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Ausgabe:

1958 Nr. 1

Spalte:

64-65

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schellbach, Martin

Titel/Untertitel:

Tholucks Predigt 1958

Rezensent:

Frick, R.

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 1

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(S. 45 f.), obwohl zugestanden ist, daß das Thema als Einheitsund
Ordnungsausdruck des Textes keineswegs neben dem Text
als „zweites inhaltliches Prinzip" zu stehen braucht. Oder der
Protest gegen die „Dialektik", als ob diese, recht verstanden,
nicht im applikativen Dienste des „göttlichen Geschenkes" des
Evangeliums stehen könnte (S. 42)1 Das sind trotz vieler richtiger
und wertvoller Erkenntnisse Beispiele einer Einengung, die
nicht einfach akzeptiert werden kann.

Bei S c h i e d e r spielt trotz guter biblischer und theologischer
Fundierung der Rat der ausgereiften Erfahrung, der wichtig
genug ist und wahrhaftig nicht verachtet werden soll, eine
vordringende Rolle. In einer sehr ansprechenden, teilweise aphoristischen
Form werden hier die Fragen: Vortrag oder Predigt,
das Form- und Inhaltproblem, die Textfrage, Lebensnähe, Aktualität
, Gemeindegemäßheit, politische Predigt, Predigt und
Existenzialismus behandelt. Ein besonderer Abschnitt gilt der
heutigen Predigt der Rechtfertigung. Angefügt sind eine Nachlese
und ein Nachwort. Auf wenig Seiten wird uns hier liebevoll
viel Weisheit über das Predigen vermittelt, die aus großer seelsorgerlicher
Verantwortung erwachsen ist. Man lese nur einmal
die „14 Mahnungen zur politischen Predigt" (s. 97 ff.)! Gegenüber
allem bloßen Konstruktivismus wird das Gewicht des Empirischen
aus der Bindung an das Amt, das die Versöhnung predigt
, sehr ernst genommen. Aber die seelsorgerlich harmonisierende
Tendenz des Buches verdeckt doch auch Probleme und
Schwierigkeiten, die sich so nicht einfach überglätten lassen.
Der Satz z. B., daß dem, der das „größte Wunder der Rechtfertigung
" erfahren hat, „die anderen Wunder keine großen Schwierigkeiten
" mehr machen, ist keine ausreichende Antwort auf
Bultmann (S. 75).

Heinrich Otts in seiner Schrift immer wiederkehrende
Grundthese, daß Verkündigung auf Existenz bezogen sein müsse,
ist ja nun wahrlich kein novum in der Theologie, zumal, wenn
unter „Existenz nichts anderes gemeint ist als der wirkliche
Mensch" (S. 11) in seiner konkreten Situation. Und auch das ist
nicht neu, daß „eine rechte Predigt Antwort geben muß auf eine
echte existentielle Frage der hörenden Gemeinde" (S. 17), wenn
auch „die Fragen der Existenz unter Umständen erst durch die
Begegnung mit der Antwort wachgerufen werden" (S. 18). Mau
wird sich eines Lächelns nicht erwehren können, wenn man sieht,
wie das rollende Rad der Theologie immer wieder mit gleichen
Punkten seiner Peripherie die Erde berührt. Natürlich will der
Vorstoß Otts errungene Positionen nicht reaktionär aufgeben,
sondern versteht sich als „Bereinigung innerhalb des von
der dialektischen Theologie abgesteckten Rahmens" (S. 16). Es
bleibt schon festgehalten, daß Gott „uns etwas sagt, das wir uns
in keiner Weise selbst sagen können" (S. 20), aber es gibt kein
„Wort Gottes an sich" (S. 17). „Kein Text ist autonom in der
Weise, daß aus ihm allein alles Nötige abgelesen werden
könnte" (S. 21). Ott protestiert gegen den „Texteskult, welcher
auf dem Hintergrunde einer strengen Inspirationslehre vielleicht
noch sinnvoll erscheinen könnte" (S. 20). „Erst im Akte der Begegnung
des gegenwärtigen Menschen mit dem lebendigen Gott"
gewinnt das Wort Gottes Autorität (S. 23). Verkündigung „ist
niemals Mitteilung allgemeiner Wahrheiten, sondern Anrede,
geschichtlicher Anspruch an den Einzelnen" (S. 26). Die Anrede
der Predigt geht auf „existentielle Konkretisierung". Diesem
Grundsatz haben die auf S. 32 ff. herausgestellten homiletischen
Regeln zu dienen, die hier im einzelnen nicht wiederholt werden
können. Die „echte Entscheidungsfrage" ist Ott in Befolgung
von Bultmanns existentialer Interpretation das Wichtigste (S. 34).
Darauf kommt es an, daß beide Aspekte als Elemente der Predigt
zu ihrem Recht kommen: der immanente der Anknüpfung
an erfahrbares Dasein und der transzendente, unter dem dem
Menschen der Immanenz „etwas schlechterdings Transzendentes,
Unerfahrbares, Unabweisbares zugesagt wird: seine Erwählung
und Rechtfertigung in Jesus Christus" (S. 41 f.). — Otts prinzipiell
gemeinter, kluger homiletischer Beitrag wendet seine Spitze
gegen Einseitigkeiten und Übertreibungen der „Barthianer", und
damit hat er recht.

Bonn Joachim Kon ra d

Schellbach, Martin: Tholucks Predigt. Ihre Grundlage und ihre
Bedeutung für die heutige Praxis. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
[1956]. 184 S. 8° = Theologische Arbeiten, hrsg. v. H. Urner,
Bd. III. DM 8.-.

Tholucks Predigt ist schon wiederholt Gegenstand der Untersuchung
und monographischen Behandlung geworden. Nicht
zufällig, denn die Nachwirkungen Tholucks gehen weit stärker
von dem Prediger und Seelsorger aus als von seiner wissenschaftlichen
Leistung. Schellbachs Buch ist aus einer umfassenden
Kenntnis des Schrifttums Tholucks und aus einer starken Liebe
und Verehrung für ihn geschrieben und von der Überzeugung
getragen, daß wir von Tholuck auch heute noch für unsere Predigt
Entscheidendes lernen können. Ob ihm der Nachweis gelungen
ist, das muß bei aller Anerkennung der sachlichen und
gründlichen Darstellung, die auch die Grenzen und Einseitigkeiten
des Meisters nicht verschweigt, doch bezweifelt werden. Er
meint, Tholuck gegen den Vorwurf des „theologischen Anthropologismus
" (Karl Barth) in Schutz nehmen zu sollen. Aber seine
eigene Darstellung mit den sehr ausführlichen Zitaten aus Tholucks
Predigten bestätigt die These mehr, als daß sie sie entkräftet
. Sch. gibt zunächst einen Überblick über Tholucks Bedeutung
als Exeget und Historiker, als Mann der Kirche und der Inneren
und Äußeren Mission. Er betont mit Recht, daß Tholucks Kommentare
für uns heute eigentlich ihre Bedeutung nur noch durch
die erstaunliche Fülle des Materials aus der Geschichte der Exegese
habe, das hier verarbeitet ist. In seinen historischen Arbeiten
zur Geschichte der Orthodoxie und des Rationalismus zeigt sich
Th. „mehr als ein mühsamer Sammler als ein kritischer Beobachter
" — alles ist getragen von der Tendenz, die er in seiner
Rede zur 300-Jahr-Feier der Reformation in Halle als Programm
der theologischen Wissenschaft formuliert: „Ein Glaube, so innig
und zuversichtlich, daß er vor keiner ernsten Wissenschaft
zurückschreckt, sondern im Gegenteil sie vielmehr herbeiruft,
damit sie vor einer ungläubigen Welt die Erklärung seiner
Schätze, die Vertreterin seiner Rechte werde. Eine Wissenschaft,
so ernst und unermüdlich, daß sie nimmer sich genug getan, solange
der unbegriffene Buchstabe vor ihr ßteht, die aber auch
weiß, daß Antrieb und Leben aus dem frischen Born des Glaubens
ihr zuströmen muß, und — was über allem steht — daß es
nur einen unfehlbaren Meister gibt." Sch. kommt zu dem Ergebnis
: Ein rein wissenschaftlicher Theologe im strengen Sinne
des Worts ist Tholuck nie gewesen und konnte er gar nicht sein.
„Nicht Forschung, sondern Zeugnis, nicht Übermittlung einer
Lehre, sondern werbende Überzeugungskraft war das Kennzeichen
seiner theologischen Arbeit." In diesen Grenzen hat er
Bedeutendes geleistet, vor allem gegen die Überfremdung der
Theologie durch die idealistische Philosophie (Hegel!) ein klares
Wort gesprochen und auf Männer wie Harleß und v. Hofmann,
Kähler und Cremer entscheidend eingewirkt. Aber „nicht der
theologische Wissenschaftler, sondern der Prediger des Evangeliums
, nicht der methodisch schulende Lehrer, sondern der seelsorgerlich
erziehende Zeuge, nicht der kluge und durch Menschenkenntnis
und Welterfahrung abgeklärte Professor, sondern
der verzweifelt angefochtene, aber durch den Trost der Schrift
gestärkte Christ" hat auf die Kirche seiner Zeit und vorab die
theologische Jugend so nachhaltig gewirkt! Deshalb verdient
eben seine Predigt besondere und erneute Behandlung. Sch. zeigt
auf (Kap. 2), wie Th's Predigt wurzelt in dem persönlichen
Glaubenserlebnis der Erweckung, aber auch im Schriftganzen,
deren Gesamtskopus er findet in der „Geschichte der täglich neuen
Erbarmungen Gottes gegen ein gefallenes Geschlecht", wobei
die Bindung an den Einzeltext zurücktritt hinter der „Evan-
geliumsgemäßheit": „Nicht Texttheologie, sondern lebendiges
Christuszeugnis an Hand des Textes soll der Prediger bieten"
(! Ob sich hier nicht schon das subjektive Moment gefährlich
vordrängt gegenüber der gehorsamen Bindung an den Text? Es
ist nicht zufällig, daß Th. es ablehnt, sich den Text durch die
Ordnung der Perikopen geben zu lassen!)- Daß die Rücksicht
auf das Kirchenjahr und die Einordnung der Predigt in die Liturgie
auch in Th's Predigt zur Geltung kommt, dürfte weniger
charakteristisch sein als seine Betonung der Gemeinde als Träger
und Ziel der Predigt. Die Gemeinde soll nicht Objekt, sondern
Subjekt der Predigt sein — die rechte Predigt entsteht aus der