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Ausgabe:

1958 Nr. 11

Spalte:

753-755

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eder, Gottfried

Titel/Untertitel:

Der göttliche Wundertäter 1958

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11

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M. versteht nämlich Religion (bzw. Glaube; er setzt beide
gleich [2]) „als erlebnishafte Begegnung des Menschen mit dem
Heiligen und als antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten
Menschen" (3). Dieses Verständnis wurde schon in
Kap. I bestimmend für die Beurteilung des Wunders; es wird
vollends maßgebend für seine phänomenologische Erfassung in
Kap. II. M. unterscheidet a) mythische Wunder, die in der Vorzeit
spielen und bereits für die Erzähler außerhalb der menschlichen
Möglichkeiten liegen, b) aktuelle Bestätigungswunder, die
den Zeitgenossen die Bedeutung des Propheten oder Heiligen bezeugen
, c) magische (ohne religiöses Beteiligtsein mögliche),
d) religiöse Wunder, deren Charakter nicht von der Ungewöhn-
lichkeit des Ereignisses, sondern lediglich vom „Erlebnis der Begegnung
mit dem Heiligen" bestimmt ist (77 f.). Das religiöse
Wunder kann sich auch „ganz unter Verzicht auf jede objektive
Vermittlung rein in der Tiefe der Seele selbst" ereignen (80).
Nicht nur bei c), sondern auch bei b) „liegt der Nachdruck ganz
eindeutig auf dem objektiven Vorgang"; „das Wunder ist ...
Durchbrechung eines Normalen" (82); „das reine Erlebniswunder
" dagegen ist auch „ohne objektive Erlebnisgrundlage
möglich"; es „bleibt von rationaler Kritik völlig unberührt und
ist unwiderlegbar" (83, vgl. 108. 114), auch wenn „ungewöhnliche
äußere Ereignisse ganz besonders geeignet sind"
„zu solchem Ereigniswerden ... des für Menschen Unverfügbaren
" (82).

Kap. III stellt „die Idee des Wunders" zunächst besonders
bei Augustin und dem Aquinaten dar, gegensätzlich dazu „den
rein religiösen Wunderbegriff, der nicht aus Spekulationen über
das Verhältnis von Naturgesetz und Wundergeschehen entspringt
", bei Luther (94). Sodann setzt sich M. mit C. S. Lewis,
Wunder (1952) auseinander. Im Gegensatz zur katholischen Auffassung
, wie sie durch das Vaticanum von 1870 verbindlich gemacht
'wurde, konstatiert M.: „Wunder im Sinne radikalen Widerspruchs
zu den Naturgesetzen sind nirgend in der Welt je mit
wissenschaftlicher Verbindlichkeit festgestellt worden und können
es auch prinzipiell nicht" (102, gesp.; zum amtlichen Katholizismus
auch 111 f.). „Das Wunder e r 1 e b n i s" wird nun
endgültig als das Entscheidende am Wunder herausgestellt (103,
vgl. 80). Deshalb verlieren auch die „erdichteten Wunder" „ihre
religiöse Bedeutung als Ausdrucksformen religiöser
Erfahrung nicht, wenn ihre Ungeschichtlichkeit nachgewiesen
wird" (109). Schließlich ist „das Heilige selbst" nach der Seite
des Geheimnischarakters „das «Wunderbare» schlechthin" (107).
Damit ist der Wunderbegriff, mit dem M. zu arbeiten begonnen
hat, völlig aufgelöst.

Aus dem Angeführten dürfte schon z. T. deutlich werden,
daß M. den Ausgang6begriff „unmöglich" ständig abwandelt: die
Begriffe gesetzwidrig, unnormal, außergewöhnlich, unverfügbar
6agen indessen wohl nicht dasselbe aus. M. stellt mehrfach fest,
daß in der Religionsgeschichte für den, dem das Wunder widerfährt
, die Frage nach seinem Verhältnis zum Naturgesetz keine
Rolle spielt (er fragt sogar selbst einmal beiläufig: „Was wissen
wir schließlich von den geheimnisvollen Kräften, die die Welt
bestimmen und erfüllen?" [5 8]); aber er läßt seine Beurteilung
des Wunders doch von ihr beeinflussen — ja, es hängt damit wohl
mindestens teilweise zusammen, daß für M. schließlich das Wunder
nur als innerseelisches Geschehen Bedeutung behält. Man
kann aber fragen, ob damit das Wesen des Wunders für den ausreichend
beschrieben ist, der es „erlebt" (vgl. z. T. die oben
wiedergegebenen Sätze M.s zum Wimderverständnis Jesu). Daß
sich damit im Grunde aber auch Fragen zu dem Religionsbegriff
M.s ergeben, braucht kaum noch herausgestellt zu werden.

Halle/Saale Gerhard Delling

E d/ir,TGottfried: Der göttliche Wundertäter. Ein exegetischer und
^vTerigioriswissenschaftlicher Versuch. Haus Quintana, Post Girrhing/
/ Ndby.: Selbstverlag d. Verf. (Zu beziehen durch Verlag Passavia,
Passau) 11957]. 231 S. kl. 8°. DM 6.—.

Das apologetische Buch will einerseits die Geschichtlichkeit,
andererseits die Einzigartigkeit der „Thaumaturgie" Jesu erweisen
(229). Dieser Nachweis ist für den Verf. wichtig, weil „die
überirdischen Phänomene" im Leben Je6u „das Felsenfundament"

bilden, „auf dem der Glaube an die Wahrheit der christlichen
Offenbarung aufgebaut ist" (228; vatikanisches Konzil 1870:
Wunder sind «der göttlichen Offenbarung sicherste Merkmale»,
37), unwiderlegliches Argument für die Gottessohnschaft Jesu
sind (65—67; das Wunder vom Stater im Fischmaul bestätigt den
Mt. 17,26 erhobenen Anspruch der „einzigartigen Würde"
Jesu, 94).

Durch die Stichwörter des Untertitels sind die 16 Kapitel
des Buches vom Verf. selbst in zwei große Gruppen geteilt.
Eigentliche Exegese bietet er freilich nicht. Kap. II referiert die
wunderbaren Züge des Lebens Jesu (19-36), Kap. III erörtert
die Glaubwürdigkeit der literarischen Zeugen seiner Wunder.
Matthäus war selbst „ein Augenzeuge vieler Machttaten des Meisters
" (46); das in seinem Evangelium enthaltene Sondergut ist
„ein Beweis seiner Kenntnis des Lebens Jesu" (45). Hinter Mark,
steht die Autorität des Petrus (41). Lukas war durch Paulus zur
Wahrheitsliebe erzogen (4S; entsprechend: die Apostel durch Jesus
, 42) und hatte die Möglichkeit, „von Kennern des Lebens . . .
Jesu in Palästina Auskünfte zu erhalten" (49), usw. Für die
Glaubwürdigkeit der Wunderberichte im einzelnen führt Kap. VII
die z.T. detaillierte Schilderung ins Feld (83. 196; ihren Realismus
196), die Verbindung von Wort und Handlung Jesu u. a.

Der „religionswissenschaftliche" Teil hebt vor allem die
Unterschiede zwischen den Wunderberichten des Neuen Testaments
und denen des Alten Testaments, des Judentums und des
Hellenismus heraus. Die Kennzeichnung des Petrus in Mt. 14,
28 ff- („aufwallenden Eifer und Rückschlag") weist „auf die Geschichtlichkeit
des Wandels Jesu über das Galiläische Meer" (117).
Die heidnischen Berichte sind einerseits auf die Möglichkeit des
Betrugs zu prüfen (144. 154. 162), rationale Erklärungen sind
zu erwägen (146; Suggestion 154), andererseits ist es auch denkbar
, daß Gott das Gebet von Nichtchristen „mit außergewöhnlicher
Hilfe" belohnt (155). „Für die buddhistischen Wunderberichte
würde" durch die Rückführung auf Konzentration und
Meditation des Yoga „ein Rest geschichtlicher Wirklichkeit aufgezeigt
" (170). Apollonius von Tyana verfügte zwar „über hellseherische
Fähigkeiten", war aber „kein Wundertäter" (182 f.);
die Vita Apoll, des Philostratus ist unzuverlässig: Ihre „Reisebeschreibungen
. .. enthalten geschichtliche und geographische
Fehler" (181) und „metaphysische Irrtümer" (182); „die Objektivität
des Biographen erscheint auch deshalb in ungünstigem Licht,
weil er im Auftrag der Kaiserin schrieb" (182). Nach Quellenwert
und Inhalt sind neutestamentliche und außerchristliche Wunderberichte
tief geschieden (18 3). Die Heilungen Jesu sind nicht
psychotherapeutisch zu erklären, sondern echte Wunder (184
—189). Daß auch der Erhöhte „immer noch übermenschliche
Werke" wirkt, versucht E. schließlich an einem Heiligen des
19. Jhdt.s zu zeigen (201—223): Brotvermehrung, Totenerwek-
kung (Don Bosco selbst sagt: „Vielleicht war er gar nicht tot/",
209), vielfache z. T. plötzliche Heilung wird bezeugt.

Da der Verf. einerseits sich vom Vatikanum her die Aufgabe
gestellt sieht, durch die Wunder den „göttlichen Ursprung
der christlichen Religion" „richtig" „zu beweisen" (3 8), andererseits
Wunder für ihn Durchbrechungen der Naturordnung darstellen
, „sinnenfällige Vorgänge, die sich aus den natürlichen
Kräften nicht erklären lassen" (11), so mischen sich in seiner
Schrift rationalisierende und theologisierende Erwägungen. Neben
der „Naturordnung" führt er den Begriff der „Weltordnung"
ein, einen „Weltplan", in dem auch die einzelnen Wunder von
Gott vorgesehen sind (17). Die Bedeutung des Wunders bemißt
sich nach der äußeren Eindrücklichkeit (neben den Totenerwek-
kungen erscheint die Heilung der zehn Aussätzigen als besonders
machtvolle Tat, 32. 50; die Auferstehung Jesu ist „sein
größtes Wunder", 99). „Der Weltheiland überragt als Thauma-
turg andere religiöse Koryphäen" (18 3). Über spezifische
Glaubensaussagen der evangelischen Wunderberichte äußert sich
Kap. XVI sehr knapp (224—228). Über die Beziehung von Wunder
und Glaube im Neuen Testament hören wir kaum ein Wort,
noch weniger von der eschatologischen Bedeutung des Wunders.
Vollends ist nicht die Rede von dem Verborgensein des Wunders
Jesu als von Gott gewirkten Geschehens für den Widerstrebenden
. Daß es in der Fülle der Heilungen nicht um den Erweis der
Göttlichkeit Jesu geht, sondern um die Bestätigung des An-