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Ausgabe:

1958 Nr. 2

Spalte:

116-118

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Werner, Martin

Titel/Untertitel:

Die Entstehung des christlichen Dogmas 1958

Rezensent:

Schmidt, Erik

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 2

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im Leben" und er unterstreicht die These, daß man die Menschensohn
-Theorien nicht miteinander vergleichen darf, ohne
die Hintergründe zu beleuchten, gegen welche sie zu verstehen
sind. Daß es in der Henoch-Gruppe eine zentrale Figur gegeben
hatte, ähnlich dem „Lehrer der Gerechtigkeit" der Qumrän-
Sekte, scheint mir aber vom Verf. nicht bewiesen zu sein. Seine
Bemerkungen über Pseudonymität sind größtenteils richtig; er
hat aber nicht beweisen können, daß nur e i n Lehrer der Sekte
6ich mit Henoch identifiziert hat. Der Verf. spricht auch zu
ßchnell von „mystischer Identifikation"; wie steht es in dieser
Hinsicht mit dem Autor der Testamente der Zwölf Patriarchen?
Wenn es aber nicht sicher ist, daß es in der Henoch-Gruppe eine
zentrale Figur gegeben hat, dann müssen auch die Schlußfolgerungen
im letzten Teil dieses Buches erheblich modifiziert werden
.

Das Buch läßt sich nicht immer leicht lesen; die Beweisführung
bleibt oft etwas unbestimmt. Es muß auch gefragt werden
, ob es möglich ist, eine Strukturuntersuchung (der Autor
nennt sie eine „phänomenologische") zu unternehmen, ohne zuerst
die philologischen, exegetischen und isagogischen Probleme
zu lösen oder wenigstens zu besprechen. Bezüglich der Datierung
der verschiedenen Teile des Henochbuches, der Komposition der
Testamente der Zwölf Patriarchen, der Datierung und dem Zusammenhang
mit den Qumränschriften z.B. hätte man gern etwas
mehr gehört, als der Autor uns mitteilt.

Der Autor hat zweifellos einen interessanten Beitrag zum
Studium des Hintergrundes des äthiopischen Henochbuches geboten
. Hoffentlich wird er in der Zukunft die Zeit finden, um in
Detailuntersuchungen seine These weiter zu beleuchten.

Blija (Fr.) Niederlande M. de Jonge

GESCHICHTE DER THEOLOGIE

Hägglund, Bengt: Teologins Historia. En dogmhistorisk Oeversikt.
Lund: Gleerup [1956]. XI, 360 S. 8°.

Das vorliegende Buch stellt 6ich, veranlaßt durch die Reform
des schwedischen Theologiestudiums, mit wohltuender Bescheidenheit
die schlichte Aufgabe, einen Leitfaden zur ersten
Orientierung über die Geschichte der Theologie vom Frühchristentum
(Apostolische Väter) bis zur Gegenwart (Rudolf Bultmann)
zu bieten. Der Begriff „Dogma" wird dabei in der seit Harnack
fortschreitenden Verflüssigung preisgegeben und durch „Theologie
" als christliches Denken mit dem Anspruch auf eine gewisse
(nicht eng gefaßte) Verbindlichkeit ersetzt. Die propädeutische
Absicht führt zu weitgehender Vermeidung fremdsprachiger
Zitate (griechische dogmatische Formeln lassen sich freilich nicht
ganz unterdrücken —); auch sind in einem Anhang die lateinischen
termini technici übersetzt. Die Gliederung ist die traditionelle
. Ein ereter Teil behandelt unter dem Titel „Kirchenväterzeit
" (Kyrkofädernas Tid) die Denkgeschichte der Alten Kirche
bis zu Johannes Damascenus, wobei sich als Schwerpunkte die
antignostischen Väter Irenäus, Tertullian, Hippolyt, dann Athanasius
und das Ringen um die Christologie von Nicäa bis zu den
Monotheleten herausheben. Eine Bezugnahme auf die Patrologia
orientalis fehlt. Der Monophysitismus kommt infolgedessen
ganz kurz weg (l Seite), von den neueren Verhandlungen und
Aspekten (römisch-katholische Forschung, Werner Eiert) wird
nichts sichtbar. Auch die neue problemanalytische Erforschung
der Gnosis (Jonas u. a.) und des Kekos (Chadwick, Andresen)
schlägt sich nicht nieder. Verdienstlich ist ein Sonderparagraph
über die Entwicklung des Kirchenbegriffs im Abendlande vor
Augustin, selbst wenn er infolge ausschließlicher Ausrichtung
auf die Bußdisziplin problemgeschichtlich kaum Neues zu bieten
vermag und auf die Fragestellung etwa Wilhelm Kamlahs nicht
eingeht. Die Wiedergabe Augustins stellt, Harnack folgend, sein
persönliches Gottesverhältnis (nach den Confessiones), seinen Kirchenbegriff
und seine Gnadenlehre in den Mittelpunkt, sie läßt
die folgenreiche Trinitätslehre beiseite. Zu bedauern ist das
völlige Übergehen der griechisch-syrisch-ägyptischen Mönchsmystik
, die die Brunnenstube für die gesamte christliche Erbauungsliteratur
geworden ist; die Forschungen von Dörries und
Völker hätten eine Berücksichtigung verdient, zumal Nygren auf

die entscheidende Bedeutung dieser Mystik für die Geschichte
des christlichen Liebesgedankens aufmerksam gemacht hat.

In der Scholastik treten die entscheidenden Gestalten Anselm
, Abälard, Thomas v. Aquin, Duns Scotus, Occam klar
heraus, ebenso sachlich das Grundproblem Vernunft und Offenbarung
. John Wyclif erhält keine eigentliche Profilierung (vgl.
meinen Versuch, ihn vom Grunddatum des augustinischen Christus
humilis aus zu deuten. Gedenkschrift für Werner Eiert 1955,
72—108). Nebenfragen wie die folgenreiche Ausbildung der Gewissensautonomie
in der Theologie der 6ynteresis können wohl
infolge der gebotenen Knappheit nicht vorkommen.

In der Neuzeit, der dankenswerterweise fast die Hälfte des
Buches gewidmet ist, fällt angenehm die ausführliche Behandlung
Luthers und der lutherischen Orthodoxie auf, besonders auch
der Hinweis auf ihre nordischen Vertreter. Damit hängt die stärkere
Beachtung des Neuaristotelismus (Zabarella) und Humanismus
(Cornelius Martini, der Lehrer Calixts) zusammen. Auch
um eine theologische Einordnung des Pietismus zeigt 6ich der
Verf. bemüht, selbst wenn er hier in Klischees wie Erfahrung,
Subjektivismus befangen bleibt und die zentrale Stellung der
Wiedergeburt nicht erkannt hat. Sehr lobenswert ist die in aller
Kürze treffende Einreihung Kierkegaards unter den Stichworten
„Existenz" und „der einzelne" in die Geschichte der Loslösung
von Hegel und die — freilich sehr skizzenhafte — Durchführung
der theologischen Denkgeschichte bis zu Bultmanns Existenzial-
interpretation des NTs, für die der Verf. freilich auch den mißverständlichen
Ausdruck „Entmythologisierung" gebraucht. Bei
der Behandlung des römischen Katholizismus rächt sich die fast
ausschließliche Blickrichtung auf Deutschland; die theologische
Leistung des französischen Katholizismus, vor allem der theo-
logie nouvelle (de Lubac, Danielou) aber auch des Neuthomis-
mus Maritains, kommen nicht zu ihrem Recht — wie man auch
fragen muß, ob nicht heute eine Einbeziehung der anglikanisch-
anglokatholischen Theologie einfach unumgänglich ist.

Im ganzen hat sich wohl der Verf. eine zu große Entsagung
in der Berücksichtigung der gegenwärtigen Fragestellungen und
Tendenzen auferlegt, so daß sein Buch — auch als Anfängerfibel —
zu positivistisch ausgefallen ist. Es vermag infolgedessen nur
— im wesentlichen unbestrittene — Ergebnisse theologischen
Denkens als feste Kenntnisse zu vermitteln, nicht in die bewegende
und vorwärtstreibende Dynamik kirchlich - theologischen
Denkens hineinzuführen.

Berlin-Zehlendorf Martin Schmidt

Werner, Martin, Prof. D. D.: Die Entstehung des christlichen Dogmas
problemgeschichtlich dargestellt. 2. Aufl. Tübingen: Katzmann,
und Bern: Haupt [1953]. XXI, 755 S. gr. 8°. DM 35.—.

Die Dogmengeschichte der letzten 60 bis 70 Jahre ist durch
vier Namen bestimmt: A. v. Harnack, R. Seeberg, Fr. Loofs und
W. Köhler, wobei der beherrschende Geist Harnack ist, von dem
die drei anderen mehr oder weniger stark beeinflußt sind. Das
Werk von M. Werner, das nunmehr in 2. Auflage vorliegt, ist
eine bedeutsame Fortbildung, Ergänzung und auch Korrektur der
Arbeit seiner Vorgänger. Was ist da6 grundsätzlich Neue im
Ansatz und in der Durchführung dieser problemgeschichtlichen
Darstellung der Entstehung des christlichen Dogmas? W. ist mit
seinen Vorgängern darin einig, daß das altkirchliche Dogma eine
Hellenisierung der urchristlichen Lehre darstellt (2). Er vermißt
aber bei ihnen eine Antwort auf die Frage, auf die es für das
Verständnis und die Wertung des altkirchlichen Dogmas gerade
ankommt: Warum mußte es zu dieser Hellenisierung kommen
, wie ist der Übergang vom apostolischen zum hellenistischen
Christentum in seiner inneren Notwendigkeit zu begreifen
? (2) Harnack ging von einem modernen, historisch unzulänglichen
Jesusbilde aus, darum mußten ihm die inneren Bedingungen
des Hellenisierungsprozesses dunkel bleiben (3. 14).
Seine Nachfolger, im Ansatz und in der Stoffsammlung zu sehr
von ihm abhängig, vermochten diese Dunkelheit ihrerseits nicht
zu erhellen (10 f. 20. 26). Darum schlägt W. zum Verständnis
des Prozesses der Hellenisierung des Christentums einen ganz
neuen Weg ein: Sein Ansatzpunkt ist die konsequent-eschato-
logische Auffassung vom Urchristentum, wie sie besonders von
A. Schweitzer erarbeitet worden ist (37). Sein Kriterium zur Lö-