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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

692-693

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Fischer, Max

Titel/Untertitel:

Zeitgenössische Betrachtungen zur Jesuitenfrage 1958

Rezensent:

Lau, Franz

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

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gegenüber? Philosophisches Rüstzeug wird hüben und drüben
gebraucht, bei Luther und bei allen seinen theologischen Vorgängern
. Auf die Offenbarung in Christus beziehen sich ebenfalls
alle. Liegt die Differenz in der mehr oder weniger starken
und bei Luther vielleicht gar nicht erfolgten Überfremdung durch
die Philosophie, oder liegt sie in einem verschiedenen Verstehen
der Offenbarung? L. würde sicher sagen, Mißverständnis der
Offenbarung kommt eben dort zustande, wo nicht schlicht auf
das Wort gehört wird, sondern die natürliche Vernunft, also die
Philosophie sich zu Worte meldet. Aber einerseits kann auch
Luther, wenn ihm etwas theologisch feststeht, in überraschender
Weise rational und philosophisch argumentieren (vgl. WA 18,
617 f.); und andererseits versucht Link, wenn er von philosophischer
Umklammerung spricht, doch mindestens etwa den platonischen
Untergrund eines theologischen Systems auch konkret
herauszustellen. Aber liegt der Fehler bei Thomas nur in 6einem
Aristotelismus usw. und nicht vielmehr in einer anderen theologischen
Grundentscheidung, die letztlich unabhängig von allem
philosophischen Gedankenwerk vollzogen und nur nachträglich
philosophisch eingekleidet ist? Das heißt aber mit anderen Worten
: Letztlich reicht die Formel Befreiung der Theologie von der
Philosophie, so reizvoll sie ist und so sehr mit ihr an Äußerungen
Luthers angeknüpft wird, doch nicht aus, um den reformatorischen
Durchbruch voll erfassen zu lassen.

Schließlich noch ein weiteres: L. sieht die theologische Aussage
immer dann gefährdet, wenn der Besitz des Glaubens und
das Geschenk der Erlösung, die Freude an der Seligkeit zum Ausdruck
kommt. Bei Augustin ist es bereits Ausdruck der philosophischen
Umklammerung, daß „im Reden von der göttlichen
Gabe nicht nur der Geber, sondern auch das die Gabe besitzende
Subjekt mindestens in gewissem Sinne mit im
Blick" steht (241; Sperrung vom Rezensenten)!!! Und Luther
ist mit seinem Rechtfertigungsbekenntnis philosophische Bindungen
eingegangen, insofern er psychologische Kategorien bei
der Beschreibung und Begründung des Glaubens gebraucht hat
(155). Erwähnt ist da von L. die innere Freudigkeit, die der Glaubende
im Gegensatz zum Gesetzesdiener empfindet. Ist das eine
psychologische Kategorie? Es ist zunächst einmal ein neutesta-
mentlicher Begriff (naQQrjöla) und hat mit philosophischen Bindungen
auch nicht das leiseste zu tun. Es gehört zum Glauben,
daß er sich wohl auf ein Ereignis außer uns bezieht, auf das barmherzige
Kommen Gottes in die Welt im Christusgeschehen, aber
auch, daß er meiner wird, und die Frucht des Geistes ist Liebe.
Freude, Friede usw., als mein Besitz und als mir geschenkt! Das
tritt bei L. zurück hinter dem Ereignis extra nos, auf das sich
der Glaube bezieht. L. sagt: „Aus dem objektiven Vorhandensein
des Glaubens den Inhalt eines Bekenntnisses zu bilden,
kennzeichnet das Wesen des Einbruches der Philosophie in die
Theologie" (262). Gewiß glauben wir nicht an unseren Glauben.
Aber die Erklärungen der drei Artikel im Kleinen Katechismus
reden mit einer beglückenden Unbefangenheit und Freiheit davon
, daß Gott mich geschaffen hat samt allen Kreaturen, davon
, daß er mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst
hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und
von der Gewalt des Teufels, und davon, daß der Heilige Geist
mich durch das Evangelium berufen und erleuchtet hat. Anders
gesagt: Echte christliche Theologie (nach Luther) heißt nicht, mit
puritanischer Strenge nur von dem dreieinigen Schöpfer zu reden,
sondern ist auch eine Theologie des Geschöpfes, das durch den
dreieinigen Gott geschaffen, erlöst und geheiligt ist. Und wenn
da schon von einer Überfremdung der Theologie gesprochen
wird, wenn also nur unter dem Aspekt einer bestimmten Deutung
Luthers Luther die Palme des Sieges im Ringen um die Freiheit
der Theologie von der Philosophie gereicht werden sollte,
wäre dem einfach mit einem sehr bestimmten, hartnäckigen Veto
entgegenzutreten.

Mit dem Verfasser, der nicht mehr einer der Unseren ist,
sondern zur Gemeinde der Vollendeten gehört, lassen sich die
Fragen, die seine Untersuchung aufwirft, nicht mehr verhandeln.
Es ist ein wesentliches Stück des Dankes, den wir ihm schulden,
daß wir unsere Fragen trotzdem offen anmelden.

Markkleeberg/Leipzig Franz Lau

Litt eil, Franklin Hamlin, Ph. D., DD: Landgraf Philipp und die
Toleranz. Ein christlidier Fürst, der linke Flügel der Reformation und
der christliche Primitivismus. Vorlesung. Bad Nauheim: Christian-
Verlag [1957]. 54 S. 8°.

Die wertvolle Studie gibt eine Vorlesung wieder, die der
Verfasser anläßlich seiner Ehrenpromotion vor der theologischen
Fakultät der Philipps-Universität zu Marburg gehalten hat. Der
Verf. hat in ihr das Verhältnis des Landgrafen Philipp von Hessen
zu dem „linken Hügel der Reformation" untersucht. Dieser fällt
unter den geistesgeschichtlichen Begriff des „Primitivismus", für
dessen Geschichtsanschauung die Verfallstheorie kennzeichnend
ist. Nicht „Reformatio", sondern „Restitutio", und zwar als
Restauration eines idealen Urzustandes, ist daher die Forderung,
die jedem Typ von Primitivismus zugrunde liegt. Zu ihm gehören
in der Reformationszeit vor allem die täuferische und die
spiritualistische Bewegung.

Im Gegensatz zu den meisten Territorialherren seiner Zeit
wie auch entgegen dem gültigen kaiserlichen Recht zeichnet sich
Philipp von Hessen durch grundsätzliche Toleranz aus, wie sie
in seinem Bekenntnis zum „Dulden" zum Ausdruck kommt. Der
hessische Landgraf hat es darum stets abgelehnt, jemand „des
Glaubens halben mit dem Schwert richten zu lassen". Seine bewußt
„evangelische" Stellung läßt sich daher nach Litteil als ein
Mittelweg zwischen den Konfessionalisten und den Spiritualisten
seiner Zeit bezeichnen, der schon fast wie ein Vorläufer der ökumenischen
Bewegung erscheint.

Die äußerst anregend geschriebene Schrift verdient es, auch
in weiteren Kreisen des deutschen Protestantismus Berücksichtigung
zu finden.

Marburg/Lahn Winfried Zel 1 e r

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Fischer, Max, u. Arthur Frey: Zeitgenössische Betrachtungen zur
Jesuitenfrage. Zollikon-Zürich: Evangelischer Verlag 1953. 87 S. 8!).
DM 3.35.

In die Schweizer Bundesverfassung von 1848 ist, im Nachgang
zum Sonderbundeskrieg, ein Jesuitenartikel aufgenommen
worden: „Der Orden der Jesuiten und die ihm affiliierten Gesellschaften
dürfen in keinem Teil der Schweiz Aufnahme finden."
Daß und wa-rum der Artikel in der revidierten Verfassung von
1874 (dort Nr. 51) eine Verschärfung erfahren hat, ist in einer
Schrift von Kurt Guggisberg: „Der Jesuitenartikel" (Zollikon-
Zürich 1956) dargelegt. Die Verschärfung bestand darin, daß ausdrücklich
gesagt wurde, daß den Gliedern der Gesellschaft jede
Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt ist und daß das Verbot
durch Bundesbeschluß auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt
werden kann. Seit längeren Jahren, im Grunde schon
seit kurz nach dem ersten Weltkrieg, ist in der Schweiz eine Gegenbewegung
gegen das Jesuitenverbot im Gange. Im Zuge derselben
haben sich in Zürich stillschweigend Jesuiten niedergelassen
und eine wahrlich nicht geringe und unwesentliche Tätigkeit
entfaltet. Anfang der fünfziger Jahre ist in aller Form versucht
worden, den Artikel 51 aus der Verfassung herauszunehmen. Die
vorliegende Schrift, die mit einem Überblick über die Geschichte,
die Ziele und die Arbeitsweise der Gesellschaft Jesu beginnt
(von Max Fischer) und dann ein Votum bringt, das Arthur Frey
am 7. Sept. 1953 im Kantonatsrat Zürich abgegeben hat, gibt
einen recht interessanten Einblick in die Auseinandersetzungen,
die in der Schweiz um den Jesuitenartikel stattgefunden haben.
In ihren Urteilen über die Jesuiten sind die Verfasser gerecht.
Insbesondere wird die wissenschaftliche Tätigkeit des Ordens
positiv gewürdigt. Aber beide Verfasser kommen zu dem Ergebnis
, daß eine Wiederzulassung der Jesuiten in der Schweiz eine
erhebliche Störung des konfessionellen Friedens mit sich bringen
würde, und sie lehnen eine Aufhebung des Art. 51 klar und bestimmt
ab. Inzwischen ist es um die Dinge ja wieder still geworden
.

Sehr viel Neues bringt die Schrift für einen, der die Dinge
einigermaßen kennt, natürlich nicht. Interessant ist der Hinweis
auf den Beitrag, den die Jesuiten zum Exotismus des 18. Jahrhunderts
geleistet haben. Auffällig ist, wie leicht die jesuitische
Missionspraxis genommen wird („So kamen gewiß heidnische und