Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 2

Spalte:

89-96

Autor/Hrsg.:

Nyman, Helge

Titel/Untertitel:

Der amtierende Pfarrer als Abendmahlsgast im lutherischen Gottesdienst 1958

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

89

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 2

90

Der amtierende Pfarrer als Abendma

Von Helge N y m a
Während der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts führte man
zwischen der anglikanischen Kirche und der Kirche Finnlands
Verhandlungen, die allmählich einen Beschluß über Abendmahlsgemeinschaft
zum Ergebnis hatten. Aus dem Protokoll dieser
Verhandlungen geht deutlich hervor, auf welche Punkte der
Abendmahlspraxis der Kirche Finnlands die Anglikaner ein besonderes
Augenmerk richteten und welche sie daher näher verdeutlicht
wissen wollten. Sie gaben zu, die Abendmahlsliturgie
war in Finnland konservativer als in der englischen Kirche; und
diese Feststellung darf man als Anerkennung buchen. Was die
Auffassung des Abendmahls als solche betraf, entstand keine Erörterung
; doch wollten die anglikanischen Vertreter über einige
Fragen unseres Abendmahlsgebrauches Klarheit erhalten, da
ihnen diese in unserem Gottesdienst aufgefallen waren und aus
dem liturgischen Formular nicht hervorgingen. Und sie griffen
als Allererstes eine Sache auf, die sie allem Anschein nach mit
Verwunderung festgestellt hatten, als sie den lutherischen
Gottesdienst in Finnland miterlebten: Warum nahm der Pfarrer,
der den Abendmahlsgottesdienst hielt, nicht selbst an der Kommunion
teil?

Es bedarf keiner gründlichen ökumenischen Orientierung in
liturgischen Fragen, um dieses Staunen zu verstehen. Die Kirche
Finnlands war besonders zu jener Zeit eines der reinsten Beispiele
für die spezifisch lutherische Auffassung der Stellung des
amtierenden Pfarrers gegenüber dem Abendmahl, das er beim
Gottesdienst der Gemeinde verwaltete: das Sakrament wurde
jedem anderen abendmahlsberechtigten Teilnehmer dargereicht,
der Liturg selbst nahm jedoch an der Kommunion nicht teil.
Dies galt und gilt im allgemeinen auch heute noch als durchaus
natürlich, und weder Pfarrer noch Gemeinde stießen sich an dieser
Einrichtung. Allen nicht-lutherischen Beurteilern, auch den sonstigen
Protestanten, erscheint jedoch dieser Brauch äußerst
eigentümlich, da es ja überall, außer im Luthertum, als selbstverständlich
, ja geradezu als notwendig gilt, daß derjenige, der
den Abendmahlsgottesdienst hält, stets selbst das Sakrament
mitnimmt.

Ein Blick auf die Geschichte der Kommunionssitten zeigt,
daß innerhalb des Luthertums der Widerwille gegen die Kommunion
des Liturgen durch eine nahezu rätselhaft rasche Entwicklung
derart stark wurde, daß die Selbstkommunion des
Pfarrers an vielen Orten sogar gesetzlich verboten wurde — erstmals
in Kursachsen 1625 —, worauf die meisten anderen lutherischen
Länder Deutschlands nachfolgten, sei es ebenfalls durch
Gesetzeserlaß, sei es durch ein nicht minder stark verpflichtendes
Gewohnheitsrecht. Das Luthertum des Nordens beschritt alsbald
den gleichen Weg. Dänemark und Norwegen wurden durch das
■Kirchenritual' von 168 5 für gut zweihundert Jahre in gleicher
Weise gesetzlich gebunden, und in Schweden und Finnland galt
es auch ohne Verbot als ebenso selbstverständlich, daß kein
Pfarrer am Abendmahl durch Selbstkommunion teilnehmen dürfe.

Im gegenwärtigen Augenblick allerdings verschwindet aur
diesem Gebiet die Eigenheit des Luthertums. Die gesetzlichen
Verbote existieren seit langem nicht mehr. Deutschland marschierte
auch hierin wieder an erster Stelle, als die erste preußische
Generalsynode 1879 den Beschluß faßte, um die Aufhebung
des Verbotes zu bitten, was dann durch eine Verordnung
des Evangelischen Oberkirchenrates für Preußen 1881 erfolgte.
Der Ruf nach freier Selbstkommunion wurde auch im Norden
laut. Die Pfarrer Dänemarks erhielten in drei Etappen auf Grund
von Gesetzesmaßnahmen 1909 das Recht zur .Selbstbedienung'
innerhalb ihres Gottesdienstes, und in Norwegen war die gleiche
Frage in entsprechender Weise bereits 1901 gelöst worden. Die
augenblickliche Ordnung in Schweden, nach welcher ein Pfarrer
das Recht zur Selbstkommunion in solchen Fällen hat, in denen
kein zweiter amtierender Pfarrer zugegen ist, gründet sich auf
einen Erlaß von 1929. In Wirklichkeit ist die Kirche Finnlands

') Gastvorlesung, gehalten am 7. Mai 19 57 im Rahmen des Nordisch
-Lutherischen Seminars der Theologischen Fakultät der Universität
Kiel.

hlsgast im lutherischen Gottesdienst

n, Abo - Finnland1

die letzte, die sich noch immer darum bemüht, die altererbten
Schanzen zu verteidigen.

Es ist jedoch klar, daß die Frage nach der Teilnahme des
Liturgen am Abendmahlsgang seiner Gemeinde damit durchaus
nicht gelöst ist, wenn man die Selbstkommunion des Pfarrers
legalisiert hat. Noch immer ist es recht häufig, daß man das Recht
des Geistlichen, das Sakrament mit seiner Gemeinde zusammen
zu nehmen, als mehr oder weniger glückliche Notlösung ansieht,
und viele Pfarrer — in Finnland entschieden die meisten — finden
es natürlicher, daß sie nur dann kommunizieren, wenn sie
nicht selbst als Liturg tätig sind. Außerdem hat sich innerhalb
des Luthertums die Gepflogenheit ausgebildet, daß zwei amtierende
Pfarrer sich gegenseitig das Abendmahl reichen. Dies
ist ja nach schwedischem Gesetz die Regel und die Selbstkommunion
, wie gesagt, nur dann erlaubt, wenn kein zweiter amtierender
Pfarrer zur Stelle ist.

Wo die Selbstkommunion als allzu anstößiger Ausweg
empfunden wird — was im Finnland unserer Tage der Fall ist —
hat man den Gedanken lanciert, daß Pfarrer, die allein sind,
durch fromme Laien beim Abendmahl bedient werden könnten.
Ein derartiger Vorschlag steht auf der Tagesordnung der nächsten
finnischen Kirchenversammlung 1958 zur Entsdieidung.
Aber der in dieser Form gemachte Vorschlag fördert leider kein
neues Verständnis für die regelmäßige Kommunion des Pfarrers
innerhalb des Gottesdienstes, sondern er hat lediglich den Zweck,
die Einführung einer Selbstkommunion zu verhindern. Es ist daher
dringend erforderlich, daß diese für das lutherische kirchliche
Leben so bezeichnende Sonderentwicklung gründlich geklärt
und wirklich 6achentsprechend beurteilt und geregelt wird2.

Wir können hier wieder an die Diskussion zwischen den
Vertretern der anglikanischen und finnischen Kirche anknüpfen.
Als Erklärung dafür, warum der Liturg in Finnland an der
Kommunion nicht teilzunehmen pflegt, wurde finnischerseits angeführt
, die Kommunion des Pfarrers sei als Protest gegen den
mittelalterlichen Mißbrauch abgeschafft worden, wo der Priester
allein — auch ohne Gemeinde — kommunizierte.

Es ist klar, daß diese Antwort nicht auf einer genauen
Kenntnis der Geschichte der Pfarrerkommunion gründet. In
Wirklichkeit ist die Entstehung der lutherischen Sonderauffassung
ein recht verwickelter Vorgang. Ich will versuchen, diejenigen
Faktoren hier zu beleuchten, die meiner Überzeugung nach in
diesem Zusammenhang die entscheidenden sind.

Als unbestreitbare Tatsache müssen wir zuerst feststellen,
daß die Kommunion des Liturgen im Gemeindegottesdienst
nicht in dem wichtigen Augenblick abgeschafft wurde, als in
der Reformationszeit der lutherische Gottesdienst geboren und in
bewußtem Gegensatz zur Feier der römischen Messe ausgeformt
wurde. Eine derartige Konsequenz von Luthers äußerst zielsicherer
Opposition gegen die römische Abendmahlsdeutung hat
dem Reformator selbst niemals vorgeschwebt. Zwar hat Luther
energisch die Sitte bekämpft, daß der Priester als alleiniger
Kommunikant die Messe feiere. Er fordert die Austeilung des
Abendmahls in beider Gestalt an die Gemeinde. Aber er wollte
hiermit niemals den Liturgen absondern und von der Kommunion
der Gemeinde ausschließen. Man hat zwar später den Versuch
gemacht, eine Stelle der Schmalkaldischen Artikel ins Feld
zu führen, um Luthers Mißfallen an der Selbstkommunion des
Pfarrers zu beweisen. Dort heißt es: „Aber sich selbs kommuni-
cieren ist ein Menschendunkel, ungewiß und unnötig, ja dazu
verboten"3. Aber der Zusammenhang zeigt, daß es sich hier um

2) Die Frage der Kommunion des Pfarrers ist in meiner Arbeit:
Kyrkotjänarens nattvardsgäng i lutherskt gudstjänstliv (= Acta Aca-
demiae Aboensis, Humaniora XXI, 4), Abo 195 5 eingehend behandelt
worden. Dieses Buch gibt über die Quellen der obigen Darstellung und
über die überraschend reiche Literatur, die diese Frage behandelt, nähere
Auskunft. — Vgl. auch L. Fendt: Die „Selbstkommunion" im Luthertum
, in ThLZ 81, 1956, Sp. 423—426.

3) Bek. Schriften d. ev.-luth. Kirche. 2. verb. Aufl., Göttingen
1952, S. 418 f.