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Ausgabe:

1958 Nr. 2

Spalte:

135-137

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Lotz, Johannes Baptist

Titel/Untertitel:

Das Urteil und das Sein 1958

Rezensent:

Schmidt, Erik

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 2

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PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Lötz, Johannes B., S. J.: Das Urteil und das Sein. Eine Grundlegung
der Metaphysik. 2., neubearb. u. vermehrte Aufl. von „Sein und
Wert I" (1938). Pullach b. München: Verlag Berchmanskolleg 1957.
XXIII, 218 S. gr. 8° = Pullacher Philosophische Forschungen, hrsg. v.
W. Brugger u. J. B. Lötz, Bd. II. DM 18.30.

Das Buch ist eine Neubearbeitung der 1. Auflage, die unter
dem Titel „Sein und Wert I" 1938 erschienen ist. Der neue
Titel entspricht der Zielsetzung der 2. Auflage: Vom Wert und
vom Guten ist nur noch am Rande die Rede, im Mittelpunkt der
Untersuchung steht durchaus die Beziehung des Seins zum Urteil.
Die Einleitung umreißt die Probleme. In vier Kapiteln werden
1. das Wesen und der Ort der Transzendenz, 2. das Urteil und
das unbestimmte Sein, 3. das Urteil und das subsistierende Sein
und 4. die innere Struktur des transzendenten Seins erörtert.
Ein Nachwort setzt sich mit positiven und negativen Beurteilungen
des Standpunkts des Verf.s auseinander, wobei das Gespräch
mit Heidegger besonders instruktiv ist. Hauptautorität für
den Verf. ist Thomas von Aquin, der sehr oft zitiert wird; daneben
werden Kant, Hegel und Heidegger besonders genannt
(VIII). Diktion und Stil des Buches sind nicht leicht, die Begriffsanalysen
sind sehr gründlich und scharfsinnig. Der Leser wird
oft an Aristoteles und den Aquinaten erinnert, wenn er auf die
Art der Beweisführung des Verf.s achtet.

Wir versuchen, uns die Grundgedanken des Buches deutlich
zu machen:

1. Das Sein. Die Frage, die zu allen Zeiten den Menschengeist
bewegt hat, ist: Was ist das Sein? (6) Das Sein geht über alle
endliche Bestimmtheit hinaus, ist aber darum nicht völlig unbestimmt,
sondern hat eine Selbstbestimmtheit (5). Wäre das Sein das ganz Unbestimmte
, so könnten wir es nicht begreifen (3). Das Sein ist keine
leere Abstraktion, keine statische Allgemeinheit, sondern Bewegung
und Wirken (22). Das Wirken ist das Selbst des Seins. Weil auch das
Denken ein Wirken ist, ist das Sein Denken (23). Das Sein ist vom
Seienden zu unterscheiden, es ist der Überschritt über das Seiende
und der Grund des Seienden (31). Es ist auch verschieden von der
Wesenheit. Diese ist kategorial bestimmt und hält sich innerhalb
des Endlichen. Das Sein dagegen ist überkategorial und überendlich, das
Transzendente. Die Kategorien sind Aussageweisen und Seins-
weisen, sie bestimmen die endliche Wesenheit (32). Das Sein kann man
nicht auf kategoriale Art als das Gemeinsame aus den Kategorien herausheben
, eben darum ist es überkategorial (34). Die kategorialen Wesenheiten
haben zwar einen Bezug auf das Sein, dieses aber umgreift
die Vielheit der Kategorien (3 5). Das Sein ist nicht nur der Grund der
Kategorien (37), sondern hat auch eine überweltliche Verwirklichung
(38), besitzt also eine primäre Verwirklichung (93). So ist es das sub-
sistierende Sein (94). Ist dies der Begriff des Seins, dann ist das Sein
offenbar = Gott, der das Sein in seinem Selbst und das Wirken in
seinem Selbst ist (23), die absolute Einfachheit, die unendliche Fülle,
die lautere Bewegung (13). Gott ist das in seinem Selbst verwirklichte
Sein und steht damit über allen Kategorien (39). —

Das sind alles altbekannte Gedanken der traditionellen theologischen
Metaphysik!

2. Das Erfassen des Seins. Der Mensch vermag im
Unterschied von anderen Wesen das Sein zu verstehen (41). Er weiß
um seine Bedingtheit, lebt also im Unbedingten! (80) Freilich ist ihm
eine intuitive Schau des absoluten Seins versagt, er begreift nur kategorial
, eins aus dem Anderen (3. 14). Nur Gott begreift sich selbst in
intuitiver Schau (14). Im täglichen Leben versinken wir im bloß Seienden
(15). Aber zugleich strebt der Mensch über alle Vielheit hinaus
zur Einheit (34), übersteigt er im Erkennen die Welt (37). Unser Wissen
begreift das Seiende, steht damit im Sein. Wir begreifen den letzten
Grund des Seienden (15), fragen nach dem Warum? (16) Wir vermögen
den Begriff des Seins durch eine apriorische Synthese zu erfassen
(17). Diese empfängt ihr Material aus dem gewöhnlichen Seinsverständnis
. Im vorwissenschaftlichen Erfassen liegt der innere Zusammenhang
des Seins mit seinen Bestimmungen schon irgendwie offen.
Wir vollziehen also in der apriorischen Synthese die einfache Selbstauslegung
des Seins (21). —

Diese Ausführungen zeigen deutlich die Einflüsse von Kant und
Hegel, bezogen auf die Grundanschauung des Aquinaten!

3. Das Urteil. Das Sein im Seienden enthüllt sich uns im Urteil
. Der Verf. unterscheidet a) das vorurteilsmäßige Haben oder die
sinnliche Anschauung als das tatsächliche Haben des Einzelnen in seiner
Äußerlichkeit (51), b) das aussagende Urteilen, bei dem Subjekt
, Prädikat und Kopula zu unterscheiden sind, und c) das fortschreitende
Schließen, das ein Gefüge von Urteilen, ein abgeleitetes
Setzen ist (46). Was geschieht im Urteil? Es setzt als
seiend, indem es aussagt, daß etwas i s t oder nicht ist (47). Das
Urteil ist a) Analyse, es sagt im Prädikat vom Einzelnen, w a s es
ist (52), es löst das Was aus der Einzelheit heraus (53). Dem Einzelnen
wird also Sein beigelegt (54). Und dies Sein erscheint in der Kopula
! (56) —Das Urteil ist b) Synthese. Diese ist aa) prädika-
t i v, sie führt die unvermittelte dingliche Synthese in die geistige
über (58). Und die Synthese ist bb) veritativ, weil sie es mit der
Wahrheit zu tun hat. Sie ordnet den Urteilsinhalt auf den Gegenstand
hin. Wahrheit ist nämlich die Beziehung der Erkenntnis auf ihren
Gegenstand. Erfüllte Wahrheit ist Übereinstimmung mit dem Gegenstand
(63). Der Möglichkeitsgrund der veritativen Synthese liegt
im Sein (66), denn dieses allein gibt dem Urteilsinhalt gegenstandsbezogene
Geltung (67). So bringt das Urteil das Sein zur Erscheinung
(71). Jedes Urteil setzt das absolute Sein voraus (72). Es bewegt
sich im Raum dieses Seins und eröffnet es uns! (74) In jedem
Urteil geschieht eine absolute Setzung (80).

4. Das Seiende und das Sein. Wie ist demnach das
Verhältnis zwischen dem endlichen Seienden und dem unendlichen Sein?
Der Verf. grenzt seine Auffassung gegen Kant und Hegel ab und bezieht
(mit Thomas von Aquin) eine Mittelstellung: Nach Kant bleibt
unser Urteilen auf die Erscheinung beschränkt (127). Nach Hegel besteht
zwischen dem Urteilenden und der schöpferischen Schau des absoluten
Geistes Identität (126). Das Endliche ist ein Moment
des Unendlidien. Aber — das Endliche ist nicht ein Moment des Unendlichen
, sondern Kreatur (107). Auch dem Endlichen kommt ein Ist
zu, es hat Teil am Absoluten. Nur so ist eine absolute Setzung im Urteil
möglich (105. 108). Der Mensch nimmt (nach Thomas) an der ursprünglichen
Schau (Gottes) teil, ohne ein Moment des Unendlichen
zu sein (128). Er strebt nach dem Absoluten (131), er erfaßt den Begriff
des Absoluten (134), aber er schaut Gott nicht (129. 139). Unser
urteilendes Wissen ist also eine T e i 1 n a h m e an der schöpferischen
Schau Gottes, und das Urteil ist eine Bewegung, ein Nachschaffen, welches
das Seiende aus seinem letzten Grunde, dem Sein, hervorgehen
läßt (141. 117).

Wir stimmen mit dem Verf. darin überein, daß die Wahrheit
ihren ursprünglichen und einzigen Sitz im Urteil hat (189), daß
alle menschliche Erkenntnis im Urteil geschieht (206) und daß
die Wahrheit unabhängig vom Menschen ist (195). Die gegen
Heidegger in dieser Hinsicht gemachten Argumente erscheinen
uns als mit das Wertvollste im ganzen Buch (181 ff.). Wir stimmen
mit dem Verf. auch darin überein, daß der Mensch (nach
Hegel) im Unbedingten lebt, weil er das Bedingte als solches erkennt
. Aber wir gestehen, daß uns der Verf. mit seinem Grundgedanken
nicht überzeugt hat. Dieser Grundgedanke besteht,
wie hervorgehoben, darin, daß die Kopula eines jeden Urteils als
Teilnahme am absoluten Sein gedeutet wird (167), so daß also
jedes Urteil, auch das auf endliches Seiendes bezogene, soz, ein
Gottesbeweis ist. Gewiß ist i m p 1 i z i t e in jedem Seienden
und damit auch in jedem Urteil über Seiendes das absolute Sein
enthalten. Sonst wäre das Ist der Kopula freilich unmöglich
. Allein das implizite Sein im endlichen Urteil bedeutet u. E.
noch nicht die explizite Setzung des absoluten Seins im Urteil
über endliches Seiendes! Alles, was der Verf. in seinem Nachwort
zur nachträglichen Stützung seiner Grundanschauung vorgebracht
hat, konnte uns auch nicht überzeugen. Zur Setzung des
absoluten Seins im menschlichen Begreifen gehört eine Erhebung
über das endliche Seiende, die im endlichen Urteil als solchem
noch nicht gegeben ist.

Darum wird der Verf. u. E. weder Kant noch Hegel gerecht.
Kant hat gerade die Endlichkeit aller auf das Seiende bezogenen
menschlichen Urteile herausgestellt und auf die Antinomien hingewiesen
, die der Verstand sich zu Schulden kommen läßt, wenn
er das Unendliche denken will. Darauf geht der Verf. gar nicht
ein. Und wenn Hegel das Endliche als ein M o m e n t des Unendlichen
bestimmt, so darum, weil sonst das Unendliche das
Endliche als seine Schranke neben und außer sich hätte, also
nicht wahrhaft unendlich wäre. Das Moment-Sein des
Endlichen schließt seine Kreatürlichkeit nicht aus, sondern ein.
Auch darauf geht der Verf. nicht ein. Er spricht zwar von der
Bewegung des absoluten Seins und des Urteils, aber das
Verhältnis zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen ist
bei ihm letztlich doch ein statisches. Und indem der
Verf. in der Kopula des Urteils das absolute Sein schon gesetzt
sieht, droht gerade ihm das monistische Ineinanderfließen des
Seins und des Seienden, das er doch vermeiden möchte! (216).