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Ausgabe:

1958 Nr. 2

Spalte:

119-120

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spener, Philipp Jakob

Titel/Untertitel:

Pia desideria 1958

Rezensent:

Schmidt, Martin

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119

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 2

120

Eindrücken des Verfassers bringen können; über seinen Besuch in jenen
Gemeinden hat er in der Monatschrift „Deutsch-Ev. in F." berichtet.

Nach dem 8. Kap. über die theol. Diskussion, die der Biblizismus
bis zur Gegenwart hervorgerufen hat, schließt Verf. mit einem Rückblick
. Was hat über 90 finnische Theologen veranlaßt, Becks Theologie
anzunehmen? „Beck suchte nicht zu beweisen, sondern entwickelte aus
der Vollmacht des Glaubens das, was er an der Bibel sah." Damit hatte
er denselben Ausgangspunkt wie der sog. finnische Pietismus. „Es ist
auffällig, daß so viele Pädagogen sich für Becks Theologie interessierten
." Es kommt auf Charakterbildung an, nicht durch Ausbildung des
Verstandes, sondern durch Kraft von oben, die der Glaube empfängt.
Man wollte wohl lutherisch sein, verschanzte sich aber nicht hinter dem
Bekenntnis. Bedenklich war allerdings, daß die Bibel als Regelbuch für
kirchliche Verkündigung und Gesetzgebung gefaßt wurde.

Sentzkes Buch ist streng auf Theologiegeschichte angelegt.
So versucht er z. B. die Theologie Ruot6alainens, des Profetens
der Wildnis, zu bestimmen. Darf ich überspitzen: Ruotsalainen
ist kein Theologe, Sentzke ist Theologe; Luther ist kein Theologe
, Melanchthon ist Theologe; Johannes Müller ist kein Theologe
, Karl Barth ist Theologe. Und J. T. Beck? Gewiß, er war
Professor der Theologie. Aber Sentzke gibt 6elbst an die Hand:
es war nicht so sehr seine Theologie, die auf die Finnen gewirkt
hat, sondern sein Wesen. Nicht sein „System", sondern sein
geistliches Leben steckte an. Freilich darf „Theologie" auch weiter
gefaßt werden: pectus facit theologum. Aber es bleibt bei dem
uralten Gegenspiel zwischen Profetie und Kultus, zwischen Reich
Gottes und Kirche.

Das kann zu „tragischen" Spannungen führen wie bei Gustav
Johansson 1844—1930, der 10 Jahre lang Prof. der Theologie
war und von 1898 Erzbischof in Turku-Abo. Theologisch hat
er nichts Bahnbrechendes geschaffen, „er hatte etwas Prophetisches
an sich". Nach 6einem Aufenthalt bei Beck in Tübingen
bekennt er: „Er ist der Mann, den mein Gewissen gesucht hat. Sein
ganzes Wesen spricht davon, daß er immer vor Gott wandelt."
Während bei Beck Kirche nur die Brautgemeinde der Schrift ist,
wird Johansson Mann der Volkskirche, deren Aufgabe es ist,
das Volk für das Reich Gottes zu erziehen. „Die Kirche muß mit
dem Staat für das Beste des Volkes arbeiten."

Viele der im Buch angeführten Finnen wollen nicht Parteileute
6ein, auch theologisch nicht. Sie sind Eklektiker im besten
Sinne des Wortes: Prüfet alles, und das beste behaltet. So war
Alfred Kihlman, der erste, der für Beck warb, im Alter auch für
die Lebensanstöße Müller - Elmaus empfänglich, der später in
Finnland ein ungewöhnliches Echo fand. Und Heman-Jyväskylä
(S. 153/5) begeisterte sich für Friedrich Naumann, wie ich 1910
aus seinem Munde hörte, und übersetzte dessen „Gotteshilfe"
ins Finnische.

So ist Sentzkes Buch vor allem ein Beitrag zur Geschichte
der Frömmigkeit in Finnland.

Im Namensverzeichnis stehen über 50 Deutsche, von deren Verhältnis
zu Finnland teilweise Neues berichtet wird, z.B. von Beck selbst,
der für eine Professur in F. vorgeschlagen war, und von Lindenmeyer,
dem Sdiwiegersohn Becks, der später ebenfalls für eine Berufung nach
Helsingfors in Betracht gezogen wurde.

In einem Buche, das in deutscher Sprache in Kuopio im innersten
Finnland gedruckt ist, sind etwa 30 Druckfehler wenig; deutsche Leser
berichtigen die meisten selbst. Sonst wäre zu notieren: S. 18 sind Z. 15
und 16 vertauscht. 60,10 quatenus. 78,10 v.u. ward. 133,8 äußernweiche
. 138, 6 Amirchanjanz. 142, 7 Expauke. 149, 3 v.u. näher. 176,7
gröber. 192,12 v.u. die Sünde. 193,6 alles. 220,3 v.u. Dialektik
225, 7 v. u. Laestadianer. 261, 2 v. u. Kirche.

Leipzig Friedrich O s t a rh i ld

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Spener, Philipp Jacob: Pia Desidcria. Hrsg. von Kurt Aland.
2., durchgesehene Aufl. Berlin: de Gruyter 1955. 91 S. ä" = Kleine
Texte für Vorlesungen und Übungen, begr. v. H. Lietzmann, hrsg.
v. K. Aland, 170. DM 4.80.

Die Neuauflage der vorzüglichen kritischen Ausgabe, die
Kurt Aland 1940 von der klassischen Programmschrift des deutschen
(lutherischen) Pietismus herstellte, muß wärmstens begrüßt
werden. Die Unterschiede zur 1. Auflage sind gering, zumal damals
schon mit vorbildlicher Sorgfalt gearbeitet worden ist. Der

wichtigste betrifft die nun zu größter Wahrscheinlichkeit erhobene
Annahme, daß die Ausgabe B der Pia Desideria (Separatausgabe
vom Herbst 1675) überhaupt nicht existiert hat, sondern
die im Herbst 1675 erschienene sofort die Jahreszahl 1676 erhielt
(Ausgabe C, die dem Neuabdruck zugrundegelegt ist). Sehr
zu begrüßen ist die Überprüfung und (meist schmerzliche) Berichtigung
der Bibliotheksnachweise für die von Spener benutzten
Schriften. Die zu S. 16, Z. 10 als wahrscheinlich geäußerte Vermutung
, daß Spener mit Elias Prätorius eher Christian Ho(h)burg
als Adolf Held im Auge hat, ist für mich Gewißheit, vgl. meinen
Vergleich von Speners Pia Desideria mit Hoburgs Spiegel der
Mißbräuche „Speners Pia Desideria" Theologia Viatorum III
(1951), 100 ff.

Die nachgewiesenen Bibelstellen lassen sich, wie folgt, ergänzen:

S. 2, 10: Eph. 1,18 ff.; S. 2, 15: Offb. 3,2; S. 2, 17: 2. Kor.
10, 4 ff.; S. 3, 9: Matth. 6,9. 10; S. 3, 18: Matth. 20, 1 ff.; S. 9, 29:
Matth. 16,3; S. 12,23: Rom. 8, 37, Ps.84,8; S. 16, 19: Röm.3,23;
S. 40, 12: l.Kor. 4, 20; S. 62, 28: Am. 4, 11; Sach. 3,2; S. 66, 28:
Eph. 4,1; S. 79, 18: Matth. 7, 29.

An Nachweisergänzungen bzw. Literaturhinweisen würde ich folgende
für möglich halten:

S. 2, 1—10 vgl. Widmung (Vorrede) von Elias Praetorius (Christian
Hoburg), Spiegel der Mißbräuche ... 1644, IUI1'.

S. 12, 20: Tertullian, Apolog. 50, vgl. zu dem ganzen Gedanken
Hans v. Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche
1936, 147—149.

S. 14,11: zu Jes. 49, 23. Aller Wahrscheinlichkeit nach liegt eine
feste Tradition in der Anwendung dieser Bibelstelle auf die landesherrliche
Fürsorge für die Kirche vor (so daß Alands Beweisführung,
Spener-Studien 1943,48 ff. gegen Kurt Dietrich Schmidt, Labadie und
Spener ZKG 46 (1928), 568 f. gestützt wird). Belege für diese Tradition
: Luther W A 53, 255, 5; das Glaubensbek. loh. Sigismunds v.
Brandenbg. beim Übertritt zur ref. Kirche Weihnachten 1613 zit. b.
Hans Leube, Kalvinismus und Luthertum I 1928, 94; Johann Christfried
Sagittarius, Widmung zur Altenburger Lutherausgabe: Des thew-
ren seeligen Manns GOTTES D. Martini Lutheri Teutsdie Schrifften
1661, IA 2r ff.; Theophil Großgebauer, Wächterstimme aus dem
verwüsteten Zion 1661, 156 f.

S. 40,30: „Babel" vgl. bes. das gesamte Schrifttum Christian Hoburgs
(auf S. 16, Anm. zu 10 sollten anstatt des wenig wichtigen und
ergiebigen Ministerii Lutherani Purgatio andere Schriften Hoburgs genannt
werden, vor allem: Teutsch-evangelisches Judenthum(b) 1644"
1705, Postilla Evangeliorum Mystica 1663, Heutiger langwieriger ver-
wirreter teutscher Krieg 1644. Apologia Praetoriana 1646, Vaterlandes
Praeservatif 1677, Arndius redivivus 1677, Praxis Arndiana 1662,
Unbekannter Christus (posthum) 1727).

S. 61,1: vgl. zur ganzen Seite (Thema „Liebe") Hoburg (Elias
Praetorius) Spiegel der Misbräuche .. 1644, 273.

Berlin-Zehlendorf Martin Schmidt

Benz, Ernst: Bischofsamt und apostolische Sukzession im deutschen
Protestantismus. Stuttgart: Evang. Verlagswerk [1953]. 264 S., 7 Taf.
8°. Lw. DM 16.80.

Zu den Themen, die infolge der ökumenischen Situation
zu einer umfassenden historischen und systematischen (dogmatischen
und kirchenrechtlichen) Behandlung heranreifen, gehört
das Verständnis des kirchlichen Amts in seiner charakteristischen
Ausprägung als Bischofsamt und in seiner Begründung durch die
apostolische Autorität, für die die apostolische Sukzession
nur eine mögliche Form darstellt. Die Untersuchung von Ernst
Benz bekennt sich in dem einführenden Kapitel (S. 11—16) ausdrücklich
zu dieser aktuellen Situation, wie sie vorzugsweise in
der anglikanisch konzipierten Unionskirche von Südindien (1947)
anschaulich geworden ist, und möchte sie an mehreren wesentlichen
Punkten kirchenhistorisch klären, soweit der deutsche
Sprachraum dafür Beispiele bietet. Dies geschieht zuerst an Ja-
blonskis Unionsversuch auf bischöflicher Grundlage und Friedrichs
UU. Verlangen nach dem Königstitel für Brandenburg-
Preußen (S. 17—55), sodann an der bischöflichen Ordination der
böhmischen Brüder und der erneuerten Brüder-Unität (S. 56—78).
an der bischöflichen Verfassung der evangelischen (— lutherischen
) Kirche in Rußland unter Alexanderl. (S. 79—106), an
den Hofbischöfen Friedrich Wilhelms III. in Preußen (S. 107
—125), an dem Widerspiel zwischen urchristlich bzw. frühchristlich
-anglikanischen und königlich-preußischen Bischofstraditi-