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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

702-703

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Autor/Hrsg.:

Fichter, Joseph H.

Titel/Untertitel:

Soziologie der Pfarrgruppen 1958

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

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werden. Vielmehr wird allen zweitrangigen Maßstäben gegen- nrrtrmMCcnymrnriP
über (Tradition, Form- und Substanzfülle, Darstellungskraft usw.) > litLlulUiybbULlULULiiltL
hier im verbum ipsum die eigentliche Norm entdeckt, die zugleich

mit der Freiheit vom Kultus die Möglichkeit zu seinem rechten FJ/c he r, Joseph H., S. J.: Soziologie der Pfarrgruppen. Untersudiun-
Gebrauch ( haben, als hätte man nicht!") gewährt. Wort und Sa- / ^en zur Struktur und Dynamik der Gruppen einer deutschen Pfarrei,
krament in"unlösbarer Einheit als der Dienst Gottes an uns/' Münster: Aschendorff [1958] 178 S. gr. 8° = Schriften des Instituts
/t i , i . ir_^- j________________ /- .. i. . . >ur christliche Sozialwissenschaften der westfälischen Wilhelms-Universität
Münster, hrsg. von J. Höffner, Bd. 5. Kart. DM 9.80; Lw.
DM 11.80.

(Luther, vgl. bei Vajta), dem wir mit unserem Gottesdienst im
ganzen Leben, aber nun auch liturgisch mit Gebet, Lobgesang und
Bekenntnis, frei von aller Gesetzlichkeit unsere geordnete und
schöne, aber sicher auch sehr menschliche, ja kindlich lallende
Antwort zu geben gewürdigt sind! In der Entbindung des Liturgischen
von aller sich pathetisch und gesetzlich verstehenden
Feierlichkeit, die sich am falschen Ort dogmatisch wichtig nimmt,
zugunsten des alleinigen Ernstes des Wortes Gottes und der aus
ihm gerade uns geschenkten Freiheit und Freudigkeit in diesen
Dingen, sehe ich das eigentliche und theologisch dankbar zu begrüßende
Anliegen dieses Buches.

Den einzelnen Auseinandersetzungen H.s läßt 6ich im Rahmen
einer Besprechung nicht nachgehen. K. F. Müller wird die
„Verschleierung" des Gegensatzes von Barth und W. Stählin aufgrund
einer allzu irenischen Haltung zum Vorwurf gemacht. Sehr
positiv ist Vajtas Interpretation der Gottesdiensttheologie Luthers
aufgenommen, die gegen die deutschen „Lutheraner" ausgespielt
wird. W. Hahn wird gesagt, daß sein „absoluter Kult
des göttlichen Versöhnungswerkes .. ., ohne es sich klar zu machen
, . . . immer noch korrekt katholisch sei" (131). Pieper und
Pascher werden in ihrer Konsequenz des kultischen Gedankens
einerseits über die Halbheiten der Lutheraner herausgehoben,
um ihnen dann nachzuweisen, daß sie so gerade im Mißverständnis
des Evangeliums „auf Sand bauen" (158). Asmussen wird —
im Gegensatz zu seinen früheren Schriften — bedenkliche Hinneigung
zu Rom nachgewiesen.

Die hart angegriffenen „lutherischen" Gottesdiensterneuerer
werden an der Kritik H.s nicht vorbeigehen dürfen und werden
revidieren müssen, auch wenn sie mit Gegenkritik antworten.
Dabei wird es vor allem um den Grundansatz des „Wort"-Ver-
ständnisses H.s gehen, aus dem alles andere ja erst folgt. In der
kritischen Dialektik H.s ist manches überspitzt. So arbeitet sie
z. B. mit einem Begriff des Kultus von ausgesprochen Feuerbach-
schem Gepräge, von dem her sich die Antithetik zum Wort zu
billig ausnimmt. Wo kommt da z.B. das biblisch geforderte Gebet
als entscheidende Grundlage des christlichen Kultus zu stehen,
wo der „deus cultus = deus revelatus" (Luther), und das „kultische
" Gebot: „solches tut zu meinem Gedächtnis"? Man kann
fragen, ob nicht die hier vollzogene dialektische Sprengung des
Kultus von einer theologisch herangetragenen Antithetik her
unternommen wird, die trotz Arnos und Jeremias in dieser Überspitzung
mit der biblischen Auffassung nicht einfach identisch
ist. Auch dem liturgischen Begriff der „Darstellung", wie er von
H. gefaßt und verurteilt wird, stehe ich skeptisch gegenüber.
Vollzieht sich nicht auch in der Predigt Darstellung = praesen-
tatio des Wortes, und ist nicht beides, die gepredigte und die
liturgische Darstellung des Wortes, auf die Wirklichkeit des in
freier Gnade an uns handelnden Christus ausgerichtet? Es wären
noch mancherlei kritische Anmerkungen zu machen. Die Akten
über die Theologie des Gottesdienstes und dessen von daher zu
legitimierender Erneuerung werden durch das vorliegende Buch
H.s noch nicht geschlossen sein. Aber sein kritischer Vorstoß ist
eine dankenswerte Sache und wird uns nicht gestatten, auf dem
Gebiet des Liturgischen mit einer theologisch unterbelichteten
Einstellung zu arbeiten.

Bonn Joachim Kon rad

Arfken, Ernst: Geistiger Hintergrund des musikalischen Schaffens.
Monatschrift für Pastoraltheologie 47, 1958 S. 81— 92.

Coli eye, M. et Raes, J.: Pastorale de Ja messe et recents direc-
toires episcopaux II.

Nouvelle Revue Theologique 90, 1958 S. 264—288.

Über das grundlegende vorausgegangene Werk des Verfassers
„Die gesellschaftliche Struktur der städtischen Pfarrei".
195 6, ist in dieser Zeitschrift berichtet worden (1957, Sp. 871).
Wir werden uns über Person und Leitideen des Verf.s nicht zu
wiederholen brauchen. Die Loyola-Universität in New Orleans
beurlaubte ihn nach Deutschland zur Durchführung dieser neuen
Untersuchung. Aus naheliegenden Gründen wird der Name der
Stadt nicht genannt. Über die Gemeinde erfahren wir, daß sie
heute 8717 Katholiken zählt, mit denen zusammen nur 322
Nichtkatholiken wohnen, daß sie vor ca. 60 Jahren durch Abtrennung
aus einer zu stark gewachsenen Parochie entstanden
!st, daß es neben ihr in der gleichen Stadt noch 20 katholische
Pfarreien gibt und daß der Bombenkrieg die Gemeinde fast ganz
zerstörte. Aus der Statistik nach dem Wiederaufbau ist wichtig,
daß nur etwa 12 % der Familien schon vor der Bombardierung in
der Pfarrei wohnten, 6 % sind Umsiedler, 34 % Glieder ehemals
anderer Pfarreien derselben Stadt, 48 % Zugewanderte aus
der Nachbarschaft oder andern westdeutschen Städten. Dementsprechend
besteht auch die Masse der Gruppenangehörigen aus
„neuen" Gemeindegliedern.

Einer soziologischen Untersuchung ist das Leben der Pfarrgruppen
, ihre Struktur und ihre Dynamik, unterworfen worden.
Angaben über die Teilnahme der Gesamtgemeinde am religiösen
Leben wird man also vergebens suchen. Trotzdem fällt ein reicher
Ertrag ab, den auch der evangelische Theologe nachdenklich
erwägt.

Stören lassen darf man sich nicht durch Randbemerkungen, die
amerikanischem Denken entstammen und die sachgemäß meist in die
Anmerkungen verwiesen sind. Fremdartiges bleibt trotzdem, so das Leben
des konfessionellen Schützenvereins, dessen lange Geschichte noch
mit der Zeit der alten Bürgerwehren zusammenhängt. Der Verf. erlebte
an Ort und Stelle ein Bundestreffen der katholischen Schützenvereine
mit einem Aufmarsch von 19 000 Schützen. „Der Bundeskönig wurde
nach einem Pontifikalamt vom Bischof gekrönt" (168).

Bei den Pfarrgruppen werden 7 männlidie (Kirchenvorstand, Vinzenz
-Konferenz = Wohltätigkeitsorganisation, Arbeiterverein, Studienkreis
, männliche Jugendgruppen, Meßdiener, Schützenverein) und 5
weibliche und gemisdite Gruppen unterschieden (Frauenverein, Elisabethverein
, weibliche Jugend, Pfarrbücherei, Kirchenchor). Über ihre Geschichte
werden chronikartige Angaben gemacht, auf denen irgendein
Schwergewicht nicht Hegt. Wichtig und überraschend sind die Zahlenangaben
. Daß sie beim Kirchenvorstand und den Meßdienern klein sind,
versteht sich von selbst. Aber auch sonst — besonders bei den männlichen
Gruppen — kommen wir nicht auf größere Zahlen. Der Arbeiterverein
zählt 78 eingetragene Mitglieder, unter denen der ungelernte
Arbeiter ganz fehlt; die Parochie ist in ihrer Gesamtstruktur
bürgerlich, nur 8, 3 % der Haushaltsvorstände gehört dem ungelernten
Arbeitertum an. Die 78 verteilen sich so: 42 Handwerker, 18 Angestellte
, 3 Beamte, 2 Facharbeiter oder Techniker, 6 Akademiker oder
im freien Beruf Tätige, 7 Pensionäre. Der Studienkreis, der aus den
Jungengruppen herausgewachsen ist, wird im Durchschnitt von 26 Männern
besucht. Die 5 altersmäßig unterschiedenen Jungengruppen umfassen
insgesamt 65—70 Jungen. Der Sdiützenvercin zählt 150 Mitglieder.
Höher liegen die Zahlen bei den weiblichen Gruppen. Der Frauenverein
hat 912 Mitglieder und 34 Helferinnen; er ist charitativ tätig, wozu er
durch Mitgliedsbeiträge befähigt wird. Aus seinem Gemeinschaftsleben
erfahren wir, daß die Gemeinschaftsmesse an einem Morgen jeder
Woche im Durchschnitt von 60 Mitgliedern, der monatliche Abendgottesdienst
von 200 besucht wird. Der Elisabethverein, ein tätiger
Hilfsverein, hatte vor dem Krieg bis zu 60 Mitglieder. In den 5 Untergruppen
der weiblichen Pfarrjugend finden sich insgesamt 78 Mitglieder
zusammen.

Uns scheinen diese Zahlen sehr lehrreich zu sein. Wie in
evangelischen Gemeinden verwendet auch die katholische Kirche
ungemein viel Zeit und Kraft auf die Pflege des Gruppenlebens,
erreicht und hält aber nur relativ kleine Gemeinschaften. Die
geistlichen Ausstrahlungen sind durchaus unterschiedlich. Teils
fehlen sie 60gut wie ganz und werden durch gesellschaftliche