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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

711-712

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Schilling, Werner

Titel/Untertitel:

Religion und Recht 1958

Rezensent:

Herrfahrdt, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

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gemacht wird, daß er mit der Beschreibung der Erbsünde durch
das Wort „concupiscentia" die sinnliche Begierde zum Sitz der
Sünde gemacht habe, so wird vergessen, daß für Luther dies Wort
eine viel umfassendere Bedeutung hat und gerade das hochmütige
und eitle selbstsüchtige Begehren nach Ehre und Macht auch im
Bereich der geistigen und geistlichen Welt im Auge hat. Dagegen
hat allerdings seit Augustin die mittelalterliche Theologie z. B.
in ihren Reflexionen über die „Paradiesesehe" versucht, sich einen
Ehevollzug ohne sinnliche Lust vorzustellen; da6 bedeutet indirekt
eine Diskriminierung der Sinnlichkeit. Gerade Luther hat diesen
Dualismus zu überwinden gesucht. Daß übrigens während der
Lebenszeit Luthers sich 6chon Differenzen mit Flaciu6 eingestellt
hätten, ist unzutreffend; erst als die synergistischen Tendenzen
der Theologie Melanchthons deutlich in Erscheinung traten, hat
Flacius seine radikale Gegenposition entwickelt. Es geht, wie ich
in meiner ersten Rezension schrieb, eben auf dem Gebiet der
Historie reichlich turbulent zu. Mir erscheint es aber, gerade
weil das Buch eine so große Verbreitung gefunden hat, wichtig,
daß der Verf. — vielleicht würde Lortz ihm helfen? — diese Partien
einer gründlichen Überarbeitung unterzieht.

Dabei müßte das kleine Unglück berichtigt werden, das dem
Verf. dadurch passiert ist, daß er auf S. 60 korrigiert hat: nicht
von Shaw, sondern von Fontane stamme das Wort, das er nun
freilich falsch zitiert (man sage Gott und meine Geld, man spreche
von Humanität und meine Kattun; bei Fontane heißt es:
„man sage Christus und meine Kattun"). Denn nun sieht es
so aus, als ob Fontane ein englischer Schriftsteller gewesen
sei, heißt es doch unmittelbar vorher: „gerade englische Schriftsteller
haben den Cant als typisch für einen engen Puritanis-
mus herausgestellt", und nun wird als erstes Beispiel Fontane
genannt! — Auch wäre es wohl empfehlenswert, wenn der Verf.
sich nicht mehr darauf versteifen würde, die Perikope von der
Ehebrecherin Joh. 7, 53 ff. als in vielen Handschriften absichtlich
, weil man an ihrer Milde Anstoß genommen habe, aus dem
Johannesevangelium entfernt zu bezeichnen. Er deckt sich jetzt
mit einem Zitat aus Augustins de conjugiis adulterinis, das freilich
so argumentiert. Aber hier irrt Augustin. Die Perikope, die
stilistisch völlig unjohanneisch ist, entstammt wohl ursprünglich
einem nichtkanonischen Evangelium (Euseb meint, dem He-
bräerev.) und ist erst zögernd in die kanonischen Evangelien aufgenommen
worden, hatte auch zunächst keinen sicheren Platz,
wurde hie und da an den Schluß des Joh. Ev., nach Joh. 21, 24,
gesetzt, auch hinter Luk. 21,38. Sie ist ein typischer Irrläufer.
Der Tatbestand ist hier so eindeutig, daß Verf. ihm sich fügen
und einfach die betr. Stelle streichen sollte.

Nur, weil das Buch wirklich ein wichtiges Anliegen, das auch
wir Protestanten beherzigen sollten, vertritt, habe ich mich in
diese Einzelheiten eingelassen. Dabei habe ich nur Einzelnes
herausgegriffen. Mein Desideratenzettel ist erheblich länger!
Übrigens noch ein Druckfehler: der S. 57 zitierte ev. Theologe
heißt Aner, nicht Auer.

Heidelberg Renatus H u p f e I d

KIRCHENRECHT

Schilding, Werner: Religion und Recht. Stuttgart: Kohlhammer
[1957]. 191 S. kl. 8° = Urban-Bücher. Die wiss. Taschenbuchreihe,
hrsg. v. F. Ernst, 26. Kart. DM 3.60.

Ausgehend von der „Rechtsnot" der Gegenwart weist das
Buch Wege zur Überwindung der Krise durch Wiedergewinnung
der Verbindung der Rechtsordnung mit ihrer letzten Wurzel, der
Religion. Damit soll einem Mangel der bisherigen Wissenschaft
abgeholfen werden, der auf der einseitigen Spezialisierung der
Fachwissenschaften beruht.

Methodisch geht der Verfasser so vor, daß er ein weites
rechts- und religionsgeschichtliches Material verarbeitet, aber an
dieses nicht bloß, wie im 19. Jhdt. üblich, registrierend und ursächlich
erklärend herantritt, sondern im Geiste von Rudolf Otto
und van der Leeuw („phänomenologisch") in das Innere von Religion
und Recht verstehend eindringen will.

In Abschnitt I wird an Hand umfassender geschichtlicher Tatsachen
aller wichtigeren Völker (Ägypter, Mesopotamier, Perser,

Inder, Ostasiaten, Griechen, Römer, Juden, Mohammedaner, Germanen
) gezeigt, wie ursprünglich überall die Gottheit als Quelle,
Hüterin und Wahrerin von Recht und Gerechtigkeit auftritt.
Abschnitt II ergänzt diesen allgemeinen religionsgeschichtlichen
Befund „strukturtypisch" in Anknüpfung an Menschings Unterscheidung
von Volksreligionen und Weltreligionen (gegebenes
Heil in der Gemeinschaft — verlorenes Heil mit Heilsangebot an
den Einzelnen). Abschnitt III bringt die entscheidende „religions-
phänomenologische" Besinnung auf die Frage: Sind religiöses Ur-
erlebnis und Rechtsbewußtsein in der Tiefendimension miteinander
verwurzelt? Gegenüber überholten Auffassungen des 19. Jhdt.s,
für die Sittlichkeit und Recht wesentlicher Inhalt des Religiösen
waren, wird im Sinne Rudolf Otto6 das Besondere im Erlebnis
des „Heiligen" aufgezeigt (tremendum, fascinans, augustum usw.),
wobei zunächst Religion auf der einen Seite, Sittlichkeit und Recht
auf der anderen Seite als wesensverschieden erscheinen; dann wird
aber dargelegt, daß das religiöse Erlebnis als das eines zu respektierenden
höchsten Wertes, als „innerlichste obligatio" zugleich
die Wurzel des Unbedingtheitsanspruchs des Ethischen und der
Verbindlichkeit des Rechts ist. Das Bild von Gott als Richter
wird an religionsgeschichtlichen Beispielen aller Völker nachgewiesen
. Religion und Recht sind verkoppelt, indem jede Sakralordnung
dazu neigt, eine Rechtsordnung hervorzubringen. Weiter
wird das erläutert am Nachweis der „konstanten Elemente" in
den wechselnden Rechtsordnungen: Natur, Mensch und Zeit, die
entsprechende Bedeutung im Religiösen haben. Speziell wird
unter IV an Hand der Begriffe Tabu, Tao, Rta, Dharma, Asha,
Fridr, Beriet und Agape die Rolle zentraler religiöser Vorstellungen
in der ethisch-rechtlichen Entwicklung dargelegt. Unter V
wird auf die schwerwiegende Frage: Sind Götter immer gerecht?
geantwortet: Sie sind Anderes und mehr als rechtlich-sittliche
Weltordner. Das Gottverhältnis des Menschen wird nicht als
„rechtliches" erfahren. Die Gottesidee ist etwas Irrationales. In
Abschnitt VI wird am Prozeß der Emanzipierung und Säkularisierung
des Rechts gezeigt, daß diese Entwicklung gewisse Grenzen
hat, daß die Verbindung von Religion und Recht niemals
ganz verschwindet. So kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, daß
die Rechtsnot nicht durch rechtstechnische Mittel zu beheben ist,
sondern nur durch religiös-metaphysische Neubesinnung.

In einem Anhang wird als Gegenstück zur Abhängigkeit des
Rechts von der Religion der „Nomismus", der Einfluß des Rechts
auf die Religion, das Rechtsdenken in Dogma und Kultus gestreift
und schließlich das Problem der „Menschenrechte" in die religionsgeschichtliche
Entwicklung hineingestellt.

Das Bändchen ist nicht ganz leicht zu lesen. Es setzt aber
keine fachwissenschaftliche Vorbildung in theologischem oder
juristischem Sinn voraus. Alle dargestellten Tatsachen und wissenschaftlichen
Lehren sind durch sehr gründliche Literaturangaben
belegt; dem Leser ist damit die Möglichkeit geboten, einzelne
Fragen weiter zu verfolgen.

Marburg/Lahn Heinrich Herrfah rdt

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Erb, Jörg: Der gute Hirtc. Eine Einübung in den christlichen Glauben
und in das christliche Leben. Zeichnungen von Christian Rietsdicl.
Kassel: Stauda 1958. 160 S. DM 6.20.

Mit herzlicher Freude kann man auf diese Veröffentlichung
Jörg Erbs hinweisen, mit der er zu seinem viel benützten „Schild
des Glaubens" nun für die beiden ersten Grundschuljahre gleichsam
ein Kinderbilderbuch geschaffen hat. Von Christian Rietschel
stammen die ganz einfachen und kindlichen, aber sowohl erhabenen
wie rührenden Buntzeichnungen. Das Büchlein wendet sich
genauso an die Eltern und Lehrer wie an die Kinder, die ja der
liebevollen und verstehenden Einführung und Begleitung durchs
biblische Geschichtsbuch bedürfen. Die Kinder werden mit Freuden
sich in die meditative Einstellung hineinnehmen lassen, in der sie
noch zu Hause sein können, wenn nur der Lehrende den Sinn
des Erzählers und Zeichners versteht. Und insofern ist dieses Büchlein
ein bedeutsames und sehr wertvolles Hilfsbüchlein für den
Katecheten, der von Wort und Gebärde her, vom Wortklang und
von der Wortmelodie her angerufen wird, daß er selber die eigen-