Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

728-730

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Wickert, Ulrich

Titel/Untertitel:

Studien zu den Pauluskommentaren Theodors von Mopsuestia als Beitrag zu seiner Theologie 1958

Rezensent:

Wickert, Ulrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

727

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

728

besonders auseinandersetzt, ein objektives und ein subjektives Moment
am Sündenbegriff gegeneinander abzuwägen versucht oder ob man mit
Schleiermacher mehr das subjektive oder mit Kahnis das objektive Moment
daran zu betonen versucht. In jedem Falle ist es von hier aus
möglich, nicht nur das Wesen, sondern auch den Ursprung des Bösen
zu erörtern und nach Möglichkeit zu definieren.

Dabei ist es möglich, die gegebenen Antworten in das Modalitätenschema
einzuordnen, in das die Theologen des 19. Jahrhunderts fast
ausnahmslos einbezogen werden können und das in dieser Arbeit an
einigen ihrer Hauptvertreter entfaltet wird. Julius Müller begreift die
menschliche Freiheit als Möglichkeit des Bösen und den Sündenfall als
den Übergang von dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit des Bösen, wobei
er in Entsprechung zur Konstruktion seines Sündenbegriffes die in-
telligiblen und die empirischen Bedingtheiten des Falles gleichmäßig zu
berücksichtigen versucht. Als Gegensätze können Kant, der den Fall als
intelligible Tat sieht, und Kahnis, der die Historizität des Falles aus
biblischen und empirischen Gegebenheiten postuliert, betrachtet werden.
Schließlich geht Pfleiderer über die bisher gezeigten Positionen damit
hinaus, daß er im Werden und Wachsen der ethischen Persönlichkeit in
Abhängigkeit von Hegeischen Gedanken die Notwendigkeit des Bösen
zu erkennen meint. An dieser Stelle läßt sich, wie die Arbeit nachzuweisen
sucht, Karl Barths Lehre vom Nichtigen dem Schema der Möglichkeiten
einordnen, unter dem das 19. Jahrhundert Wesen und Ursprung
des Bösen zu begreifen meint. Denn es läßt sich nicht übersehen,
daß er ganz die gleichen Fragen an das Nichtige richtet wie jenes und
daß er zu ähnlichen Antworten gelangt, bis hin zur Konstatierung einer
Notwendigkeit des Bösen im Schöpfungshandeln Gottes. Die Arbeit
versucht zu zeigen, wodurch es Barth möglich wird, so zu denken, und
findet den Grund dafür in seiner Unterscheidung der verschiedenen
Wirklichkeiten Gottes, des Menschen und des Nichtigen. Nicht einordnen
lassen sich dem aufgestellten Schema Schleiermacher, der die
Sünde als das vergehende Noch nicht der das Erlösungsbewußtsein
hemmenden Einflüsse begreift, und Kierkegaard, der die Negierung der
Freiheit durch den Begriff der Notwendigkeit kritisiert, aber selber durch
seine Kategorie des Augenblicks der Sünde keine geschichtliche Kontinuität
zuzuerkennen vermag.

Den Grund für die spekulativ-verobjektivierende Behandlung des
Sündenbegriffs in der Theologie des 19. Jahrhunderts wird man in einer
mangelnden Erfassung der Geschichtlichkeit des Menschen gegenüber
Gott zu suchen haben. Demgegenüber versucht die Arbeit, die Erkenntnis
des Sünderseins unter dem Anspruch Gottes so zu erörtern, daß
dabei die Geschichtlichkeit ernstgenommen wird. Im Anschluß an eine
Exegese von Genesis 3 wird dazu der alttestamentliche Sündenbegriff
am Zeugnis des Jahwisten und des Propheten Micha erläutert, dann der
neutestamentliche am Brief des Paulus an die Galater und endlich der
Sündenbegriff der lutherischen Bekenntnisschriften zusammengefaßt. Dabei
ergibt sich, daß Erkenntnis Gottes nirgendwo anders gewonnen
wird als im Akte der Rechtfertigung des Sünders. Die in diesem Akte
gemachte Erfahrung ist die Gottes gegen uns und Gottes für uns und
darin Offenbarung sowohl des verdammenden Gesetzes als auch des
heilbringenden Evangeliums. In der Offenbarung des Evangeliums Jesu
Christi erfährt der Christ dieses Böse als überwundenes Böses, dessen
erfolgte Überwindung an der Verborgenheit der Offenbarung teilhat.

Der von der Gesetzesoffenbarung betroffene Sünder erfährt die
Wirklichkeit seines Sünderseins so, daß Gott nicht dessen Urheber sein
kann. Diese Wirklichkeit läßt sich auch nicht als Notwendigkeit begreifen
, ßondern verweist auf die in Gottes Aufgebot gründende menschliche
Freiheit als ihren Ursprung. Diesen Ursprung des Bösen einsichtig
machen zu wollen, heißt, außerhalb des eigenen Betroffenseins durdi
die Forderung Gottes nach der Möglichkeit des Bösen fragen. Indem
jeder Versuch einer Beantwortung auf den deus absconditus des Gesetzes
führt, erweist sich die Frage als anfechtende Frage des schuldigen Menschen
. Die Abwehr dieser Frage ist Hinweis auf die in der Rechtfertigung
erfahrene bereits erfolgte Überwindung des Bösen.

Vetter, Roland: Die Theologische Prinzipienlehre bei Carl Stange.
Diss. Erlangen 1955, 216 S.

Die Diss. versucht in einem ersten Teil, die Entwicklung der Prinzipien
historisch darzustellen, sodann im zweiten, kritischen Teil ihre
Bedeutung aufzuzeigen.

Teil I: Das Anliegen Stanges ist es, einen Weg zu finden, der es
der Theologie ermöglicht, ihren beiden Faktoren, der wissenschaftlichen
Arbeitsweise und der Eigenart des Glaubens gerecht zu werden, und
zwar so, daß keiner den anderen beeinträchtigt. Um dies zu erreichen,
wird zuerst die Religionsphilosophie als selbständige Disziplin bemühr,
um die Notwendigkeit der Religion im Zusammenhang des menschlichen
Bewußtseins zu beweisen.

Die apologetische Aufgabe der Religionsphilosophie wird von
der Erkenntnistheorie wahrgenommen. Die Auseinandersetzung mit
Kant und Schleiermacher ergibt, daß Kant als erster die Selbständigkeit

der religiösen Gewißheit erkannte und forderte, aber Schleiermacher
als erster selbst eine religiöse Theorie ausbildete, indem er die Religion
als einen Tatbestand des unmittelbaren Selbstbewußtseins ansah. Aber
beide erreichen das Ziel noch nicht: Kant anerkannte die zufälligen
Bewußtseinsbestandteile nicht, gelangte somit zu einem rein scientifi-
schen Erkenntnisbegriff, der keinen Raum für die Religion läßt und
diese muß auf dem Gebiet der Moral angesiedelt werden: Schleiermacher
identifiziert die Religion mit dem schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl
, engte sie damit ein und glitt in die Psychologie ab. Stange geht
einen rein erkenntnistheoretischen Weg, indem er einen realistischen
Erfahrungsbegriff ausbildet, der auf dem Begriff der Anschauung ruht.
In der Entwicklung seines Anschauungsbegriffes durchläuft nun Stange
mehrere Stufen. Zunächst geht es ihm gegenüber Kant um die Wirklichkeit
der Erfahrung und um einen äußeren Anschauungsbegriff (sen-
sualistischer Einfluß), sodann tritt eine Ergänzung durch den idealistischen
Begriff der inneren Anschauung, der einen Zusammenhang unter
den Begriffen ordnen soll; schließlich tritt eine Wendung zum irrationalen
Voluntarismus hinzu. Aber zu den beiden Anschauungsformen
tritt mit Notwendigkeit eine dritte: die Frage nach der Vollständigkeit
der Erfahrung. Sie ist, da alle irdische Erfahrung unvollständig bleibt,
die Wurzel der Religion.

Auf diesen Religionsbegriff baut nun die Dogmatik auf. Ihre Aufgabe
besteht darin, Glauben und Wissen in einen tragbaren Zusammenhang
zu bringen. Denn der Gegenstand der Dogmatik ist oder sind
nicht das Dogma oder die Dogmen, sondern die dem Glauben eigentümliche
Gewißheit (Theologia dogmatica). Die Wissenschaftlichkeit
der Dogmatik besteht in ihrer Arbeitsweise, sie bezieht sich nur auf
die Form. Stange lehnt die Forderung der Allgemeingültigkeit und
Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft ab und fordert die positive
Wissenschaft (im Anschluß an Windelband und Rickcrt). Nach einem
kritischen Gang durch die Theologiegeschichte wird die Methode der
Dogmatik als die offenbarungsgeschichtliche bezeichnet, ihre Autorität
ruht auf Schrift und Bekenntnis.

Teil IL: Die Bedeutung der Stangeschen Prinzipienlehre besteht
in der erkenntnistheoretischen Begründung der religiösen Gewißheit,
im Nachweis der Möglichkeit einer exakten Wissenschaft Theologie
und in der Forderung der Offenbarungsgemäßheit, soweit jeweils der
philosophische Ansatz den reformatorischen nicht beeinträchtigt. Denn
zwei Motive lassen sich in Stanges einschlägigen Schriften deutlich unterscheiden
: Das apologetische und das offenbarungstheologische. Das
apologetische Motiv ist unablässig bemüht, die Notwendigkeit der Religion
, die Wissenschaftlichkeit der Theologie und die Offenbarungsgemäßheit
der Dogmatik zu beweisen. Dies konnte wie in der Diskussion
mit den Kritikern Stanges (Dunkmann, Heinzelmann, Nygren,
Hermann u. v. a.) gezeigt wurde, nicht erreicht werden. Auch der dritte
Anschauungsbegriff in Stanges Erkenntnistheorie zwingt nicht, die Religion
sondern nur die Notwendigkeit des religiösen Problems anzuerkennen
. Nur wo Stange sich von dem offenbarungstheologischen Motiv
leiten ließ, liegt seine bleibende Bedeutung.

Die grundsätzliche Frage nach der Stellung der Religionsphilosophie,
die hinter den einzelnen Erörterungen stand, dürfte nach der Erörterung
mit anderen Theologen wie folgt zu beantworten sein: Die erkenntnistheoretische
Klärung ist für jede Dogmatik unerläßlich, aber dies ist
keine vortheologische, etwa religionsphilosophische, sondern eine
innertheologische Aufgabe. Nur wo sie sauber gelöst wird, kann der
Fehler vergangener Zeiten — das Abgleiten in die Psychologie — vermieden
werden. Wie berechtigt diese Forderung Stanges bleibt, zeigt
die Gefahr unserer neuesten Theologie: der Ontologie zu verfallen.

Wickert, Ulrich: Studien zu den Pauluskommentaren Theodors von
Mopsuestia als Beitrag zu seiner Theologie. Diss. Tübingen 19 57,
427 S.

Wie der Titel andeutet, will die Untersuchung aus dem Gesichtskreis
eines Teiles der Schriften Th.s zu dessen Gesamtverständnis beitragen
. Im Unterschied zur katholischen Forschung, die bei ihrem
neuerdings lebhaften Interesse für den Antiochener an das Dogma gebunden
bleibt, möchte Verf. auf dem Wege einer „zu Ende geführten
geschichtlichen Exegese" (W. G. Kümmel) zur Sache kommen.

Der einleitende Teil sucht durch Interpretation dreier paralleler
Texte die Sicht zu erschließen, aus welcher Th. denkt. In seinem Geiste
hat sich eine Synthese von „Israel" und „Hellas" vollzogen, die für
sein theologisches Denken bestimmend ist. Die Struktur dieses Denkens
läßt sich — nicht nur in der Christologic — durch die Formel „Zwei-
heit in Einheit" beschreiben; und sie gründet nicht lediglich in Th.s logischer
Begabung, sondern zumal in jener angedeuteten doppelten geschichtlichen
Herkunft. Verf. zeigt bei Erörterung des bei Th. anklingenden
Syndesmos-Gedankens (in dessen Beurteilung er der Auffassung
Karl Reinhardts den Vorzug gibt), daß Christus für den Antiochener
als Mensch Repräsentant des „griechisch" gesehenen, aber als Schöpfung
gedachten, Gott gegenüber relativ eigenständigen Kosmos ist —