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1958 Nr. 12

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 12

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änderung, Entwicklung und Entfaltung der ganzen Persönlichkeit
beiträgt. P. spricht mit Recht von einem „Schicksalsschritt" (21).
Diesem Sinn der Krankheit und ihrer Bedeutung im ganzen Lebenszusammenhang
gilt die besondere Frage des Verf.s, und er
befindet sich damit in großer Nähe zu den Arbeiten Viktor von
Weizsäckers. So interessant und lehneich die Fülle der hier vorgelegten
Beobachtungen bleibt, so problematisch ist aber doch am
Ende oft deren Deutung. Das gilt schon für den Versuch, jeder
Krankheit eine abstrakte und allgemein gültige Sinnstruktur zuzuweisen
, und das zeigt sich dann vor allem in den einzelnen Ergebnissen
. So ist es mehr überraschend als überzeugend, wenn
etwa enge Beziehungen zwischen dem intestinalen Organsystem
und einem Bereich des „Erdhaften" behauptet werden (30), oder
wenn die Arteriosklerose zum unmittelbaren Ausdruck von Veränderungen
im „Gefühlsleben" wird (40). Ganz fragwürdig sind
schließlich die isolierten „Krankheitsdeutungen" im Anhang
(53 ff.).

Die zweite Abhandlung, die dem ganzen Buch die Überschrift
gegeben hat, stellt den Versuch einer „verstehenden Morpholo-
gie"nicht allein des Menschen, sondern der biologischen Tierreihe
im Ganzen dar. Sie geht aus von dem Grundsatz, daß körperliche
Gestalt „immer als Wesensausdruck zu deuten und zu verstehen"
kt (133), und sie sucht darin den Anschluß an Goethe und Carus.
Auch hier sind wieder eine Fülle 6ehr lesenswerter einzelner
Beobachtungen und Interpretationen verarbeitet, das Ganze aber
hinterläßt den Eindruck allzu eigenwilliger Spekulation; der Satz
z. B., daß Körpersymmetrie „Ausdruck der Lebenskernung" sei
(101), dürfte auch dem bereitwilligsten Leser unverständlich bleiben
. Leider konnte diese Abhandlung durch den Tod des Verf.s
nicht mehr vollendet werden. Sie ist unvollständig geblieben.
Die Veröffentlichung der Arbeiten ist jedenfalls als ein beachtlicher
Beitrag zum Problem der Anthropologie überhaupt dankbar
zu begrüßen.

Göttingen Dietridi Rö s sie r

Hei mann, Hans, Priv.-Doz.: Prophetie und Geisteskrankheit. Antrittsvorlesung
, geh. am 4. 6. 1955 an der Universität Bern. Bern:
Haupt [1956]. 25 S. gr. 8° = Berner Universitätsschriften H. 11.
DM 2.80.

Diese Antrittsvorlesung de6 Oberarztes an der Berner psychiatrischen
Klinik nimmt ein Thema auf, das in jüngster Zeit
vor allem durch die Arbeit von Karl Jaspers über Hesekiel wieder
aktuell geworden schien. Aber H. geht es weniger um die Frage,
ob der visionäre und auditionäre Offenbarungsempfang der alt-
testamentlichen Propheten mit der schizophrenen Erkrankung in
Verbindung gebracht werden muß; er sucht vielmehr nach den
bestimmenden Kennzeichen der „prophetischen Haltung" im
Alten Testament, die im Anschluß an die Eichrodtsche Theologie
kurz analysiert wird (7 ff.), und deren Gegensatz zum krankhaften
prophetischen Bewußtsein. Das Krankhafte verrät sich — wie
das wohl für die Schizophrenie allgemein charakteristisch ist —
„an den fehlenden Proportionen zwischen Haltung, Inhalt der
Botschaft und geistiger Welt" des „Propheten". Deshalb ist gerade
dieser Krankheitsbegriff „in 6einer Anwendung an kulturelle
und geschichtliche Momente gebunden" (17). Außerordentlich
lehrreich ist die abschließende, durch prägnante Biographien erläuterte
Entfaltung des Satzes, daß die krankhafte prophetische
Haltung „zu einer der vielen möglichen Ausdrucksformen des
Menschen" werde, „in welcher er diese Krankheit darlebt" (21).

Göttingen Dietridi Rössier

H a e n d 1 e r, Otto: Die Glaubenskrise als psychologisches Strukturproblem
.

Wege zum Menschen 10, 1958 S. 347—356.

K i e6 o w, Ernst-Rüdiger: Der Protestantismus in der Sicht C. G. Jungs.
Monatsschrift für Pastoraltheologie 47, 1958 S. 445—450.

Scheuner t, Gerhart: Psychoanalytische Situation und zwischenmenschliche
Beziehung.
Wege zum Menschen 10, 1958 S. 37—46.

BELIGWNS PÄDAGOGIK

Asheim, Ivar: Die Verantwortung der Familie für die christliche Erziehung
. Bericht der Kommission für Erziehungsfragen für die Vollversammlung
des Luth. Weltbundes 19 57 in Minneapolis. Im Auftrag
der Kommission hrsg. vom Vorsitzenden Bjarne H a r e i d e.
Genf: Luther. Weltbund 1957. (Zu beziehen durch die Geschäftsstelle
des Deutschen Nationalkomitces des Luth. Weltbundes Hannover-
Herrenhausen, Böttchers». 8.) 109 S. 8°. DM 2.—.

Es muß dem aufmerksamen Beobachter auffallen, daß die
evangelische Theologie in Deutschland sich in der Zeit seit 1945
zu den brennenden und überall diskutierten Fragen der Familienerziehung
im wesentlichen ausgeschwiegen hat, im Unterschied
zum katholischen1 und nordamerikanischen Raum1, wo die Kirchen
intensiv an diesen Problemen arbeiten und mit gründlichen
und sachkundigen Monographien hervortreten. Außer den beiden
praktischen Elternbüchern5, die wenigstens einmal eine empfindliche
Lücke ausfüllen, und einer knappen Arbeitshilfe für die
Gemeindearbeit* ist nichts Nennenswertes erschienen. Man überläßt
das Feld der hervorragenden Forschungsarbeit der Soziologen,
im übrigen aber der Fürsorgearbeit und der Ehe- und Erziehungsberatung
. Dabei ist die Familienerziehung ein komplexes Gebilde
, das nur in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von
Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Rechtswissenschaft und Theologie
recht bewältigt werden kann und wo gerade der Beitrag
der theologischen Sozialethik und Erziehungslehre nicht fehlen
darf. Es ist darum sehr zu begrüßen, daß neuerdings das Comcnius-
Institut in Münster/W. die Problematik des Elternrechtes zu bearbeiten
beginnt.

Die vorliegende Arbeit ist kein pragmatischer Kommissionsbericht
, wie es nach dem Umschlag scheinen könnte, sondern eine
theologische Studie, die in 6tarker Konzentration den ganzen
Spannungsbogen vom soziologischen Befund über die dogmatische
und sozialethische Grundlegung bis zu den pädagogischen und
pastoraltheologischen Verwirklichungen abzuschreiten versucht.
Es liegt auf der Hand, daß das bei einem Textumfang von gut
100 Seiten nur in großen Zügen geschehen kann. Um so bemerkenswerter
ist die Weite des Blickfeldes und die sachkundige Zuverlässigkeit
in allen angeschnittenen Fragen. Die Studie ist das
Ergebnis der von der Kommission für Erziehungsfragen im Luth.
Weltbund in der Periode von 1952 bis 1957 geleisteten Arbeit.
Das von den verschiedenen Studienkommissionen und Gliedkirchen
erarbeitete Material wurde für die Ausarbeitung benutzt.
Doch ist die Studie in ihrer jetzigen Gestalt in hohem Maße ein
Werk des norwegischen Theologen I. Asheim, der dabei eng mit
dem Vorsitzenden der Kommission, Rektor B. Hareide, Oslo,
zusammenarbeitete.

Das einleitende Kapitel ist der Klärung der soziologischen
Situation der heutigen Familie gewidmet (S. 5—16), wobei neben
den deutschen auch die wichtigsten angelsächsischen Autoren zu
Wort kommen. Der theologische Hauptteil ist aufgebaut auf der
Lehre von den beiden Regimenten Gottes. Die Familie wird interpretiert
als eine Ordnung Gottes unter seinem weltlichen Regiment
(S. 17—5 5). Daraus können ihre „weltlichen" Aufgaben im
einzelnen abgeleitet werden. Dabei zeigt sich, daß man nicht in
falschem Konservativismus von einem „normativen christlichen

*) A. u. R. Scherer und J. Dornreich (Hg.), Ehe und Familie. Grundsätze
, Bestand und fördernde Maßnahmen. Freiburg: Herder 1956,
295 S. — Jacques Leclercq, Die Familie. Ein Handbuch. Freiburg: Herder
1955, 421 S.

*) Oscar E. Feucht (Hg.), Helping Families through the Church.
A Symposium on Family Life Education. Saint Loui6: Concordia Publ.
House 1957. 344 S.

3) Konrad Korth, Die Stunde des Elternhauses. Ein Erziehungsbuch.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1957. 155 S. — Otto Schlisske,
Evang. Elternbuch. Die Erziehungshilfe für den Alltag. Stuttgart: Kreuzverlag
1954. Vgl. Th. Delleman u. H. Hijmans (Hg.), Ehe und Familie.
Aalten u. Köln: Verlag „De Graafschap" 1954, 307 S.

*) Klaus von Bismarck (Hg.), Die Familie in der christl. Gemeinde.
Eine Arbeitshilfe für haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter in der Gemeinde
. Bielefeld: Robert Bechauf Verlag. O. J. — Vgl. K. Fror, Die
Familie und die christl. Erziehung, in: Luth. Rundschau 5, 1956,
S. 385—397.