Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 1

Spalte:

58-60

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rahner, Karl

Titel/Untertitel:

Schriften zur Theologie I-III 1958

Rezensent:

Schultz, Werner

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

57

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 1

58

kirchlicher Gestaltung", „Das Bekenntnis der Reformation und
unser Bekennen", „Die christliche Gemeinde in der Anfechtung").

Hier möchte ich mich — pars pro toto — darauf beschränken,
den auch und gerade heute besonderes Interesse weckenden
Briefwechsel mit Harnack hervorzuheben. Denn hier, in Auseinandersetzung
mit dem einstmaligen Lehrer, brechen Fragen
auf und werden Entscheidungen fällig, die trotz aller späteren
Wandlungen für Barths Weg charakteristisch sind. In die Augen
springend ist Harnacks totales Unverständnis für Barths Offenbarungsbegriff
. In Barths Thesen sieht H. eine Verachtung aller
Kultur und Moral, den Verzicht auf historisch-kritische Forschung
, ja, einen Marcionitismus, der jedes Band zwischen Gott
und Mensch zerschneidet und den Glauben der unkontrollierten
Willkür ausliefert. Ein Abgrund scheint beide Gesprächspartner
zu trennen, wenn B. demgegenüber betont, daß Offenbarung
keine mögliche menschliche Entdeckung und jeder direkten geschichtlichen
Erkenntnis unzugänglich sei. Nicht das „schlichte
Evangelium", nicht der historische Jesus ist Gegenstand des
Glaubens, sondern der Auferstandene. Für unsre mitgebrachten
menschlichen Möglichkeiten ist das Evangelium „total unverständlich
", Gotteserkenntnis ist Gottes eigenes Werk im hl.
Geist.

Ohne Zweifel, der Nachdruck liegt hier auf dem Geltendmachen
der Diastase! Daß zwischen der Wahrheit Gottes und
unserer Wahrheit nur Gegensatz, nur Entweder - Oder besteht,
das klingt gewiß anders als das, was Barth später über die „gottvernehmende
Vernunft" (oder gar das Griechentum in KD III, 2,
S. 3 36 ff.) sagen wird. Aber wenn man bedenkt, daß er schon damals
mit Luther von dem tiefen, heimlichen Ja unter dem Nein
spricht, so vermag man trotz allen Wechsels der Frontstellung
und aller begrifflichen Wandlungen die Klammer zu sehen, die
das Damals und Heute verbindet. Angesichts des (notwendigen!)
harten Protestes B.s und des verständnislosen Kopfschütteins H.s
ist man allerdings gereizt zu fragen, was H. wohl zu dem späteren
B. gesagt hätte, der das Nein Gottes auf dem deutlich
sichtbaren Untergrund des Ja, die Bestreitung aller menschlichen
Gotteserkenntnis auf Grund der in Christus eröffneten Möglichkeit
, ja, Wirklichkeit unsres Zugangs zu Gott bezeugt und gegen
alle Identitätsspekulation kämpft, weil der Friede zwischen Gott
und Mensch längst geschlossen ist (so daß ein Balthasar sogar
bei B. gelegentlich an Harnacks Vatergott erinnert wird!).
Gewiß hätte er das „schlichte Evangelium Jesu" bei B. auch dann
nicht einfach wiedergefunden, aber vielleicht wäre ihm deutlicher
geworden, worum es B. geht.

Wenn H. die Theologie als Wissenschaft bedroht sieht, so
wehrt sich B. mit aller Energie gegen den hier zum Gesetz auch
für die Theologie gemachten Wissenschaftsbegriff. In B.s Einwendungen
, daß das „Wort Gottes" nicht nur Gegenstand der
Predigt, sondern auch der Theologie sei und also nicht eine
historisch eruierte Wahrheit von oder über Jesus, kann er nur
einen unkontrollierbaren Spiritualismus wittern. Daß die Kritik
an einer Theologie vom historischen Jesus das Problem Offenbarung
und Geschichte noch nicht erledigt und die Bedenken
gegen diesen Wissenschaftsbegriff noch nicht Verachtung aller
Wissenschaft sein muß, da6 ist trotz der gegenteiligen Behauptungen
B.s dem damaligen Gesprächspartner nicht deutlich geworden
. Könnte man aber, um H. ad bonam partem zu deuten,
nicht fragen, ob das, was ihm bei seinem Drängen auf Geschichtlichkeit
und Wissenschaftlichkeit gegenüber einer charismatischen
Theologie, die er als Schreckgespenst vor sich sah, vorschwebte,
nicht auf der Linie dessen zu suchen sei, was Luther in De servo
arbitrio unter der claritas externa der Schrift verstand und weshalb
er auf den sensus literalis solchen Nachdruck legte? Hier
hat der Briefwechsel wohl besonderen aktuellen Bezug für uns.
Daß Offenbarung, indem sie Geschichte wird, nicht ein Prädikat
der Geschichte wird und damit die Geschichte zur Offenbarung,
das wird von B. damals schon mit aller Klarheit gesagt. Und hier
war in der damaligen Situation auch die eigentliche Durchbruchsschlacht
zu schlagen. Wer dürfte sich wundern, daß das andre,
die positive Beziehung, hier noch bisweilen mit Begriffen und
Bildern umschrieben wird, die B. selbst später mannigfach revidiert
?

Die in diesem Buch folgenden Aufsätze sind Zeugnis dafür,
daß wir uns hier am Ausgangspunkt, nicht am Ziel eines Weges
befinden und daß es keine Phrase war, wenn B. hier schreibt:
„Ich weiß, daß es nötig sein wird, noch ganz anders davon zu
reden." Umsomehr staunt man, wie der Ansatz dieses theologischen
Denkens, die Erkenntnis, daß „Gott selbst menschlichgeschichtliche
Wirklichkeit, und zwar in der Person Jesu Christi"
geworden ist und sich von daher Gegenstand und Methode der
Theologie wie der Verkündigung der Kirche allein bestimmen,
hier schon kraftvoll in Sicht genommen wird und in der Folge
zu immer neuen, überraschenden Entscheidungen drängt.

Wenn die Auseinandersetzung mit Barths theologischem
Weg zu den reizvollsten und dringlichsten Aufgaben heute gehört
, dann dürfte dieser Aufsatzband in der Weise dazu mithelfen
, daß er für manchen den Zugang zu B.s Werk erschließen
kann. Denn auch für seine heutigen Kritiker dürfte noch das
gelten, was er damals (mehr „zum Publikum" gewendet) an Harnack
schreibt: „daß man auf die Länge doch auch uns nicht wirkungsvoll
widerlegen können wird, ohne uns ernstlich gelesen
zu haben".

Bonn W. Kreck

Rahner, Karl: Schriften zur Theologie. I—III. Einsiedeln - Zürich -
Köln: Benziger [1954/55/56]. 414 S.; 399 S.; 472 S. 8°. Bd. I u. II
je DM 18.90; Bd. III DM 19.80.

Die theologischen Untersuchungen Rahners, die in den vorliegenden
Bänden zusammengefaßt sind, sind teils in verschiedenen
Zeitschriften als Aufsätze bereits erschienen, teils aber auch
zum ersten Mal veröffentlicht. Im 1. Band werden grundlegende
Themen der Dogmatik behandelt wie Gott, Christus, Maria,
Gnade. Die Aufsätze des 2. Bandes bewegen sich besonders um
das Thema Kirche und Mensch, während die Beiträge des dritten
Bandes sich mit den Erscheinungsformen des religiösen Lebens
des Christen, seinem Alltag und seiner Stellung zur Welt befassen
und so zu einer Theologie des geistlichen Lebens führen. Es
kann sich bei einer Besprechung dieses Werkes nicht um eine erschöpfende
Darstellung des großen Gedankenreichtums handeln,
der in diesen Bänden niedergelegt ist. Es kann sich nur um eine
Fixierung der Grundhaltung des Werkes in ihrer Auswirkung auf
die besonders bedeutsamen dogmatischen Themen handeln. Diese
Grundhaltung ist in dem Vorwort des 1. Bandes vom Verfasser
selbst angegeben. Er will mit seinen theologischen Untersuchungen
zeigen, „daß die katholische Dogmatik keinen Grund hat,
auf ihren großen Lorbeeren auszuruhen, daß sie vielmehr weiter
kommen kann und muß, und zwar gerade so, daß sie dabei ihrem
eigenen Gesetz und ihrer Überlieferung treu bleibt" (I, 8). Er
will also das traditionelle Gut seiner Kirche nicht nur weiter
geben, sondern es von Grund aus neu durchdenken, auf die in
diesem Gut liegenden Aporien hinweisen und neue Wege ihrer
Lösung aufzeigen, ohne dabei dem Grundanliegen seiner Kirche
untreu zu werden. Es ist also eine kritische Haltung, die in seinem
Anliegen zu Worte kommt, eine kritische Haltung, die nicht
zerstören will, sondern die die Theologumena im Bereich seiner
Kirche auf ihren Ursinn zurückzuführen bestrebt ist.

Diese Haltung zeigt sich zunächst bei dem zentralen dogmatischen
Thema Gott. Schon, daß der Verfasser versucht, den
Sachverhalt Gott nicht nur aus dem ihm zur Verfügung stehenden
dogmatischen Material abzuleiten, sondern ihn neu im Rückgang
auf das NT zu gewinnen, läßt aufhorchen. Und auch wenn
er am Eingang seiner Untersuchung bemerkt, er wolle fragen,
„in welcher Weise sich nach der Lehre der Kirche der christliche
Gottesbegriff vom heidnischen und philosophischen abzuheben
haben wird" (I, 92), so ist sein Anliegen doch ein echt sachliches.
Das geht nicht nur aus seinem Hinweis hervor, wie viel er dem
von Kleinknecht, Quell, Stauffer und Kittel bearbeiteten Artikel
„Gott" in Kittels theologischem Wörterbuch zu danken habe,
sondern vielmehr noch aus der sorgfältigen und behutsamen Art
seiner Untersuchung selbst, die überall bemüht ist, aus dem genauen
Verständnis des Wortsinnes zu dem eigentlichen Sachgehalt
durchzustoßen. Auch wenn das Ganze endet mit der anzweifelbaren
These von Gott als erster trinitarischer Person im
NT, so ist besonders von dem voraufgehenden Abschnitt über
den „Gott der Liebe" soviel echt Schriftgemäßes gesagt, daß bei