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Ausgabe:

1958 Nr. 11

Spalte:

777-779

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das Ringen um die Einheit der Kirche im Jahrhundert der Reformation 1958

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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777

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11

778

Artikel Luthers als eine Art Testament des Reformators gefordert
wurden und zwar unabhängig von der Konzilsfrage oder
ob sie direkt für das eventuell zu besuchende Konzil angefertigt
wurden, ob sie auf einem Gegenkonzil zu Bekenntnisartikeln erhoben
werden sollten oder bereits in Schmalkalden, vor der Ausschreibung
des Gegenkonzils — diese Fragen, die einige Punkte
der Auseinandersetzung Volz - Bizer berühren, sind doch gänzlich
ohne Einfluß auf die Auswahl der Dokumente geblieben. Dies
ist um so wesentlicher, da es für Volz ein Leichtes gewesen wäre,
durch die Auswahl der Dokumente seine Anschauungen über die
Schmalkaldischen Artikel entsprechend zu untermauern. Vielleicht
hätte man mehr Raum für einige oberdeutsche Aktenstücke lassen
sollen: Bedenken und Gutachten, die die Haltung und Stellungnahme
der oberdeutschen Theologen und Städte etwas mehr in
den Vordergrund rücken würden.

Doch ist der Umfang des Buches auch so schon mehr als
ausreichend. Für die Zeit nach dem Schmalkaldischen Krieg wie
überhaupt für die ganze spätere Zeit nach 1538 hat Volz 6tark
gekürzt. Vieles wurde hier in den ausführlichen textkritischen
Apparat verwiesen, der im Durchschnitt ein Drittel bis fast zur
Hälfte der laufenden Seite einnimmt. Dieser Apparat ist in der
bei Volz bekannten Akribie gearbeitet und erschließt durch seine
Ausführlichkeit die Dokumente in weitgehendster Weise. Literaturhinweise
und Begriffsbestimmungen erleichtern die Benutzung.
Auch die Angabe z. B. bei Briefen, welche Erstdrucke bekannt
sind, geht über das Corpus Reformatorum oder die Weimarana
hinaus. Besonders bei Männern um den Reformator ist dies von
Wichtigkeit, da Volz hier auch auf weniger bekannte Briefausgaben
verweist. Wenn auch die meisten Stücke nur im Auszug mitgeteilt
werden konnten, so wird dieses Verfahren hier jedoch
durchaus nicht zum Nachteil der Sammlung, da es Volz versteht,
die Kernstücke herauszuarbeiten. Voll abgedruckte Stücke sind
im Inhaltsverzeichnis besonders gekennzeichnet. Ein Personenregister
rundet die Edition ab.

Das einzige Bedenken, das abschließend anzumelden wäre,
ist der Umfang der Veröffentlichung und der damit verbundene
hohe Preis. Hier wird der sonst übliche Rahmen der „Kleinen
Texte" gesprengt. Wenn die Forschung Volz auch für die zusammenfassende
Ausgabe dankbar 6ein muß, so erhebt sich doch
die Frage, ob eine Verarbeitung dieser zahlreichen Texte z. B. in
einem Seminar — noch dazu bei einem für Studenten recht hohen
Preis von fast zwanzig Mark — möglich ist. Ein gekürzter Band
179 der „Kleinen Texte" und eine ungekürzte Veröffentlichung
an anderer Stelle wäre hier der bessere Weg gewesen, wenn nicht
die Reformationsgeschichte 6eit nunmehr faßt zwei Jahrzehnten
an einem fehlenden Organ für derartige Quellenpublikationen
kranken würde.

Berlin Hans-Ulrich D el i us

^intzenbach. Friedrich Wilhelm, Priv.-Doz. Dr. theol.: Das Rin-
/ gen um die Einheit der Kirche im Jahrhundert der Reformation. Vertreter
, Quellen und Motive des „ökumenischen" Gedankens von
Erasmus von Rotterdam bis Georg Calixt. Stuttgart: Evangelisches
Verlagswerk [1957]. 260 S. 8°. Kart. DM 11.50.

Das Buch ist ein reformationsgeschichtlicher Beitrag zur
ökumenischen Theologie. Da die Forschung dabei ist, die Geschichte
der ökumenischen Bewegung zu erarbeiten (Rouse-Neill,
Geschichte der ökumenischen Bewegung, Bd. I der deutschen Ausgabe
1957; M.Schmidt in RGG, 3. Aufl., II, 381 ff.), wird Kant-
zenbach des Interesses der Forschenden und Fragenden sicher
6ein. Wir meinen, daß sie nach der Begegnung mit seinem Buch
nicht enttäuscht sein werden.

Das Anliegen Kantzenbachs läßt sich kurz so umreißen:
1. Mit der Reformation ereignet sich durch die Wirksamkeit des
Geistes eine Neugeburt der Kirche. „Die Rechtfertigungslehre
und die auf Christus allein zentrierte und interpretierte Heilige
Schrift scheiden die reformatorische Bewegung von der ganzen
Geschichte der römischen Kirche" (17). Seit der Reformation
ist eine ökumenische Theologie im Keim vorhanden, deren Entfaltung
das hohe Interesse der Kirchengeschichtler verdient.

2. Je schärfer die Reformation gesehen wird, um so mehr
verbietet sich die Relativierung der Konfessionen. Ungezählte

Theologen hüben wie drüben dienten ihr bewußt oder unbewußt,
indem sie die kirchliche Erneuerung restaurativ nach rückwärts
orientierten, auf ein ideal gesehenes, zeitlich verschieden begrenztes
kirchliches Altertum hin, von daher ein Einigungsprogramm
gewannen und zwischen den Parteien zu vermitteln suchten.

3. Daraus konnte indessen nur eine kraftlose Irenik erwachsen
, die fortschreitend den Blick für die Größe und Notwendigkeit
der Reformation verlor. Auch Kantzenbach will Irenik, —
die Polemik ist in seinem Buch bewußt ausgeklammert. Die Frage
nach der Echtheit oder Unechtheit der Irenik entscheidet sich an
der Zuwendung zu den grundlegenden theologischen Anliegen
oder ihrer Verwässerung, d. h. an der Bewältigung der Frage nach
der Kontinuität der Kirche und der Tradition, durch ein Bewußtsein
, das die „Notwendigkeit der Reformation als erstmaliger
Herausstellung der Rechtfertigungslehre bewahrt" (19). Dementsprechend
geht das 1. Kapitel von Luthers kirchlichem
Kontinuitätsbewußtsein und dem Selbstveretändnis der Reformation
auf dem Augsburger Reichstag aus. Daran orientiert sich die
nachfolgende geschichtliche Darstellung.

Die Untersuchung geht dann folgenden Weg: Das größte und inhaltlich
gewichtigste Kapitel gilt Erasmus und seiner Anschauung
von der Einheit der Kirche, wobei der frühe Reformwille von dem
Kircheneinheitsprogramm der Spätzeit — vor allem in der Programmschrift
von 1 533 — sauber geschieden wird. Während Luther ablehnte
— die Eintracht des Glaubens sei der in der Liebe vorgeordnet —, erscheinen
die erasmischen Ideen differenziert in der Geschichte immer
von neuem, bis zu Calixt und über ihn hinaus bis zu Grotius und Leib-
niz. Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit Melanchthon,
der dem Programm des Erasmus weit entgegenkommen konnte, dabei
aber dem reformatorischen Ansatz treu blieb, was für die Anfänge der
ökumenischen Theologie von entscheidender Wichtigkeit ist. In der
Rede, die Melanchthon anläßlich der Beerdigung Luthers hielt, erscheint
die evangelische Kirche als die wahrhaft katholische, weil ihre Väter
die Propheten und Apostel der Bibel und die Theologen der alten Kirche
bis zu Augustin sind, weil Zeugen aus dem Mittelalter für sie zeugen
und weil die reine Lehre Luthers ihren unaufgebbaren Platz in der
Heilsgeschichte Gottes behauptet. Ein eigenes Kapitel ist Butzer
gewidmet, dem Schüler Luthers und des Erasmus. Der spätere Butzer
erscheint als der Vorläufer des Calixt: als Basis der Verständigung gelten
Lehre und Praxis der ersten vier Jahrhunderte. Butzers Mitwirkung
am Regensburger Religionsgespräch 1541 hat von daher Bedeutung.
Wichtig für das Unionsgespräch der Zukunft ist der bei Butzer auftauchende
Begriff der Necessaria in Gaubensdingen geworden. Maßstab
der Schriftauslegung und der Geltung der Tradition ist für Butzer allein
die Schrift 6elbst, weil von ihr 6ufficientia und perspieuitas gelten. Der
ständigen katholischen Reformbewegung gilt das nächste
Kapitel. Der erste Unterabschnitt besdiäftigt 6ich mit den Polemikern:
Eck, Cochläus, Dietenberger, Murner, Hosius u.a.; der zweite Unterabschnitt
mit den humanistisch Geprägten: Pirckheimer, Wimpheling,
Emser, Wimpina u.a.; der dritte mit einigen praktischen Reformern,
unter ihnen Schatzgeyer und Latomus; der letzte mit den Vermittlung«-
theologen Contarini und Gropper. Dann folgt ein gewichtiges Kapitel
über Witzel und Cassander. Witzel. dessen Weg bekanntlich von
der Reformation zurück zur römischen Kirche führte, wird auch eingehend
biographisch behandelt. Entscheidend ist, daß er als Erasmusschüler
— Luther sagte, daß er alle seine Gedanken von Erasmus gestohlen
hätte — zum Vorkämpfer für das altkatholische Prinzip wird;
er hat schließlich die Tradition bis zu Petrus Lombardus anerkannt. Die
Idee der Necessaria bewegt auch ihn, daneben stark die Idee der Sukzession
, wobei allerdings auch die liturgischen Interessen einwirken.
Cassander, der ebenfalls einem lebhaften biographischen Interesse
begegnet, kann als Typ des Irenikers gelten, der die Einheit in der
Liebe will. Die Liebe verbietet das Schisma, in der die reformatio
nur zur deformatio würde, ohne je zur instauratio zu führen. Als Norm
der Lehre gilt das Apostolikum und der Konsens der alten Kirche.
„Erasmus war ihm Lehrer und in kirchlichen Fragen Prophet". Kritisch
heißt es gegen Cassander, er hätte nie den evangelischen Ansatz verstanden
, und sein Idealbild des kirchlichen Altertums sei eine ungeschichtliche
Konstruktion. Das Schlußkapitel über Calixt konnte nun kurz
ausfallen, denn eigentlich Neues bringt der Helmstedter Theologe nicht
mehr in die Diskussion; er radikalisiert höchstens die Meinungen von
Witzel und Cassander. Indem er 6ich dabei allerdings von polemischen
Absichten leiten läßt — er kehrt die Waffen der Gegner um, „um damit
den römischen Anspruch ins Mark zu treffen" —, wird er für die
Intentionen Kantzenbachs uninteressant, der den Ireniker Calixt in den
Blick fassen muß. In seiner Kritik heißt es, daß auch ihm die ersten
fünf Jahrhunderte viel zu stark als Einheit erscheinen, und daß er das
Neue in der Reformation nicht begriffen hat. Eine evangelisch ökumenische
Theologie vermag bei Calixt Entscheidendes nicht zu lernen.