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Ausgabe:

1958 Nr. 12

Spalte:

859-861

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Morgenstern, Christian

Titel/Untertitel:

Ein Leben in Briefen 1958

Rezensent:

Eisenhuth, Heinz Erich

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 12

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und heut im Land Bayern mit über 60 000 Einwohnern auch tonkünstlerisches
Ansehen besitzt. Zwei stattliche Musiker sind damals
aus ihr hervorgegangen: N. Forstius zu Berlin und N. Decius
in Braunschweig und im damaligen Ostpreußen, dazu der dann in
Naumburg wichtig gewordene N. Medier, der wieder den Lichten-
feker Musiktheoretiker Heinr. Faber mit Hof in Verbindung brachte
— Kätzel hat den hs. zweiten Teil von dessen Musiklehre, der
lange verschollen war, wiedergefunden. Vor allem aber teilt er das
damalige Kantoreirepertoire nach dem Verzeichnis des Hofer
Kantors Enoch Widmann mit, das durch erstaunlichen Reichtum
figuraler Motetten von Lasso und dessen Schule ein ganz neues
musikalisches Bild der evangelischen Gottesdienste um 1592 ergibt
und mit seinem Katalog nicht aufmerksam genug gelesen
werden kann. Leider freilich sind von den damaligen Notenbeständen
selbst nicht sehr viele am Ort selbst erhalten geblieben.
Eine nützliche Neuerscheinung, durch deren Beförderung zum
Drude O. Söhngen wieder ein kleines Verdienst zu seinen vielen
großen hinzuerworben hat.

Berlin Hans Joadiim Moser

Albrecht, Christoph: Barock, Klas6ik, Romantik. Der Stilwandel in

der Musik in theologischer Schau.

Musik und Kirche 28, 1958 S. 200—204.
Fischer, Balthasar: Neue Literatur zum Brevier.

Trierer Theologische Zeitschrift 1958 S. 306—313.
Friedemann, Lilli: Instrumentalpflege in der Kirche.

Musik und Kirche 28, 1958 S. 205—208.
Funke, Alex: Gemeinde, sei was du bißt!

Die Zeichen der Zeit 19 58 S. 247—253.
Heintze, Hans: Der Organist Günther Ramin. Zu seinem 60, Geburtstag
am 15. Oktober 1958.

Musik und Kirche 28, 1958 S. 193—197.
Kappner, Gerhard: Gottesdienst und Musik.

Die Zeichen der Zeit, 1958 S. 331—339.
K r a e m e r, Erich: Kirchenmusik in den deutschen Auslandsgemeinden.

Musik und Kirche 28, 1958 S. 208—212.
Kramp, Willy: Das evangelische Kirchenlied.

Quatember 22, 1957/58 S. 198—205.
W a 1 c h a, Helmut: Kurt Hessenberg zum 50. Geburtstag.

Musik und Kirche 28, 1958 S. 197—200.

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE D1CHTUNC

Morgenstern, Christian: Ein Leben in Briefen. Hrsg. von Margareta
Morgenstern. Wiesbaden - Leipzig: Insel-Verlag 1952. 536 S.,
8 Taf. 8°. Lw. DM 20.—.

Diese Auswahlsammlung von Briefen von und an Christian
Morgenstern umspannt das Leben des Dichters von seinem
18. Lebensjahre an bis 3 Tage vor seinem Tode am 31. März
1914. Sie sind von der Witwe des Dichters herausgegeben worden
. Sie hat auch die von Michael Bauer begonnene Morgenstern
-Biographie vollendet, zu der diese Briefsammlung eine
äußeret lebendige Ergänzung darstellt, wenn auch mancherlei
Wiederholungen vorkommen.

Diese Sammlung vereinigt Briefe an etwa 70 Adressaten.
Die meisten sind an seinen Freund, den Schauspieler und Dichter
Friedrich Kayßler (1874—1945) und an seine Frau Margareta,
geborene Gosebruch von Liechtenstern, gerichtet. Fast in allen
Briefen geht es um ein echtes und tiefes Gespräch, bewundernswert
besonders deswegen, weil sie oft in schweren und unruhvollen
Krankheitstagen geschrieben worden sind (493) von
einem, der sich der „Hauslosigkeit" verschworen hatte (351).

Morgenstern ist von früh an ein Streiter gewesen gegen das
gedankenlose und in 6ich selbst zufriedene Bürgertum der Jahrhundertwende
. Gegenüber den großen sozialen Notständen, die
weite Kreise einfach nicht 6ehen wollten, suchte er Verständnis
und Hilfe zu erwecken. ,,Es ist mir ein Verständnis gekommen
von dem unsagbaren, himmelschreienden Elend, das uns — und
zumal in der Großstadt — in jeder Stunde umgibt, und ich habe
gefühlt, wie nichtswürdig unser aller Verhalten ist" (19). Damals
erwählte er sich zum Leit6pruch: „Keinen Schritt rückwärts
" (22). Als in einer Geschichtsstunde über Ludwig XIV.
gesprochen wurde, „brannte sein Inneres in Sehnsucht, Schmerz,
Begeisterung, Unmut und Ehrgeiz". Er sah die Untaten von
wahnwitzigen Fürsten und hörte die Aufschreie des Jammers (21).
Und wenige Tage vor seinem Tode, im Februar 1914, schreibt
er von dem „schauerlichen Zusammenbruch, in dem die Welt
heute 6teht oder vielmehr fällt" (491). Er setzt sich für die realistisch
-kritische Kunst ein, ohne die Gefahr des Subjektivismus
zu übersehen (43). Er hält „Die Weber" von Hauptmann für
„das genialste, unvergänglichste Drama der ganzen modernen
Schule" (33). Er empört sich über das Unverständnis, mit dem
Hauptmanns Drama „Florian Geyer" in Berlin aufgenommen
worden ist (75). Er empfiehlt den wirklichkeitsnahen Montaigne,
„der nicht vom Leben hinweg, sondern ins Leben hineinführt"
(HO).

Es geht ihm um ein neues Verständnis vom Menschen. Der
Mensch ist größer als die Berge und die Natur. Was wäre ihre
Schönheit, wenn sie sich nicht spiegelten in seinen Augen, in seinem
Herzen (31). Für das menschliche Zusammenleben, das, wie
es etwa von Hauptmann gezeichnet wird, unter so viel Mißgunst
leiden muß, sucht er Wege für die rechte Begegnung. Das Wesentliche
ist ihm, daß sich der Mensch durch die Wirklichkeit des
Miteinanderseins bereichern läßt (362). „Das Menschenleben ist
eine gemeinsame und keine einsame Sache" (110). Wir sollten
deswegen niemanden loslassen und es versuchen, durch den anderen
hindurchzuschauen. Bevor er selbst die Ehe 1910 begann,
kam es „ihm auf die Grundlagen an, die wir unserem Verhältnis
geben" (357, 385). In diesem seinem weithin noch ungewissen
Suchen hat ihm erst Rudolf Steiner zur letzten Klarheit verholfen
(1909, 387). Morgenstern hat sich erst allmählich zu ihm hinfinden
können. Er wurde erst nach Margareta Mitglied der Theo-
sophischen Gesellschaft. Er hat dann wiederholt große Reisen
unternommen, um Vortragszyklen von Steiner zu hören, z. B.
nach Norwegen und nach Ungarn. Gerade durch Steiner ist ihm
der „Traum des Märchenprinzen vom Schlaraffenland" genommen
worden (462). Mit großer Liebe sucht er damals seinen Freunden
die neuen Erkenntnisse nahezubringen und muß es erleben, daß
gerade sein Freund Kayßler ihm nicht zu folgen vermochte.

Es ist der Herausgeberin besonders zu danken, daß sie auch
die sehr persönlichen Brautbriefe mit aufgenommen hat. Die
erste Begegnung in Bad Dreikirchen 1908 brachte Morgenstern
die große Erfüllung einer unstillbaren Sehnsucht nach einem Menschen
, der freiwillig ganz dasselbe zu denken imstande war, wie
er selbst. Das tiefempfundene Gedicht Überetsch (342), einige
Tage nach dem ersten Abschied dort entstanden, läßt es ihm zur
Gewißheit werden: daß „Zeit und Los" vorüberrollen wie der
Zug, nur die Liebe nicht (328, 342). Die Herausgeberin fühlte sich
ermutigt zu dieser Veröffentlichung durch das Wort von Richard
Dehmel: „Briefe bedeutender Persönlichkeiten sind nicht Privateigentum
des Empfängers" (500). Die Ehe währte nur vier Jahre.

Morgenstern ist kein „Ästhet" gewesen. Er war ein Angefochtener
von seiner Einsamkeit und stand unter dem Zwang,
große Widersprüche in sich vereinen zu müssen. Seine Lebenslinie
nennt er 6elbst „verzwickt und schauerlich". „In jedem Moment
sozusagen zwei Elemente, zwei Pole" (319). Schon in seiner Jugend
wünschte er sich zehn Köpfe, und ihn verzehrte ein brennender
Durst nach Wissen, „als müßte ich mir alles erschließen
und mein Blut und meinen Blick ins Unendliche erweitern" (28).
Trotzdem fand er den Mut zu einem großen und grenzenlosen
Vertrauen, unter einer gnädigen Führung zu leben (38 5). Für sich
selbst hatte er immer den Wunsch nach einer höchsten Einfachheit
. Entgegen aller „bürgerlichen Behäbigkeit" wollte er lieber
im Armenhaus mit den Armen leben (3 59). Morgenstern hat es
auch gewagt, die eigene Entwicklung zu bejahen. Gerade deswegen
ist es möglich und notwendig, auch seine Grenzen zu sehen,
etwa in seiner Stellung zum Glauben. In seiner Jugend bekannte
er es, daß er kein Christ sei; und doch kam er nicht los von dem
„Gottvertrauen", das er bei Maria Goettling (1868—1924) und
ihrem Vater, dem Archidiakonus in Sorau, kennenlernen durfte.
Er wollte den Dualismus durch eine pantheistische Lyrik überwinden
(72). Er konnte auch die Natur selbst als seine Religion
bezeichnen (58). Die „Religion der Königskinder", wie er 6ie
verstand, entdeckte im Menschen selbst Gott (62) oder, wie er