedeutsamkeit, Zusammenhang, Struktur, Entwicklung,
Wesen.' Dilthey hat sie in verschiedener Anzahl aufgezeichnet
(S. 144). Ich glaube, daß an dieser Stelle eine Systematisierung
weiter führen könnte, für die allerdings weitgehend auf Diltheys
historische Arbeiten eingegangen werden müßte.

Ich weiß nicht, ob B.s Gliederung seiner Darstellung geeignet
ist, die wesentlichen Grundlagen der Lehre Diltheys zu schaffen
. Ich möchte mit Groethuysen sagen, daß die Einheit seiner
Lebensarbeit von der „Einleitung in die Geisteswissenschaften"
aus begriffen werden muß. „Dies gibt dem Werke Diltheys seine
innere Einheit. Alles schließt sich zusammen zu einem großen
einheitlichen Zusammenhang. So fragmentarisch auch das meiste
geblieben sein mag, alles ist getragen durch einen großen Grundgedanken
, durch ein Ziel, das er unablässig verfolgt" (Ges. Sehr.
VII, V).

Sehr begrüßt hätte ich, wenn B. sich mit der Darstellung
von Georg Lukäcs in seinem Buch „Die Zerstörung der Vernunft
" (1954) kritisch auseinandergesetzt hätte.

Halle/Saale Paul Menzcr

ETHIK

Niebuhr, Reinhold: Christlicher Realismus und politische Probleme.

Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk 11956]. 166 S. 8°. Kart.
DM 8.80.

Von R. Niebuhr liegt meines Wissens in deutscher Übersetzung
vor:

1. Jenseits der Tragödie (Essays von 1938) Chr. Kaiser Verlag
1947.

2. Die Kinder des Lichts und die Kinder der Finsternis (1944)
Chr. Kaiser Verlag 1947.

3. Die Zeichen der Zeit. Eine Predigtsammlung. (1946) Chr. Kaiser
Verlag 1948.

4. Glaube und Geschichte (1949). Verlag P. Müller, München
1951.

Jetzt hat das Evangelische Verlagswerk Stuttgart die hier
angezeigte Aufsatzsammlung von 195 3 in deutscher Übersetzung
herausgebracht. Die Aufsätze selbst umspannen die Jahre 1948
bis 195 3 und kreisen sämtlich um das Lebensthema des Verfassers
. Er wurde einst 1915 als 23jähriger zum Pfarrer von Detroit
berufen und erlebte dort die Industrialisierung mit ihren Folgen.
Seitdem fragt er nach dem Evangelium in der modernen Gesellschaft
. Die ganz auf die ihn umgebende Wirklichkeit eingestellte
Denkart kennzeichnet ihn als eine Art intellektuellen Evangelisten
, — „nicht so sehr Gelehrter als Prediger" sagt er selbst
von sich 1939 als Professor für angewandte Theologie (vgl.
Hans Hofmann, Die Theologie R. Niebuhrs, Zürich 1954). Die
Großzügigkeit, mit der er von der Typisierung anderer Menschen
und Anschauungen Gebrauch macht, erschweren ein exaktes
Verständnis. Realistisch ist das Christentum ob seiner nüchternen
Einschätzung des Menschen als eines Sünders, darin von
allen anderen Systemen unterschieden. Kein Mensch ist so weise
und so gut, daß man ihm z. B. das Geschick seiner Mitmenschen
völlig anvertrauen könnte. Solch Realismus entlarvt den utopischen
Charakter anderer Systeme. Während K. Barth am Buchstaben
der Schrift festhielte und sich mit der Darstellung des
inneren Zusammenhanges der Schrift begnüge, ohne auf die Beziehung
des christlichen Glaubens zur Kultur einzugehen, ginge
es ihm, Niebuhr, betont um die Analyse der konkreten politischen
Probleme mit dem Ziel, die praktische Bedeutung des
Christentums aufzuweisen. Daß dies in aller Bescheidenheit geschieht
, sozusagen als gewagter Versuch zur Erwägung angeboten
wird, berührt sympathisch. Den Gedankenreichtum des relativ
schmalen Bandes läßt schon das Inhaltsverzeichnis erahnen.
Entsprechend dem einleitenden, die unabhängig voneinander
entstandenen Aufsätze zu einem Ganzen vereinigenden Abschnitt
legt der 9. Abschnitt „Der politische Realismus des Augustinus"
für alle anderen das Fundament. Man kann den christlichen Realismus
nicht von einem modernen Empirismus her abtun, der
sich über seine eigenen religiösen oder atheistischen Voraussetzungen
nicht klar werden will oder kann. Augustins Realismus
besteht in der Art seiner Beschreibung der die gesamte Menschheit
umfassenden civitas terrena, in der die „Eigenliebe" regiert.
Trotz aller seiner Irrtümer ist Augustinus ein zuverlässigerer
Führer als alle uns bekannten Denker, weil er die „Liebe" als
letzte Norm für die Menschheit erkannt hat.

Die Abschnitte 10 und 11 handeln von „Liebe und Gesetz
m Protestantismus und Katholizismus" und von „Kohärenz,
Inkohärenz und christlicher Glaube". In den Abschnitten 2 bis 7
kommen die mehr aktuellen politischen Fragen zur Sprache, von
der „Illusion einer Weltregierung" über den „Kommunismus"
bis zur Erörterung der „Außenpolitik des amerikanischen Konservativismus
und Liberalismus"; danach übrigens noch der 1948
in Amsterdam gehaltene Vortrag „Das christliche Zeugnis im
Rahmen der gesellschaftlichen und nationalen Ordnung". Dies
alles ist für uns mindestens lehrreich als der Versuch eines Theologen
, politische Fragen kritisch zu durchdenken. Natürlich kann
und will auch Niebuhr nicht ausklammern, daß er sich als
Amerikaner auf nordamerikanische Verhältnisse bezieht und
darum Liberalismus und Sozialismus und Kommunismus so ins
Auge faßt, wie sie ihm dort erscheinen. Es ist immer dasselbe
Bild: Je konkreter die Fragen der christlichen Ethik werden, desto
unverbindlicher können sie in theoretischer Allgemeinheit nur
behandelt werden, während der ethische Ernstfall gerade in seiner
Konkretheit zugleich verbindliche und das heißt gültige Entscheidung
fordert.

Rostock Heinrich Dcnckert

Die Kirche in der Welt. Wegweisung für die katholische Arbeit
am Mensdien der Gegenwart. 8. Jahrgang. Münster: Aschendorff
1955/56. IV, 368 + 8 S. gr. 8°. Lw. DM22.-.

„Die Kirche in der Welt" liegt bereits im 8. Jahrg. vor, der
das über die früheren abgegebene Urteil voll und ganz bestätigt:
Hohes Niveau, weiter Gesichtskreis, Wahrung des katholischen
Standpunktes ohne konfessionalistische Enge. Auch der Nicht-
katholik wird vieles mit Gewinn lesen und sich über die gute
Orientierung durch knappe Übersichten freuen. Es ist unmöglich,
die ganze Fülle des Inhalts hier auszubreiten. Der Stoff ist wieder
wie in den früheren Jahrgängen in 7 Sektionen eingeteilt mit im
ganzen 72 Beiträgen! U. a. findet sich auch über das heiße Eisen
„Einheitsgewerkschaft oder Richtungsgewerkschaften" ein (im
Urteil allerdings zurückhaltendes) Wort. Am problematischsten