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Ausgabe:

1958 Nr. 11

Spalte:

771-773

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

1531 - 1653 1958

Rezensent:

Sprengler-Ruppenthal, Anneliese

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11

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gerade dieses 6dieint in mancher Hinsicht problematisch zu sein.
Gewiß gibt S. am Schluß des Kapitels die Hohlheit der römischen
(kaiserlichen) Adventsmetaphysik zu — scheint in seinen Bedenken
jedoch lediglich von der jüdisch-christlichen Gegenseite
(S. 39: jüdischer Kampftext der Hadrianszeit) auszugehen; wenn
ihm das „politische Evangelium" der augusteischen Zeit bald
„zur Schablone, zur höfischen Farce und Phrase" (S. 3 5) geworden
ist, so rechtfertigt er doch die Realität der Reichsmetaphysik
für die Zeit der Begründung des Prinzipates. An dieser
Realität ist in der Tat nicht vorbeizugehen, doch muß auch sie
aus den Bedingungen der Klassengesellschaft heraus entwickelt
werden; die weitgehend harmonisierenden Dichter (Vergil, Ho-
raz), eret recht aber ein so gewichtiges Zeugnis wie der „Tatsachenbericht
" des Augustus zeigen ja auf Schritt und Tritt die
äußere Not und die Widersprüche innerhalb der Gesellschaft der
Bürgerkriegsepoche als Hauptursachen für die Entstehung der
Reichsmetaphysik an; auch numismatische Belege finden sich in
Fülle. Etwas unterschätzt S. diese Zusammenhänge zweifellos, so
daß er denn auch da6 bekannte „ob cives 6ervatos" auf das
„weltgeschichtliche Rettungswerk des Kaisers" (S. 32) beziehen
kann, so sehr sich doch gerade darin der Unterschied zwischen
„Bürger" und „Nichtbürger" des Imperiums symbolisiert.

Sicherlich ist auch die Schilderung und Analyse der jüdischen
Verhältnisse trotz intensivsten Eingehens auf die wichtigsten
religiösen und politischen Sachverhalte durch eine gewisse Vernachlässigung
der sozialen Grundstruktur gekennzeichnet. Doch
sind auch viele wichtige, oft prosopographisch gründlich fundierte
Ansatzpunkte gegeben, besonders in den Kapiteln V (Die Schriftgelehrten
und Pharisäer), VI (Die Männer des Großen Synhedri-
ums) und VIII (Die Täuferbewegung). Das eigentlich Religionsgeschichtliche
tritt besonders in den Kapiteln III (Die jüdische
Apokalyptik), IV (Die Wüstenemigranten am Toten Meer),
VII (Die jüdische Naherwartung) und IX ff. (Die jüdische Liturgie
, Die jüdischen Ketzerge6etze, Die Kreuzesstrafe im antiken
Palästina, Der gekreuzigte Thoralehrer) hervor; vor allem anhand
der Qumräntexte, die trotz mannigfacher Bemühungen noch
viele Rätsel aufgeben, kommt er hier zu neuen Ergebnissen. Freilich
trägt einiges davon, wie etwa die vorsichtig in Angriff genommene
Gleichsetzung des anonymen „Lehrers der Gerechtigkeit
" (S. 130 ff.) mit Jose ben Joeser aus Zereda, zugegebenermaßen
hypothetischen Charakter, bahnt so aber weitere Erkenntnisse
an. Besonders zugänglich für jeden Interessierten ist die
tabellenartig gegebene Übersicht über die jüdischen Ketzergesetze
; fast wünschte man, daß auch andere schwierige Sachverhalte
des Buches zwar nicht so dargestellt, aber doch so oder in
ähnlicher Weise nochmals (anhangwei6e) zusammengefaßt würden
; die Lücke des hier wie in den Taschenbuchreihen meist
fehlenden Registers wäre dann auch fast geschlossen.

Trotz der kurzen Auseinandersetzung im XI. Kapitel will
mir nicht einleuchten, wieso S. die Kreuzesstrafe mit der des
Pfählens gleichsetzt. Die letztere könnte man übrigens, wofür
wohl die Entwicklung im assyrischen Bereich verantwortlich zu
machen ist, als ebenso „infernalisch" wie die Kreuzesstrafe bezeichnen
(S. 127). Das Anliegen der Superlativierung der Kreuzigung
ist hier gewiß ernst und verständlich; doch bleibt die Gefahr
der Relativierung gerade dann bestehen!

Alles in allem werden viele, Fachleute wie Laien, das Buch
gern zur Hand nehmen, wozu auch diese Hinweise beitragen
mögen.

Halle/Saale Hans-Joadlim D i es ne r

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES
UND TERRITORIALKIRCHENGESCHICHTE

Volk, Paulus, P. Dr.: Die Generalkapitcls-Rezesse der Bursfelder
Kongregation. II. Band: 1531—1653. Siegburg: Respublica-Verlag
1957. LVI, 628 S. gr. 8°. Lw. DM 46.—.

Nachdem im Jahr 1955 der gleichfalls von P. Volk besorgte
erste Band der Generalkapitels-Rezesse der Bursfelder Kongregation
, umfassend die Jahre 1458—1530, erschienen ist, liegt nun
bereits der zweite, noch umfangreichere Band vor, dessen Rezesse

die für die Kirche so bedeutsame Zeit der Reformation, des
Restitutionsediktes, des Dreißigjährigen Krieges und der Gegenreformation
bis 1653 widerspiegeln.

Der Edition der Rezesse dieses Bandes sind, jeweils für verschiedene
Zeiträume, fünf Handschriften, teilweise aus verschiedenen
Archiven bzw. Bibliotheken, zugrundegelegt. Zahlreiche
weitere Handschriften unterschiedlichster Herkunft sind zum Vergleich
herangezogen. Anlage und Editionsprinzip entsprechen dem
ersten Band, nur daß für den Text die moderne Schreibweise gewählt
ist.

Bereits der erste Band enthielt eine ausführliche Einleitung
für den gesamten Zeitraum des Bestehens der Kongregation mit
reichem weiteren Quellenmaterial zu Wesen und Geschichte der
Kongregation und zur Gestaltung der Generalkapitel. Die Einleitung
, die der zweite Band bietet, ist als Ergänzung anzusehen.
Der erste Band ist also zur Benutzung des zweiten Bandes mit
heranzuziehen; das gilt auch im Hinblick auf das Literatur- und
das Handschriftenverzeichnis.

Auch die Einleitung des neuen Bandes führt in das innere
Wesen der Kongregation ein. Mehr noch als durch die Generalkapitel
werden Zusammenarbeit, Einheitlichkeit der Lebensform,
das einander sich Zu- und Unterordnen der einzelnen Klöster
durch die Visitationen innerhalb der Kongregation gewährleistet.
Ein großer Teil der Einleitung behandelt nun Gestaltung und Form
der Visitationen. Auch hier läßt P. Volk wiederum die Quellen
für sich selbst sprechen, hier, wie auch sonst, mit genauester Angabe
des Fundortes und gegebenenfalls unter Hinweis auf Beziehungen
zu anderen, älteren, vorbildlichen Quellen.

Auffallend ist, daß, wie schon die Anlage der Burefelder Generalkapitels
-Rezesse den Rezessen der Köln-Trierer Provinzialkapitel nachgebildet
ist, so auch der „Modus visitandi aliquod monasterium" des
Abtes Leonard Colchon von Seligenstadt, des Verfassers der bereits in
der Einleitung zum ersten Band wiedergegebenen Agenden zu den
Generalkapiteln von 1644, 1649 und 1651, teilweise auf eine Vorlage
aus dem Kloster St. Matthias in Trier zurückgeht, die wiederum an
Hand des Rezesses des Köln-Trierer Provinzialkapitels von 1422 abgefaßt
ist. Dem Abdruck des „Modus visitandi" (S. XVI—XXIII), der
von seinem Verfasser mit aller Gründlichkeit bis in alle Einzelheiten —
z. B. ist sogar das als „collecta de Spiritu saneto" weithin bekannte,
bei der Visitation u. a. zu sprechende Gebet wörtlich ausgeführt — dargelegt
ist, folgt eine Anweisung zur Abhaltung einer Visitation aus
St. Michael in Hildesheim (S. XXIV-XXVII1). Daran schließt sich ein
Traktat „De renuntiatione praelaturarum" (S. XXVIII—XXX), der in
zwei Hildesheimer Rezeßhandschriften im Anschluß an die Rezesse von
1 597 bzw. 99 enthalten ist. Dieser Traktat wendet sich an solche Äbte,
die unter der Last der Zeit ihr Amt resignieren wollen und ermahnt
sie, ihrer göttlichen Berufung eingedenk zu sein. Die Edition betr. muß
hervorgehoben werden, daß die Kirchenväterzitate sorgfältig an Hand
von Migne, Patrologia latina bzw. graeca verifiziert worden sind. Weiter
enthält die Einleitung eine Taxa von 1605 (S. XXXI), die dadurch
besonderes Interesse gewinnt, daß hier auch die der Kongregation angeschlossenen
Frauenklöster mit ihrer Beisteuer aufgeführt werden.
Schließlich folgt ein Rechenschaftsbericht über die Einnahmen und Ausgaben
der Kongregationskasse von 1628—1640, den der Abt Heinrich
Libler von St. Martin in Köln als Collector generalis auf dem Generalkapitel
von 1640 übergab (S. XXXII ff.) und der von dem engen Band
der Kongregation wie von großer Gewissenhaftigkeit zeugt.

War 6chon aus den letzten Rezessen des ersten Bandes der Beginn
der Reformation abzulesen, so zeigt sich in den Rezessen des neuen
ßande6, wie sie jetzt tief in das Leben der Kongregation einschneidet.
Sie trifft sie an der Wurzel, bei den vota monastica. 1532/33 werden
die Klagen über abtrünnige Brüder deutlicher, über solche, die unter
Verachtung der continentia die den Klöstern inkorporierten Kirchen als
Gelegenheit benutzen, um zur lutherisdien Lehre abzufallen, über solche,
die das votum stabilitatis außer acht lassen usw. Dann wird Klage erhoben
über die vielen „violento iure" in Laienhände übergegangenen
Klöster. 1 533 ist auoh das Schicksal des Klosters Schinna in der Grafschaft
Hoya, von dem sonst nur wenig bekannt ist (der Abt hatte das
Kloster 1528 dem Landesherrn übergeben), Gegenstand der Verhandlung
: der Graf ließ das Kloster damals bereits zerstören. — Ein interessantes
Gegenstück ist die auf demselben Generalkapitel zur Erörterung
gebrachte Aufforderung des Herzogs (Heinrich des längeren) von
Braunschweig, in das Benediktinerkloster St. Ägidien in Braunschweig,
das nicht einmal zur Bursfelder Union gehörte, schnell einige fromme
Brüder zu entsenden. (1528 war in Braunschweig die Reformation endgültig
zum Durchbruch gekommen. Um die Stifter mußte die Stadt noch
mehrere Jahre kämpfen; erst 1542, nach der Vertreibung des Herzogs
aus seinem Land, gelangte sie u. a. audi in den Besitz des St. Ägidien-