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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

703-705

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Titel/Untertitel:

Die Ordnung des Wirtschaftslebens 1958

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

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Interessen absorbiert, teils entfalten sie sich zu beachtlicher
Stärke. So verteilen Angehörige der Mädchenkreise Rundbriefe
an 600 weibliche Pfarrangehörige. Einmal im Monat findet eine
Predigt für die Jungmädchenwelt statt, die bis zu 200 Teilnehmerinnen
hören. Zur Gemeinschaftskommunion, die auch
einmal im Monat angeboten wird, kommen ungefähr 60 Mädchen
. Man versteht von den Zahlenangaben her eine zweimalige
Randbemerkung über Meinungsverschiedenheiten, die über den
Wert der Pfarrgruppen überhaupt entbrennen. Sie rühren aus
der Zeit des Nationalsozialismus her. „Es gibt auch heute noch
immer Stimmen, die zum Ausdruck bringen, daß die Kirche ihren
Auftrag ohne die Existenz der Pfarrgruppen verwirklichen
könne" (25); „nur gegen den Widerstand der meisten Pfarrer
gelang es dem H. Vater in der Nachkriegszeit durchzusetzen,
daß an vielen Orten Deutschlands, allerdings nicht überall, die
katholischen Arbeitervereine neu gegründet und belebt wurden
" (34). Im Herzen eines offenbar klassischen katholischen
Landes, in einer Stadt offenbar mit Bisdiofssitz, führen die Pfarrgruppen
im allgemeinen ein nur bescheidenes Leben.

Auf die näheren Analysen soll hier nicht ausführlich eingegangen
werden. Sie mühen sich stark um die Erfassung der
Laienkraft in der Gruppenführung, um das übergeordnete Führungsverhältnis
der Geistlichkeit und um die überparochialen
Bindungen, über die wir nichts wesentlich Neues über das auch
dem evangelischen Theologen aus seinem Umkreis Bekannte
hinaus erfahren (bündische Zentralen, Zeitschriften, Freizeiten,
Exerzitien u. ä.).

Das Ergebnis für den evangelischen Leser, der von der Frage
nach der Hebung des ihm anvertrauten kirchlichen Lebens bewegt
wird, ist wahrscheinlich überraschend. Auf das parochiale
Gruppenleben gesehen dürften in Deutschland die Kirchen sich
nur unwesentlich unterscheiden. Daß der amerikanische Soziologe
gerade diese Gemeinde als Versuchsfeld zugewiesen bekam,
wird darauf schließen lassen, daß ihre Lebendigkeit gewiß nicht
unter dem üblichen deutschen Durchschnitt liegt. Das Rückgrat
der katholischen Kirchlichkeit ist nicht die Gruppe, sondern der
Kultus. Von diesem Ergebnis dürfte für uns zu lernen sein. Man
wird von der Untersuchung Fichters aus vielleicht auch Vorurteile
über die „einseitige" Kultfrömmigkeit der östlichen orthodoxen
Kirchen zu überprüfen haben. Die Leitbilder der Frömmigkeit
zeigen dort wie hier offenbar mehr verwandte als abweichende
Züge.

Rostock Gottfried Holtz

Y

W.^lty, Eberhard, OP: Herders Sozialkatechismus. Ein Werkbuch der
/katholischen Sozialethik in Frage und Antwort. III. Band: 3. Hauptteil
. Die Ordnung des Wirtschaftslebens: Arbeit und Eigentum. Frei-
burg/Br.: Herder 1958. XIV, 483 S. gr. 8°.

Die beiden ersten Bände dieses Katechismus habe ich in
ThLZ. 1953, 8/9 und 1955, 7/8 besprochen. Dieser 3. Band ist
unvollständig. Er wird erst durch zwei weitere in Aussicht gestellte
Bände abgerundet. Das erschwert die Besprechung; denn
man kann wohl kaum, ehe nicht das „Modell", das für die Sozialordnung
nach katholischer Sicht maßgebend ist, entwickelt ist,
ein vollgiltiges Urteil über die hier ausgeführte Konzeption aussprechen
. Über dies Modell, die berufsständige Ordnung, wird
aber ausführlich erst im nächsten Band gehandelt.

Immerhin kann man auch ohne diese sehr wichtigen Ergänzungen
einiges jetzt schon über die Gesamtausrichtung dieses
Buches sagen. Was jedem Leser, wie auch bei den ersten beiden
Bänden, bei diesem Band auffallen muß, ist die große Sorgfalt
und der ungeheure Fleiß, mit dem gerade auch in unserem Fall
ein außerordentlich umfassendes Material dargeboten und übersichtlich
aufgeteilt wird. Der Band handelt unter der Überschrift
„Die Ordnung des Wirtschaftslebens" zunächst vom Eigentum
, wobei vom Recht auf Privateigentum, das freilich durch
die Ausrichtung auf das Gemeinwohl begrenzt wird, ausgegangen
wird, sodann von der Würde der Arbeit und dem Recht auf
Arbeit, wobei die besonderen Probleme der Automation, der Entproletarisierung
des Proletariats, der Arbeitslosigkeit und der
Selbsthilfe durch Gewerkschaftsbildung und Streiks, um zu
menschenwürdigeren Arbeitsverhältnissen zu kommen, entfaltet
werden, und schließlich von der Arbeit als Erwerbsmittel, d. h.

vom gerechten Lohn, der Eigentumsbildung und dem Mitbestimmungsrecht
der Arbeitnehmer. Wie man sieht, werden hier
viele heiße Eisen — und zwar geschieht das recht mutig — angegriffen
. Will man den Standort des Verf. und 6eines Mitarbeiterkreises
näher bestimmen, so kann man ihn vielleicht so umreißen:
starkes Verständnis für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
, die den Arbeitnehmer zu einem selbständigen und
gleichberechtigten Partner im Arbeitsprozeß macht; bei aller
vorsichtigen Bejahung des Rechts auch des Privatunternehmertums
geht doch das Gefälle des Buchs nach der Seite hin, im
Interesse des Gemeinwohls, d. h. in diesem Fall der Befriedung
des ja an der Erzeugung des Sozialprodukts doch sehr wesentlich
beteiligten Arbeiters darauf zu drängen, daß ihm in weitem Umfang
nicht nur der Weg zum Miteigentum, sondern auch zum
Mitspracherecht geöffnet wird. Der Wert des Buches besteht dabei
z. T. auch gerade darin, daß bei der Besprechung aller Fragen
zunächst einmal die Tatbestände selbst sorgsam klargelegt werden
, das pro und contra sorgsam abgewogen und für eine Besprechung
in Studienkreisen das Material geschickt gruppiert zur
Verfügung gestellt wird. Daß es dabei nicht ohne viele Wiederholungen
abgeht, ist darin begründet, daß das Buch nicht mit
einer fortlaufenden Lektüre rechnet, sondern damit, daß man es
jeweils bei strittigen Fragen zu Rate zieht, bzw. Einzelfragen in
Studienkreisen durcharbeitet.

Auch in diesem Band werden die päpstlichen Verlautbarungen
jeweils an den Anfang jedes Abschnitts gestellt, wobei in unserem
Problemzusammenhang abgesehen von Leo's XIII. „Re-
rum Novarum" über die Arbeiterfrage (1891) und Pius' XI.
„Quadragesimo Anno" über die gesellschaftliche Ordnung (1931),
von Pius XII. eine Unmenge von Ansprachen, Rundschreiben
und Briefen zitiert werden. Dabei wird gleich im 1. Abschnitt
über das Privateigentum nicht verschwiegen, daß sich die päpstlichen
Verlautbarungen von der Konzeption des Thomas v. A.
unterscheiden: bei Thomas Betonung des Gemeinwohls, bei den
Päpsten (wohl veranlaßt durch den Kampf des Sozialismus gegen
das Privateigentum) Betonung des Privateigentums. Mir scheint,
daß das Buch diese Abweichung von der Position des Thomas
nicht billigt. Interessant war mir jedenfalls, daß Verf. auf S. 354
die gegen das Mitbestimmungsrecht sehr zurückhaltenden Äußerungen
des Papstes nicht bringt; sie werden z.T. auf S. 3 84
nachgeholt, aber dann vom Verf. durch eine ziemlich gewundene
Exegese so interpretiert, daß sie sogar für ein Mitbestimmungsrecht
betriebsfremder Gewerkschaftssekretäre ein Loch offenlassen
. Da aber über so wichtige Fragen wie Geld und Kapital
noch nicht gesprochen ist, so muß man sich wohl im Gesamturteil
noch zurückhalten. Leider — das hängt mit dem unhistorischen
Charakter des Werks zusammen — wird die katholische
Linie fast ohne Auseinandersetzung mit den außerkatholischen
sozialistischen Gedanken entwickelt. Aber Verf. befindet sich doch
mit dem westlichen Sozialismus in so enger Tuchfühlung, daß er
ohne Schaden die Übereinstimmung mit ihm stärker hätte betonen
können.

Die für die Beurteilung unseres Buches entscheidende Frage
ist: wie begründet Verf. seine Stellungnahme als typisch katholische
Position? Wie nach den bisherigen Bänden nicht anders
zu erwarten war: im wesentlichen „naturrechtlich". Zwar wird an
einigen Stellen auch auf Bibelworte verwiesen, manchmal auch
so, daß mir die Beziehung dieser Stellen zu den betr. Problemen
nicht eingeleuchtet hat. (Hier scheinen auch einige Druckfehler
sich eingeschlichen zu haben: auf S. 5: Apg. 29, 33, auf S. 20
1. Kor. 9, 21, auf S. 121: Jos. 53, 11 wohl statt Jes. 53, 11.) Aber
im wesentlichen wird naturrechtlich argumentiert, wobei die dem
Naturrecht ja erst normative Bedeutung gebenden päpstlichen
Verlautbarungen weit weniger als in den ersten Bänden unter
diesem Gesichtspunkt herangezogen zu sein scheinen, eigentlich
mehr als auch anderen Stimmen katholischer Moraltheologen
gleichgeordnete Stimmen zu den betr. Fragen. Das hängt wohl
damit zusammen, daß angesichts der steten Veränderung der
Wirtschaftswelt und auch der Stellung des Menschen in ihr mit
allgemeinen gesetzlichen Normen wenig anzufangen ist, vielmehr
auf jede Lageveränderung hin auch neue Stellung bezogen
werden muß. Verf. hilft sich hier (S. 30) mit der Unterscheidung
von primärem, dem Paradieseszustand entsprechendem und sekun-