Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 11

Spalte:

790

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Wessel, Klaus

Titel/Untertitel:

Der Sieg über den Tod 1958

Rezensent:

Thulin, Oskar

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

789

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11

790

harten Heiligen zuteil werde. Als Bernward im 12. Jahrhundert
selbst zu den Heiligen erhoben wurde, lag er bereits im Zentrum
eines Hciligengrabes. B. weist auf den Zusammenhang hin, der
den Umgang der Krypta mit den Ringstollen karolingischer Con-
fessioanlagen ebenso verbindet wie mit Chorumgängen Um
die Grabstellen Heiliger (der Hochaltar als Grab Christi!) wurden
sehr oft Prozessionsstraßen gelegt, bzw. wurden in unmittelbarer
Nähe der Gräber durchschreitbare Kultplätze angelegt'.
Über dem Haupteingang des Kultwegesystems der Bernwards-
krypta erscheint ein Oratorium, als dessen Titelheiligen B. sehr
überzeugend den Erzengel Michael erweist. Das Mittelalter hat
allerorten Altäre über Durchgänge gelegt, um die Unterschreitenden
in den Segensbereich des Altares zu bringen. Eine der Wurzeln
dieser mittelalterlichen Triumphportale liegt im Triumphbogen
der römischen Antike4. Eine eigentümliche Übergangsform
erscheint im spätantiken Mausoleum der Konstantina, wo der
Porphyrsarg der Stifterin direkt unter dem Altar einer in Dachstuhlhöhe
erhobenen und nach unten sogar geöffneten Kapelle
aufgestellt wurde. Die räumliche Übereinanderordnung verschiedener
Kulträume zieht sich im christlichen Bereich von der Spätantike
bis ins Spätmittelalter5. Die Anlage des Hildesheimer
Baldachinportales mit Michaelskapelle geht ganz offenbar der
ersten klassischen Formulierung des Themas im Westportal der
3. Kirche von Cluny voran. Der Hildesheimer Michaelsaltar steht
im kultischen Zusammenhang mit den Altären der Querhausemporen
, „so legen 6ich die Engelschöre schützend um Front und
Flanken des Kirchenraums, die eindrucksvolle Demonstration
eines Gebetes, wie es in die Westfassade der Klosterkirche von
Corvey gemeißelt ist: .Civitatem istam tu circumda Domine et
angeli tui custodiant muros eius' " (S. 109). Den Ausbau der
westlichen Vierungskrypta führt B. sehr einleuchtend auf die Zunahme
des Bernwardkultes zurück. Auf der Erkenntnis, daß der
Westbau „Bernwards Grabbau" (S. 110) sei, baut er schließlich
eine Überlegung auf, die hier nur mit einem Satz bezeichnet werden
kann: In der Gesamtanlage der Hildesheimer Michaelskirche
verwirkliche sich eine „Erinnerung an die Grabeskirche" (S. Iii)
in Jerusalem6. Für die auf dem Rücken der Kryptenumgangstonne
liegenden Räume rekonstruiert B. die Funktionen der Bibliothek
und der Sakristei, die eigentümlichen Gebilde erinnern räumlich
wie funktionell an frühchristliche Pastophorien7.

Alle diese Überlegungen haben die Form typologischer
Untersuchungen. Auf das reiche Material, das hier ausgebreitet
wird wie auf die oftmals anregenden und geistreichen Bezüge sei
mit allem Nachdruck hingewiesen. Es ist unmöglich, einzelne
Gedankengänge hier zu referieren: Sie sind gewichtig, sie werden
eine künftige Forschung stofflich wie methodisch beeinflussen und
fördern können.

Im zweiten Teil des Buches legt H. Roggenkamp Untersuchungen
vor, die sich wohltuend von ähnlichen Studien abheben
. Einer exakten Aufmessung des Baues entnimmt der Architekt
eine Maßeinheit, die allen Maßen zugrundegelegen hat. Er zieht
schriftliche Quellen zur Stütze seiner Hypothesen heran (was unerläßlich
scheint): Bernwards liber mathematicalis und die Vitruv-
Abschrift des Abtes Goderamus. Er bezieht die Maßsysteme der
Kirche auf antike Methoden der Vermessung, und er hat damit

3) Leider fehlt die Auseinandersetzung mit: Claussen, Hilde, Hei-
ligengräbcr im Frankenreich, ein Beitrag zur Kunstgeschichte des Frühmittelalters
. Diss. phil. Marburg 1950.

*) Möbius, Friedrich, Über und unter dem Bogen, zur Ausdrucksbedeutung
zweier Formzonen, in: Festschrift Johannes Jahn zum 22. November
1957, Leipzig 1957, 73—82.

5) Am Ende des 14. Jahrhunderts wird der dem Erzengel Michael
geweihte Hochaltar der lenaer Stadtkirche auf Stützen erhoben. Es entsteht
ein sogenannter Durchgang unter dem Chor sowie ein Umgang an
einem Heiligen Grabe vorbei. Das in den Nordraum der Krypta eingeschlossene
Grab Christi steht in räumlichem Zusammenhang mit einem
gewaltigen unterirdischen Beinhaus.

6) Diese Zusammenhänge hat G. Bandmann erst kürzlich am Beispiel
des Mainzer Kopfes mit der Binde wieder zur Diskussion gestellt:
Bandmann, Günter, Zur Deutung des Mainzer Kopfes mit der Binde, in:
Zeitschrift für Kunstwissenschaft 10 (3/4), Berlin 1956, 153—174.

7) Bandmann, Günter, Über Pastophorien und verwandte Nebenräume
im mittelalterlichen Kirchenbau, in: Kunstgeschichtliche Studien
für Hans Kauffmann zum 60. Geburtstag, Berlin 1956, 19—58.

methodisch sauber ein sehr schwieriges Feld bearbeitet. Vielleicht
werden künftige Generationen den Wahrheitsgehalt solcher Untersuchungen
erweisen, mindestens dem Kunsthistoriker erscheinen
heute noch Behauptungen auf dem Felde der Proportionsstudien
als schlechthin unkontrollierbar8. Autor und Verlag ist jedoch
auch für diese mutige Publikation zu danken.

Jena Friedrich Möbius

") Aus jüngster Vergangenheit datiert eine ebenso eigenwillige wie
nadidenklich stimmende Untersudiung: Schneider, Marius, Singende
Steine, Rhythmus-Studien an drei Katalanischen Kreuzgängen romanischen
Stils, Kassel/Basel 1955.

Wessel, Klaus: Der Sieg über den Tod. Die Passion Christi in der
frühchristlichen Kunst des Abendlandes. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
[1956]. 128 S. m. 77 Abb. auf Taf. 8°. DM 8.90.

In dem Fragengebiet um die Christusdarstellungen stehen
Passion und Kreuzigung für uns fast selbstverständlich im Mittelpunkt
des Interesses, zumal wir künstlerisch, theologisch und im
Gemeindebewußtsein weithin von dem Leidensrealismus spät-
mittelalterlicher oder späterer Bilder geprägt sind. Es ist für
Künstler, Theologen und Gemeindeglieder aber immer wieder
wichtig und heilsam, zu sehen, welches Christusbild die ersten
6 Jahrhunderte der Christenheit gehabt haben.

Zu neun frühchristlichen Kunstwerken gibt der Verfasser
eine genaue Beschreibung mit einführendem Text, der aber zugleich
in zahlreichen Zitaten altkirchlicher Schriftsteller die an
den Bildwerken feststellbaren Ergebnisse bestätigt: Im 4.-6. Jahrhundert
dominiert die Auffassung, daß in der Passion und
im Kreuzestod der Herrschaftsantritt des Gottessohnes und sein
Sieg über den Tod, seine Erhöhung zum ewigen Herrscher der
Welt sichtbar wurde. Sowohl in der symbolischen und ausdeutenden
wie in der erzählenden, illustrierenden Form der Passionsdarstellungen
ist dies gemeint. Christus auch auf dem Passionsweg
als Herrn, Sieger, König zu sehen, war die besondere Eigenart
des Abendlandes, die sich bis zum frühen Mittelalter gehalten
hat — gegenüber schon früheren Leidensdarstellungen in un-
serm Sinne in der Ostkirche.

Gute Abbildungen bringen die Einzelszenen der Sarkophage
und der fortlaufenden Reihe von Passionsdarstellungen auf Elfenbeintäfelchen
(Bre6cia, München, London), auf der Holztür von
Santa Sabina in Rom und schließlich im Mosaikzyklus von
S. Apollinare in Ravenna dem Leser eindrücklich nahe.

Lutherstadt-Wittenberg —Leipzig Oskar Thulin

LITVRG1EWISSEN SCHAFT

Stenzel, Alois, S. J.: Die Taufe. Eine genetische Erklärung der Taufliturgie
. Innsbruck: Rauch [1958]. 319 S. 8° = Forschungen zur Geschichte
der Theologie und des innerkirchlichen Lebens, hrsg. v. H.
Rahner u. J. A. Jungmann, H. VII/VIH. Lw. DM 23.80.

J. A. Jungmann begründet selbst in einem Geleitwort die
Bedeutung der vorliegenden Veröffentlichung, zu welcher sein
eigenes Werk „Missarum Sollemnia" den Anstoß gegeben hat.
In ähnlicher Darstellungsweise soll hier der Taufritus aus seiner
Entstehung heraus zugänglich gemacht werden. Die seit kurzer
Zeit fast in vollem Umfang ermöglichte Taufspendung in der
Volkssprache läßt ein solches Unternehmen als notwendig erscheinen
. Jetzt erst werden die Schwierigkeiten des in Übung
6tehenden Taufrituals der Gemeinde voll bewußt. So gilt es aus
dem historischen Werden heraus zu zeigen, wie aus altem Material
im Laufe des Mittelalters das geltende Taufformular zusammengebaut
wurde. Erst indem die ursprünglichen Absichten
des Rituals und dessen Voraussetzungen festgestellt werden,
können dessen wertvolle Stücke und später eingedrungene minder
wichtige Bestandteile einander wertend gegenübergestellt werden
. Das letzte Ziel solcher Bemühungen ist freilich ein eminent
praktisches: der Verfasser möchte Hilfen für eine begründete
Neugestaltung des Taufrituals geben.

Man wird sich dem sehr positiven Urteil Jungmanns über
das Werk seines Ordensbruders nur anschließen können. Es ist