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Ausgabe:

1958 Nr. 11

Spalte:

741-743

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

H - O 1958

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 11

742

Niels Stensen

[Ein bahnbrechender Naturforscher, Konvertit und Bischof des 17. Jahrhunderts

Von Liselotte Richter, Berlin

Unter den gelehrten Korrespondenzen des 17. Jahrhunderts
nimmt die des dänischen Anatomen, Geologen und Bischofs
Niels Stensen eine besondere Stellung ein1. Auf die große naturwissenschaftliche
, geistesgeschichtliche und theologische Bedeutung
dieser Persönlichkeit weisen frühere Besprechungen der Re-
zensentin hin2. Die hier zu würdigende große zweibändige Ausgabe
des Briefwechsels zeigt uns nicht nur die Gestalt Stensens
in neuem Lichte, sondern gibt zugleich den gei6tesgeschichtlichen
Hintergrund für den wissenschaftlichen und religiösen Lebensweg
des Anatomen, Begründers der neuzeitlichen Geologie und
Bischofs. Hier treten zugleich die bedeutendsten holländischen,
dänischen, französischen und italienischen Gelehrten als Korrespondenten
Stensens auf. In Frankreich ist es vor allem der Bibliothekar
Louis XIV., Melchisedech Thevenot, und der Gelehrtenkreis
um ihn, aus dem die französische Akademie der Wissenschaften
hervorging; in Italien sind es neben den zeitgenössischen
Naturwissenschaftlern vor allem die Korrespondenzen mit Ferdinand
II. und Cosimo III. von Toscana, mit Kardinal Leopoldo
und der Cimento-Akademie, mit Redi, Magalotti, Viviani, Mal-
pighi u. a. und, last not least, mit Lavinia Arnolfini, der Gattin
des Gesandten von Lucca, deren religiöse Persönlichkeit für Stensens
Wandlung vom protestantischen Naturwissenschaftler zum
katholischen Theologen und Bischof von entscheidender Bedeutung
wurde. Für den Kirchenhistoriker und Dogmengeschichtler
besonders ertragreich sind die brieflichen Dokumente seiner Beziehungen
zur römischen Kurie, dem Hause Braunschweig-Lüne-
burg, den Kapuzinern, Jesuiten und anderen katholischen Kreisen
der Zeit. Für die Geschichte der Philosophie, auch der Religionsphilosophie
, ist eine besondere Fundgrube der Briefwechsel mit

') Nicolai Stenonis Epistolae et epistolae ad eum datae quas cum
prooemio ac notis gcrmanice scriptis edidit Gustav Scherz, adjuvante
Joanne Raeder. Kopenhagen: Nyt Nordisk Forlag Arnold Busck
u. Freiburg: Herder [1952]. Tom.I/II: XXXII, 480 S. u. XII, 548 S.,
2 Titelb., 4 S. Schriftproben. 4°. DM 105.—.

3) Nicolai Stenonis Opera Theologica, in: Deutsche Literaturzeitung
63. Jahrg., Heft 29/30, 1942. — „Das geistige Bild des Nicolaus
Stenonis im Lichte der neuesten Niels-Stensen-Forschung" in: For-
»chungen und Fortschritte, 27. Jahrg., Heft 3, 19 53.

Spinoza und Leibniz. Namentlich mit dem letzteren gibt die
Korrespondenz Gelegenheit, ausführlich seine Gründe für das
Aufgeben seiner naturwissenschaftlichen Forschungen zugunsten
einer rein geistlichen Tätigkeit darzulegen, da Leibniz ihn durchaus
zu überzeugen suchte, daß die Fortsetzung seiner naturwissenschaftlichen
Entdeckungen die höchste Ehrung Gottes bedeuten
wurde. Hier zeigt sich die religiöse Entschiedenheit und Originalität
Stensens inmitten aller Glaubensverweltlichung des Frührationalismus
in ihrer einsamen Größe.

Der 2. Band der Epistolae hat seinen besonderen Wert auch
dadurch, daß er außer dem Briefwechsel von 1680—86 noch
Additamenta bringt, die durch Briefe und Berichte von Zeitgenossen
über Stensen in den entscheidenden Phasen seiner
wissenschaftlichen und religiösen Entwicklung uns besonderen
Aufschluß gewähren über seine Wirkung auf die Zeit als bedeutender
Gelehrter wie exemplarisch frommer Geistlicher. Besonders
wichtig sind hier die Schilderungen über die Einzelheiten seines
einsamen schweren Tode6 und die Ansichten und Berichte Leibniz"
über die Gründe der Konversion Stensens (Epistolae, Tomus II,
S- 938 ff.). So bildet die Briefpublikation eine unentbehrliche
Ergänzung nicht nur zu den Opera Philosophica (ed. Vilhelm
Maar, Kopenhagen 1910), sondern auch zu den Opera Theologica
(ed. Knud Larsen et Gustav Scherz, Kopenhagen 1941/47). Wir
erleben das naturwissenschaftliche Phänomen Niels Stensen im
Glänze seiner ersten Entdeckungen des Ductus Stenonianus und
der Muskelstruktur des Herzens wie der Paläontologie, und wir
werden bewegt und gefesselt von der Wandlung, die anläßlich
einer Fronleichnamsprozession in Livorno 1665 aus dem ruhmvollen
Gelehrten einen tiefdemütigen Katholiken macht, der nun
mit derselben Gründlichkeit und Redlichkeit sich der Darlegung
6einer Glaubensargumente und seiner Tätigkeit als apostolischer
Vikar in der Diaspora des Nordens widmet, um schließlich, immer
asketischer, bescheidener und entsagungsvoller geworden, als einsamer
Priester in Schwerin am 26. November 1686 auf schwerem
Krankenlager ohne geistliche Tröstungen in exemplarischer
Glaubenstreue zu 6terben. Die mit aller philologischen Sorgfalt
edierten Dokumente dienen zugleich als Grundlage zur Einleitung
des Beatifikationsprozesses Stensens.

ALLGEMEINES

Kirchenlexikon, Evangelisches. Kirchlich-theologisches Handwörterbuch
. Hrsg. von H. Brunotte u. O. Weber unter Mitarb. von
zahlreichen Fachkräften. Bd. II: H— Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1956/57. 1794 Sp. 4°. Lw. DM 75.50; Hldr. 79.-.

Was bei der Besprechung des 1. Bandes (ThLZ 1957,
Sp. 261) zur allgemeinen Charakterisierung gesagt ist, gilt selbstverständlich
auch für den 2. Band.

Das fast gleichzeitige Erscheinen der 3. Auflage der RGG und
des EKL hat gelegentlich zu Äußerungen geführt, die Beklemmung
und Verstimmung hervorrufen können. Da die Diskussion
von Ressentiments, die dem Vorrang de6 Erstgeburtsrechtes und
der enzyklopädischen theologischen Tradition seit 1909 zuzurechnen
sind, und erst recht von Konkurrenzgefühlen freibleiben
muß, dürfte erneut der sachliche Hinweis am Platze sein, daß das
EKL hohe wissenschaftliche Anforderungen befriedigt, sowohl
auf den inhaltlich-textlichen wie auf den formal-bibliographischen
Teil gesehen. Man braucht nicht einmal davon auszugehen, daß
das EKL das veraltete Calwer Kirchenlexikon ablöst, um von der
relativ niedrigen Ebene aus die Fortschritte sowohl in der theologischen
Erkenntnis wie in der Darbietung des wissenschaftlichen
Apparates zu konstatieren. Audi ohne den billigen Vergleich
gilt, daß das EKL auf der Höhe der lexikographischen Anforderungen
der Zeit steht und in dem, was es behandelt, die Konkurrenz
mit andern Enzyklopädien aufnehmen kann.

Gefragt werden soll und muß nach dem Auswahl- und
Konzentrationsprinzip. Es ist nach dem Abschluß des 2. Bandes
deutlicher als zuvor, daß als Benutzer an Männer und Frauen
gedacht ist, die nicht den Vorzug haben, das Leben eines theologischen
Fachgelehrten zu führen, sondern als Pfarrer, Akademie
- und Volkshochschulleiter und -lehrer, Religions- und Geschichtslehrer
, Journalisten, Politiker, Anwälte, Richter, Verwaltungsbeamte
in der Bedrängnis vieler Pflichten schneller,
aber vielseitiger und gründlicher Belehrung über Theologie, kirchliches
Leben und religionsgeschichtliche Fragen bedürfen. Was aus
der Kirchengeschichte nachwirkt und vom Gebildeten gekannt
werden sollte, was in den biblischen Büchern steht, welche Geschichte
sie haben und welche Probleme sie stellen, was aus dem
weiten dogmatischen Bereich in das theologische Gespräch der
Gegenwart hineinwirkt, wie das kirchliche Leben in Deutschland
und der Ökumene sich entfaltet, wie das Christentum sich mit
den Religionen der Erde auseinandersetzt, wie und wo die Konfessionen
sich irenisch und polemisch begegnen, wie Kirche und
Welt aufeinander reagieren, — das und mehr findet im EKL einen
guten, charakteristischen Niederschlag.

Vom Reichtum der Stichworte kann dem, der das Werk
nicht zur Hand nehmen kann, eine Vorstellung nicht vermittelt
werden. Was besonders in den großen zusammenfassenden Artikeln
behandelt wird — wir greifen heraus: Heidentum, Indien,
Islam, Judentum, Mission, Neuzeit, Krieg, Kriegsdienstverweigerung
, Maria, Liebestätigkeit, lutherische Kirchen in der Welt —,
ist achtunggebietend in hohem Grade. Einen besonderen Hinweis