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Ausgabe:

1958 Nr. 1

Spalte:

62-63

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schieder, Julius

Titel/Untertitel:

Unsere Predigt 1958

Rezensent:

Konrad, Joachim

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Seite 1, Seite 2

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61 Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 1 62

sterliche Amt, die Einzelbeichte, die bischöfliche, apostolische
Sukzession und das eine apostolische Lehramt. Unter Berufung
auf Art. 21 der CA. fordert L. „die sichtbare Einheit des Leibes
Christi" unter Einbeziehung der römisch-katholischen und
orthodoxen Kirche. Die evangelische Christenheit soll sich deswegen
nicht selbst aufgeben. Ihre Geschichte hat große Not,
aber auch Segen für den ganzen Leib Christi gebracht. Doch muß
sie Buße tun, d. h. sich abkehren von ihren zeitbedingten, einseitigen
Positionen und aus den Erkenntnissen ihrer eigenen
exegetischen Arbeit (L. beruft sich da besonders auf Vilmar,
A. Schlatter, O. CuIImann u. a.) und in der Richtung bestimmter
dogmatischer Ansätze (wie sie sich bei W. Löhe und in anderer
Weise bei K. Barth finden) ihre Lehre kritisch klären und neu
entwickeln.

Diesen neuen Ansatz sieht der Verf. vor allem darin, „daß
die menschliche, geschöpfliche, .natürliche' Seite des einzelnen
Christenlebens oder auch der ganzen Kirche ... in ein besonderes
, positiv zu bewertendes Licht gerückt" wird (S. 31). Denn
Christi „allerheiligste, unbefleckt beseelte Menschennatur wurde
durch die Vergöttlichung keineswegs vernichtet, sondern verharrte
in ihrer menschlichen Eigenart" (S. 33).

L. unterscheidet zwischen einem „konklusiven" Verhältnis
zwischen Gott und Mensch, im Sinne selbständiger Partnerschaft,
wie es Pelagius, Dun Scotus und Gabriel Biel dargestellt haben
und zuletzt vom neuprotestantischen Liberalismus aufgenommen
worden ist, und der entgegengesetzten „exklusiven" Denkweise
Luthers, nach welcher „der Mensch sich rein passiv der göttlichen
Tätigkeit zu seinem eigenen Heil und zur Ehre Gottes zur
Verfügung stellt, nachdem Gott wunderbarer Weise über ihn
verfügt hat" (S. 39 f.). Weil so die echte „Kooperation von Gott
und Mensch in der Christusgemeinschaft gewaltsam aus der
Kirche ausscheiden" mußte (S. 46), so fielen das Opfer in der
Messe und das päpstliche Lehramt; das gemeinchristliche Wahrheitsgut
löste sich auf in Historismus und Subjektivismus, übrig
blieb nur das einsame Ich vor der Bibel.

Der unglückliche Gegensatz zwischen solchem falschem konklusiven
und einseitig exklusivem Denken soll durch ein „in-
klusives" Beziehungsverhältnis von Gott zum Menschen überwunden
werden: „Gott will hier die kreatürliche Mitwirkung
des Menschen zur Erreichung seines Zieles" (S. 54). „In, mit und
durch Christus, den Erhöhten, darf nun die erlöste Menschheit
die Verherrlichung Gottes und die Wiedergewinnung der Schöpfung
für Gott mit-vollziehen, darf ,in Christo' rettende Welt,
zu Gott heimholende Menschheit sein" (S. 59).

Im folgenden wendet sich L. bestimmten Einzelprobiemen
zu, die mit seiner Grundthese zusammenhängen: der theologischen
Bedeutung kirchlicher Tradition mit besonderem Hinweis
auf die Frage der Nachfolgeschaft des Petrus, dem Passah-
und Opfercharakter des Altarsakramentes, der „Zuordnung von
göttlicher Gnade und menschlichem Tun in der Rechtfertigung"
(S. 89), der Inkarnation und Kondescendenz Gottes in Christus
in ihrer Bedeutung für die erlöste Menschheit. „Luther unterschlägt
die anthropologische Wertung der Menschheit Christi"
(S. 115). Lackmann kommt schließlich zu dem Ergebnis: „Luther
unternahm den Versuch, göttlicher und majestätischer von Gott
zu denken, als Gott von sich selbst denkt, und verzweifelter
vom Menschen, als es für diesen gut und vor allem — wahr ist.
Unsere evangelische Kirche wird erst gesunden — und mit ihr
der ganze Leib Christi auf Erden —, wenn sie diesen Versuch
Luthers und damit ihr eigenes Zentraldogma korrigiert" (S. 123).

Diese Forderung des Verf.s geht derart an die Wurzel der
Lehre und Gestalt der Evangelischen Kirche, daß sie nicht überhört
werden darf. Auch wer sich nicht in der Lage sieht, dieser
Forderung recht zu geben, wird L. zugestehen, daß seine Schrift
aus letztem, leidenschaftlichem Ernst geschrieben, aus der Verzweiflung
über die Fehler und Schwächen der evangelischen
Christenheit und doch auch aus bleibender Liebe zur lutherischen
Reformation und damit zur einen Kirche Christi erwachsen ist.

Gegenfragen an den Verf. bleiben genug. Um nur einige
zu nennen: So gewiß Anlaß ist, immer wieder über die ,coopera-
tio' Gottes mit dem Menschen theologisch neu nachzudenken,
soll die in Christus geltende Mittlerschaft der Christen uns zu

„Gnadenspendern" machen (S. 95)? Damit wäre doch die von
der Reformation wieder entdeckte und von Lackmann an anderer
Stelle auch anerkannte Grenze zwischen Gott und Mensch verwischt
. Den gleichen Widerspruch muß der Satz erfahren, „nicht
das Leiden Christi an und für sich, sondern dieses zugleich mit
dem Leiden der Kirche, aller Märtyrer und Heiligen, die Mutter
Gottes voran: holt die Menschheit zu Gott heim" (S. 61). Ist
hier nicht die Stelle Kol. 1,24 f. überinterpretiert in Richtung
auf das Dogma ,Maria corredemptrix', das bisher selbst die römische
Kirche nicht verkündet? Weiter: hat der Verf. die luth.
Lehre nicht an manchen Stellen einseitig verkürzt, um dann gegen
solche Verzeichnung anzukämpfen? Mir scheint das auf den
S. 52, 64 und 121 vorzuliegen und auf S. 94, wo die römische
Polemik gegen Luther zitiert wird.

Hier muß unser Gespräch mit dem Verf. jetzt abbrechen
mit dem Wunsch, daß es vielerorts weitergeführt wird. Es wäre
ein Schade für unsere Kirche, wenn sie Lackmann und die ihm
nahe stehen, verketzern oder verschweigen wollte. Diese Stimme
ist zu hören, ihr zu antworten und die brüderliche Gemeinschaft
festzuhalten, um für die Kirche und ihre Lehre zu gewinnen,
was hier nach sorgfältiger Prüfung zu gewinnen ist.

Minden i. W. Reinhard Mu m m

PRAKTISCHE THEOLOGIE

S c h i e d e r, Julius: Unsere Predigt. Grundsätzliches, Kritisches, Praktisches
. München: Kaiser 1957. 120 S. 8°. Kart. DM 5.40.

S c h ä d e 1 i n, Albert, D.: Die rechte Predigt. Grundriß der Homiletik
. Zürich: Zwingli-Verlag [1953]. 68 S. 8°. DM 4.60.

Ott, Heinrich: Verkündigung und Existenz. Gedanken zur Lehre von
der Predigt. Zürich 'Frankfurt/M.: Gotthelf - Verlag [1956]. 48 S.
kl. 8°. Kart. DM 3.30.

„Die Beantwortung der Frage nach der rechten Predigt muß
von jedem theologischen Zeitalter neu versucht werden. Mehr
als die Beteiligung an einem solchen Versuch will selbstverständlich
auch die vorliegende Arbeit nicht sein" sagt Schädelin in
seinem Vorwort. Er hat sich mit dieser schnell lesbaren und
freundlich ratenden Broschüre als reformierter Schweizer vor
allem an den homiletischen Theorien K. Barths ausgerichtet.
Schieder gibt in seinem Büchlein als Lutheraner aus einer gut fundierten
, reifen und weise gewordenen Erfahrung seine sehr beachtlichen
homiletischen Ratschläge und Regeln. Und Heinrich
Ott, ein junger schweizer Systematiker und Pfarrer, der sich
durch sein Buch „Geschichte und Heilsgeschichte bei Rudolf Bultmann
" (Tüb. 1955) bestens bekannt gemacht hat, macht hier
einen grundsätzlichen homiletischen Vorstoß, der die notwendige
Existenzbezogenheit der Verkündigung vor allem ins Auge faßt.

Alle drei Schriften sind wichtige „Beiträge" und können
dringend empfohlen werden. Aber in ihrem „Beitrags"-Charakter,
in ihrer Kürze, die den „Theologiestudenten vor dem Examen"
und den „vielbeschäftigten Pfarrer" berücksichtigt (Schädelin
S. 4), liegt auch ihre Grenze. Die sich vor unserer Generation
auftürmende homiletische Problematik läßt sich in dieser einfachen
Form nicht mehr bewältigen, wenn sie zu wirklich zwingenden
Lösungen führen soll. Vieles wird da in einer freundlich
bestimmenden Apodiktik als Regel dekretiert — das gilt für
Schädelin und Schieder! —, das eingehenderer Begründung und
kritischerer Auseinandersetzung bedürfte, um im Hinblick auf
die uns auf den Nägeln brennenden Fragen wirklich überzeugend
zu sein.

Bei S c h ä d e 1 i n wird nach den Prolegomena I. vom Wesen
und Zweck der rechten Predigt, II. vom Predigttext und
III. von Form, Ausführung und Vortrag der Predigt gehandelt.
Im wesentlichen ist die heutige opinio communis über die homiletischen
Grundfragen positiv vorgetragen. Aber unsere vielgenannte
gegenwärtige Predigtnot weiß von abgründigen Fragen
der Auslegung, der Übertragung, der Form und des sehr anders
gewordenen Welthintergrundes, die dabei eben nicht zum Austrag
kommen. Und bona fide wird oft genug viel zu selbstverständlich
als homiletische Regel gefordert, was eben nicht ohne
weiteres als verbindlich gelten kann. Z. B. „Text, nicht Thema"