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Ausgabe:

1958 Nr. 1

Spalte:

874-876

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Lückert, Heinz-Rolf

Titel/Untertitel:

Konflikt-Psychologie 1958

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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873 Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 12

gestaltet. Man wolle das nicht als ein theologisches Schuldbekenntnis
im Blicke auf die frühere Auflage mißverstehen. Was
fortgefallen ist zum Beispiel in der Lehre vom Volke, Staate und
von der Politik, dessen kann ich mich im Ganzen auch heute nicht
schämen — so gewiß im einzelnen manches unzulänglich und einseitig
gewesen sein mag." Diese Sätze sind verständlich angesichts
der maßlosen und auch in der Form verletzenden Kritik, welche
seitens Karl Barths (Kirchliche Dogmatik III, 4, S. 345 ff.) und
der von ihm beeinflußten jüngeren Theologen (vgl. z. B. Zeitschrift
für Evangelische Ethik 1957, 2) gegen den Verfasser geübt
wird, wo neuerdings — angeblich aus politischer Schonung — eine
anonyme Polemik Mode geworden zu sein scheint.

Die heute unmittelbar aktuell und immer heftiger gewordene
Auseinandersetzung geht bekanntlich um Luthers Zwei-
Reiche-Lehre. Die Frage ist: Hat nur das Luthertum Luther weithin
mißverstanden, indem es daraus eine absolute Spaltung zwischen
Reich Gottes und Reich dieser Welt gemacht hat, oder ist
nicht Luther 6elbst, wie etwa H. Gollwitzer und andere meinen,
für diese Spaltung selbst verantwortlich, und ist deshalb Luthers
Lehre heute überholt?

Gegenüber solchen, die bleibende Bedeutung Luthers für
alle ethische Besinnung unterschätzenden und es angeblich
besserwissenden Theologen hält Paul Althaus bekanntlich an Luthers
genialer Grundkonzeption, die er anderwärts ausführlich
entfaltet und interpretiert hat, fest. Für Althaus besagt die
„Eigengesetzlichkeit" oder, um mit seinem Freunde und Nachfolger
in Rostock, Friedrich Brunstäd, zu sprechen, „Eigengestaltig-
lceit" lediglich, daß beide Welten oder Regimenter oder, wie man
auch sagen könnte, Dimensionen „unvermischt" miteinander sind.
Luthers Zwei-Reiche-Lehre schließt aber nach dieser, wie wir
glauben, allein richtigen Interpretation das ,.Ungeteilt" nicht nur
nicht aus, sondern ausdrücklich ein. Mit anderen Worten, es handelt
sich nach Luthers Lehre bei jeder sittlichen Entscheidung in
der Verantwortung des Gewissens vor Gott immer um eine Entscheidung
hic et nunc, in die uns von Gott, wenn auch nicht
ohne confusio hominum, gegebene Lage hinein.

In dem vorliegenden Grundriß wird diese Grundhaltung im
wesentlichen vorausgesetzt und in dem ersten grundlegenden
Hauptteil kurz — vielleicht allzu kurz — dargestellt. Daß der
eschatologische Gesichtspunkt nicht zu kurz kommt, wenn er
auch gerade in der Ethik u. E. mit Recht nicht überbetont wird,
versteht sich bei dem Verfasser der „Letzten Dinge" von selbst.

.....das Evangelium bedeutet nicht nur die Krisis, sondern auch

die Neubegründung der Sittlichkeit. Denn es bringt die Vergebung
und verkündet den Anbruch des kommenden Reiches
Gottes. Das christliche Ethos ist demnach Ethos der
Rechtfertigung und Ethos der Gewißheit des Reiches, d. h. escha-
tologisches Ethos" (S. 64).

Der zweite entfaltende Hauptteil bringt dann zunächst die
Grundzüge des christlichen Lebens unter den drei Abschnitten:
a) das Leben (hier ist vom Sterben, dem Leibe, von Arbeit, Beruf
und Ehre sowie Askese und Leiden die Rede), b) die Gemeinschaft
(Wesen echter Liebe und Freiheit), c) die Kultur (Wissenschaft
, Technik, Eigentum). Ein zweiter Abschnitt spricht dann
von dem Leben in den Ordnungen, d. h. von dem Verhältnis der
Geschlechter, von Volk und Rasse, von Staat und Politik, von
Gesellschaft (hier werden auf Grund des vorher über Nutzung
der Welt, Technik und Eigentum Gesagten die Wirtschaft und
soziale Frage behandelt), endlich von der Kirche.

Um die heute vielleicht umstrittenste Frage herauszuheben,
seien einige Sätze über das V o 1 k zitiert: „In dem Glauben, daß
mich Gott geschaffen hat, erkenne ich mein Volk als Gottes
Schöpfung." „Er hat mein Leben volkhaft begabt und gebunden."
„Indessen das gleiche Nebeneinander der Völker, in dem wir den
Schöpferwillen und Schöpferreichtum Gottes erkennen, erfahren
wir auch als Not und Fluch. Die Besonderung ist immer auch
Sonderung und Spaltung . . .". „Weil aber die Gliederung der
Menschheit bei aller Verflochtenheit mit Sünde und Tod doch
nicht aufhört, Schöpfung zu sein, . . . tragen wir Verantwortung
für das leibliche und das geistige Erbe unseres Volkes (Volks-
Treue)." „Diese Treu-Pflicht darf nicht dadurch verfälscht werden
, daß man sie mit dem angeblich besonderen Werte oder der

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besonderen Sendung des Volkes begründet. Jede derartige Begründung
verleugnet die Einfalt des Schöpfungsglaubens." „Es ist
auch Schöpferordnung, daß die Völker voneinander und füreinander
leben. Es gibt hier keine Autarkie ... Zu der Würde eines
Volkes gehört es auch, daß es für das von andern Empfangene
danken kann. Durch solchen Dank ist es mit den anderen verbunden
und vor aller chauvinistischen Entstellung der Liebe und
Treue zum eigenen Volkstum bewahrt . .." (S. 124 ff.).

Man sieht: Althaus ist im bewußten Unterschied zu Karl
Barth (vgl. dessen geschraubte Abhandlung über die Stellung zum
eigenen Volk a. a. O.) frei von dem heute auch in Deutschland
nicht ohne Einfluß von Karl Barth üblich gewordenen Ressentiment
gegen den Begriff des eigenen Volkes.

Paul Althaus bewährt, wie in allen seinen Schriften,
auch in diesem Grundriß eine gründliche Verarbeitung der
Literatur und ein nach allen Seiten vorsichtig abgemessenes Urteil
. Im Unterschied zu seinem großen reformierten Gegenspieler
(man denke nur an die Weitschweifigkeit der Bardischen Dogmatik
und ihre oft ins Uferlose gehenden, wenn auch immer interessanten
Exkurse!) bleibt der Erlanger Systematiker stets straff
und auf das Wesentliche konzentriert.

Althaus schreibt im Vorwort mit Recht: „Eine Ethik veraltet
in unseren Zeitläuften noch schneller als eine Dogmatik."
So ist z. B. zwar von Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen
(S. 152 f.) die Rede, aber noch nicht von der heute brennendsten
Frage, der Stellung des Christen zur Aufrüstung mit
ABC-Waffen. Und doch kann der aufmerksame Leser aus diesem
1953 erschienenen Grundriß besonnenen Rat auch für diese
politisch-ethische Gewissensentscheidung finden.

Bonn Carl G. Sch w c i t z e r

Bismarck, Klaus von: Solidarität, eine Frage an den Christen heute.
Zeitschrift für evangelische Ethik 1958 S. 271—283.

B o h 1 i n, Torgny: Scelsorge und Psychotherapie im Lichte der lutherischen
Lehre vom Beruf.
Wege zum Menschen 10, 1958 S. 232—237.

F r o e s e, Leonhard: Von ehelicherund erziehlicher Kommunikation.
Wege zum Menschen 10, 1958 S. 194—199.

Geck, L. H. Adolph: Die Bedeutung der Sozialwissenschaft für die
Moraltheologie.

Trierer Theologische Zeitschrift 67, 1958 S. 162—180.
K a m 1 a h, Wilhelm: Die Sorge um die Autorität.

Die Sammlung 13, 1958 S. 537—55 1.
Müller, Dedo: Theologie und Ethos der Liebe.

Wege zum Menschen 10, 1958 S. 46—53.
O y c n, Hendrik van: Mann und Frau im Sinne der Bibel.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1958 S. 155—168.
Reiner, Hans: Ethik und Menschenbild.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1958 S. 284—295.
R u s h d o o n y, R. J.: Christianity and the Cultural Problem.

The Westminster Theological Journal XX, 1958 S. 133—145.
Schneider, Erwin Eugen: Zur Revision der theologischen Lehre von

den Ordnungen.

Zeitschrift für Theologie und Kirche 54. 1957 S. 377—406.
Seelhammer, Nikolaus: Über die Erziehung zur Gewissenhaftigkeit.

Trierer Theologische Zeitschrift 67, 1958 S. 28—41.
W a 11 h e r, Dieter: Zur Behandlung des Kompromißproblems in der

Geschichte der evangelisch-lutherischen Ethik.

Kcrygma und Dogma 4, 1958 S. 73—111.
Weber, Otto: Freiheit in unserer Welt.

Evangelische Theologie 18, 1958 S. 433-445.

PSYCHOLOGIE UND RELIGIONSPSYCHOLOGIE

Lückert, Heinz-Rolf: Konflikt-Psychologie. Einführung und Grundlegung
München/Basel: Ernst Reinhardt 1957. 592 S. gr. 8°. Lw.
DM 28.-.

In der Psychologie herrscht reges Leben. Der Titel des hier
zu besprechenden Buches läßt darum aufhorchen, weil die weitausgebaute
und -beachtete Neurosenlehre der Gegenwart auf
einer Anschauung und Lehre der innerseclischen Konflikte beruht.
Lückert knüpft denn auch begreiflicherweise an diesen Sachverhalt
an, nicht ohne seiner Beunruhigung darüber Ausdruck zu
geben, daß die Psychoanalyse trotz ständig fortschreitenden Ge-