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Ausgabe:

1958 Nr. 12

Spalte:

825-827

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zaehner, Robert C.

Titel/Untertitel:

Mysticism sacred and profane 1958

Rezensent:

Beth, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 12

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RELIGIONSWISSENSCHAFT

v--

Zaehner, R. C, Prof.: Mysticism, sacred and profane. An Inquiry

/into some Varieties of Praeternatural Experience. Oxford: At the
Clarendon Press 1957. XVIII. 256 S. gr. 8°. 42 s.

Dieses sehr verdienstliche und reichlicher Nachprüfung wie
Nachfolge würdige Buch eines Professors für fernöstliche Religionsgeschichte
in Oxford („Zurvan", "Foolishness to the
Greeks") stellt einen ernsten Versuch dar, die verschiedenen gewöhnlich
ineinander verfließenden Arten von Mystik voneinander
abzuheben. Es bedeutet ferner eine an die Wurzel greifende Auseinandersetzung
mit Aldous Huxleys physiologischer Theorie der
Mystik, die dem Verf. der direkte Anlaß zum Schreiben dieser
Studie wurde. Rez. ist daher genötigt, zwecks des Verständnisses
seiner Besprechung daran zu erinnern, daß Huxley in seinen
„Pforten der Wahrnehmung" sowie in dem noch strenger die
biologische Grundlage seiner Theorie betonenden Büchlein „Himmel
und Hölle" in der Tat großes Gewicht auf die somatischen
Ursachen von Visionen legt, und zwar nicht bloß auf Fasten, Askese
, Abstinenzen und selbst Geißelungen, sondern auf die von
ihm selbst ausprobierten Wirkungen des Genusses der von den Indianern
her übernommenen Droge Mescalin, eines Wurzelextraktes
des bei den Indianern beliebten, für psychische Erregungen
verwendeten Kaktus Pejote.

Dem Verf. kommt es sonderlich darauf an, echte religiöse
Mystik von den mancherlei Pseudomystiken scharf zu unterscheiden
, welche er unter dem Namen „praeternatural experiences"
zusammenfaßt. Diese definiert er als „nicht-natürliche Erlebnisse,
in denen Sinneswahrnehmungen und diskursives Denken trans-
zendiert werden unter einem unmittelbaren Innewerden einer
Einheit oder Einung, die erfaßt wird als etwas, das die Vielfältigkeit
der Welt, wie wir sie kennen, hinter sich läßt und transzen-
diert". Zaehner, der an seiner eigenen Person das Mescalin-Ex-
periment erprobt hat und darüber im „Appendix B" dieses Werkes
berichtet, erklärt kurz: Ein derartiges Erlebnis hat mit der
beseligenden Schau der Mystiker nichts gemein. Er klassifiziert
die präternaturale Mystik unter Ablehnung des Wortes „panthe-
istisch" als ,,pan-en-henisch" und meint damit den Gegensatz zu
„theistisch" und „monistisch" gefunden zu haben. Er bringt zur
Erläuterung des häufig rein spontanen Charakters solcher Phänomene
eine Reihe von Beispielen, die zeigen, daß 6olche spontanen
Erlebnisse ein Schauen schon oft wahrgenommener Dinge manchmal
von recht trivialer Art zum Gegenstand haben. So fürchtet
Huxley, wenn er unter dem Einfluß von Mescalin einen dunkelblauen
Gartenstuhl betrachtet, davon völlig überkommen zu
werden; Tennyson wie Forrest Reid sind überzeugt, das All in
«ich hineinzuziehen, so daß die Natur Eins mit ihnen wird.

Frage: aus welcher Tiefe der Seele brechen solche Erlebnisse?
Wie hat unsere Stellung zu ihnen zu sein, da wir nun wissen, daß
sie nicht bloß spontan, sondern auch durch Drogen und vorübergehenden
oder dauernden Wahnsinn erzeugt werden? Zaehner
meint, daß der Grund, aus dem diese Erlebnisse in ihrer außernatürlichen
Schönheit und jenseits-natürlichen Fürchterlichkeit
entspringen, die Seite des Seelenlebens sei, welche W. James sub-
liminal oder transmarginal nannte, das kollektive Unbewußte
Jungscher Terminologie. Er stellt aber auch ganz entschieden fest,
daß die Erlebnisse der Naturmystik nicht als eine Einung mit der
Gottheit (christlich und sufisch) oder als Einssein mit dem Absoluten
(hinduistisch) oder selbst als Einheit mit der Mutter Natur
verstanden werden können; sie ruhen vielmehr auf der Annahme,
daß jenseits der Einzelseele ein „kosmisches Bewußtsein" besteht
oder „ein kollektives Bewußtsein als Reservoir der Bewußtheit",
wie etwa der Mahayanabuddhist sagen würde, oder als „anima"
und „animus" oder prana oder Spiritus, pneuma, korrespondierend
selbst der vedantinschen [Samkhyäschen] prakriti, dem
„nicht-rationalen belebenden Prinzip des Universums". Wiewohl
dies Prinzip an sich ethisch indifferent ist, so zeigt es sich doch
praktisch entweder manisch als Alleinheit im depressiven Stadium
als All-Getrenntheit. Für den Religionsforscher ergibt sich von
hier aus die Frage, wa6 denn im back-stage-Ringen der Religionen
eigentlich all solches religiöses Stille- und Erregtsein der Seele

bedeute? Und was bleibt angesichts der vielen Möglichkeiten von
materiellen, physiologischen Beeinflussungen als endgültiges Faktum
bestehen? Oder worin besteht der wesenhafte Unterschied
zwischen den Erfahrungen, die aus so verschieden in Aktion tretenden
Psychen zustande kommen?

Ich möchte mich damit begnügen anzudeuten, was Verf. zur
Beleuchtung dieser Frage beizubringen hat. Er verweist zunächst
darauf, daß der Zustand der Herausgehobenheit über normal
menschliches Maß dem echten Mystiker wohl bewußt ist und von
ihm mit Mißtrauen und Abneigung betrachtet wird; daß die frühen
muslimischen Mystiker den manischen Zustand „Ausweitung"
und den depressiven „Einengung" nennen (S. 87). Zweitens ist
der echten Mystik immer der Unterschied zwischen Gut und Böse
inhärent und strenger Lebenswandel und Bewahrung vernunftmäßigen
Denkens lassen die Scheidelinie zwischen hoher und Naturmystik
unverwischt (S. 144). Zudem aber — und dies muß ganz
besonders betont werden — ist es weder Ausweitung noch Einengung
, was der echte Mystiker empfindet, sondern eine Erfüllt-
heit von der Gottheit, so daß sein Ich nur noch Behälter für das
Göttliche ist, so wie von dem mit Wein gefüllten Glase die Materie
Glas nicht mehr wahrgenommen wird. Schließlich geht der
Weg echter Mystik über die Askese.

Dieser letzte Punkt führt zu der Differenz mit Huxley zurück
. Letzterer steht auf dem Standpunkt: Wenn ein Mensch sich
übernatürliche Erlebnisse verschaffen kann, indem er den Gehirnwiderstand
wider den Einbruch des kollektiven Unbewußten durch
eine Droge mindern oder ganz ausschalten kann, warum soll er
dann den altmodischen Weg durch die Stufen von kasteiungs-
ähnlichen Verhaltungsweisen festhalten? Z. betont mit Recht, daß
der moderne Weg niemals zu den hohen Erlebnissen führen kann,
die durch jahrelange Anstrengungen und mühsamste Schulung erreicht
werden. Er meint, daß sich der Mensch von dem kollektiven
Unbewußten frei machen kann und dabei auch von dem „autonomen
Teilkomplex, der als Gott-Archetyp erscheint". Seine Position
nimmt Verf. auf folgende Weise: „Die bloße Tatsache, daß
ein Mensch die vollkommene Stille der Seele erreichen kann —
ganz abgesehen davon, ob diese Stille der Friede, der allen Verstand
übersteigt, ist, von dem Paulus spricht — zeigt, daß die
.niedere' Seele, deren wesenhaftester Teil das kollektive Unbewußte
sein soll, tatsächlich unterdrückt, verdrängt und vollständig
ausgeschieden werden kann. Die mystische Religion an
und für sich zeigt so, daß der mystische Zustand, den der religiöse
Mensch erstrebt, das Gegenteil des mystischen Naturerlebnisses
ist; er ist das Streben, alle Bande mit der Welt abzuschneiden,
das Ruhen in seiner eigenen unsterblichen Seele und am Ende das
Aufopfern dieser Seele ihrem Schöpfer. Das erste Stadium ist, was
der Monist anstrebt, das zweite liegt jenseits und kann scheinbar
nur mit Gottes aktiver Hilfe erreicht werden, wobei Gott als
nicht identisch mit der unsterblichen Seele empfunden wird . . .
Ich bin bereit, zu glauben, daß Jungs kollektives Unbewußtes eine
Realität ist; aber daß Gott einer der Bestandteile derselben ist.
dafür müssen noch überzeugendere Beweise erbracht werden"
(S. 149).

Damit berührt Z. einen der wundesten Punkte in seinem
Verhältnis zu Jungs Lehre, die Auffassung vom Gott-Archetyp.
Da es indessen zu weit führen würde, auf die Substanz dieser
Lehre einzugehen, betrachten wir die Stufen des Seelenweges, wie
ihn Z. als den normalen empfindet: 1. Einung mit dem Unbewußten
, d. i. eine Reversion zu jenem primitiven Zustand, wo
noch keine Trennung des Bewußtseins vom Unbewußten eingetreten
ist. 2. Bewußtsein behauptet sich gegen das Verschlungenwerden
in das Unbewußte. 3. Beide, Bewußtsein und Unbewußtes,
befinden sich in einem Zustand der Integration. Das Selbst taucht
auf, und das Ich wird gebändigt. 4. Das Selbst befreit 6ich von
dem Phänomenalen, einschließlich des Ego. (Dieser Zustand wird
mit dem höchsten Glück des Samkhya Yogin gleichgesetzt, oder
mit paradiesischer Unschuld.) 5. Die Liebesbeziehung zwischen
der Seele und Gott. Beachtet soll werden, daß Ekstase genau genommen
keine Stufe auf diesem Wege der Seele bedeutet, sondern
eigentlich das Zurückfallen in eine überwundene Entwicklungsform
. Wesentlicher scheint mir jedoch, einen Nachdruck darauf
zu legen, wie das mehr al6 ein Jahrhundert alte Defizit
in der protestantischen Theologie, nämlich da«