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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

730-732

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Wolf, Robert

Titel/Untertitel:

Aqua religiosa 1958

Rezensent:

Wolf, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

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woraus die bekannte Problematik seiner Christologie entspringt. In
Abgrenzung gegen die übliche negative Beurteilung der „Hellenisie-
rung des Christentums" entwickelt Verf. sein aus der einleitenden
Interpretation gewonnenes hermeneutisches Prinzip: Th.s Gedankenwelt
ist das Ergebnis der Begegnung zweier „geschichtlicher Horizonte"
(..Israel" und ".Hellas"), die vorurteilsfrei aus der je eigenen Sicht verstanden
sein müssen, bevor ihre Synthese sich in ihrer Bedeutung
zeigt. Die theologische Relevanz dieser Betrachtungsweise wird durch
eine Gegenüberstellung von Sokrates und Paulus angedeutet: während
der Grieche auf dem Umweg über das tpdoaorpelv, also über den
Menschen, an die Wahrheit rührt, wird dem Israeliten seine Wahrheit
von Gott „auf den Kopf zugesagt". Der je verschiedenen Struktur
der in Frage stehenden geschichtlichen Horizonte entsprechen die
Titel „indirekte" (Hellas) und „direkte Rede Gottes". Hierbei wird
die. freilich ungewöhnliche, Voraussetzung gemacht, daß Gott sich auch
dem Griechen, und zwar im Modus der „indirekten Rede", nicht un-
bezeugt gelassen habe. Verf. beabsichtigt mit dieser Systematisierung,
das Thema „Christentum und Antike" in der Weise theologisch fruchtbar
zu machen, daß ohne vorschnellen Rekurs auf das Verständnis
verbauende Depravationshypothesen und mithin ohne Vergewaltigung
der Geschichte auch das griechische Element der altkirchlichen Theologie
zum Ganzen begriffen werden kann. In diesem Zusammenhang
wird zum Beispiel Anders Nygrens Deutung dieses Elementes (Eros
und Agape) als den Geist des Griechentums verkennend abgelehnt.

Der erste Hauptteil sucht im einzelnen zu zeigen, wie sich in Th.s
Exegese „Paulinismus" und „Aristotelismus" miteinander vertragen,
d. h. wie die mit der „griechischen Weltsicht gegebene und von Th. ausdrücklich
festgehaltene Eigenständigkeit des fwov Xoyov e'/ov sich
ausnimmt, wenn sie unter den Anspruch der direkten Rede Gottes gerät
— und wie umgekehrt die direkte Rede Gottes sich modifiziert,
wenn sie auf jene Eigenständigkeit des Menschen gleichsam Rücksicht
nimmt. Da Th. ein ausgezeichneter Systematiker ist, kann er hierin
für die Alte Kirche als typisch gelten.

Die skizzierten Gesichtspunkte dienen als Leitgedanken für zahlreiche
Einzelinterpretationen, auf denen der Schwerpunkt der Untersuchung
liegt. Nach dem Aufweis des rationalen Charakters der Paulusexegese
Th.s (c. l) und der Erörterung der („aristotelisch" verstandenen
) Willensfreiheit (c. 2) erweist sich die abschwächende Modifizierung
der paulinischen Prädestinationslehre als notwendig im Sinne der
Rücksicht auf das ausdrücklich als solches ergriffene menschliche Selbst
(c. 3). Der traditionelle Gedanke der Paideia wird von Th. unter der
Voraussetzung der Korrelation von Gebot und Vernunft durchgeführt
(c. 4). Th. lehrt die ursprüngliche Sterblichkeit Adams und lehnt die
Erbsünde ab (gegen Devreesse, c. 5). c. 6 erörtert die Bedeutung des
Nomos. c. 7 die Rechtfertigung: Th. kennt eine solche sola fide in dem
Sinne, daß dem vertrauend zuwartenden und in dieser Haltung in der
ägsxi] „sich übenden" Menschen im Eschaton von Gott die vollkommene
Gerechtigkeit geschenkt wird — keine „eigene", aber eine „eigenständige
" — nicht „aus", aber „in" den Werken, c. 8 ist <pd!a und Sfiövoia,
c 9 dem Kirchenbegriff gewidmet (exxkrjala — avXkoyog x&v jitaxcör;
hier und c. 7 wird der Glaubensbegriff behandelt), c. 10 bringt eine
Darlegung der Geschichtstheologie der Plskommentare, wobei sich
herausstellt, daß die „historische" Exegese der Antiochener (auch Diodor
wird herangezogen) zuletzt von dogmatischem Interesse geleitet ist.
Am ausführlichsten wird (c. Ii) Th.s Zeitbewußtsein erörtert — denn
hier fließt alle in der Formel „Zweiheit in Einheit" beschlossene Problematik
zusammen, insofern Th. den Christen als „Interimsexistenz",
zwischen zwei Äonen stehend und ihnen zu gleicher Zeit angehörend
versteht. Die Analyse zeigt, daß Th.s von Paulus charakteristisch unterschiedenes
Zeitbewußtsein und seine in diesem gründende theologische
Konzeption eine Frucht der in der Begegnung mit dem christlichen
Kerygma geschehenen „Vergeschichtlichung" des griechisch gesehenen
Kosmos ist — will 6agen der Einbeziehung dieses in sich relativ un-
gewandelten Kosmos in die Heilsgeschichte und seiner strengen Beziehung
auf den auferstandenen und wiederkommenden Herrn. Von
hier aus gelangt Verf. im Ansatz zu einem neuen Verständnis der
„Hellenisierung des Christentums" — wenn nämlich nicht unentwegt
nach der Verweltlichung der christlichen Botschaft, sondern umgekehrt
nach der ebenso in den Quellen bezeugten „Vergeschichtlichung" der
griechischen Welt gefragt wird, die als eines der bedeutendsten Ereignisse
der abendländischen Geschichte angesehen werden muß. Wenigstens
im Vorbeigehen wirft die Untersuchung einen Blick auf die
aktuelle Bedeutung der in ihr geübten Auslegungsmethodc: indem
Luther verstanden wird als der Prophet, durch dessen Mund Gottes
der Welt anbequemte direkte Rede mit ursprünglicher Kraft, obzwar
in bestimmter geschichtlicher Situation nicht ohne charakteristische
Modifizierung wieder vernehmlich wird, erweist sich das Problem der
abendländischen Kirchenspaltung als das Problem der geschichtlichen
Horizonte (Israel Hellas Rom) und ist von daher, wenn anders es zu
einer Theologie von ökumenischer Weite kommen soll, neu zu durchdenken
.

Der zweite Hauptteil bringt exegetische Einzeluntersuchungen und

Exkurse — darunter eine Charakteristik der Persönlichkeit des Paulus
aus den Kommentaren Th.s, eine Erörterung der Exegese von Rm. 7
sowie eine Sammlung von ca. 80 Konjekturen zu den von Swete und
Staab vorgelegten Theodortexten.

Wolf, Robert: Aqua Religiosa. Die religiöse Verwendung von Wasser
im frühen Christentum und in seiner Umwelt, I. Teil. Diss. Leipzig
1956, 240 S.

Ausgehend von der Frage nach Wesen und Bedeutung der neu-
testamentlichen Taufe versucht die Arbeit, eine Phänomenologie der
religiösen Verwendung des Wassers im frühen Christentum und in seiner
Umwelt zu geben. Ihre grundlegende Frage lautet: Wo erwartete
der antike Fromme aus Religiosität oder Aberglaube vom Wasser mehr
als nur natürliche Wirkungen? Daraufhin wurde die antike Mittelmeerwelt
, vor allem Ägypten, das Judentum, Griechenland, Rom und das
in diese Welt eintretende Christentum untersucht. Da die Untersuchung
im Blick auf die christliche Taufe erfolgt, beschränkt sie 6ich im wesentlichen
auf die Formen religiösen Gebrauchs von Wa6ser, in denen
sich der Mensch das Wasser in irgendeiner Weise appliziert, sich damit
wäscht oder es trinkt.

Der Fromme gebrauchte das Wasser, weil er glaubte, es vermöge
durch übernatürliche Kraft von jedem Makel zu reinigen, es könne die
Dämonen vertreiben und abwehren, Lebenskräfte verleihen und zu prophetischem
Sehen „begeistern". Es gab dementsprechend Wischung,
Besprengung, Trank zur religiösen Reinigung, zur Belebung, zur Abwehr
von Dämonen, zur Erlangung der Sehergabe. Die verschiedenen
Wirkungen des Wassers werden jedoch häufig nicht scharf voneinander
getrennt. Das Wasser soll vielmehr oft gleichzeitig reinigen, apotro-
päisch wirken und beleben. Am ehesten läßt sich Klarheit über die religiöse
Bedeutung und Rolle des Wassers gewinnen, wenn man seine
Verwendung nicht nach seinen einzelnen Wirkungen unterscheidet, sondern
nach dem Bezug bzw. „Ort" im Kult oder Leben fragt, wo es
verwendet wird.

So ergibt 6ich: Der Fromme wusch sich mit Wasser vor heiligem
Handeln als auch nach bestimmten religiösen Verunreinigungen. Kultische
Waschungen mit Wasser hatten weiter ihren Platz beim Eintritt
in einen neuen Existenzbereich, wie z.B. bei Hochzeit, Krönung, Anschluß
an eine Religionsgemeinsdiaft oder beim Tod. Schließlich benutzte
man Wasser zur Appotropie, zur Heilung und in der Mantik. In einem
solchen Bezug verwendet, sollte das Wasser je nach den Erfordernissen
seine vielfältige Kraft entfalten. Allerdings ging es nicht überall um
diese vielfältige Wirkung des Wassers, in vielen Fällen redincte man
nur oder vor allem mit einer bestimmten Wirkung, etwa der Reinigung.

Vorliegende Dissertation enthält die drei ersten Abschnitte der
Untersuchung über die kultischen Waschungen vor religiösem Handeln,
nach religiöser Verunreinigung und zur Initiation, d. h. zur feierlichen
Einführung in einen neuen Existenzbereich. Die drei weiteren Abschnitte
über die religiöse Verwendung des Wassers zur Appotropie,
zur Heilung und in der Mantik sollen bei anderer Gelegenheit vorgelegt
werden.

Das Wasser ist nicht um irgendeiner Symbolik willen in den
Dienst der Religion bzw. des Zaubers gestellt worden, sondern weil
man von ihm reale Wirkungen erwartete. Dabei ging die übernatürliche
, „göttliche" Wirkung des Wassers auf seine natürlichen Eigenschaften
zurück. Die Erfahrung, daß Wasser reinigt, daß es die Voraussetzung
für Leben und Fruchtbarkeit bildet, führte dazu, daß man sich
damit auch das religiöse Miasma bzw. die Sünde abwaschen oder Lebenskräfte
bzw. ewiges Leben verschaffen wollte. Besonders seit Sokrates
und Plato verbreitete sich zwar die Erkenntnis, daß es auf innere
Reinheit ankomme und diese nicht durdi äußere Reinigungsmittel, sondern
durch einen guten Lebenswandel zu gewinnen sei, aber dieses
tiefere Verständnis der Reinheit war nur die Einsicht der höheren Geister
, nicht jedoch die Anschauung des gemeinen Mannes. Im Volk
blieb vielmehr — bis in die späteste Zeit — die alte Auffassung lebendig
, die sich vom Wasser ebensosehr rituelle Reinheit wie Entsündigung
versprach. Für den schlichten Frommen behielt deshalb die kultische
Waschung zu allen Zeiten die gleiche Wichtigkeit und Bedeutung. Dort,
wo die Forderung nach innerer, sittlicher Reinheit wirklich ernster genommen
wurde, kam es in der Regel auch nur zu einer unklaren Vermischung
des Rituellen mit dem Sittlichen, nicht aber zu einer Beseitigung
der kultischen Waschung. Diese Feststellungen gelten auch
für das Judentum. Auch hier glaubte man, die Sünde durch kultische
Waschung tilgen zu können. Schließlich spricht nichts dagegen, die
Taufe des Johannes und des Neuen Testamentes von den allgemeinen
Vorstellungen her zu verstehen. Die Taufe der Urgemeinde ist wie
die des Täufers Entsündigungswaschung vor dem Empfang des Heiligen
Geistes, wobei allerdings Buße und Glaube Voraussetzung sind. Für
die Christen kommt als weiteres konstitutives Element der Taufe die
Anrufung Jesu hinzu. Eine regelrechte Definition der Taufe gibt
Apg. 22, 16. Taufe = Abwaschen der Sünden unter Anrufung des Na-