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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

698-699

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Haebler, Hans Carl von

Titel/Untertitel:

Das Bild in der evangelischen Kirche 1958

Rezensent:

Girkon, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

698

Diskussion auslösen. Lasarew geht zunächst auf die interessanten
Skulpturen an der Uspenie-Kathedrale, an der Dmitrij-Kathedrale
in Vladimir, an der Pokrov-Kirche am Neri' und an Kirchen in
Susdal' und Jurjev-Polskij ein. Aus Raumgründen ist es uns verboten
, auf Einzelheiten einzugehen. Im Mittelpunkt der Darstellung
der Malerei von Vladimir-Susdal' von V. N. Lasarew
(S. 279 ff.) stehen einmal die Vladimirskaja und die Bogoljubs-
kaja sowie die Fresken der Dmitrij- und Uspenie-Kathedrale in
Vladimir, schließlich noch der Kathedrale in Susdal'. Die „Bogo-
mater' Vladimirskaja" wird von L. mit der Mehrzahl der Forscher
heute als byzantinische Ikone aus dem 12. Jhdt. bezeichnet.
Anderen Orts habe ich ausführlich dargelegt, daß ich persönlich
immer noch der Meinung Ainalovs bin, der die Ikone in das
13. Jhdt. datiert. Es ist mir kein Beispiel aus der Monumental-.
Miniatur- oder Ikonenmalerei des 12. Jhdt.s bekannt, bei dem die
innere Dramatik sich sowohl in der Komposition als auch in der
Ausdruckskraft der beiden Antlitze eine solche intensive Geltung
verschafft wie auf der Vladimirskaja (vgl. K. Onasch: Die Ikone
der Gottesmutter von Vladimir in der staatlichen Tret'jakov-
Galerie zu Moskau, in: Wissenschaft! Zeitschr. der Martin-
Luther - Universität Halle - Wittenberg/Ges. - Sprachwissenschaftl.
Reihe/V/l, Nov. 1955, S. 51-62). Das Buntphoto Abb. 281 ist
übrigens viel zu hell. Der Leser wird sich die Vladimirskaja dunkler
vorstellen müssen. Die Bogoljubskaja (Abb. 259, 260) mit /
ihrem unbeschreiblich schönen melancholischen Frauenantlitz aus
der Mitte des 12. Jhdts. befand sich in einem äußerst desolaten
Zustand. Sie wird jetzt in den Restaurationswerkstätten einer
gründlichen Untersuchung unterworfen. Mit der berühmten
,,Haupt-Deisis" (auch „Engel-Deisis" genannt) kommt L. auf die
Entwicklung der Ikonostas zu sprechen (vgl. auch S. 274). Weiterhin
werden die Großikone des Dmitrij Solunskij (Abb. 278, 279),
Miniaturen, Bronzegüsse und wieder Ikonen vor allem der Schule
von Jaroslavl' behandelt. Bei der bekannten Großikone des
Znamenie aus Jaroslavl' betont L. den Unterschied in der Darstellung
des fast freundlich seine Anne dem Beschauer entgegenstreckenden
Christus auf dem Medaillon und seinem byzantinischen
strengen Prototyp (S. 312). Was Verf. über die Ikonographie
der Fresken in der Dmitrij-Kathedrale von Vladimir
schreibt, gilt auch für den Christus des Znamenie wie für die
meisten Ikonen dieser Zeit, vor allem die verschiedensten Typen
des Spas (S. 313, 314): „Die russischen Maler brachen bewußt mit
dem byzantinischen Spiritualismus und strebten eine irdischere,
realistischere Kunst an" (S. 293). Auch dieses Faktum kann vom
Kirchenhistoriker bestätigt und ergänzt werden. Es ist eine bekannte
Tatsache, daß das frühe russische Christentum sehr praktisch
war. Es beschäftigte sich kaum mit den theologischen Streitigkeiten
der Byzantiner als vielmehr mit den Realitäten der Men-
schenführung. Man hat darauf hingewiesen, daß nicht Augustinus,
sondern Methodius vom Olymp mit seiner Lehre vom avro-
Sovaiog (russ.: samovlasten)-Charakter des Menschen in der
Kiever Rus' starken Anklang fand (vgl. A. Vaillant: Le „de
autexusio", in: Patroi. Orient. XXII. Paris 1930). Mit der Boris
und Gleb-Ikone (Abb. 321) schließt L. die Kunst von Vladimir-
Susdal' ab, indem er sagt, „daß man unwillkürlich geneigt ist, die
Ikone Boris' und Glebs als Prolog zur gesamten späteren russischen
Ikonenmalerei zu betrachten" (S. 323). Nachdem B. A.
R y b a k o w wiederum einen interessanten Abschnitt über die
angewandte Kunst in Vladimir Susdal' bringt (S. 323), befaßt sich
Lasarew in einem kurzen Schlußabschnitt mit der Bedeutung
der Tatareninvasion für die Kunst von Vladimir Susdal', die zum
Ausgangspunkt der späteren Kulturschöpfungen in Tver' und
Moskau wurde. —

Ein Wort muß noch zur Übersetzung gesagt werden. Ganz
allgemein möchte ich dringend raten, auch die russischen Bezeichnungen
der Ikonen, der Kirchen usw. in das Deutsche zu übersetzen
. Der des Russischen nicht mächtige Leser kann sich nicht
vorstellen, was ein „Spas" ist. Oder was soll er sich unter der
Kirche „Poloshenija ris bogomateri" vorstellen? Stünde „Gewand-
niederlcgung der Gottesmutter", wüßte er Bescheid. Man sollte
also auch die Bezeichnungen in deutscher Sprache bringen und in
Klammern die russische, aber in wissenschaftlicher Transkription.
Die Übersetzung des Textes selbst zeigt zahlreiche Mißgriffe und
Fehler. Statt „Spasso-Miron-Kloster" in Pskov (S. 138) muß es

„Spasso-Miroz-Kloster" heißen (richtig S. 310). Statt „Statthalter-
Ikone" (S. 13 8) hieße es vielleicht „Residenzikone", besser „Ortsikone
". „Isbornik" (S. 140) ist nicht ein „Kodex", sondern eine
Sammelschrift. S. 300 muß es statt „Epiphanie" „Etoimasia" heißen
! S. 308 wäre Blachernen-Kirche besser als „Blacher-Kirche"
(s.a. S. 310 u. ö.) und das „Wunder von Hona" heißt richtig
„Wunder von Chonae". Die Beispiele ließen sich vermehren. Es
wäre dem Übersetzer und dem Verlag anzuraten, in Zukunft den
deutschen Text von einem der sowjetischen Herausgeber autorisieren
zu lassen. —

Zahlreiche Probleme dieses Monumentalwerkes konnten hier
nicht besprochen werden. Sie liegen z. T. auf grundsätzlichem
Gebiet, z. T. auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Forschung.
Wie dem auch sei, dem deutschen Leser sind endlich die wichtigsten
Ergebnisse der sowjetischen kunstgeschichtlichen Forschung auf
dem Felde der eigenen Kunstentwicklung zugänglich gemacht, wobei
das Gesamtunternehmen zugleich ein nachahmenswertes Beispiel
kollegialer Kollektivarbeit darstellt. Dafür sei schließlich auch
dem Verlag und dem Übersetzer gedankt.

Halle (Saale) Konrad Onasch

Ha4 b 1 e r, Hans Carl von: Das Bild in der evangelischen Kirche. Ber-
/T|n: Evang. Verlagsanstalt [1957]. 260 S., 112 Taf. gr. 8°. Lw.
ÖM 17.50.

*)ie Frage, welche Stellung der bildenden Kunst in der evangelischen
Kirche zukommt, wie sie von der Reformation und der
evangelischen Theologie beantwortet wird und wie sie aus dem
Wesen der künstlerischen Gestaltung beantwortet werden muß —
diese Frage ist aktuell und wird immer wieder zur Diskussion
gstellt. Das Werk H. C. v. Haeblers ist in mancher Richtung ein
bedeutender und dankenswerter Beitrag zu dieser Diskussion,
dem man Beachtung weitester kirchlicher Kreise wünschen
möchte.

Das Buch besteht im Text aus zwei Hauptteilen: einer
Übersicht über die Tradition des Bildes in der evangelischen Kirche
und dem Versuch einer Theologie des Kirchenbildes. Der
erste Hauptteil behandelt in zwei Abschnitten das Bildwerk zur
Zeit der Reformation und der lutherischen Orthodoxie und in
zwei weiteren Abschnitten die Krisenzeit des 18. Jahrhunderts
und den Verfall der Kirchenkunst im 19. Jahrhundert, wobei der
Expressionismus des 20. Jahrhunderts noch gestreift wird. Vor
allem in den drei ersten Abschnitten dieses Hauptteils zeigt 6ich
eine geradezu bewunderungswürdige Kenntnis des Bilderbestandes
, seiner typologischen Entwicklung und seiner ikonographi-
schen Thematik und Komposition, die z. T. erstmalig analysiert
und dargestellt werden. Darüber hinaus vermag der Verfasser
aufgrund seiner typologischen und thematischen Darlegungen die
Werke als Dokumente der Geistesweise und Geistesentwicklung
jener Zeiten überzeugend und aufschlußreich auszuwerten.

Es ist jedoch bereits in diesem Hauptabschnitt auffallend, daß
die Urteilsbildung des Verfassers trotz mancher kunstkritisch-
systematischer Ansätze fast ausschließlich auf der Thematik, d. h.
auf der Darstellung und theologischen Bewertung de6 Bildinhalts
beruht. In sehr dankenswerter Entschiedenheit vertritt er die
These, daß die Kunst ebenso wie das Wort das Evangelium verkündigt
. Aber es ist bezeichnend, daß er als Beweis für die Aussagefähigkeit
des Bildes die Entstehung des Schriftworts aus dem
geformten, bildhaften Zeichen anführt. Für ihn beruht die Verkündigung
des Kunstwerkes nur auf einem der Bibel gemäßen
Bildinhalt. Und gerade diese Auffassung ist keine tragfähige Basis
für das Problem des Verhältnisses von Kunst und Kirche.
Sie verkennt völlig das Wesen des Kunstwerkes, das formgewordener
Geist als schöpferische Entäußerung des Inwendigen ist. Es
ist — leider — keineswegs ohne weiteres möglich, das Thema de*
Kunstwerkes mit dem schöpferischen geistigen Gehalt zu identifizieren
, der sich in der Form verkörpert hat. Kunst ist nun ein
mal nicht Inhalt sondern Form, freilich nicht Form an sich sondern
Form als Verwirklichung des Geistes. Der Geist aber ist
nicht identisch mit dem Bildinhalt. Nur wo diese Identifikation
gelingt, wo das Thema als Inspiration der Schöpfung sich in der
Form verkörpert, statt von außen in das Gefäß der Form hineingetan
zu werden, nur da ist das Thema für das Kunstwerk konstitutiv
und wesentlich. Bei der Beschreibung z. B. der Werke