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1958 Nr. 12

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 12

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V Maßstäbe der Datierung und Einteilungsschemata) gehoben
wird. Vor allem: sie verarbeitet eine sehr große Fülle von relativ
sprödem Stoff, der um so mehr Beachtung verdient, als er modernem
Denken fern und schwer verständlich ist.

Halle/Saale Annerose Schneider

H a r d i c k, Lothar, P. Dr. OFM (Hrsg.): Nach Deutschland und England
. Die Chroniken der Minderbrüder Jordan von Giano und Thomas
von Eccleston. Übers, v. K. Kohorst u. P. Seidensticker. Werl/
Westf.: Dietrich-Coelde-Verlag 1957. 293 S. 8° = Franziskanische
Quellenschriften, hrsg. v. d. deutschen Franziskanern, Bd. 6. Lw.
DM 9.60.

Nachdem die fünf vorausgegangenen Bände dieser Quellenschriften
den Schriften und Lebensbeschreibungen der Heiligen
Franziskus, Klara und Antonius sowie des Bruder Ägidius gewidmet
waren, will diese erste vollständige Übersetzung der beiden
ältesten Klassiker franziskanischer Geschichtsschreibung zeigen,
wie der Orden sich den Geist seines Gründers angeeignet und wie
er im romanischen Raum gewachsen sich in den germanischen ausgebreitet
hat (Vorw.). Indem diese Werke einem weiten Leserkreis
in geeigneter und sachlicher Form zugänglich gemacht werden
, wird ein wichtiger Beitrag zur Kenntnis der Quellen nicht
nur der Kirchen-, sondern auch der Kulturgeschichte einer verhältnismäßig
vernachlässigten Zeit geleistet.

Nach einem Verzeichnis der wesentlichen Literatur werden
die beiden Werke nach ihrem Verfasser und Inhalt besprochen
(S. 19—35). Die Texte werden von 325 bzw. 372 stoffreichen Anmerkungen
begleitet, die sich auf Namen und Daten sowie auf
das z. T. entlegene Schrifttum beziehen, aber auch den Inhalt erläutern
, unter besonderer Berücksichtigung des nicht-katholischen
Lesers. Die Erläuterungen (S. 215—257) fassen in schöner Weise
zusammen, was diese beiden Quellen über die Ausbildung des
klösterlichen Lebens (Tagesordnung, Brauchtum und Bauweise)
sowie über die wesentlichen Anliegen franziskanischen Lebens
(Studium, Verhältnis zu Laien) mitteilen. Von dem Namens- und
Sachregister hätte man gewünscht, daß ersteres nach Personen-
und Ortsnamen unterteilt worden wäre.

Da6 Werk Jordans ist nicht nur für deutsche Leser vorzugsweise
von Interesse, sondern für moderne Leser überhaupt. Seine
Würdigung in der Literatur seiner Zeit steht noch aus: Es bewegt
sich auf der Grenze von Historiographie und Autobiographie
(ebenso wie die anhangsweise gebotenen Briefe Jordans über die
Tartareneinfälle). Hier zeigt sich, daß, was die Franziskaner zum
seelischen Haushalt der Menschheit beigetragen haben, weit über
den kirchlichen Rahmen hinausgreift. Die Bettelorden haben in
ihrer Weise das soziale Problem auf eine neue Stufe nicht nur
de« moralischen, sondern vielmehr noch des existentiellen Bewußtseins
gehoben, und zwar gerade nicht als dumpfes Schicksal
der anonymen Masse, sondern als freie Aufgabe scharf umrissener
Individualitäten. In dem um 1260 entstandenen Alterswerk Jordans
ist das Erstaunlichste an diesem Bewußtsein, daß es eine
Quelle heiterer Gelassenheit ist. Jordan berichtet mit einer die
moderen Selbstzerfleischer beschämenden Vergnügtheit, wie er
durch seine Feigheit in dem Netz des Menschenfischers Franziskus
für die Mission unter den wilden Deutschen gefangen wird, wie
er seine Unkenntnis der barbarischen Sprache schelmisch nützt,
um für seine Brüder Almosen zu erlangen, und wie er durch ein
schlaues Manöver den Papst gegen einen unbequemen Visitator
einnimmt. Seine Zuverlässigkeit wird im historischen Detail nachgewiesen
, aber zeigt sich grundsätzlicher an seinem Schweigen
über Dinge, von denen er keine direkte Kenntnis hatte (wie die
in seiner Kustodie lebende Hlg. Elisabeth), in seinem wirklichkeitsnahen
Eingeständnis von Rückschlägen und seinem erschütternden
Zeugnis, daß es ihm, da er Franziskus in diesem Leben
gesehen habe, „in gewisser Weise menschlich ergangen 6ei", d. h.
er dessen Heiligkeit nicht erkannt habe.

Der großartige Stil Jordans verliert sich schnell in den bis
148 8 reichenden Fortsetzungen 6einer Chronik. Mit dem Untergang
der Provinz, der seine Arbeit gegolten hatte, wurde auch
sein Werk vergessen: Luke Wadding erwähnte es nie. Die klassische
Ausgabe des Originals gehörte zu den Meisterwerken

H. Boehmers; die Washingtoner Dissertation von Auweiler (1917)
bot Korrekturen dazu. Eine auszugsweise Übersetzung erschien
1921 in Basel.

Während wir aus Jordans Werk viele Daten über das äußere
und innere Leben des Verfassers erhalten, fehlen diese in Thomas
' gleichzeitigem Werke fast ganz. Jordan erzählte ohne Bitterkeit
von den Schwierigkeiten, die er und seine Mitarbeiter in
Deutschland hatten (Haymo von Faversham kommt in beiden
Werken vor). Thomas dagegen ist ein typischer Vertreter des
Nationalismus, der der englischen Kirche von früh an eigen war;
bezeichnend dabei ist auch, daß er nur ganz am Rande von der
Ausbreitung des Ordens nach Schottland und Irland berichtet.
Immerhin bietet, vor allem dank seiner systematischeren Anordnung
, Thomas' Werk auch eine Fülle seltener Details, vor allem
hinsichtlich des praktischen Lebens, des Landerwerbs, der klösterlichen
Disziplin und des Beginns der Hochschultätigkeit der Franziskaner
, wobei allerdings beim Vergleich mit Jordans neuzeitlich
realistischer Gesinnung der Hang zur skurrilen Anekdote
störend wirkt. Die Erläuterungen haben sich in vorbildlicher Bescheidenheit
auf das den Orden Betreffende beschränkt. Die Auswertung
dieser Quellen für die Sozialgeschichte steht noch offen.

Thomas' Werk war vom frühen 16. bis zur Mitte des 19.
Jahrhunderts verschollen. Die Übersetzung beruht auf den Ausgaben
von Little und Moorman (1903 und 1951).

Da die Erläuterungen diesen Punkt kaum berücksichtigt haben
, möchte Rez. auf die mannigfachen liturgiewissenschaftlichen
Mitteilungen hinweisen, die in diesen Quellen enthalten sind,
z. B. über die für die Geschichte der römischen Liturgie so wichtige
Verbreitung der liturgischen Bücher im Orden, die Häufigkeit
der Predigt und des Kommunionempfangs, die Meßfeier in
Ordens- bzw. Pfarrkirchen u. a.

Der einwandfreie Druck, der schöne Einband und der würdige
Schutzumschlag (eine Seite aus der Karlsruher Hs. von Jordans
Werk wiedergebend) sind besonders zu rühmen.

Basel JohnHe.nnig

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