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Ausgabe:

1958 Nr. 12

Spalte:

865-867

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Von Beginn des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts 1958

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 12

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nem Geleitwort nicht ableugnet, sondern als Ausdruck ihres
„ökumenischen" Charakters werten will, zeigt m. E., daß der
Versuch einer „christlichen Philosophie" bereits in seinem Ansatz
katholisch ist und immer zu analogen Ergebnissen führen
wird. Christus paßt nun einmal in kein philosophisches System,
auch nicht in ein „christliches". Hier liegt die Grenze auch aller
theologischen Systematik.

Mainz Werner Wiesner

Andres, Mateo: Tiempo y ser humano en la filosofia de L. Lavelle.
Ciencia y Fe, 14, 1958 S. 39-71.

Gogarten, Friedrich: The Unity of History.
Theology Today XV, 1958 S. 198—210.

Peursen, CA. van: Ethik und Ontologie in der heutigen Existenzphilosophie
.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1958 S. 98—112.
Sanderson, John W.: Historical Fact or Symbol — The Philosophies

of History of Paul Tillich and Reinhold Niebuhr.

The Westminster Theological Journal XX, 1958 S. 158—169.
Stammler, Gerhard: Ontologie in der Theologie?

Kerygma und Dogma 4, 1958 S. 143—175.
Storni, F.: La6 contradicciones internas del Marxismo.

Ciencia y Fe, 14, 1958 S. 73—82.

SYSTEMATIK

Staehelin, E.: Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche
Jesu Christi. Zeugnisse aus allen Jahrhunderten und allen Konfessionen
zusammengestellt. IV. Band: Von Anbeginn des 16. bis zur Mitte
des 17. Jahrhunderts. Basel: Friedrich Reinhardt 1957. X, 508 S.
gr. 8°. Lw. DM 39.— ; sfr. 40.55.

Die ersten drei Bände dieses großen Werkes sind in ThLZ
1956, Nr. 3 ausführlich besprochen; aber auch dieser vierte Band
kann nicht mit wenigen Worten abgetan werden. Ich muß versuchen
, der Fülle der Gegenstände und der Mannigfaltigkeit der
Gesichtspunkte einigermaßen gerecht zu werden.

In diesem Band gehören die beiden großen Brocken:
Luther und Calvin. Von ihnen in der gebotenen Kürze ein
alle Leser befriedigendes Bild zu entwerfen, ist natürlich ganz
unmöglich. Immerhin hätte ich bei Calvin nicht nur seine eigentümliche
Lehre von der doppelten Prädestination belegt gesehen,
sondern auch seine grundsätzliche Verchristlichung des Alten
Testaments; denn auch dies ist ein Punkt, der ihn von Luther
unterscheidet und der uns heute befremdet.

Der ganze Stoff ist eingeteilt in 7 Kapitel von sehr verschiedenem
Umfang. Das Buch beginnt für den Leser mit einer
goßen Überraschung. Wir hören nämlich, daß der große Entdecker
Kolumbus zu seiner vermeintlichen Indienfahrt auch durch
phantastische Missionspläne bestimmt ist. In einem Bericht über
den Beginn seiner dritten Reise schreibt er: „Was mich betrifft,
so war ich immer gewiß, daß mein Plan zur Ausführung gelangen
werde, weil zwar alles vergeht, das Wort Gottes aber nicht vergeht
, sondern weil sich alles erfüllt, was Er sagt. Und Er sprach
deutlich von diesen Ländern an vielen Stellen Seiner Schrift durch
den Mund Jesaias, indem er beteuerte, daß von Spanien aus Sein
heiliger Name ausgebreitet werde." Dazu bemerkt der Herausgeber
, Kolumbus denke vor allem an die Stelle Jes. 60, 9 f.; die
hier erwähnten Tharsis-Schiffe seien die Schiffe, die nach der
phönikischen Kolonie im südlichen Spanien fahren sollten, und
diese Schiffe sollten dann weiter die fremden Länder entdecken
und zum christlichen Glauben bekehren. Kennzeichnend für den
Geist der Zeit ist auch der Gedanke des Kolumbus, die großen
Schätze, die aus den neuentdeckten Ländern nach Spanien fließen
würden, möchten verwendet werden zu einem Kreuzzug nach
Jerusalem.

In diesem ersten Kapitel erscheint unter den Stimmen, die
der Reformation vorangehen, natürlich auch Erasmus. Das zweite
Kapitel bringt Stimmen aus dem Bereich des Luthertums. Hier
folgt auf Luther naturgemäß Melanchthon; man könnte
wohl bedauern, daß hier nicht Proben aus der ersten Gestalt der
Loci communes gebracht werden. Mit Andreas O s i a n d e r
beginnt die beträchtliche Reihe der Männer, die in phantastischen
apokalyptischen Vorstellungen leben: „Des Papstes Untergang

wird vermutlich fallen in das Jahr, da man nach Christi Geburt
1 672 Jahre schreiben wird." Man beobachtet immer wieder,
welch eine verhängnisvolle Rolle die mystischen Zahlenangaben
von Daniel Kap. 12, sowie die wunderbaren Zeichen und Bilder
der Offenbarung Johannes noch in diesem Zeitalter des beginnenden
Barock gespielt haben. Man würdigt jetzt erst recht Luthers
ablehnende Haltung gegen die Offenbarung wie auch die
Zwingiis. Als Apokalyptiker wird uns auch der Liederdichter
Philipp Nicolai vorgestellt. Als abgesagter Feind der Calvi-
nisten verherrlicht eT Martin Luther als den letzten Elia vor dem
jüngsten Gericht, „auf welchen die Weissagung Maleachis nicht
weniger als auf Johannes den Täufer gedeutet und gezogen werden
kann". Der große Dogmatiker Johann Gerhard berechnet
das tausendjährige Reich von Konstantin bis zum Jahre 1 300,
„und in dieser Zeit erweckte der Satan die Dynastie der Osma-
nen, unter welchen Gog und Magog, d. h. das türkische Reich,
von dem in Offenbarung 20, 8 gehandelt wird, die größte Kraft
gewann". Vielleicht lohnt es sich auch, zu erwähnen, daß Johann
Arndt das Alte Testament geistlich auslegt, doch ohne in
Phantastereien zu verfallen, wie wir das bei vielen anderen Zeitgenossen
beobachten müssen.

Unter den Stimmen aus dem Bereich des reformierten Protestantismus
ragt (neben Zwingli und Calvin) Martin B u t z e r
weit hervor. Während seines Aufenthalts in England hat er ein
Programm für die Verwaltung des Inselreiches aufgesetzt, das uns
anspricht, als ob es in unseren Tagen verfaßt wäre; ein Programm
, in dem Geist und Güte sich vereinigen. Zum Schluß der
glückliche Vorschlag, man solle Arbeitshäuser statt Kerkerhaft
einrichten. Unter den drei Auslegern der Offenbarung Johannes,
die uns hier vorgeführt werden, befindet sich auch der große
Mathematiker John Napier. In seiner „klaren Enthüllung
der ganzen Offenbarung des hl. Johannes" vermittelt er uns die
Offenbarung, daß der Tag des jüngsten Gerichts vermutlich zwischen
dem Jahre 1688 und 1700 kommen werde. Auch weiß er,
daß unter Gog der Papst, unter Magog aber die Türken und
Mohammedaner zu verstehen seien. Wenn ein klardenkender,
ausgezeichneter Mathematiker solche Phantastereien vorträgt,
so unterliegt auch er den Zwangsvorstellungen einer Art von
geistiger Volkskrankheit. Unter den Stimmen aus der anglikanischen
Kirche finden wir auch Lewis Bayly. Es war mir lehrreich
zu beobachten, daß dieser Mann, der wahrhaft erbaulich zu
schreiben versteht, sich doch durch seine Theologie verführen
läßt, den Apostel Paulus zu berichtigen. Wenn dieser 1. Kor.
15,24 schreibt: „Dann das Ende, wenn er (Christus) das Reich
dem Vater Gott überantwortet", so hat Paulus anscheinend vergessen
, daß damit die Herrschaft Christi nicht aufhört; denn als
zweite Person der Trinität regiert er von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Wir sind dem Verfasser dankbar, daß er sehr zahlreiche
Stimmen radikaler Reformer uns vorführt. Besonders
eindrucksvoll sind die feinsinnigen Gedanken von Hans Denck.
Sebastian F r a n c k erscheint uns als ein Mann, der einige Jahrhunderte
zu früh gekommen ist, z. B. in dem schönen Abschnitt,
in dem er Adam und Christus als große Symbole betrachtet: es
hat immer irdisch gesinnte Menschen wie Adam gegeben und
geistig gesinnte wie Christus; es gibt also ein Christentum vor
Christus und außerhalb der christlichen Kirche. Erschütternd sind
die Nachrichten über Melchior Hoffmann und Bernhard
Rothmann (oder Rottmann): hinter dem Münsterschen Wahnsinn
steckt wieder die unselige Apokalyptik und der Mißbrauch
des Alten Testaments (für die Vielweiberei und die Anwendung
der Schwertesgewalt). Vielen Lesern des Buches wird die Gestalt
des C u r i o n e unbekannt sein; RGG erwähnt ihn in der 2. Auflage
nicht, erst jetzt in der dritten. Kaspar Schwenckfeld,
Valentin W e i g e 1 und Jakob Böhme kommen reichlich zu
Wort, wenn auch vielleicht das Eigentümliche von Jakob Böhme
nicht ganz deutlich wird. Dem unglücklichen S e r v e t erweist
der Verfasser die gebührende Ehre: er habe nicht ohne Grund
die biblische Begründung der Trinitätslehre bestritten, und die
Erneuerung des Christentums sei ihm ein ernstliches Anliegen
gewesen. Wie sehr das „Christentum" jener Zeit noch durch heidnischen
Aberglauben entstellt ist, wird grauenhaft offenbar an
dem Brauch der Ketzerverbrennung, wofür neben dem Schicksal
Servets auch das England der „blutigen Maria" erschütternde