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Ausgabe:

1958 Nr. 12

Spalte:

882

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stange, Erich

Titel/Untertitel:

Ich suchte den Bruder 1958

Rezensent:

Niedner, Carl

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 12

882

Argumenten zu verwickeln" (80); die „antithetischen Aussagen",
die „integrierender Bestandteil jeder Predigt" sind (92). Sie müssen
die „Zwiespalte in der Welt und im Menschen", „von Glaube
und Unglaube", von „Menschenwelt und Gottesreich" zum Ausdruck
bringen, sind aber vielfach auch die Eindrücklichkeit des
Gesagten verstärkende „Mittel der Rhetorik oder Ausdruck der
denkmorphologischen Eigenart des Predigers" (108). — Zu diesem
rhetorischen Gebrauch wird ein interessantes Wort A. Vinets zitiert
: „Die Antithese ist eines der stärksten Mittel, die Gegenstände
hervorzuheben. Der Geschmack an der Antithese gehört
besonders den Zeiten und den Geistern an, denen es an Einfachheit
fehlt; sie ist eines jener Gewürze, die bestimmt 6ind, einen
stumpfen Gaumen aufzuwecken" (S. 114 Anm.). — Von der „paradoxen
Rede" schließlich sagt K. in seinem Leitsatz (S. 116):
„Das Wissen um den in sachlich-existenzieller Beziehung paradoxen
Charakter der Offenbarung Gottes in der Welt muß im
Hintergrund aller kirchlichen Verkündigung stehen und sich in
ihr auch gebührenden Ausdruck schaffen. Aber der Prediger soll
nicht in unverständlicher oder gar denkwidriger Weise davon reden
. Vom Inhalt der Predigt ist überdies zu fordern, daß der Aufweis
des Offenbarungsparadox' von der christlichen Versöhnungsbotschaft
überhöht wird."

Das alles wird nun an einer Fülle von Predigtbeispielen aufgewiesen
und beurteilt. Da6 Register weist über vierzig zitierte
Predigtbände auf. Als Hauptvertreter der dialektischen Predigt
sind vor allem Barth, Thurneysen und Schlink genannt. Nicht in
jedem Falle wird die Analyse und Kritik der Intention der dialektischen
Argumentation voll gerecht (z.B. S. 88 der K.Barths!),
zumal es K. offensichtlich um eine Entdialektisierung des heutigen
Prcdigtstils zu tun ist. Um so wertvoller, daß er nicht bei der
Kritik stehen bleibt, sondern nun auch an greifbaren Beispielen
zu zeigen bemüht ist, wie, ohne der Sache Eintrag zu tun, sich
viele dialektische Argumente und Redeformen auch undialektisch
und dann auch einfacher und sogar klarer sagen lassen.

Das Bedeutsame dieser Studie K.s sehe ich darin, daß die
Argumentationsformen der Predigt überhaupt wieder homiletisch
zu interessieren beginnen und kritisch in Beziehung zu den darin
gesetzten Bezeugungsgehalten gesehen werden; und ferner, daß
in dieser Hinsicht die besonderen Möglichkeiten, aber auch die
Grenzen der dialektischen Predigtweise deutlich werden. Die
„Dialektik", besonders in ihrer zur Paradoxie gesteigerten Form,
war für eine ganze Theologengeneration der Schlüssel, der ihr das
gute Gewissen und den intellektuellen Zugang zu einer neuen
Orthodoxie eröffnete. Sie hat diesen Schlüssel, ihr selbst oft gar
nicht bewußt, mit dem Preis einer charakteristischen Intellektuali-
sierung und Abstraktion ihrer Verkündigung bezahlen müssen,
auf deren Bedenklichkeit dieses Buch die homiletische Aufmerksamkeit
lenkt. Sicher hätte man die theologischen, aber auch die
geistes- und stilgeschichtlichen Hintergründe und Konsequenzen
der hier angeschnittenen Problematik noch viel weiter verfolgen
können. Das hätte die Grenzen einer Dissertation erheblich überschritten
. Die Dialektik hat, worauf K. selbst hinweist, auch ihr
biblisches Fundament, vor allem bei Paulus. Sie ist aber nicht
minder mit den, sicher von Kierkegaard beeinflußten, und doch
auch sehr säkularistisch entwickelten Denkformen des modernen
philosophischen Existenzialismus verbunden, ja gehört als eine
charakteristische Äußerung der Mentalität unserer Zeit in den
Stilzusammenhang der heutigen „Weltsprache der abstrakten
Kunst". — Jedenfalls hat K. dankenswerterweise hier Probleme
angeschnitten, die uns homiletisch, aber auch grundsätzlich theologisch
noch weiter zu beschäftigen haben werden.

Bonn Joachim Kon rad

Giesen, Heinrich: Sei fünf Minuten still. Ein Andachtsbuch für 36 5
Tage. Stuttgart: Kreuz-Verlag [1954]. 376 S. Lw. DM 7.80.

Das Buch, das wir besprechen, hat seinen Weg längst gemacht
. Es hat in den wenigen Jahren seit 1954 eine ungewöhnliche
Verbreitung gefunden und hat diesen Erfolg verdient. Es hält
— einige Eigenwilligkeit zugegeben — einer theologischen Prüfung
stand. Die Leistung ist auch theologisch erheblich. Hintergrund
dürfte nach Form und Inhalt die Verkündigung von W. Busch-
Essen sein. Seine Aktualität hat es gewonnen in der Zusammenarbeit
mit dem Mitarbeiterkreis der Kirchentage, in dem Beobachtungen
der Lage der Zeitgenossen ständig ausgetauscht und gesammelt
werden. Geformt ist es aber von Giesen selbst, dem man
eine gewisse Meisterschaft für die Prägung einer Andachtskurzform
zubilligen muß. Er legt für jeden Tag des Jahres ein knappes
Bibelwort auf einer schmalen Seite aus; ein Gebetsvers oder ein
neugeprägtes knappes Gebet beschließen die Seite. Die Sprache ist
von einer außerordentlichen Prägnanz, oft von schlagwortähnlicher
Kürze. Der moderne Mensch wird selten die Empfindung
haben, mit überflüssigen Worten ermüdet zu werden, im Gegenteil
regt die Knappheit der Diktion die Phantasie der Leser an.
den Gedanken weiter auszuspinnen. Es gibt keine langen Satzperioden
. Wie stark die Rede in knappen Sätzen sein kann, läßt
6ich an Giesens Buch studieren. Hier ist die „akademische" Ver-
bildung unserer Schriftsprache überwunden und eine Sprache gefunden
, die sich sprechen läßt. Vielleicht wird in der Verknappung
des Guten schon zuviel getan. Gelegentlich wirkt der Stil
plakathaft übertreibend, sprunghaft, in Telegrammstil gehackt
und kann auch eine Manier annehmen, die auf die Länge ermüdet
. Die Vorzüge übertreffen aber Einwände dieser Art. Es sind
wirkliche Aussagen gemacht, die 6ich einprägen. Dabei fällt auf,
wie sehr auch die Sprache Kanaans „modern" und treffend sein
kann. Wer sie 60 wie Giesen spricht, nimmt für das Ohr des modernen
Hörers in Anspruch, daß der Prediger auch und gerade
mit dieser Sprache meint, was er sagt, und damit ist erreicht, was
zu erreichen ist. Die bezeugte Botschaft aber bequemt sich den
Zeitgenossen nie so an, daß 6ie Autorität und Wahrheit verlöre.
Zu dieser Botschaft paßt die affirmative Form, die nicht zur Debatte
stellt, sondern zuspricht, aufruft, beschwört und befestigt
Dem Hörer wird wirkliche biblische Botschaft ausgerichtet und
zugemutet. Das Buch bringt an den Tag, wieviel biblische Erkenntnis
in der heutigen Verkündigung in voller aktueller Bewegung
ist und wieviel man dem „religionslosen Menschen" von
heute ausrichten kann, wenn man etwas zu sagen hat.

Herlin Martin F i s ch o r

Stange, Erich, D.: Ich suchte den Bruder. Ökumenische Reiseberichte.
Konstanz: Friedrich Bahn [1957]. 190 S., 1 Titelbild. 8°. Lw. DM 7.20

Unter Teilnahme weitester Kreise innerhalb und außerhalb
Deutschlands feierte am 23. März 1958 Erich Stange seinen 70. Geburtstag
. Man war durch Stanges Lebensbericht: Er führt uns wie
die Jugend. Kassel Eichenkreuz Verlag 1957, zugerüstet (vgl. ThLZ
1958, Nr. 2, Sp. 122 f.).

Man könnte sagen, auf die Ilias folgt nun die Odyssee. Doch
ist der Reise-Bericht kurz und knapp gehalten, stark konzentriert.

Zuletzt geht es um das Herzstück der großartigen Jungmännerarbeit
, der Stange die fruchtbarsten Jahre seiner Lebensarbeit
gewidmet hat.

Dabei kann man davon ausgehen, daß um 1900 die damals
hochangesehene „Theologische Rundschau" in der Zeit, wo die
historisch-kritische Theologie alles Bisherige, was an kritischen
Scharfsinn geboten werden konnte, überboten hatte, in die fa6t
qualvollen Worte ausbrach: gibt es denn noch ein einziges biblisches
Buch oder Wort, das auf „Echtheit" Anspruch machen darf.

Man darf sich nicht irre machen lassen durch die große Selbstsicherheit
und die selbstverständliche Überlegenheit der jeweils
die Führung übernehmenden „modernen" Jugend und übersehen,
wie hilflos, innerlich tastend und im Grunde verlegen gerade die
Kreise sind, die beim Rennen ganz vorn liegen. Es ist immer
wieder ergreifend, ja erschütternd, wie unüberhörbar der junge
Mensch immer wieder herzandringend ruft: dog /not nov ot(~).

Es ist, wie das deutlich aus Stanges ökumenischen Reiseberichten
usf. hervortritt, das einzigartige Verdienst der Jungmännerarbeit
, vor allem unter Stanges Leitung, daß sie der Jugend
weithin in schwerer und schwerster Zeit eine unumstößlich feste
Basis gab, wo 6ich großartige Weltenweite mit schärfster Klarheit
und Präzision verbindet — Gottes Wort und Jesus Christus.
Darin liegt die literarisch-theologische Bedeutung von Stanges
zweitem Büchlein.

Leipzig Carl Niedner