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Ausgabe:

1958 Nr. 11

Spalte:

764-765

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmauch, Werner

Titel/Untertitel:

Orte der Offenbarung und der Offenbarungsort im Neuen Testament 1958

Rezensent:

Michel, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11

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Theodor von Mopsvestia, Theophilus von Alexandrien, Cyrill von
Alexandrien, Photius von Konstantinopel sowie eine Anzahl
Fragmente, deren Verfasser ungewiß bleibt.

Durch ausgedehnte Forschungen in den europäischen Bibliotheken
schuf sich R. eine möglichst breite handschriftliche Grundlage
für seine Edition. Die an 100 für die Matthäuskommentare
untersuchten Handschriften konnte er in 5 Überlieferungsgruppen
einteilen. Nur ein kleiner Teil dieser Handschriften war bisher
bekannt. Auch zur Ausgabe der Origenesfragmente in den Griechischen
Christlichen Schriftstellern, die nach deren eigener Mitteilung
sich auf 20 Handschriften beschränken mußte, kann darum
R. manche Hinweise und Berichtigungen geben. Bisweilen gehören
dort als des Origenes Eigentum edierte Fragmente sicher
oder wahrscheinlich anderen zu. Den Fortschritt gegenüber der
allerdings ganz unzulänglichen, bisher vorliegenden Ausgabe der
Cyrill-Fragmente zu Matthäus, bei Migne PG 72, kann R. selber
so kennzeichnen: 31 der dortigen „Cyrill"-Fragmente sind ganz
oder teilweise Eigentum des Johannes Chrysostomus, bei 17 Fragmenten
liegt ein verdorbener oder unvollständiger Text vor,
134 bisher unbekannte Fragmente werden den echten Texten aus
Cyrill hinzugefügt. Überhaupt konnte R. Johannes Chrysostomus
durch Vergleich mit dessen Homilien zahlreiche Fragmente zurückgeben
, die bisher falsch lemmatisiert waren. Die bis jetzt ausführlichste
Darstellung der Matthäuskatenen bot R. Devreesse
im Dictionnaire de la Bible, Suppl. 1, 1164—1175 (1928). Nicht
wenige Fragen, die dort offen gelassen sind, werden nun durch R.
geklärt, z. B. hinsichtlich der Verteilung der Fragmente zwischen
Theodor von Heraclea und Theodor von Mopsvestia. Die meisten
der von R. edierten Texte werden in seiner Ausgabe zum
erstenmal veröffentlicht, alle aber zum erstenmal in zuverlässiger
Mitteilung. Die Ausgabe wird allseitig erschlossen durch Register
der Stellen und Namen, zumal durch ein ausführliches Wortregister
von L. Früchtel-Ansbach, dem Herausgeber und Leser
außerdem zahlreiche Hinweise verdanken.

Liest man sich in die Texte ein, erkennt man alsbald, wieviele
bleibend interessante Reflexionen zur Auslegung hier niedergelegt
sind, und sodann, wieviel Wertvolles nicht nur zur
Auslegungsgeschichte, sondern auch zur Kirchen- und Dogmengeschichte
in den Katenen beschlossen ist. Durch viele Generationen
verfügt die Auslegung noch über die sicheren grammatikalischen
und philologischen Unterscheidungen und Begriffe aus
der griechischen wissenschaftlichen Philologie. Der erste in der
Reihe der alten Ausleger, Apollinaris von Laodicea, ist als Exe-
get antiochenischer Schule um Wortlaut und synoptischen Vergleich
bemüht. So erklärt er die Abweichung der Geschlechtsregister
des Matthäus und Lukas mit der Annahme zweimaliger
Leviratsehe. Er weiß, daß sich die Gerichtschilderung Mt. 25,
34—46 nicht wörtlich ereignen wird, sondern nur Bild ist. Wenn
er auch Allegorese benützt, so ist dies durchaus im Rahmen antiochenischer
„Theorie", d. h. typologischer Schau, möglich. Wenn
er aber die Wundererzählung Mt. 17,27 allegorisch auslegt, so
beweist das doch, daß er eben hier — wie auch wir — das Problem
der Wörtlichkeit der Schrift empfindet. Theodor von Heraclea
sagt zur Auslegung von Mt. 9, 35, daß die Gottesherrschaft
nicht nur Gegenwärtigkeit ist, sondern eschatologische Erwartung
bleibt. Kirche und Reich sind also keineswegs identisch.
Mariologisches Interesse zeigt 6ich gemäß der kirchengeschichtlichen
Entwicklung, wenn er in drei Fragmenten (3, 4 und 5) zur
Jungfrauengeburt Erläuterungen gibt. Die christologischen und
trinitarischen Kämpfe melden sich an in den Hermenien zu Mt.
11,25 (über das Verhältnis von Vater und Sohn), zu Mt. 28,
19—20 (über die trinitarische Taufformel). Die Auslegung des
Theodor von Mopsvestia folgt Wort, Stil und Sachzusammenhang
des Textes, ohne indessen die Allegorese ganz abzulehnen.
Bei Cyrill von Alexandrien treten, wie man es nicht anders erwartet
, dogmatische Tendenz und Polemik, insbesondere christo-
logischer Lehre, stark hervor. Als Alexandriner verwendet er
häufig typologische Auslegung zwischen dem Alten und Neuen
Testament; so Mt. 12,41 (Jonas ist Typus für Christus) oder
Mt. 14, 13—21 (die fünf Brote bedeuten die fünf Bücher Moses,
die zwei Fische Evangelium und Apostelbriefe). Photius weist
sich als ein in der damaligen byzantinischen Renaissance rhetorisch
und geschichtlich gebildeter, hervorragender Gelehrter aus,

der ebenso eine schon lange Auslegungsgeschichte kritisch zu
überschauen wie eine selbständige, wort- und sachgerechte, sprachliche
und inhaltliche Fragen trefflich erörternde Exegese zu treiben
vermag, was umsomehr bedeutet, als man sich sonst schon
seit langem mit Kompilation begnügt. Das lange Fragment zu
Mt. 26, 34 über die Verleugnung des Petrus i6t höchst interessant
auf dem Hintergrund der damaligen Auseinandersetzung zwischen
Byzanz und Rom. Naturgemäß beschäftigen sich nicht wenige
Hermenien einer Matthäuskatene mit den Gleichnissen der Evangelien
. Zu ihrer Auslegungsgeschichte, insbesondere zur Entwicklung
ihrer Allegorese, ist hier viel Material bereitgestellt.

R. wird seiner Ausgabe der Matthäuskatenen einen weiteren
Band mit Fragmenten aus den Johanneskatenen und einen abschließenden
mit Texten zum Lukasevangelium folgen lassen.
Das vollständige Werk wird eine bedeutende Leistung der Handschriftforschung
wie umsichtiger Editionskunst sein. Dazugenom-
men die Forschungen und Editionen von K. Staab - Würzburg,
dem Lehrer von R., über die Katenen zu den Paulusbriefen und
den Katholischen Briefen verfügen wir dann also über eine gründliche
Kenntnis der Katenen für den größten Teil des Neuen
Testaments.

Tübingen Karl Hermann Sche 1 kI e

Schmauch, Werner: Orte der Offenbarung und der Offenbarungs-
or/Hm Neuen Testament. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1956].
/f40 £ 8°. Geb. DM 8.-.

Es handelt sich hier um die 1952 der Evang.-theol. Fakultät
der Humboldt-Universität Berlin vorgelegte Habilitationsschrift.
Sie behandelt einen wissenschaftlich immer wieder beobachteten,
aber selten theologisch ausgewerteten Tatbestand: die geographische
Fixierung der neutestamentlichen Offenbarung. Teilweise
finden wir im NT darüber sehr genaue Angaben, teilweise fehlen
solche dort, wo wir sie erwarten, bzw. werden sie durch typische
oder summarische Hinweise ersetzt. Wie ist dieser auffallende
Tatbestand in der gegenwärtigen Forschung beurteilt und
erklärt worden? Die Untersuchung von W. Schmauch will darauf
eine Antwort geben, in Weiterführung bekannter wissenschaftlicher
Arbeiten von E. Lohmeyer1.

Sicherlich läßt 6ich eine derartige Fragestellug nicht ohne
beständige Bezugnahme auf die israelitisch-jüdische Religionsgeschichte
lösen; auch die Eigenart des alttestamentlichen Geschichtsberichtes
muß Schritt für Schritt herangezogen werden.
Die Probleme der Formgeschichte hängen aufs engste mit unserem
Thema zusammen und machen eine grundsätzliche Bearbeitung
dringlich. Vor allem aber ist das Problem der zeitlichen Fixierung
neutestamentlicher Ereignisse ganz ähnlich gelagert, wie W.
Schmauch mit Recht hervorhebt (S. 7)2. Berücksichtigt man diese
Voraussetzungen unserer Themastellung, so liegt in ihnen schon
Richtschnur und Maßstab kritischer Bewertung.

In einem 1. Hauptteil bespricht unser Verf. Bethlehem, Na-
zareth und Golgatha, Stätten, die für die Christenheit durch die
Geschichte Jesu besonders wichtig geworden sind. „Alle drei Orte
zeigen negativ, daß sie im Offenbarungsgeschehen keine eigene
Qualität haben, und daß dieses nur im unmittelbaren Ereignis
sich ihnen verbindet" (S. 26). Der 2. Hauptteil beschäftigt sich
mit dem Begriff der Wüste und der Berge. Auch hier glaubt unser
Verf. eine theologische Durchdringung des Ortsproblems im negativen
Sinn erkennen zu können: der Begriff der Wüste wird
nach ihm aufgehoben, neutralisiert — es kommt dem neutestamentlichen
Bericht lediglich auf den Offenbarungsträger an
(S. 46—47). Der Sinai als besondere Stätte der Offenbarung ist
aufgehoben, Jesus selbst als der eigentliche Offenbarungsort erwählt
und versetzt Berge (S. 80). Der 3. Hauptteil nähert sich
dem theologischen Verständnis des Tempels und der heiligen
Stadt als Kultusorte; hier entscheidet 6ich, ob der Weg der Untersuchung
richtig ist (S. 81—105). Innerhalb des NTs findet 6ich
bei Paulus und Lukas eine besondere heilsgeschichtliche Bewertung
der „heiligen Stadt" ('legovoalriiJ,), aber grundsätzlich gilt

*) Vgl. auch W. Schmauch: „In der Wü6te" (In memoriam E. Lohmeyer
1951, 202—223).

2) Vgl. G. Delling, Das Zeitverständnis des Neuen Testaments,
1940.