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Ausgabe: | 1958 Nr. 11 |
Spalte: | 799-801 |
Kategorie: | Religions- und Kirchensoziologie |
Autor/Hrsg.: | Wopperer, Gertraud |
Titel/Untertitel: | Die Neuen Formen sozial-caritativer Arbeit in der Oberrheinischen Kirchenprovinz 1958 |
Rezensent: | Erbacher, Hermann |
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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11
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Grundoffenbarung die Fähigkeit, eine partielle Antwort zu geben
, nicht abgesprochen werden.
b) Die Erkenntnistheorie Tillichs ist nicht ohne Widersprüche
. 1. Die Kategorien sollen Strukturen des Bewußtseins
und der Wirklichkeit, also apriorisch und ontologisch zugleich
sein (101). Nun gibt es entweder (mit Kant) Erkenntniskategorien
, die subjektiv und darum apriorisch, aber nicht ontologisch
6ind; oder (mit Hegel und dem Realismus) Seinskategorien
, die objektiv und ontologisch, aber dann nicht apriorisch
sind; oder endlich (mit N. Hartmann u. a.) Erkenntnis- und
Seins kategorien, die p a r t i a 1 identisch, partial nicht identisch
sind. Die von Tillich behauptete vierte Möglichkeit leuchtet
erkenntnistheoretisch nicht ein. Sie scheint uns ein Kompromiß
zwischen unvereinbaren Standpunkten zu sein! — 2. Die
Folge dieser Unklarheit ist, daß bei Tillich weder die Stellung zu
den Gottesbeweisen noch die Wahrheitsfrage, noch der Begriff
der Vernunft ganz klar sind. Die traditionellen Gottesbeweise
bekämpft Tillich mit Kantischen Argumenten, ohne die Voraussetzung
solcher Argumente, Kants Kategorienlehre, ganz zu
teilen. Damit vermag er dem Gehalt der Gottesbeweise nicht gerecht
zu werden. Die Wahrheit wird zwar als Urteilsqualität bestimmt
und als Einigung des Subjekts und Objekts im Wissen
aufgefaßt (163/65), sie soll dann aber intuitiv erfaßt werden und
in der Erfahrung ihre Begründung finden (166). Nun ist aber die
Intuition an sich noch gar keine Erkenntnis, sie wird es erst
durch Umsetzung in Begriffe, Urteile und Schlüsse; die Erfahrung
aber ist stets unabgeschlossen, kann also allein keine Wahrheit
garantieren! Schließlich unterscheidet Tillich wohl die ontologi-
6che und die technische Vernunft (den Verstand), das Herrschaftswissen
und das empfangende Erkennen, aber es fehlt die
Bestimmung des Verhältnisses zwischen der menschlichen und
der göttlichen Vernunft (in der Offenbarung). Es genügt nicht,
zu sagen, die Offenbarung negiere nicht, sondern transzendiere
die Vernunft. Denn auch die Offenbarung muß ja zutiefst vernünftig
sein, um von der menschlichen Vernunft erfaßt werden
zu können. —
Doch wir brechen ab. Noch viele Fragen könnten an das
Buch und an Tillich gestellt werden und viele Bedenken aufsteigen
. Das mindert die Bedeutung Tillichs und den aktuellen Wert
des Buches von Chr. Rhein, das warm empfohlen wird, in keiner
Weise.
Derben/Elbe Erik S c h m i d t
RELIGIONSSOZIOLOGIE
W <r>p p e r e r, Gertraud: Die neuen Formen sozial-caritativer Arbeit
In der Oberrheinischen Kirchenprovinz 1834—1870. Freiburg/Br.:
/ Lambertus-Verlag 1957. 258 S. m. 6 Abb. u. 4 Ktn. 8°. DM 15.—.
In drei großen Abschnitten wird eine Fülle von Stoff aus
bisher weithin ungedrucktem Quellenmaterial ausgebreitet, wie
es wohl sonst kaum in solch straffer Ausführlichkeit in sozial-
caritativer Hinsicht zu finden ist.
Im 1. Abschnitt werden wir unter dem Vorbehalt der zeitlichen
und räumlichen Begrenzung mit der „Einführung und Neugründung
von klösterlichen Genossenschaften für Armen- und
Krankenpflege" vertraut gemacht (S. 41—124). Nachdem durch
den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 die klösterliche Form
der Armenpflege auf rechtsrheinischem Gebiet ein radikales Ende
gefunden hatte, erfolgte auf das 18 30 zunächst anonym (jedoch
von Clemens Brentano in Koblenz) erschienene, durch Joseph von
Görres' Mithilfe weitverbreitete Buch „Die Barmherzigen Schwestern
in bezug auf Armen- und Krankenpflege" die Einführung
der Straßburger Barmherzigen Schwestern. Wurzel faßte diese
Kongregation in Fulda und damit in Kurhessen 18 34, in Baden
erst seit 1845. Bis 1870 hatte sie bereits 30 Anstalten zur
Pflege der Armen, Kranken und Pfründner übernommen.
Während mit der Einkleidung im Freiburger Mutterhaus erst 1872
die Lostrennung von Straßburg trotz der Gemeinsamkeit der
Regel begann, hatte man sich in Württemberg schon nach zehn
Jahren, d.h. 1858, für die Selbständigkeit entschlossen (Gmünder
Mutterhaus). Daneben hatten sich „Niederbronner Schwestern
" in Baden und Hessen (S. 84), die „Barmherzigen Schwestern
vom hl. Kreuz" aus Ingenbohl und die „Schulschwestern
vom hl. Kreuz" aus Menzingen in Baden, Württemberg und
Hohenzollern (S. 91), die „Frauen vom Guten Hirten", die „Armenschwestern
vom hl. Franziskus" und die „Barmherzigen
Schwestern vom hl. Karl Borromäus" im Großherzogtum Hessen
(S. 95), die „Kreuzschwestern" von Straßburg, die „Armen Fran-
ziskanerinnen" von Mallersdorf und die „Väter vom Hl. Geist"
in Württemberg, Baden und Nassau (S. 101) niedergelassen. Endlich
werden die Neugründungen von Diözesangenossenschaften
(S. 118) beschrieben.
Der 2. Abschnitt ist der „Entstehung caritativ tätiger Laienvereine
" (S. 125—156) gewidmet. Aufgerüttelt durch F. J. Mones
1843 erschienene zweite Schrift über „Die katholischen Zustände
in Baden", erschienen 1844 die Satzungen eines „Katholischen
Vereins für Baden", der aber nie ins Leben trat. Vorbild waren
die in Frankreich entstandenen „Vereine vom hl. Vincentius von
Paulo" für Männer. Erst nach der in Mainz 1848 erfolgten Proklamation
der Freiheit der katholischen Kirche konnte ein ganzes
Netz solcher Vereine in Deutschland entstehen (mit Ausnahme
von München: schon 1845). Daneben konstituierten sich Vinzens-
und Elisabethvereine nach den sog. Regensburger Statuten v. J.
1849 (S. 142 ff.). Weiter ergänzten nach lokalen Bedürfnissen
organisierte Wohltätigkeitsvereine in den verschiedenen Diözesen
die Arbeit und förderten die vereinsmäßige Betreuung von Auswanderern
und Dienstboten (S. 154 ff.).
Der 3. Abschnitt zeigt die „Entwicklung neuer Anstaltstypen
" auf (S. 157—201). Befruchtend wirkten Pestalozzis Erkenntnisse
über die erweiterte Familienerziehung, die durch Chr.
Hch. Zellers 1820 gegründete Armenschullehrer- und Armenkinderanstalt
in Beuggen in die Wirklichkeit umgesetzt wurden
in Verbindung mit den pädagogischen Zielen des Pietismus. Zunächst
wurde mit dieser Rettungshausbewegung auf evg. Boden in
Württemberg, dann auf kath. Boden in den Diözesen Rottenburg
(1847) und Fulda, in der Erzdiözese Freiburg, nachdem evange-
lischerseits 1849 schon in Lahr-Dinglingen, Weinheim 1850 und
1851 mit dem Hardthaus in Neureut begonnen war, 1851 mit der
Gründung von Käfertal ein Anfang gemacht. In den Diözesen
Limburg und Mainz erfolgten weitere Gründungen (1851 Dernbach
, 1861 Montabaur, Mainz 1851, 18 56 Neustadt i. hess. Odenwald
und 18 52 Kleinzimmern), Privatanstalten für abnorme und
unheilbare Kranke runden das Bild noch ab (S. 199 f.).
Die einzelnen Fakten werden reichlich mit Fußnoten (wir
zählten 1635!) belegt und ergänzt. Außerdem folgen noch verschiedene
Anhänge, bestehend aus Verzeichnungen, Verträgen,
Schriftwechsel, Statuten, 4 Karten über Niederlassungen und
Ausbreitung der verschiedenen Kongregationen. Der vorausgestellte
Quellen- und Literaturnachweis umfaßt 25 Seiten.
Beachtlich ist, daß die Veröffentlichung sich nicht nur auf
ein politisches Territorium allein, sondern auf den ganzen südwestdeutschen
Raum hin erstreckt. Sie ist insofern eine glänzende
Teil-Quellenstudie für die Zeit vor der Entstehung des Caritasverbandes
. Sie zeigt weiter das Gemeinsame mit der Geschichte
der Inneren Mission auf, sofern man etwa M. Gerhardts zweibändiges
Werk, Ein Jahrhundert Innere Mission, Gütersloh 1948,
heranzieht. Es wird Aufgabe weiterer sozial-caritativer Forschung
sein, die gegenseitigen Anregungen und Befruchtungen herauszuarbeiten
, die von konfessioneller, staatlicher und kommunaler
Seite ausgegangen sind. Inwieweit war die Zeit für solche Aufgaben
„reif"? Wir fragen z.B.: Bestand ein innerer Zusammenhang
zwischen den Satzungen des „Katholischen Vereins für Baden
" (1844) (S. 127) und dem anonym erschienenen Aufruf (aus
der Feder Ernst Finks) „Der Evang. Verein" (1845), beides
Wunschgebilde, die in der jeweilig gewünschten Form aber nie
zustande kamen? Oder: Haben Mutter Jolbergs Gedanken und
Verwirklichungen in Nonnenweier auf die drei katholischen
Schwestern Fischinger in dem benachbarten Dorfe Kürzell (S. 122)
gewirkt? Nur bei der Entwicklung neuer Anstaltstypen hat die
Verfasserin solche Beziehungen, gestützt auf Sekundärliteratur,
durchblicken lassen.
Einige Kleinigkeiten: S. 158: Für den „Verein zur Rettung
sittlich verwahrloster Kinder" wurden auch alljährlich Kollekten
in der evang. Landeskirche Badens erhoben. — S. 177: In Lahr-