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Ausgabe:

1958 Nr. 11

Spalte:

765-769

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zuntz, Günther

Titel/Untertitel:

The text of the epistles 1958

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11

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nach W. Schmauch auch hier der Satz, daß Jesus mehr als das
Heiligtum, mehr als die heilige Stadt, mehr als Sinai und Zion
bedeutet (ähnlich W. Schmauch S. 105). Der eschatologische Bezug
des Tempels, Jerusalems, der heiligen Stadt bedeutet einerseits
eine radikale Loslösung von jeder geographischen Bindung,
Preisgabe an das geschichtliche Gericht Gottes, anderseits Herausarbeitung
der vollendeten Gemeinschaft, Erfüllung der personalen
Beziehung zwischen Gott und Mensch (4. Hauptteil, S. 114
—120). Richtig ist an dieser Studie das Wissen darum, daß wir es
im NT nicht mit einer Spiritualisierung geographischer und
räumlicher Vorstellungen zu tun haben, wie W. Schmauch ausdrücklich
auf S. 10 hervorhebt, sondern mit der besonderen
Herausstellung der Kategorie des Eschatologische
n: Die geographische und zeitliche Fixierung wird durch
die Anbetung im Geist und in der Wahrheit überboten (Joh. 4,
24 ff.), und doch weist diese Anbetung im Geist und in der Wahrheit
immer wieder auf zeitliche und geographische Fixierungen
nachdrücklich zurück. Nicht die geographische und zeitliche Fixierung
als solche soll aufgehoben werden, sondern die überwundene
Bindung an diesen Zeitpunkt und an diesen Ort (vgl. dazu
ähnlich, wenn auch anders W. Schmauch S. 112). Bedenklich sind
die vielen Negationen und Aufhebungen, in denen geographische
und geschichtliche Besonderheiten zwar relativiert, aber nicht
ausdrücklich neu gesetzt werden. Es gehört zum Wesen der Heilsgeschichte
, daß diese geographischen und geschichtlichen Besonderheiten
des Evangeliums trotz aller Relativierungen neue Bedeutung
erhalten. Die Kategorie des Eschatologischen wird also
bei W. Schmauch theologisch verkürzt. Schwierig scheint mir auch
die Zurückstellung des ganzen historischen Materials zu sein
(Siedlungsgeschichte, Zeitgeschichte, Pilgerberichte). Ich vermisse
vor allem eine Verarbeitung der Arbeiten von G. Dalman und
A. Alt.

Tübingen Otto Michel

Z u n t z, G.: The Text of the Epistles. A Disquisition upon the Corpus
Paulinum. London: Geoffrey Cumberlege/Oxford Univ. Press 1953.
XVII, 29 5 S., 1 Tab. gr. 8° = The Schweich Lectures of the British
Academy. s. 27/6.

Für die Textkritik des Neuen Testaments ist seit der Arbeit
von Westcott und Hort (1881/82) die Ansicht herrschend geblieben
, daß im wesentlichen der beste Text in der Gruppe von Handschriften
zu finden ist, die wir als „ägyptisch" zu bezeichnen pflegen
(bei Nestle „•£>"), während die Großzahl der byzantinischen
Handschriften (Koine, bei Nestle „&") die schlechteste Textform
bietet. Umstritten aber ist einerseits die Gruppierung der zwischen
diesen beiden Gruppen stehenden Handschriften (ihre Zusammenfassung
in eine „jerusalemer" Gruppe durch Hermann
von Soden hatte sich als unhaltbar erwiesen), andererseits die
Frage, inwieweit der „ägyptische" Text seinerseits auch eine Bearbeitung
(„Rezension") darstellt und durch die übrigen nicht
zum byzantinischen Text gehörigen Handschriften und Übersetzungen
korrigiert werden muß. Die wichtigste dieser nicht zum
ägyptischen oder byzantinischen Text gehörigen Textgruppen ist
der sog. „westliche" Text, der nach der Durchschnittsmeinung
besonders in den Evangelien vor allem durch im geographischen
Sinn „westliche" Zeugen (die bekannten griechisch-lateinischen
Handschriften, altlateinische Zeugen und Väter), aber ebenso
auch durch die Zeugen der altsyrischen Übersetzung und einzelne
griechische Papyri aus Ägypten vertreten wird. Umstritten ist
hier nicht nur, inwiefern diese disparaten Zeugen einen einheitlichen
Text bieten, sondern vor allem die Entstehung und der
textkritische Wert dieses Textes. Neben diese Textgruppe ist in
den zwanziger Jahren der durch B. H. Streeter und K. Lake identifizierte
Text von Caesarea getreten, den man bisher freilich nur
für das Markusevangelium einigermaßen sicher feststellen konnte,
und von dem wieder fraglich geworden ist, ob er eine einheitliche
und im ganzen Neuen Testament feststellbare Gruppe darstellt
.

In diese Forschungslage greift die bedeutende Untersuchung
von Günther Z u n t z ein, die hier leider erst verspätet zur Anzeige
kommt (eine gute Inhaltsangabe bietet R. V. G. T a s k e r,
New Testament Studies 1, 1954/5, 180 ff.). Der klassische Philologe
Zuntz hatte schon 1945 in einer (in der ThLZ nicht angezeigten
) Arbeit über die Vorgeschichte der spätesten Form des
syrischen Neuen Testaments (The Ancestry of the Harclean New
Testament, The British Academy Supplemental Papers VII; eine
gute Inhaltsangabe bei P. B e n o i t, Revue Biblique 54, 1947,
127 ff.) die kühne, aber nicht unbegründete These vertreten, daß
die Revision der älteren syrischen Übersetzungen des Neuen
Testaments durch Thomas von Harqel aus dem Jahre 616 eine
radikale Anpassung des syrischen Textes an den byzantinisch-
griechischen Text darstelle, während ihre Vorlage, die Revision
des Philoxenos, auf den griechischen Text zurückgehe, den Pam-
philus von Caesarea (um 300) festgestellt hatte (Nachträge dazu:
Etudes Harkleennes, Revue Biblique 57, 1950, 550 ff. und Die
Subscriptionen der Syra Harclensis, Ztschr. d. deutsch. Morg.
Ges. 101, N. F. 26, 1951, 174 ff.). Die umfassendere Untersuchung
über den Text der Paulusbriefe setzt diese Vorarbeiten
insofern fort, als auch hier die Frage nach den methodischen
Grundsätzen bei der Entstehung der einzelnen Textgruppen und
ihr Zusammenhang mit Caesarea und darüber hinaus mit Alexandria
leitend ist. Zuntz ist davon überzeugt, daß der ursprüngliche
Wortlaut der neutcstamentlichen Texte sich viel häufiger sicher
feststellen läßt, als gewöhnlich angenommen wird, wenn man
die Geschichte der handschriftlichen Überlieferung besser aufklärt
und ausreichend auf den Sprachgebrauch des Verfassers achtet.

Zuntz stellt eine Skizze der gegenwärtigen Lage der neu-
testamentlichen Textkritik voraus. Seit K. Lachmann die Gestaltung
des neutestamentlichen Textes auf die ältesten Zeugen basierte
(18 30 ff.), ist der neutestamentliche Text auf wenige sehr
alte Majuskelhandschriften begründet worden, ohne daß man
darüber hinaus einen sicheren Weg hätte zeigen können. Im Anschluß
an textkritische Theorien seines Lehrers Paul Maas fordert
Zuntz nun, die Feststellung (recensio) der Überlieferung
über die bekannten Textgruppen des 4. Jahrhunderts
hinaus mit Hilfe neuer Textfunde bis ins 2. Jahrhundert zurück-
zuverfolgen, um dann den Wert dieser ältesten erreichbaren Überlieferung
zu prüfen (examinatio) und notfalls die Überlieferung
zu verbessern (emendatio). Er will sich dabei
nur den Briefen zuwenden, weil hier die Überlieferung noch weniger
kompliziert ist als bei den Evangelien und der Apostelgeschichte
; dabei werden aber nur die Paulusbriefe und aus ihnen
fast ausschließlich 1. Korinther und Hebräer einer genauen Prüfung
unterzogen.

Das 2. Kapitel stellt mit Recht fest, daß als älteste erreichbare
Überlieferung nur das Corpus Paulinum vorschweben könne,
weil die gesamte handschriftliche Überlieferung davon abstammt,
nicht von den Originalbriefen; Fehler dieser „Urausgabe" (deren
Zuntz einige wenig überzeugende postuliert) können darum durch
die Varianten der Textüberlieferung nicht ausgeschaltet werden,
sondern nur durch Vermutung. Dagegen gelingt es, durch Heranziehung
des ältesten Textzeugen, des aus dem Anfang des dritten
Jahrhunderts stammenden Chester Beatty-Papyrus der Paulus-
briefe (P40), den zeitlichen Abstand zwischen dem um 100 anzusetzenden
Archetyp des Corpus Paulinum und den im 4. Jahrhundert
geschriebenen bekannten Majuskeln B und N (Vaticanus
und Sinaiticus) um die Hälfte zu überbrücken, und Zuntz sucht
darum zunächst den Textcharakter dieses Papyrus zu bestimmen.
Die Handschrift hat zahlreiche Fehler; doch zeigt die genaue Prüfung
einer größeren Zahl von Lesarten, in denen der Papyrus
allein oder fast allein steht, daß hier ein vorzüglicher Text vorliegt
, der gelegentlich Verwandtschaft mit B und der späten Minuskel
1739 zeigt, gelegentlich aber auch Lesarten des üblicherweise
als völlig wertlos beurteilten byzantinischen Textes als
alt erweist, dagegen fast nie Sonderlesarten des Codex Cantabri-
giensis (D), des Hauptzeugen des „westlichen" Textes, teilt.

Auf diesem Hintergrund vergleicht nun Zuntz in einem umfangreichen
3. Kapitel die aus der bisherigen Forschung bekannten
Gruppen des „ägyptischen" und „westlichen" Textes mit Papyrus
46. Der Vergleich mit den Zeugen des „ägyptischen" Textes
erweist, daß beide eng zusammengehören, daß dieser Text
aber trotz seiner hohen Qualität kein „neutraler", d. h. unversehrter
Text ist. Als besonders wichtig ergibt sich dabei noch,
daß der schon seit langem als Zeuge eines sehr alten Textes erkannte
Minuskelkodex 1739 im Römerbrief größtenteils, wie
bekannt, den Text des Origenes, in den übrigen Paulusbriefen